13. KAPITEL – Freiheit – Flüchtlingselend und wieder Flora und Fauna

Es vergehen Stunden mit Warten auf Akamouks Rückkehr. Nachdem mich das Stillsitzen im Auto langsam nervt, steige ich aus, um meine Beine zu bewegen. Ich möchte ein bisschen in die Wüste spazieren und probieren, ob man bei gleichmäßigem Gehen tatsächlich Einfälle hat und Gedanken besser koordinieren kann. Die herumlungernden Soldaten nehmen von meinem Fortgehen keine Notiz, da der Rover als Pfand bei ihnen bleibt. Nach dem Verlassen der Straße marschiere ich zügig gegen Osten. In scheinbar erreichbarer Nähe ragen einige rote Felsen auf einer Hügelkette hoch in den Himmel. Da ich nicht vorhabe mich sehr weit von der Straße fortzubewegen, nehme ich mir diese Erhebungen zum Ziel. Die Fortbewegung auf dem buckligen, mit Steinen durchsetzten Untergrund ist zwar etwas mühsam, trotzdem komme ich leidlich schnell voran. Meine Versuche, die Gedanken auf einen allein zu konzentrieren, werden aber immer wieder durch verschiedene Eindrücke vereitelt. Da sind Unebenheiten, die einige Aufmerksamkeit fordern, um nicht darüber zu stolpern, dort läuft eine aufgescheuchte Echse davon, bleibt stehen, sieht sich nach mir um und verschwindet hinter einem Haufen aus Steinen. In einem leichten Bogen nähere ich mich von der Seite so leise wie möglich dem Steinhaufen an, von dem Tier ist jedoch keine Spur mehr zu sehen. Anstatt des Reptils hat sich dort eine Art buntes Kopftuch verfangen. Ich gehe weiter und bewundere einen bewegten See, der zwischen mir und den Hügeln liegt. Aber im gleichen Tempo, in dem ich auf ihn zugehe, zieht er sich zurück. Aus diesem See ragen einige verdorrte Akazien heraus, näherkommend erkenne ich, dass sie im trockenen Wüstenboden stehen. In dem Augenblick wird mir bewusst, dass sich meine Gedanken im Laufe des Fußmarsches wahrhaftig auf irgendeine Art entwirren. dass sich meine Gedanken während des Fußmarsches wahrhaftig auf irgendeine Art entwirren.

Es ist erstaunlich, wie nahe restriktive Gewalt und absolute Freiheit beieinanderliegen. Nur ein paar hundert Meter von hier entfernt steht auf der Straße mein Fahrzeug, durch staatliche Willkür blockiert. Ich darf es, obwohl in meinem Besitz stehend, weder vor, noch zurück bewegen. So werde ich dazu gezwungen, dorthin zurückzukehren. Hier dagegen befinde ich mich in nicht antastbarem Freisein. Keine Gewalt kann an diesem Ort die Befolgung von durch Menschen erdachte Gesetze oder Vorschriften von mir erzwingen, weil sie in der Wüste nicht existieren. Meine persönlichen physischen und psychischen Eigenverantwortlichkeiten werden nicht eingeschränkt. Nur den Zwängen natürlicher Körperfunktionen und -bedürfnisse, die dem freien Willen entzogenen sind, muss ich mich beugen. Und eben meiner eigenen ethischen Verantwortung, die aber nicht durch die Macht anderer erzwungen wurde. Definitionen von Freiheit gibt es sicher so viele, wie Individuen. Ein nomadisierender Targi, der seine gesamte Lebenszeit in größtmöglicher Unabhängigkeit verbringt, wird anders darüber denken, als ein Großstädter in beengender Zivilisation. Sehnsucht nach Freiheit empfinden und sich für diese einsetzen, ist vermutlich vor allem denjenigen möglich, denen Eigenbestimmung großteils entzogen wurde. Meine grundlegende Abneigung gegen Zwang, Ungerechtigkeit und repressive Machtausübung ist sicher ererbt. Bei den internationalen Machteliten in der Politik und im Kapital beginnt dieser Widerwillen, und reicht bis zur Zwangsbeglückung durch die mit angewandter Psychologie professionell durchdachten Werbemethoden. Klingt wie Anarchie. Ist es aber nicht, eher nach Immanuel Kants: „Gesetz und Freiheit ohne Gewalt“.

Anscheinend kann gleichmäßiges Gehen tatsächlich Erkenntnisse bringen, bemerke ich an diesem Ort verwundert. Hier in der Sahara fühle ich mich zufrieden und glücklich, sowie dankbar dafür, das erleben zu dürfen. Unbeirrt durch die Luftspiegelung, die mir einen See vorgaukelt, marschiere ich weiter und stelle fest, dass die von mir angestrebte Hügelkette trotz längerem Fußmarsch nicht nähergekommen ist. Ich gehe auf einen grünlich fluoreszierenden Gegenstand zu, der meine Aufmerksamkeit verlangt. Es ist einer dieser billigen Plastikschuhe aus chinesischer Produktion, wie man sie millionenfach auf den Märkten im Sudan anbietet. Irgendetwas stimmt damit nicht. Objekte, die über mehrere Tage in der Wüste liegen, werden mit der Zeit von Flugsand bedeckt, zumindest aber sammeln sich auf ihrer dem Wind abgekehrten Seite Häufchen von Sand an. Nichts davon traf hier zu. Wie kam der Schuh hierher, denn es führen auch keine Fußspuren zu diesem Ort. Das Rätsel ist nicht zu lösen, somit beschließe ich umzukehren, um entlang meiner eigenen Fährte zum Auto zurückzukommen. Ich scheine mich weiter vom Rover entfernt zu haben als geschätzt, denn nur schemenhaft nehme ich am Horizont die undeutlichen Umrisse der Militärfahrzeuge auf der Straße wahr. Ich gehe nochmals an dem verlorenen Tuch vorbei, auch da gibt es keine Spuren von Sand. Die Gegenstände können demnach nicht lange da liegen.

Erschöpft, müde und durstig erreiche ich den Rover. Kräftige Schlucke vom kühlen Wasser aus der Gerba wirken auf meinen Körper erfrischend. Das Timing stimmt, denn bald darauf trifft der Toyota mit Akamouk und unseren Dokumenten ein. Er scheint mürrisch zu sein, doch kann ich seine Stimmung nicht genau erkennen, da er den Tegelmust so weit hochgezogen hat, dass nur die Augen zu sehen sind. Wir bringen die bestätigten Papiere zu dem Offizier. Er wirft einen kurzen Blick darauf und wünscht uns eine gute Fahrt. Wir fahren los, und Akamouk erzählt mir unterwegs die Gründe für seine Verstimmung. In den Büros von Tamanrasset arbeiten nahezu durchwegs Leute aus dem Norden. Er musste endlos lange warten, wurde von einem Büro ins andere geschickt, voll Misstrauen ausgefragt und fühlte sich wie ein Fremder behandelt. Und das einem freien Targi! Er erzählte, dass es in den Städten im Norden bürgerkriegsähnliche Zustände gibt, weil der seit zwanzig Jahren regierende greise Präsident Bouteflika weiter regieren will. Dass wir im Süden Algeriens recht wenig darüber erfahren, ist bezeichnend. Nur vier Prozent der Gesamtbevölkerung Algeriens leben in und südlich der Sahara. Dem Großteil der Menschen hier ist das, was im Norden ihres Landes geschieht, herzlich egal.

Bis In Guezzam ist die Straße asphaltiert und in recht gutem Zustand, wir sind dementsprechend schnell unterwegs. Erstaunlich ist die starke Präsenz von Soldaten in dieser Gegend. Jetzt weiß ich endlich, welches Ziel die lange Kolonne von Militär-LKWs hatte, die vor einiger Zeit in der Nacht an unserer Auberge vorbeigedonnert ist. Es sind Spezialtruppen, viele mit Metalldetektoren ausgBis In Guezzam ist die Straße asphaltiert und in recht befahrbaren Zustand, wir sind dementsprechend schnell unterwegs. Erstaunlich ist die große Präsenz von Soldaten in dieser Gegend. Jetzt weiß ich endlich, welches Ziel, die lange Kolonne von Militär-LKWs hatte, die vor einiger Zeit in der Nacht an der Auberge de Soleil vorbeigedonnert ist. Es sind Spezialtruppen, viele mit Metalldetektoren ausgerüstet, um im Sand vergrabene Schmuggelware zu orten. Das scheint notwendig zu sein, denn die Soldaten, bei denen ich vorhin warten musste, erzählten mir, sie haben Lager mit automatischen Gewehren, und sogar mit schweren Waffen, wie Granatwerfer gefunden. Alles sicher Vorräte der Al Quaida. Das Militär hat hier zusätzlich andere Aufgaben zu verrichten. Die maßgeblicheren Grenzen zu den angrenzenden Ländern wie Mali und Marokko sind gesperrt, diese hier nach Niger ebenfalls. Hinaus werden wir mit der von Akamouk in Tamanrasset erhaltenen Bewilligung ohne größere Schwierigkeiten kommen, wie das bei unserer Rückfahrt sein wird, steht in den Sternen geschrieben. Inschallah!erüstet, um im Sand vergrabene Schmuggelware zu orten. Das scheint notwendig zu sein, denn die Soldaten, bei denen ich vorhin warten musste, erzählten mir, sie haben Lager mit automatischen Gewehren, und sogar mit schweren Waffen, wie Granatwerfer gefunden. Alles sicher Vorräte der Al Quaida. Das Militär hat hier noch ganz andere Aufgaben zu verrichten. Die größeren Grenzen zu den angrenzenden Ländern wie Mali und Marokko sind gesperrt, diese hier ebenfalls. Hinaus werden wir mit der von Akamouk in Tamanrasset erhaltenen Bewilligung ohne größere Schwierigkeiten kommen, wie das bei unserer Rückfahrt sein wird, steht in den Sternen geschrieben. Inschallah!

An einer langen stehenden Kolonne von Lastentransportern vorbei, erreichen wir das Zollamt. Es klappt alles angenehm schnell, die Ausfuhr des Wagens wird mit einem Stempel bestätigt und wir dürfen südwärts fahren. Eine kurze Strecke ist die Straße asphaltiert und endet bei einer Art befestigten Fort. Die weitere Route führt über eine Piste, teilweise markiert, streckenweise wild durch die Gegend. Es sind fünfundzwanzig Kilometer zu überwinden, die mich an frühere Zeiten erinnern. Immer wieder begegnen uns kleine Trupps und ganze Familien Schwarzafrikaner, die in Richtung Algerien ziehen. Wir erreichen gegen Abend Assamaka, den Grenzposten von Niger. Das Zollamt unterscheidet sich von den umliegenden Bauten nur durch einen Fahnenmast mit aufgezogener Landesfahne. Militär gibt es hier ebenfalls, allerdings in wesentlich geringerem Ausmaß als jenseits der algerischen Grenze. Der Diensthabende ist ein Targi und er begrüßt uns auf Art der Tuareg mit „labess“. Über ihn erfahren wir von zahlreichen toten Flüchtlingen, die in Massengräbern ringsum verscharrt sind. Algerien hat bei massiven Ausweisungen seit Oktober 2017 an die 13.000 Immigranten zurückgeschickt, weil die Europäische Union Druck auf die nordafrikanischen Länder ausübt, damit der Strom der Migranten über das Mittelmeer unterbunden wird. Den in Niger arbeitenden Organisationen der UN fehlen die Kapazitäten, um sich in dem Ausmaß zu kümmern, die bei dieser Anzahl Menschen notwendig wären. Lediglich an die 11.000 Flüchtlingen aus Mali, Gambia, Guinea, Elfenbeinküste, Niger und anderen Ländern ist der Marsch durch weit über 200 Kilometer unbarmherzige Wüste bis zur nächsten Stadt, Arli, gelungen.

Der „Chef de poste“ ist auch ein Targi und außerordentlich freundlich zu uns. Weil es in weiterer Umgebung kein Hotel gibt, dürfen wir in den Räumen des Amtshauses übernachten. Das ist eindeutig meiner Begleitung und der allgemeinen Gastfreundschaft der Touareg zu verdanken. Im Hof des Zollgebäudes bereitet Akamouk eine große Portion Tee für uns und den gefälligen Zöllner. Bald gesellt sich einer seiner Untergebenen, ebenfalls ein Targi, zu uns. Die Beamten haben neben ihrem Dienst keine Zeit, nach alter Tradition Tee zu kochen, und sind über diese Einladung unverkennbar erfreut. Ich bin etwas gelangweilt, denn die Herren unterhalten sich in ihrer Sprache Tamasheq. Das Gespräch scheint manchmal meine Person zum Thema zu haben. Das bemerke ich an den interessierten Blicken, die mich gelegentlich treffen. Wir sitzen bis spät in die Nacht, bevor wir uns zur Ruhe begeben.

Am Morgen des folgenden Tages erhalten wir anstandslos die notwendigen amtlichen Bestätigungen für mein Auto. Nach dem Betanken des Rover und Nachfüllen der Wasserbehälter sowie einem länger sich hinziehenden Abschied der Touaregstämmigen, brechen wir wieder in Richtung Algerien auf. Jetzt erst fallen mir verlassene Lagerstellen in Pistennähe auf, erkenntlich an zurückgelassenen leeren Konservendosen und Resten anderer Verpackungen von Lebensmitteln. Damit erklären sich die Fundsachen bei meinem Spaziergang am Tag zuvor. Die dort gefundenen Gegenstände dürften von einem solchen Lager vom Westwind oder Tieren dorthin verschleppt worden sein.

Der erste Teil der Rückreise auf und neben der Piste ist zwar mühsam, aber ohne Probleme zu bewältigen. Auf Asphalt geht es dann nach In Guezzam, wo ich größere Schwierigkeiten bei der Einfuhr des Rovers erwarte. Ein jugendlicher, offensichtlich aus dem Norden stammender Zollbeamter prüft die Papiere sorgfältig, blättert lange in einem Buch. Mit wichtiger Miene erhebt er sich von seinem Schreibtisch und kommt mit aufgeschlagenem Gesetzbuch auf mich zu. Es ist in der Amtssprache französisch gehalten. Er zeigt mir darin die Stelle seines Missfallens, wo geschrieben steht, dass mindestens weitere drei Tage vergehen müssen, bevor er das Fahrzeug wieder ins Land lassen darf. Meine Versuche, ihm glaubhaft zu erklären, warum ich gezwungen bin, ganz dringend in den Norden zu fahren und dass ich keine Migranten mitführe, sind vergebens. Er bleibt hart und lässt mich reden, bis er fragt, ob ich in Österreich geboren wurde. Die Überprüfung meines Reisepasses fällt zu seiner Zufriedenheit aus. Zwei Stempel und zwei Unterschriften, jeweils von ihm und seinem Vorgesetzten, und wir dürfen fahren. Was mein Geburtsland mit diesem Entgegenkommen zu tun hat, wird für mich dauerhaft ein Rätsel bleiben, oder ist es wegen der Neutralität Österreichs? Ich beschließe, darüber nicht weiter nachzudenken, denn zu solch afrikanischer Logik scheine ich keinen Zugang zu haben.

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Hoggar, am Weg nach Tamanrasset

Da wir die zwar schönere, aber umständlichere Route durch die Ifoghas-Berge zur Heimfahrt nicht nehmen, bleibt uns nur der Weg über Tamanrasset. Was mir nicht ungelegen kommt, denn es würde mich interessieren, ob es selbst in dieser südlichen Hochschulstadt Unruhen gibt, da in den Städten im Norden Studenten die Organisatoren sind. Wir schaffen die 500 Kilometer bis „Tam“ in einer Rekordzeit von viereinhalb Stunden. Bei dem Militärkontrollpunkt winkt man uns höflich durch, da wir dort bestens bekannt sind. Die Abenddämmerung ist bei unserer Ankunft angebrochen. Ich überlege, ob wir die Nacht in der Stadt verbringen, oder vor deren Toren kampieren sollen. Bei Finsternis einen geeigneten Platz dafür zu finden, bedeutet Glückssache, außerdem ist Tamanrasset einer der kühlsten Orte der Sahara. Erreichen andere Städte wie In Salah Höchsttemperaturen bis 55° C, gibt es in Tam nicht einmal 30° C. Dementsprechend das Verhältnis in den Nachtstunden, wobei 0° in Tam keine Seltenheit sind. Deshalb leiste ich mir ein Zimmer in derselben Unterkunft, die ich von der Fahrt mit François zum Elektroniker kenne. Selbstverständlich lade ich Akamouk auf diese Übernachtung im Hotel ein. Wir schlendern durch die stille Stadt, lediglich auf einem größeren Platz hat sich verloren und friedlich eine kleine Gruppe Studenten versammelt, die zwei algerische Fahnen hochhalten. Wir erfahren von ihnen, dass die Regierung die anstehenden Semesterferien um elf Tage vorverlegt hat. Da in den Ferien die Studentenheime durchwegs geschlossen bleiben, zerstreuen sich deren Bewohner in ihre Heimatorte. Eine Anordnung zur Schwächung der Demonstranten.

In der Morgendämmerung machen wir uns auf den Weg in Richtung Osten, zur Auberge. Dort kommen wir spät am Nachmittag an. Michelle und François begrüßen uns herzlich und familiär. Akamouk verzieht sich in den Hof zu Iyad, seinem Verwandten, ich steige in mein Türmchen hinauf, um mich zu duschen und der Kleidung zu entledigen, die ich in den Tagen dieser Fahrt getragen hatte. Beim Abendessen hören mir die Wirtsleute meinem Bericht aufmerksam zu, François ergänzt die Erzählungen mit der neuesten Nachricht, dass Bouteflika dem Druck der Demonstranten nachgegeben hat und nicht mehr für eine weitere Amtsperiode kandidiert. Das könnte eine ruhig verlaufende Wahl bedeuten. Nach dem Essen begebe ich mich in das Turmzimmer, öffne den Computer und will meine persönlichen Erinnerungen an die Westafrikaexpedition vor sieben Jahrzehnten weiterschreiben. Doch nach einigen Zeilen schlafe ich vor dem Bildschirm kurz ein. Ich beschließe, morgen ausgeruht mit der Arbeit fortzufahren:

Fahrtroute Österr. Westafriaka-Expedition

Wir, die fünf Mann der Expedition, hatten irgendwo an der Piste nach Bidon 5 übernachtet. Frierend, aber ausgezeichneter Stimmung brachen wir unser Lager unterm Sternenzelt ab, um die folgenden zweitausend Kilometer Sahara zu meistern. Die Wüste war eben wie ein Tisch, nirgends mehr Sanddünen zu sehen. Obwohl versandet, war der Boden hart und mühelos befahrbar. Damit den Autos das Wellblech der Piste ersparend, fuhren wir auf den Spuren der Fahrzeuge, die hunderte Meter neben der Hauptstrecke nach Süden führten. Dabei stets die Markierungen der Piste durch Steinhaufen, alte Telegraphenmasten oder leere Benzinfässer im Blick.

Der IFA lief wie ein Wiesel, bis mit zunehmender Sonnenwärme sein Kühler wieder kochte. Ab da waren wir gezwungen öfters stehenzubleiben, um Wasser nachzufüllen. Das Sonnenlicht wurde immer trüber und es waren keine Schatten mehr zu sehen. Im unheimlichen Schleier eines aufkommenden Sandsturms erreichten wir den nächsten französischen Militärposten, den Poste Weygand, amtlich Balise 250 genannt. Dieser und der dreihundert Kilometer weiter südlich gelegene Posten gewährleisteten den Durchfahrenden die Versorgung mit Treibstoff und Wasser. Dort standen ein paar Baracken, wovon wir eine beziehen durften und den IFA durch das groß dimensionierte Tor hineinfuhren. Der Kühler wurde ausgebaut und wir erkannten seinen Zustand als irreparabel. Der Sturm rüttelte am Dach und an den Ecken der aus Wellblech bestehenden Unterkunft und vollführte einen Höllenlärm. Wir fürchteten, mitsamt der Baracke weggeblasen zu werden. Plötzlich wurde die kleine Türe neben dem Haupttor aufgerissen und schlug mit unerhörter Gewalt an die Wand. Zwei sich gegen den Sturm stemmende vermummte Gestalten kamen herein und schlossen, sich gegenseitig unterstützend, wieder den Eingang. Die Reisenden waren recht sympathische Dänen. Einer davon war ein Kinderarzt aus Indien, der einen anderen Kontinent kennenlernen wollte. Der Zweite war einfach nur Däne. Der Sturm ebbte ab, die gewohnte Stille umfing uns wieder. Wir verbrachten zu siebent eine recht angenehme Nacht in der Baracke. Diese Herren aus Dänemark schickte uns der Himmel, denn sie spendeten ein Dichtungsmittel für den Kühler. Das ermöglichte uns nach dessen Anwendung, einen Tag später weiterzufahren.

Bei Tagesanbruch verließen wir den Posten, die Dänen in ihrem alten Ford in Richtung Norden, wir mit frischem Mut nach Süden. Wir fuhren mit annehmbarem Tempo zügig durch die stets größer werdende Hitze, bis eine über den Weg laufende tiefe Querrinne der Achse des Père Ubu neuerlich das Genick brach. Und das geschah nur wenige Kilometer vor unserem angestrebten Etappenziel!

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Begräbnis der letzten Achse

Übung macht den Meister. In der Rekordzeit von knapp zweieinhalb Stunden war die Reserveachse eingebaut. So erreichten wir todmüde vor Sonnenuntergang Bidon 5, den mutmaßlich bekanntesten Ort der Tanezrouftpiste. Ort wäre übertrieben, eher eine Örtlichkeit, denn der Posten bestand aus zwei Wellblechbaracken, einer gemauerten Unterkunft und dem Stahlgerüst eines Sendemastes. Bidon V heißt auf Deutsch „Fass 5“. Bereits im Jahre 1923 wurden nummerierte leere Benzinfässer zur Markierung entlang der Strecke deponiert. Der Ort war deswegen berühmt und auf jeder Landkarte eingezeichnet, weil er markierte die genaue Hälfte der Route zwischen Colomb Béchar im Norden und der Grenze zu Niger im Süden. Soweit das Auge reichte, sah man rundherum ausschließlich brettebene Wüste. Im Fall eines Falles war dies ein fixer Anlaufpunkt für Rettung Suchende auf der langen Durststrecke.

Zwei einsame französische Soldaten waren hier für alles verantwortlich. Allerdings waren die beiden nicht als Armeeangehörige zu erkennen. Sie hatten ihre Uniformen sorgsam im Spind aufbewahrt, um sie vor dem allgegenwärtigen Sand zu schützen. Sie waren Funker, die uns freundlichst in ihrer Radiostation aufnahmen. Max und Schani unterhielten sich mit den beiden länger bei ausreichend Wein und Kognak, denn Wasser war kostbar. Es wurde über viele Kilometer in Tankwagen von der nächsten Oase Tessalit hierher transportiert. Der erschöpfte Rest der Expedition legte sich im Freien unter phänomenal dichtem Sternenhimmel schlafen.

Wir haben beschlossen, hier einen Ruhetag einzulegen. Kopezky und ich reinigten jeweils unsere Arbeitsgeräte und befreiten sie von Sand. Walter „schmierte den Wagen ab“, der IFA besaß am Fahrgestell einige Nippel, durch die regelmäßig Fett gepresst werden musste, damit Lager etc. immer gut geschmiert waren. Schani reparierte am Humber den streikenden Starter. Nachdem der IFA fertig war, nahmen Walter und ich eine kurze Tonreportage über diese faszinierende Örtlichkeit und deren Bewohner auf. Wir hatten vor, sie auf unserer weiteren Route beim Besuch des nächstgelegenen Postamts nach Wien dem österreichischen Rundfunk schicken. Es gab einen herzlichen Abschied, die Soldaten schenkten jedem von uns ein Paket Zigaretten.

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Grenzstein Algerien / Mali
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An der Grenze Algerien / Mali

Mitten in der Wüste, mutterseelenallein, stand ein Grenzstein. Er zeigte den Reisenden die Entfernung zur nächsten Oase, den Wechsel von Nordafrika (Afrique du Nord AFN) zum Gebiet von Französisch Westafrika (Afrique occidentale Française AOF) an. Ab hier galt der Franc CFA (Colonies Française d’Afrique). Der war doppelt so viel wert wie der französische Franc, das geltende Zahlungsmittel in Algerien. Doch ab hier waren die Preise die Gleichen wie die weiter nördlich in FF. Das hieß, alles war jetzt zweimal so teuer wie bisher. Walter, unser Kassenwart, war der Verzweiflung nahe. Seine ohnehin permanent sorgenvollen Ernst ausstrahlenden Gesichtszüge zeigten ab da beim Bezahlen stets so abgrundtiefe Trauer, dass wir um Walters seelische Gesundheit bangten. Aber bis zum ersten Schock dieser Art dauerte es eine Weile, wir mussten vorerst noch auf der folgenden Strecke einige Aufgaben lösen. Wir hatten uns in Wien verpflichtet, ein Auto durch die Wüste zu bringen, das in keiner Form für ein derartiges Unternehmen gebaut und darüber hinaus erheblich überladen war. Ein rückwärtiger Stoßdämpfer des IFA wollte nicht mehr weiter und musste mit Kupferdraht provisorisch repariert und damit halbwegs funktionstüchtig gemacht werden. Aber auch unserem Wüstenschiff, dem Humber, mangelte es an der für so ein Unternehmen notwendigen Robustheit. Ich habe mich mehrmals gefragt, wie die Engländer mit solch anfälligen Fahrzeugen einen Krieg gewinnen konnten. Der rechte Vorderreifen des Père Ubu verlor sichtlich schnell Luft und musste gegen den letzten intakten Reservereifen getauscht werden.

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Kommt der invalide Père Ubu nach?

s gab andere interessante und erfreulichere Unterbrechungen. Die riefen uns in Erinnerung, dass wir nicht ausschließlich dazu aufgebrochen waren, kaputte Autos wieder flottzumachen. In der viele hundert Kilometer weiten flachen Wüste und Einsamkeit ringsum, trafen wir unseren ersten wirklichen Nomaden und bewunderten ihn gebührend.

Begegnung 1
Ein nomadisierender Targi
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Versuch einer Kommunikation

Dann kreuzte eine schöne junge Targia unsere Bahn. Wir hielten an und Mackie sprach mit ihr. Die Zelte ihres Touarg-Clans standen nicht weit von hier und sie lud uns zum Tee ein. Meine Freunde nahmen diese Einladung begeistert an und folgten ihr zu Fuß. Ich blieb als Wächter bei den Fahrzeugen. Mir war das recht, denn schon damals war mir die absolute Stille eine Wohltat im Gegensatz zu den lauten Fahrgeräuschen von vorher. Nach dem Genuss der üblichen drei Gläser Tee kamen die Freunde beglückt zurück und wir fuhren wieder gen Süden. Der schwächere Wagen, der IFA, knatterte mit seiner normalen Besatzung, Walter und Kopezky voran, wir im Humber folgten mit einigem Abstand. Allmählich verwandelte sich die trockene Wüste mit einer jährlichen Niederschlagsmenge von 100 mm in feuchtere Steppe. Die ersten Büsche, tropische Had-Sträucher, tauchten vereinzelt auf, dazwischen an manchen Stellen Cram-cram, das Gras der Sahelzone. Die Touareg nennen diese harten Grasbüschel Fesh-fesh. Das begünstigte die Fauna, die ersten Wildtiere flüchteten aufgeschreckt von links nach rechts über die Piste. Das ist nicht ungefährlich, denn ein Zusammenstoß mit einer Gazelle, oder einer der größeren Antilopen kann schlimme Folgen haben. Später lernte ich, dass das Wild immer in Richtung Sonne flüchtet.

Wir planten, vor der Dunkelheit bis zu unserem nächsten Etappenziel zu fahren, deshalb fuhr ich, zwar wegen der Tiere besonders aufmerksam, aber zügig weiter. Vor uns in der Ferne sahen wir ein Fahrzeug stehen und Menschen daneben. Im Näherkommen erkannten wir das Objekt, es war der vorausgefahrene IFA. Wieder einmal stehend. Was bei den Passagieren des Humber größte Befürchtungen auslöste. Doch brachte dieser Aufenthalt Erfreuliches. Hans Kopezky hatte einen prachtvollen Bock geschossen, eine Dorcagazelle. Als wir ankamen, hatte Walter das Tier bereits aufgebrochen und war am abhäuten. Das Fleisch wurde in das eigene Fell verpackt und wir erreichten bald Tessalit, wo wir außerhalb der Stadt, in Nähe der Werkstatt der Societé Mer-Niger unser Lager aufschlugen. Es gab brennbares Holz von den Büschen der Umgebung für ein entsprechendes Lagerfeuer. An dem grillten wir große Fleischstücke und verzehrten sie mit Appetit und Begeisterung. Gesättigt und zufrieden verbrachten wir die Nacht vor den Toren Tessalits.

14. KAPITEL – Kamelritt -Beginn der Sahelzone – Jagdversuche

Frühstückszeit in der Auberge de Soleil. Wir haben Besuch von Akamouk, der den Wirtsleuten mitteilt, dass er und Iyad in den nächsten Tagen in ihre Heimatgegend im Hoggar aufbrechen werden. Das bedeutet einige Tagesritte durch die Wüste. So einen Trip mitzumachen war schon immer mein Wunsch, nicht nur des Erlebens willen, sondern um besser verstehen zu können, wie Nomaden in der Einsamkeit leben und was sie prägt. Trotz der mir selbst auferlegten Pflicht, meinen Lebensweg schriftlich zu dokumentieren, würde ich diese Gelegenheit gerne wahrnehmen. Ohne zu zögern, frage ich ihn, ob ich mitkommen könne. Er reagiert positiv und es bleiben zwei Tage Zeit zur Vorbereitung. Ungläubig schütteln Michelle und François ihre Köpfe über mein Vorhaben, zeigen aber grundsätzlich Verständnis dafür.

Der Tag des Aufbruchs ist gekommen. Die Sterne verblassen am schnell heller werdenden Himmel. Kälte kriecht unangenehm am Hals und bei den Handgelenken unter meine Kleidung. Im Hof selbst ist es noch recht dunkel, der sparsame François hat das Stromaggregat nicht angeworfen. Wenigstens scheint trübe aus der Küche ein von der Photovoltaik gespeistes Licht. Dort bereitet die gute Michelle Proviant für unsere Reise vor. Doch dann schiebt sich das Morgengrauen bis in die letzten Winkel des Hofes der Auberge du Soleil, in dem die längst fertig gesattelten und beladenen Kamele liegen. Das mir zugewiesene Reittier erkenne ich an den nicht aus Afrika stammenden Decken, die man mir am Sattel festgebunden hat. Karl Mays Kara-ben-Nemsi hat sein treues Pferd Rih stets mit einer Handvoll Datteln belohnt. Deshalb denke ich, auf gleiche Weise mit dem edlen Mehari Freundschaft zu schließen, das mich die nächste Zeit durch Wüste, Sturm und Sand tragen wird. Offenen Herzens und mit den süßen Früchten auf der Hand gehe ich direkt auf das Tier zu. Es ist mir bewusst, dass Kamele kräftig beißen und Menschen gefährliche Wunden zufügen können, aber ich überwinde meine Bedenken und nähere die auf flacher Handfläche ausgebreitete Gabe seinem Maul. Da dieses Kamel keinen Namen hat, spreche ich dabei einschmeichelnd mit leiser und tief gehaltener Stimme beruhigende Worte. Doch in von mir nicht erwarteter abwehrender Reaktion brüllt das Vieh gurgelnd und reißt seinen Kopf mitsamt dem langen Hals rasch zur Seite. Erschrocken springe ich einen Satz rückwärts. Misstrauisch beäugt es mich mit einem Auge von oben herab. Durch den Lärm aufmerksam geworden, eilt Akamouk sofort herbei, das Kamel schwenkt den Kopf wieder in die gewohnte Lage und genießt zufrieden die ihm zuteilwerdenden Streicheleinheiten. Ob der Targi dabei überheblich lächelt, bleibt mir hinter seinem hochgezogenen Tegelmust zum Glück verborgen.

Zugegeben, die rüpelhafte Abweisung des wohlgemeinten Freundschaftangebots hat meine Seele verletzt. Sollte diese offen gezeigte Aversion während des engen Zusammenlebens in den nächsten Tagen bestehen bleiben, könnte die Reise schwierig werden, überlege ich sorgenvoll. Michelle bringt drei Päckchen mit liebevoll zusammen gerichteten Lebensmitteln in den Hof. Meines ist etwas größer als die der anderen, wozu sie erklärend meint, dass mir die einfache Kost der Touareg vielleicht nicht zusagen würde. Weiterhin sauer auf dieses ungebildete Tier, das mich durch ein gewaltiges Stück Wüste tragen soll, steige ich in den Sattel. Der Erwartung entsprechend begleitet von heftigen lauten Unmutsäußerungen des Kamels. Akamouk gibt einen Befehl, ruckelt am Zaumzeug und das Mehari hebt sich, indem es seine Vorderbeine zur Hälfte streckt, sodass ich vermeine hinten hinunter zu rutschen. Ich ergreife rasch das Sattelkreuz vor mir und klammere mich kräftig daran fest. Und schon werde ich nochmals nach vorne geworfen, gefolgt von einem weiteren schnellen Strecken der Vorderbeine, was mich beinahe wieder rückwärts aus dem Sattel katapultiert. Bilder von texanischen Stierrodeos tauchen kurz in meiner Erinnerung auf. Dann sitze ich endlich aufrecht hoch oben. Das Kamel sieht sich nach mir um, wahrscheinlich in der Hoffnung mich abgeworfen zu haben. Ich zeige ihm den Stinkefinger, was bei den Dimensionen eines Dromedars eher eine lächerliche Geste darstellen mag. Ich habe das Gefühl, wir mögen uns nicht.

Die kleine Karawane setzt sich in Bewegung, François und Michelle stehen beim Tor und winken uns zum Abschied. Wir verlassen die Auberge, erst Akamouk, dann ich, und Iyad, der die zwei Lastkamele an einem Seil führt, bildet den Schluss. Es trifft sich glücklich, dass der Einfahrtsbogen für große Lastwagen gebaut ist, denn zum Missvergnügen des Reitkamels unter mir passe ich nur knapp darunter durch. In dieser Reihenfolge bleiben wir am Rand der Piste. Die Kühle des Morgens unterstreicht ein kalter Lufthauch. Mein Reittier schaukelt mich friedlich hinter dem des Targi her, ich habe nichts anderes zu tun, als zu sitzen und zu schauen. Nach einigen Kilometern biegt Akamouk unvermittelt in die freie Ebene ab. Bis jetzt decken sich meine Vorstellungen von einer solchen Reise mit dem gegenwärtigen Geschehen. Außer dem leisen Stapfen der Kamele und regelmäßigen Schaben eines Gepäckstückes an den Aufhängungen herrscht angenehme Stille. Nach und nach versinke ich in diesem Meer aus Ruhe und den gleichmäßig schaukelnden Bewegungen des Meharis.

Über lange Strecken verbreitet sich vollkommene Ausgeglichenheit in meiner sonst durch die Normen unserer industrialisierten Zivilisation und Kultur gequälten Seele. Jeglicher Zeitdruck fällt von mir ab. Die Sonne steigt höher und wärmt so kräftig, dass ich mich der dicken Jacke entledige und sie zusammengerollt über den Sattel lege. Mein Hut mit der breiten Krempe bietet ausreichenden Schutz gegen die Sonne. Es ist recht wohltuend, dass Akamouk um die Mittagszeit die Karawane anhält. Erst steigt er selbst von seinem Reittier ab, danach bringt er meines zum Niederlegen. Das erfordert die gleichen Übungen des Gleichgewichts wie beim Aufstehen heute Morgen, nur in umgekehrter Reihenfolge. Die Unmutsbezeugungen dieses Kamels sind laut und nervtötend.

Die beiden Touareg legen ihre Schwerter, Akamouk dazu seinen Karabiner, den er stetig am Riemen quer umgehängt trägt, auf den Boden. Sie schlichten die mitgebrachten Holzzweige zu einem Häufchen und fachen ein Feuer an. Die unvermeidliche Zeremonie des Teekochens beginnt. Nach dem über Stunden dauernden Ritt wird es mir erstmals besonders deutlich bewusst, wie belebend die Wirkung dieses Gebräus ist. Da es für uns keinen Zeitdruck gibt, genießen wir den Tee langsam schlürfend in kleinen Schlucken. Anschließend folgt das Reinigen und Wegräumen der Utensilien mit gemessen bedachten Bewegungen. Ebenso ohne Hast geschieht der neuerliche Aufbruch.

Wir reiten einige Stunden und halten erst, als sich die Sonne dem Horizont nähert. Im Windschatten größerer Felsen schlagen wir unser Nachtlager auf. Nachdem die Kamele von ihrer Last befreit sind, öffnen wir die von Michelle liebevoll gerichteten Proviantsäcke und genießen die belegten Brote. Der selbstverständliche Tee lässt nicht lange auf sich warten. Drei blasse Skorpione, angelockt durch das Licht des Feuers, statten uns einen Besuch ab. Eine Beteiligung an den Gesprächen, welche die Zeremonie normal begleiten, ist mir heute lästig. Ich bin zu müde dazu, außerdem spüre ich leicht schmerzend den Satteldruck durch den langen Ritt. Schließlich unterhalten sich die beiden in Tamasheq. Nach dem dritten Glas Tee ziehe ich mich auf mein Feldbett zurück. Höflich in einem Abstand von ein paar Metern kuscheln sich die zwei Touareg in ihre Decken, die Kamelsättel benützen sie als Kopfstütze.

Bis zum Ziel haben wir noch einige Tage vor uns. Akamouk ist in diesen endlosen Weiten der Sahara ein verlässlicher Führer. Sterne, Sonnenstand und Sandbeschaffenheit lassen ihn untrüglich den Weg finden, an dem die lebensnotwendigen Wasserstellen liegen. Es ist erstaunlich, wie viele Tiere in der Wüste leben. Von meinem erhöhten Sitz auf dem Mehari kann ich sie so direkt wie nie zuvor beobachten, denn sie flüchten kaum vor uns. Kommen wir ihnen zu nahe, stellen sie mit ein paar schnellen Bewegungen ihren natürlichen Sicherheitsabstand zu uns her und lassen sich nicht weiter stören. Antilopen, Gazellen, Wüstenfüchse und -mäuse, Eidechsen, sowie zwei Hornvipern bleiben völlig unbeeindruckt bei ihren jeweiligen Tätigkeiten. Aus nicht ersichtlichen Gründen gehen wir gewisse Strecken zu Fuß und führen unsere Tiere an einer Art Zaumzeug. Das scheint meinem unleidlichen Kamel zu gefallen, denn es brüllt nicht mehr, wenn ich mich ihm nähere, und frisst sogar den dargebotenen Hafer aus der Hand. Datteln bekommt es keine, weil die habe ich inzwischen mit Genuss selbst verzehrt.

Mein Zeitgefühl richtet sich kaum mehr nach der Armbanduhr, sondern wird durch die natürlichen Umstände definiert. Es mag daran liegen, dass Zeit hier nicht in Geld umgerechnet wird, so wie man es aus Europa gewohnt ist. Nicht die Zeit, die uns die mechanische Uhr diktiert, muss die Richtige sein. Daneben scheint es in Afrika eine andere Einteilung zu geben, die nicht wie in den Industrieländern die Lebensqualität der Menschen in Sekunden, Minuten und Stunden zerhackt. Die Nomaden erfahren ihre Zeit durch ihre Umgebung und Lebensrhythmen, womit sie eine abstrakte Messung vermeiden. Solche und ähnliche Gedanken begleiten mich während dieser Wanderschaft durch die Wüste, die allerdings nicht alle mit derartigen Erkenntnissen enden.

Langsam erreichen wir die ersten Anhöhen und schroffen Berge des Hoggar. Es ist Mittag, wir folgen einer schmalen ansteigenden Piste, die deutlich nicht sonderlich befahren ist, denn die „tôle ondulée“, das unvermeidliche Wellblech, hält sich in Grenzen. Sie führt zu einer Oase mit Pflanzenbewuchs und einem zwischen Felsen eingebetteten größeren Teich. Es gibt Palmen mit mickrigen Datteln, die hauptsächlich aus Kernen bestehen. Eine Gruppe Schwarzafrikaner sammelt diese kaum genießbaren Früchte vom Boden auf. Weder ein Fahrzeug noch Lasttiere sind zu sehen, wie kamen die Menschen hierher? Sie scheinen verängstigt zu sein. Auf meine Fragen bekomme ich Antworten in englischer Sprache. Sie kommen aus dem Norden Nigerias und sind aus wirtschaftlichen Gründen und Angst vor dem islamistischen Boko Haram nach Algerien geflüchtet. Sie haben Schlepper bezahlt, die sie auf Umwegen bis hierher gebracht haben. Die machten sich aber in der Nacht mit dem Fahrzeug aus dem Staub, trotz des Versprechens, die Gruppe bis zum Mittelmeer zu bringen. Sie haben kaum Essbares dabei und wollen zu Fuß weiter nach Norden. Nachdem Akamouk mir versicherte, dass wir spätestens binnen zwei Tagen das Ziel unserer Reise erreichen werden, übergeben wir ihnen eine mit Wasser gefüllte Gerba und alle für uns voraussichtlich nicht mehr notwendigen Lebensmittel. Akamouk kann einige Worte Englisch und versucht, den Leuten die Merkmale in der Landschaft zu erklären, an die sie sich halten müssen, um die Transsaharastraße in wenigen Tagen zu erreichen.

Die Mittagssonne heizt den Sand und die Steine erheblich auf. Nach den Tagen, in denen Wasser ausschließlich zum Trinken und Tee kochen verbraucht werden durfte und es keine Körperpflege gab, spüre ich das Verlangen im Teich zu baden. Am gegenüber liegenden Ufer nehmen die Kamele Wasser auf. Der kleine See ist glasklar und von angenehmer Temperatur, folglich steige ich hinein. Durch den bis zur Brust reichenden See bis in die Mitte watend, spüre ich an der tiefsten Stelle Bewegung an den Füßen. Wunderbar kühles Wasser quirlt mit Druck aus dem Boden. Das muss die Quelle sein, die den See speist. Meine zwei Reisegefährten bereiten inzwischen Tee und halten den Rumi, wenn schon nicht für verrückt, so vermutlich doch für ziemlich seltsam. Ich fühle mich nach dem Bad extrem wohl und erfrischt. Die Teegläser werden im See gewaschen und wir brechen auf, um unsere Reise fortzusetzen. Im Sattel sitzend und geschaukelt, schreibe ich in meinen Notizblock folgende weitere Erinnerungen an die erste Afrikaexpedition:

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Begegnung mit einer Familie der Touareg im Hoggar

Tessalit ist eine Oase mit spärlichem Strauch- und Baumbewuchs, ringsum ist nur Wüste. Unsere Autos waren auf den Pisten der Sahara extrem in Mitleidenschaft gezogen worden und mussten dringend repariert und überholt werden. Wir nutzten die Gelegenheit bei der Mer – Niger die Reifen des Père Ubu fachgemäß flicken zu lassen. Walter setzte den Stoßdämpfer des IFA eigenhändig wieder halbwegs instand. Hans Kopezky wollte seine erste Jagdtrophäe, den wahrhaft schönen Kopf der Gazelle, unbedingt nach Hause bringen und bestand auf dessen Mitnahme. Er meinte, dass das trockene Wüstenklima das Fleisch vom Schädel rasch abfallen lassen würde. Beispiele dafür hätte man ja im Sand der Sahara liegend mehrfach angetroffen. Also banden Walter und Hans den Gazellenkopf auf das Dach des IFA und hofften auf schnellen Erfolg durch den trocknenden Fahrtwind.

Am Weg aus der Ortschaft Tessalit gab es einen französischen Flugplatz. Aus Neugier fuhren wir durch das unbewachte Zugangstor. Die dort stationierten Flieger luden uns auf ein Bier ein, was wir nicht ausschlagen konnten. Gestärkt und guten Muts begaben wir uns am Abend auf die Piste in Richtung Anefis. Südlich von Tessalit begann allmählich die Sahelzone, der Bewuchs mit Sträuchern wurde etwas dichter, Flächen von verdorrtem Steppengras weiteten sich aus. Es wurde Nacht und wir suchten einen Lagerplatz. Abseits der Piste fanden wir eine geeignete Stelle. Kopezky hatte Hunger und zündete ein kleines Lagerfeuer zum Kochen an. Was er besser unterlassen hätte, denn das trockene Gras um uns brannte sofort und war nicht mehr zu löschen. Fluchtartig verließen wir den brennenden Busch, um einige Kilometer weiter neuerlich ein Lager aufzuschlagen. Ohne Lagerfeuer. An Schlaf war nicht zu denken, denn der Kopf der Gazelle stank erbärmlich und Hans musste ihn für die Dauer dieses Nachtlagers im Geäst eines entfernten Gesträuchs deponieren. Es wurde wieder eine unglaubliche Nacht unter einem überwältigenden Sternenhimmel. Man konnte schon den Stern des Südens sehen und ein Flugzeug kreuzte blinkend in großer Höhe von Nord nach Süd. Ich ertappte mich bei der intensiven Vorstellung, sauber gewaschen und gut riechend darin zu sitzen, ich hörte das Knacksen der Eiswürfel in dem beschlagenen Whiskyglas, das mir eine freundlich lächelnde Hostess reichte. Ich versuchte, diese Halluzination zu vertreiben und lieber dem Jaulen und Kläffen der immer näherkommenden Schakale zuzuhören. Das war die aufregende Realität. Zweifel am Sinn unseres Unternehmens und an meinem Entschluss, aus Europa zu fliehen, wurden durch die gewaltige Schönheit dieser Nacht schnell vertrieben.

Leider hatten die Schakale kein Verständnis für Trophäenjäger, denn sie transportierten in der Dunkelheit den wunderschönen Gazellenschädel, Kopezkys ersten Jagderfolg, unauffindbar weit weg in die Steppe. Ein Umstand, der bei ihm für Verstimmung sorgte, bei den anderen aber höchstens zu hämischen Mitleidbezeugungen Anlass gab. Wir erreichten Bourem, die erste Ansiedlung am Niger nach der Wüste. Es war drückend heiß, als wir über einen Abhang kommend den langsam dahinfließenden, überaus breiten Strom sahen. Wir verstanden die Araber, die in monatelangen Ritten auf ihren Kamelen die Sahara durchquert hatten, bei diesem Anblick den Niger als „das Meer“ bezeichneten. Auch uns gab das weite Panorama ein Gefühl des Glücks und der Genugtuung darüber, unser Ziel trotz unzähliger technischer Pannen erreicht, und über viele menschliche Unzulänglichkeiten gesiegt zu haben.

Dem Flusslauf folgend fuhren wir auf der Piste nach Gao, der zweitgrößten Stadt Malis. Die Reparatur einer Ölleitung hielt uns auf, weshalb wir bei enormer Hitze erst zu Mittag auf der breiten, aus roter Erde bestehender Route National Nr. 8 zum Zentrum strebten. Wir fielen in das nächste Hotel ein und feierten uns in der klimatisierten Lobby mit mehreren Flaschen eiskaltem Bier. Mackie versuchte, mit all seinem Charme die Hoteliers zu überreden, uns einige Nächte kostenloses Quartier zu gewähren. Angesichts des beachtlich desolaten Zustandes unserer Kleidung und wegen Wassermangels ausgebliebener Körperpflege, fand diese Kraftanstrengung taube Ohren. Wir suchten uns einen Lagerplatz nächst einer Eingeborenensiedlung außerhalb der Stadt. Nicht zu nahe am Wasser, denn wir haben schon längst den vermehrten Ansturm von Moskitos und lästigen Fliegen gemerkt. Wir beschlossen eine Ruhepause einzuschieben, da die Wüste eine Menge unserer Energie beansprucht hatte. Hier herrschten bisher ungewohnt hohe Temperaturen. Das begünstigte die Anpassung an das Klima der folgenden Monate.

Wir genossen die Pause mit der in diesem Gebiet üblichen trägen Zeitlosigkeit, nach der die Menschen hier so leben. Die Bevölkerung setzte sich in friedlichem Nebeneinander aus zwei Ethnien, Negriden und Tuareg zusammen. Eine Konstellation, die manch Interessantes für die Arbeit der Expedition versprach.

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Zwei junge Touareg aus verschiedenen Klassen. Der Rechte trägt viele der „Kri – Kris“ Amulette, die Suren aus dem Koran beinhalten.

Die Ruhepause bedeutete aber nicht Untätigkeit. Die Auenlandschaft entlang des Flusses war wild, versumpft und der Niger suchte sich in zahllosen Armen um lang gestreckte Inseln herum seinen Weg nach Südosten. Unsere Überlegungen waren, wie wir an die zahlreichen Wasservögel, wie Reiher oder Kraniche herankommen und sie ohne langer Optiken fotografieren könnten. Hans Kopezky war ein genialer Erfinder. Die Welt verdankte ihm nicht nur einen Ersatzverschluss für einen verlorenen Deckel des Benzintanks durch einen Plastikbecher, sondern dazu die schwimmende Tarnluftmatratze. Unsere Luftmatratzen von Semperit hatten die Fähigkeit zu schwimmen und ausreichend Tragfähigkeit für einen Mann – solange sie ohne Loch waren. Da wir kein Boot besaßen, lag es nahe, die Matratzen mit Gras und Büschen zu umwickeln und damit zu tarnen. Mit solchem Gerät machten sich Mackie und Kopezky Gelingen erhoffend auf Fotojagd. Aber der Schwimmkörper des Expeditionsleiters wurde bald undicht und er ging mitsamt der Konstruktion unter. Was seinen Unwillen derart hervorrief, dass er dieser faszinierenden Jagd auf Vögel endgültig ein Ende setzte. Mackie war so verärgert, dass er am Abend sogar darauf vergaß, die tägliche Wiedergabe von „River of no return“ (Marilyn Monroe), einzufordern.

Ein weiteres Fiasko bahnte sich an. Wir waren im ursprünglichen Afrika angekommen, es war heiß, die Nächte von Moskitos gestört, um uns herum negride Bevölkerung, der Niger in greifbarer Nähe. Erzählungen zufolge soll dieser Fluss mit Krokodilen verseucht sein, was uns dem Entschluss nahebrachte, die großen Reptilien zu jagen. Wir nahmen Kontakt zu einheimischen Fischern auf, die uns freundlich erklärten, wo solche Tiere zu finden wären. Dort fanden wir sie aber nicht, wodurch notwendig wurde, am Fluss lebende Führer, somit Kenner des Niger anzuheuern. Die gingen mit uns in der Nacht mit Taschenlampen ausgestattet am Ufer entlang, nahmen nach einiger Zeit den versprochenen Lohn, und verschwanden spurlos. Kein Krokodilauge blitzte, kein gezielter Schuss fiel, und den Genuss einer Delikatesse, gekochten Krokodilschwanz, mussten wir um Wochen verschieben. Sowohl Schlangen, als auch Vögel, die zu fangen wir dem Institut für Zoologie der Universität Wien versprochen hatten, entzogen sich unserem Eifer. Doch nicht alle Jagden blieben erfolglos. Die zum Verzehr benötigten Mengen wurden immer herangebracht. Wir erlegten Gänse, Ibisse, Kraniche und mitunter eine Gazelle. Natürlich war uns Diana nicht regelmäßig hold und wir mussten uns wieder mit angebrannten Palatschinken aus einem Gemisch von Mehl und Wasser begnügen.

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In martialischer Pose auf einem Termitenhügel mit Jagdausbeute.

Obwohl ich ein recht treffsicherer Schütze war, zumindest nicht schlechter als meine Freunde, konnte es genauso mir geschehen, dass ich von längerer Jagd nur mit einem erlegten Täubchen zurückkehrte.

Zur Zeit der alten Königreiche entlang des Nigerstromes kommunizierten deren Herrscher untereinander durch verlässliche Boten, den Troubadouren und Märchenerzählern. Diese Dynastien sind zum größten Teil verschwunden, geblieben sind die fahrenden Sänger, die Troubadoure. In der, an diese Kommunikation gewohnten Zeit zogen sie von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt. Sie brachten Neuigkeiten und besangen Helden und Könige. Manche waren weit über die Grenzen ihres Landes hinaus berühmt. Von so einem erzählte man uns wiederholt, aber niemand war in der Lage zu sagen, wo er sich im Moment aufhielt. Ich insistierte ihn zu finden, denn mich drängte es, endlich meiner Aufgabe nachkommen und bedeutsame Tonaufnahmen herstellen zu dürfen. Für die Suche brauchten wir funktionierende Autos. Schani und Walter wagten den Versuch, mit dem IFA zu einer Werkstatt in Gao zu fahren. Sie kamen mit einem LKW zurück, der sie mitgenommen hatte, denn die Kupplung des IFA war am Wege komplett unbrauchbar geworden. Aber sie brachten die frohe Botschaft mit, dass wir gerade eben Ostern hatten! Nach zwei Tagen konnte der reparierte IFA abgeholt werden. Wir begaben uns auf die Suche, um das Objekt meiner Begierde, den berühmten Troubadour Moise Yacouba zu finden. Der wurde wie ein Phantom angeblich einmal da, ein andermal dort gesehen, ganz sicher. Ein schier nicht zu bewältigendes Problem, das zu lösen uns aber eher anspornte, denn aufgeben ließ.

15. KAPITEL – Ein Fest im Hoggar – Tonaufnahmen schwarzer Troubadoure

Der Ritt auf dem Rücken der Kamele in die Heimat von Akamouk, dem Hoggar, ist faszinierend, aber von beachtlicher Länge. Wir queren die asphaltierte Transsaharastraße, die von Algier im Norden bis nach Lagos im Süden führt und umgekehrt. Beim Anblick des Luxus‘ dieser breiten Straße steigen Visionen von frisch überzogenem Bett, blitzsauberem Badezimmer, Abendessen im Restaurant an weiß gedecktem Tisch, gemütlichem Heurigen, Whisky in der Bonboniere-Bar und bezaubernden Damen dortselbst auf. Sie berühren mich wie die himmlischen Töne todbringender Sirenen, die den Reisenden in den trügerischen vermeintlichen Luxus locken. Doch schon sind wir auf der östlichen Seite der Straße angelangt, wo die unendliche flache Weite der Hamada-Wüste von Hügeln und größeren Felsen unterbrochen wird. Vergessen sind die Verlockungen der Zivilisation Europas und tiefe Genugtuung erfasst mich, hier und nicht dort zu sein. Unmerklich steigt die Ebene an und schnell bricht die Abenddämmerung herein. Am Ufer eines ausgetrockneten Oued halten wir und richten unser Nachtlager. Beim unvermeidlichen Tee meint Akamouk, dass wir eine Tagesreise vom ständigen Sitz seiner Familie entfernt sind. Eine Mitteilung, die mich und meine vom Kamelreiten gequälte untere Körperhälfte auf baldige Erlösung hoffen lassen.

Nicht von ungefähr kommen wir im Laufe des Abends auf Politik zu sprechen. Algeriens Staatsform ist eine Demokratie, die aber mit Unterstützung Russlands versucht Machtpolitik zu betreiben, indem es die Frente Polisario in der angrenzenden Westsahara unterstützt. Akamouk hält eine solche Regierungsform für Afrika als ungeeignet. Zumindest in der zurzeit im Norden existierenden Form. Auf meine erstaunte Frage antwortet er, dass das Volk Diktatoren ausgeliefert sei, die sich über Jahrzehnte an der Macht halten und sobald sie selbst Schwäche zeigen, von neuen Despoten, die sich wieder als Demokraten ausgeben, abgelöst werden. Eine wirkliche Demokratie kann es nur dann geben, wenn das Volk in gleichem Maße Lebenserfahrung und Bildung besitzt, wie die Politiker. Diese Augenhöhe bewahrt es davor, benützt und ausgebeutet zu werden. Ich halte ihm dagegen, dass es demokratische Wahlen gibt, um solche Missverhältnisse auszugleichen, und dabei das Volk die Leute frei bestimmen könne, die dann in den Regierungen den Willen der Bevölkerung vertreten. Kopfschüttelnd erklärt er mir, dass dies eben diejenigen sind, die in ihrem Wissen, vom Volk gewählt worden zu sein, ihre persönliche Macht ausleben und bedacht sind, diese zu erhalten und zu mehren. Warum fällt es mir schwer, ihm zu widersprechen? Die Touareg wählen einen Amenokal aus den Ihaggaren, den Adeligen, der als Chef zwar respektiert und bezahlt wird, aber ausschließlich die Macht ausüben darf, die ihm zugestanden wird. Sein Volk lebt selbstbestimmt dort, wo die Mächtigen der Demokratie aus dem Norden nicht hinkommen, und handelt nach eigenen Gesetzen. Ohne aufwändige Bürokratie, es gilt eine Art Ehrenkodex, den niemand zu brechen wagt. So einfach ist das. Später, auf meinem Feldbett liegend überlege ich, ob man so ein System nicht auf unsere Demokratien übertragen könnte. Aber ich finde keine befriedigende Antwort darauf und schlafe in dem Gefühl, ein Teil des Sternenhimmels ober mir zu sein, zufrieden ein.

Sehr früh drängt Akamouk am nächsten Morgen zum Aufbruch, eine bei ihm ungewohnte Nervosität scheint ihn ergriffen zu haben. Er legt ein schnelleres Tempo als normal vor. Wir kommen den steil aufragenden Felsen des Hoggargebirges immer näher. Zwischen Geröll wächst grünes Cram-Cram, das widerstandsfähige harte Gras der Wüste, sich farblich von der roten Erde ringsum abhebend. Der für mich kaum zu erkennende Weg, dem wir folgen, führt sachte bergan und die schroffen Zinnen rücken näher zusammen, sodass wir uns später am Nachmittag wie durch eine Schlucht bewegen. Im Schatten dieser steil aufragenden Felsen stehen wir mit einem Mal vor einer Wasserstelle, umrahmt von karg blühenden, Oleander ähnelnden Pflanzen. Die Kamele haben dort Gelegenheit zu trinken, was einige Zeit in Anspruch nimmt. Sie naschen von dem frischen Grün der Büsche. Die zwei Touareg bereiten auf einem schnell angefachten Feuer Tee.

Dann ziehen wir durch die felsige, wie von Stalagmiten begrenzte Schlucht weiter. Nach kurzem Marsch öffnet sie sich und gibt den Blick auf ein ausgedehntes Tal unter uns frei. Flach von der Abendsonne beleuchtet stehen eine Anzahl aus Lehm gebauter Gebäude um einen zentralen Platz herum, dahinter einige der für die Touareg typischen Spitzzelte, die Khaimas. Diese Zusammenstellung ist bezeichnend für einen Clan, dessen Mitglieder sich im Laufe der Zeit zu Halbnomaden entwickelt haben. Ein paar rechteckige Flächen werden von niederen, aus rohen Steinen zusammengefügten Mauern begrenzt. Im Tal verstreut weiden größere Ziegenherden das spärlich wuchernde Steppengras ab. Neben einem hinter Büschen versteckten kleinen See stehen und liegen wiederkäuend einige Kamele. Auf dem Platz im Ort haben sich eine Menge Menschen und Meharis versammelt, wobei in der Mitte eine flache Sandfläche großräumig ausgespart bleibt. Rundherum steigen wie von Opferfeuern dünne Rauchsäulen gegen den Himmel. Wir hören den Klang eines Saiteninstruments, dem Imzad, begleitender Trommeln und singender Frauen deutlich bis zu uns herauf. Ein großes Fest scheint stattzufinden. Akamouk deutet auf die Ansiedlung hinunter, mit der Bemerkung, dass das seine Familie sei. Wir steigen den steil abfallenden, nicht ungefährlichen Weg in das Tal hinab. Das geschieht nur recht langsam und vorsichtig, denn selbst unsere Kamele rutschen manchmal auf dem abschüssigen Geröll. Bricht sich so ein Tier in der Wüste ein Bein, ist es unrettbar verloren.

Schon lange hat es mich gewundert, wieso die Afrikaner in weit entfernten Zielorten, die wir oft erst nach tagelangen Fahrten erreichten, bereits über uns Bescheid wussten. So auch hier. Ich weiß, dass Akamouk keine weitreichenden Kommunikationsmittel besitzt, geschweige denn fremde benützt. Das hier ist aber unverkennbar ein vorbereiteter Empfang, wie zu Ehren eines Fürsten. Ich beschließe, Akamouk erst später danach zu fragen, denn eben queren wir den freien Platz in Richtung einer am Boden sitzenden Gruppe älterer Männer. Sie sind alle mit ihren Tegelmusts verschleiert. Iyad und Akamouk begrüßen einen nach dem anderen, jeden mit dem bei den Touareg üblichen, reichlich umständlichen Ritual. Nachdem ich vorgestellt wurde, lädt mich der vermutlich älteste von ihnen ein, neben ihm Platz zu nehmen. Meine zwei Begleiter ziehen sich auffallend schnell zurück und verschwinden in der Menge. Möglichst schwungvoll lasse ich mich auf den mir frei gemachten Teil des Teppichs fallen. Niemand sollte meine, durch Arthrose und dem langen Ritt hervorgerufenen Schmerzen in den Kniegelenken bemerken. Noch denke ich nicht daran, wie ich da wieder hochkommen werde, und verschränke meine Beine so gut als möglich nach Art der Eingeborenen. Der mir zunächst sitzende Vermummte scheint der Scheich zu sein. Er spricht ausgezeichnet Französisch und erzählt mir, dass er wüsste, wer ich sei und dass ich an einem Buch schreibe. Wie kann er das wissen, weder ich noch meine beiden Begleiter haben irgendetwas in dieser Richtung gesagt. Ob darin alle Menschen vorkämen, die ich auf meinen Wegen treffe, fragt er hinterhältig. Wahrscheinlich ist der alte Schlawiner auf Bezahlung aus, und so sage ich ihm, dass ich ausschließlich Natur und Landschaften beschreibe. Womit ich keineswegs lüge, denn die Menschen sind ja auch Natur, und ich erspare mir mühsames Feilschen. Nicht nur im Urwald, sogar in der Sahara scheint es einen Buschtelegrafen zu geben, der Neuigkeiten wie diese über weite Strecken transportiert.

In der Mitte des Platzes haben Frauen einen kleinen Kreis gebildet. Sie musizieren mit handlichen Trommeln und dem Imzad, einem Streichinstrument, das einen großen Klangkörper, aber nur eine Saite hat. Sie spielen und singen und begleiten damit eine spektakuläre Vorführung. Um die Musikerinnen herum treiben bewaffnete Krieger der Touareg in voller Montur ihre Meharis in solchem Tempo zum Galopp, dass sie in Schräglage geraten. Die Erde dröhnt vom Getrampel, die flachen Zehen der Tiere wirbeln kleine Sandfontänen vom Boden hoch. Eine auffallend attraktive Targia nähert sich, sie ist in einen Haik, ein ärmelloses langes Gewand, gekleidet. Sie reicht uns, die wir auf dem Teppich sitzen, ein verziertes Tablett mit Tee. Davon nehmen wir jeder ein Glas. Nach kurzer Zeit erscheint sie abermals mit frisch gefüllten Gläsern. Flirtet sie mit mir? Oder ist das nur eine Illusion wegen ihrer großen dunklen Augen, die mich offen und direkt anblicken. Dreimal wiederholt sich diese Zeremonie. Die Musik hat inzwischen ihren Rhythmus geändert und es erscheinen drei Tuareg auf Kamelen in paralleler Formation, die sie tänzerisch in exaktem Gleichschritt im Kreis um die Musikerinnen bewegen. Obwohl die Musik weiterspielt, verlassen die Reiter nach mehreren Runden den Platz und verschwinden hinter dem nächsten Gebäude. Wieder ändert die Musik jihren Charakter, sie wird ruhiger, der Gesang der Frauen verebbt. Nur die Musikerin mit dem Imzad fiedelt leise weiter vor sich hin. Musiker, die dieses Saiteninstrument spielen können, gelten in Algerien schon fast als ausgestorben. Seit einigen Jahren ist man mit Erfolg bemüht, bei der Bevölkerung das Interesse an diesem Instrument wiederzubeleben. Dass ich eines davon heute hier zu Gehör bekomme, bedeutet eine glückliche Ausnahme.

Seit unserer Ankunft regt der Duft, der von den Feuerstellen herüberweht, meinen Appetit an, denn dort werden Hammel gebraten. Das dauert Stunden, bis sie vollständig gar sind. Jetzt aber ist es so weit. Bei leiser „Tischmusik“ bringt uns die reizende Targia lächelnd tiefe Teller, angefüllt mit Couscous, worauf große, duftende Stücke vom Mechoui eingebettet liegen. Weil ich ein Rumi bin, gibt es für mich sogar Essbesteck. Meine Gastgeber greifen mit den bloßen Fingern der rechten Hand zu. Das Fleisch ist zart, durchgegart, und schmeckt typisch nach Hammel. Da jeder Bissen von Fett trieft, wäre mir ein alkoholisches Getränk dazu recht angenehm, damit es das Fett etwas neutralisiert. Aber so weit geht die Gastfreundschaft der Moslems doch wieder nicht, dass sie über ihren eigenen Schatten springen und Alkohol herbeischaffen würden. Ich genieße die Speisen trotzdem, da derartige Feste äußerst selten stattfinden. Außerdem kann ich später in meinem Gepäck nach dem Fläschchen Kognak graben, welches die fürsorgliche Michelle für solche Fälle darin versteckt hat.

ch bin noch in den seltenen Genuss dieses köstlich zarten Hammels vertieft, da legen die Frauen ihre Instrumente beiseite und stehen auf. Sie wenden sich in unsere Richtung, und singen in höchster Tonlage, dazu klatschen sie mit den Händen den Rhythmus. Zwei Touareg erscheinen mit Tanzschritten vor uns auf der Sandfläche. Sie schwenken Schwerter über ihren Köpfen, die breit auseinander gehaltenen Beine stampfen rhythmisch den aufstiebenden Sand. Wie in Zeitlupe vollführen die beiden tänzerisch einen Schwertkampf, jedoch ohne dass sich die Tabukas jemals berühren. Sich duckend gehen sie tief in die Hocke, um sich gleich darauf wieder federnd zu aufrechtem Tanz zu strecken. Ihre linken Arme zeigen Bewegungen, als würden sie Schutzschilder führen. Die typischen bemalten Schilder der alten Tamascheq-Krieger sind kaum mehr zu finden. Wahrscheinlich weil sie nutzlos geworden sind und an Touristen verkauft wurden. Die Schwerter aber sind weiterhin aktuell zur Verteidigung und zur Manneszierde in Gebrauch. Das Fest dauert bis in die Dunkelheit der Nacht, erhellt von einigen Feuern. Ich verziehe mich müde in den mir vom Scheich in einem Haus zugedachten Raum. Freundliche Menschen tragen mein Gepäck herein. Kaum wieder allein, suche ich sofort die Kognacflasche. Der Inhalt ist kräftige Medizin für den Magen, der derartige Mengen Fett nicht gewohnt ist. Schnell ist das Feldbett aufgebaut, ich lege mich komplett angezogen darauf, und überlege mir, begleitet von der noch vom Platz gedämpft herübertönenden Musik, die nächste Folge meiner schriftlichen Erinnerungen:

Traditioneller Schwertertanz der Touareg

Wir waren noch immer am Ufer des Niger entlang auf der Suche nach dem Troubadour. Ein Mann aus einem nahegelegenen Dorf hat auf irgendeine Weise erfahren, dass wir Moise Yacouba, den großen Barden, suchen. Dieser Informant kam zu uns ins Lager, als wir ums Lagerfeuer herum saßen und versuchten, mit Appetit eine Speise zu verdrücken, die Walter vorher leicht anbrennen hat lassen. Er erzählte uns, dass dieser Troubadour morgen in einer Siedlung, etwa fünfzig Kilometer südlich von hier, spielen wird. Mit Mühe hielten wir Walter davon ab, den schwarzen Gast aus Dank für seine Mitteilung auf das Essen mit uns einzuladen, denn wir befürchteten darauffolgende Racheakte. So gaben wir dem Überbringer der Nachricht etwas Geld, was ihn sicher mehr freute und uns weniger beunruhigte.

Obwohl wir nach den bisherigen Erfahrungen nicht wirklich an einen Erfolg glaubten, wollten wir am nächsten Tag zu dem angegebenen Dorf aufbrechen. Wir beluden am Morgen unsere beiden invaliden Autos mit dem nötigsten Gepäck für die Arbeit. Die Motoren liefen schon, als uns Schani in dem ihm eigenen deutsch-belgischem Kauderwelsch mit der Nachricht überraschte, dass die Bremsen beim IFA wieder einmal kaputt seien. Diese Mitteilung brachte uns einen heftigen Ausraster des Expeditionsleiters ein, den ich mit meinem Vorschlag, notfalls alleine zu fahren, beendete. Walter, der zur Bewachung im Lager bleiben sollte, machte sich sofort an die verantwortungsvolle Reparatur. Kopezky und Schani assistierten ihm. Da ich zu bedenken gab, dass wenn wir das Funktionieren der Bremsen abwarten, der Sänger uns wieder durch die Lappen gehen könnte, fuhren Mackie und ich im Père Ubu los.

Wir kamen am Nachmittag in ein Dorf, das aus geschätzten fünfzig Hütten bestand. Direkt am Ufer des Niger gelegen, lebten die Dorfbewohner, Angehörige der Völker Songhai und Djerma vom Fischfang, der Jagd auf Vögel und Krokodile.

Fische trocknen am Niger

In ihren lang gestreckten und meist sehr alten Piroggen, das waren aus einem Baumstamm geschnitzte Boote, befuhren sie virtuos wie Seiltänzer den Fluss. Oft bewegten sie die schwer beladenen Einbäume, indem sie kurze Blattruder benutzten oder mit langen Stangen an den Rändern des Niger entlang stakten. Zwischen den Lehmhütten mit den spitzen Grasdächern herrschte reges Leben. Es lag Spannung in der Luft. Alle Dorfbewohner waren da, die Fischerboote lagen dicht gedrängt am Ufer, auf dem Fluss selbst waltete ungewohnte Leere. Mackie suchte den Chef du Village auf und erklärte dem Häuptling, unter Übergabe von einigen Geldscheinen, unser Vorhaben.

Wir erkundigten uns nach dem Ort, an dem sich Yacouba zeigen wird. Dort stellte ich das Auto so ab, dass die Länge des Kabels für das Mikrofon gerade noch über den Platz reichte, trotzdem aber eine Sichtverbindung zwischen dem Künstler und mir erhalten blieb. Wie gewohnt scharten sich die Dorfbewohner, die Jugend vor allem, um den Père Ubu und sahen mir interessiert bei den Vorarbeiten zu den Aufnahmen zu. Ein Junge und ich hoben die schwere Bärenbatterie von der Ladefläche. Den Einankerumformer, der 12 Volt Gleichstrom der Autobatterie in 220 Volt Wechselstrom wandelte, stellten wir in seiner Kiste daneben auf den Boden. Die beiden Instrumente zur Messung der Spannung und der Frequenz des Stromes für das Tonbandgerät schaltete ich dazu. Damit war ein störungsfreier Betrieb des Telefunken KL 25 gewährleistet.

Die schwere Bärenbatterie als Stromquelle

In der ersten Reihe halbnackte Jugendliche und dahinter Erwachsene drängten sich um Mackie, der ein paar Schritte abseits stand und auf meine Geräte aufpasste. Vor allem beim Expeditionsleiter wurden die Rufe nach einem Cadeau, einem Geschenk, ständig eindringlicher. Auch ich musste mich gegen körpernahen Andrang wehren, weil grenzenlose Neugier die Menschen dazu trieb, alles zu betasten. Was halt überhaupt nicht in meinem Sinn lag. Es war geraten äußerst vorsichtig zu agieren, da wir es uns keineswegs mit den Dorfbewohnern verscherzen, aber genauso wenig als Melkkühe dastehen wollten. Endlich traf zu unserer Entlastung der IFA mit Besatzung ein. Walter hatte mit Schani getauscht, sodass er als amtierender Kassenwart die Geschenke heischenden Halbwüchsigen freundlich selbst abwimmeln durfte.

Vorbereitung für Aufnahmen

Um den Gleichlauf des Tonbandgerätes zu überprüfen, war Musik bestens geeignet. Ich legte zu diesem Zweck ein Band mit Aufnahmen vom Radiosender Blue Danube Network aus Wien auf. Das lenkte die Aufmerksamkeit der Leute wieder mehr auf meine Tätigkeit. Lachend und plaudernd hörten sie verschiedenen Jazznummern zu. Teilnahme kam bei den Umstehenden erst beim Anhören eines Mambos, der Begeisterung und wildes Tanzen auslöste. Alles war schlagartig in Bewegung geraten, feiner Staub stieg auf, ich machte mir schon Sorgen um die einwandfreie Funktion der Geräte. Meine drei Kollegen drängten die Tanzenden so weit zurück, dass der Kreis größer wurde und die Gefahr durch den aufgewirbelten Staub gebannt schien.

Schließlich lichteten sich die Reihen, und ich hatte Zeit, ein noch unbespieltes Band für die bevorstehende Aufnahme einzulegen. Wir hatten von BASF ein großzügiges Kontingent an tropenfesten LGS – Tonbändern mitbekommen, deren Qualität und Haltbarkeit ich besonders schätzte. Unvermittelt verlor sich das Interesse der Dorfbewohner an mir und meinen Geräten. Alle liefen zum Dorfeingang, Moise Yacouba, der Chef der fahrenden Sänger, war eingetroffen! Er ließ seinen Peugeot 403, der ihn von einem Auftrittsort zum anderen brachte, am Dorfrand stehen. Gemessenen Schrittes wurde er von den Honoratioren des Dorfes und einer sich ehrfurchtsvoll leise verhaltenden Menge zu dem Platz geleitet, der für ihn vorgesehen war. Für den in hellblaues Tuch gewickelten Meister, dessen Haar grau meliert war, wurde eiligst ein richtiger Stuhl gebracht, den man in den Eingang eines aus Lehm gebauten Hauses stellte, um ihm den Rücken freizuhalten. Einige Dorfbewohner bemühten sich rührend um ihn, indem sie Unmengen gegrilltes Rindfleisch herbeibrachten und Kalebassen mit frischem Wasser in seine Reichweite stellten. In gehörigem Respektabstand von Yacouba haben sich der Chef und die Ältesten des Dorfes in einem Halbkreis niedergelassen. Dahinter standen, in mehrere Reihen geschichtet die Dorfbewohner. Ein leichter Wind wehte den konzentrierten Schweißgeruch der angesammelten Menge über den Platz zu mir herüber. Es war der typische Geruch, der einem überall dort in Afrika begegnete, wo Menschen sich versammelten und tanzten. Einmal ist er stärker, ein anderes Mal schwächer. In kurzer Zeit gewöhnt man sich daran und empfindet ihn letztendlich nicht als unangenehm. In gewisser Weise gehört er zum Lokalkolorit.

Nach längerer Zeit, in welcher der immerzu lächelnde Meister gespeist und getrunken hatte, näherte sich Mackie dem Troubadour. Die beiden handelten den Preis aus, der für das Mitschneiden seiner Darbietungen bezahlt werden musste. Es war eine größere Summe, die Walter aufregte und zum Erbleichen brachte. Des Kassenverwalters erregtes Zögern beruhigte sich, weil ich ihn daran erinnerte, dass wir nicht hier wären, wenn uns das Phonogrammarchiv in Wien nicht mehrmals die wissenschaftliche Notwendigkeit unseres Unternehmens bescheinigt hätte. Das verpflichtete uns, solche Aufnahmen heimzubringen. Um das Gesicht zu wahren, meint er ernst und mit herabgezogenen Mundwinkeln, dass er bezahlen würde, aber erst nach erbrachter Leistung. Das war einleuchtend, auch Moise Yacouba war damit einverstanden. Ich hatte inzwischen unser einziges Mikrofon, das AKG D 12, auf das Stativ geschraubt und Mackie bahnte sich mit diesem eine Schneise durch das Publikum und zog das Mikrofonkabel nach. Er stellte das Mikrofon meiner Anweisung folgend genau vor den Troubadour, der bereits auf seiner Komsa, einer selbst gebauten Gitarre, improvisierte.

Moise Yacouba 1

Bevor er zu seinem Sprechgesang anhob, griff er sich noch ein Stück Fleisch, aß es genüsslich und wischte sich daraufhin die Finger an der Tunika ab. Dann begann er mit dem Vortrag. Er erzählte alte Märchen und Legenden von den vergangenen Dynastien der Djerma und Haussa. Völker, die in den Gebieten Niger und dem südlichen Mali sesshaft waren. Zur Begleitung entlockte er seinem Instrument eine Fülle von Rhythmen und Tönen, die das gesprochene Wort unterstützten und bereicherten. Unser Dolmetscher übersetzte die Texte sofort. Moise Yacouba gab ihm die Zeit dafür, indem er selbst schwieg, dabei aber auf seinem Instrument weiterspielte und damit die jeweilige Übersetzung mit Klangbildern untermalte. Dadurch hatten wir Gelegenheit zu verstehen, was wir hörten. Es waren richtige literarische Kunstwerke mit uraltem Sinngehalt und enormer Symbolkraft.

Moise Yacouba 2

In Begleitung des Meisters war ein hochgewachsener junger Mann mitgekommen. Ali Mabou war sein Name und er war ein Schüler des großen Yacouba. Er war anders gekleidet als sein Lehrer. Er trug einen Boubou, ein bis zu den Knien reichendes gerades Kleidungsstück mit Stickereien aus Vorarlberg auf der Brust, von dem er sicher annahm, dass es weiß sei. Auf dem Kopf hatte er eine runde weiße Kappe ohne Krempe, die ihn als gläubigen Mohammedaner auswies. Er hielt sich die ganze Zeit über im Hintergrund, andächtig seinem Idol zuhörend. Doch als nach etwa einer halben Stunde sein Chef müde wurde, übernahm Ali und setzte das Konzert fort. An diesen Gesang mussten wir uns erst gewöhnen, die Inhalte seiner Texte hingegen waren nicht weniger interessant, als die von Yacouba. Auch ihm hörten die Leute aufmerksam und bewundernd zu. Mir kam der ungeplante Zusatz sehr gelegen, denn ich konnte damit wieder ein ganzes Tonband mit archaischer afrikanischer Kunst bespielen.

Ali Mabou

Nach dem Ende der Darbietungen hob neuerliches Feilschen um die Bezahlung an. Da es zwei Sänger geworden waren, und Ali doch so schön gesungen hatte, verlangte Moise Yacouba jetzt das Dreifache von dem anfänglich ausgemachten Preis. Walter, in afrikanischem Handeln erfahren, wollte partout nicht mehr zahlen und bestand auf der vorher beschlossenen Summe. Daraus entstand ein langes Palaver, Argumente für und dagegen wurden ausgetauscht. Darüber brach die Dämmerung herein und ich musste mich beeilen, im Rest des Tageslichts die Geräte wieder in das Auto zu verladen. Weil das sorgfältig durchgeführt werden musste, dauerte es einige Zeit, bis alles endlich seinen unverrückbaren Platz gefunden hatte. Walter und Mackie einerseits, Yacouba und Mabou andererseits palaverten nach Abschluss meiner Arbeiten noch immer. Dem Expeditionsleiter war eine gewisse Unruhe deutlich anzumerken, während der Kassenwart unendliche Geduld bewies. Das waren Afrikaner von Europäern nicht gewohnt und sie hatten erkennbar Achtung vor solcher Standhaftigkeit. Walter zahlte letztendlich nur einen Bruchteil von dem, was mehr verlangt wurde, trotzdem trennten wir uns in Frieden.

Obwohl die Nacht schon hereingebrochen war, begaben wir uns wieder auf die Piste, um zum Lager zurückzukehren. Ohne größere Zwischenfälle erreichten wir die Zelte vor Mitternacht. Schani hatte in irgendeinem Laden eine fünf Liter fassende Flasche Rotwein aufgetrieben, mit der wir den Erfolg unserer Arbeit so lange feierten, bis sie zur Nagelprobe geleert war. Müde und zufrieden begaben wir uns zur Ruhe.

Walter und ich gingen bei Tagesanbruch auf Jagd und kehrten am Vormittag mit Beute zurück. Der Vogel, den Walter geschossen hatte, ähnelte in Größe und im Äußeren einer Graugans. Da wir keine Vorrichtungen hatten, die Jagdbeute zu braten oder zu grillen, wurde der erfolgreiche Schütze beauftragt, das Tier zuzubereiten. Das war ein Fehler. Das Lager und die nächste Umgebung waren weithin mit gerupften Federn überzogen. Ebenso war die Bissfestigkeit des stundenlang mit Liebe gekochten Tieres derart, dass wir das Fleisch in kleinste Würfel schnitten, um es verspeisen zu können. Zur Ehrenrettung des Koches stellten wir fest, dass das Abendessen geschmacklich ausgezeichnet gelungen war. Bei diesem Mahl beschlossen wir die Weiterreise für den folgenden Tag, und das unbedingte Verfassen eine Sammlung Märchen der Djerma und Songhai in deutscher Sprache.

Schon routiniert brachen wir unser Lager ab, beluden die Autos und begaben uns auf die Piste in Richtung Niamey im Süden. Erst der IFA und nach einiger Zeit der Humber. Einem Franzosen, der an der Strecke mit seinem Auto in Panne lag, verkauften wir vier Liter Motoröl aus unserem Fundus. In Ayorou trafen wir die Besatzung des IFA wieder und besuchten den dort diensthabenden Gardien. Nicht ausschließlich um uns zu melden, er hatte im Haus einen Tisch stehen und ein paar Stühle, die den Eindruck einer Gaststätte vermittelten. Außerdem sahen wir in einer Ecke einen Kühlschrank und daneben eine Kochstelle. Auf unsere Frage, ob wir etwas zu essen bekommen könnten, bot er uns Eierspeise an. Aus dem Frigidaire holte er ein paar Flaschen Bier, nach denen wir gierig griffen. Dann brachte er selbstbewusst die Rühreier. Sie waren nicht nur versalzen, sondern zusätzlich so stark gebraten, dass sie durchgehend braun und staubtrocken waren. Da wir befürchteten, wieder Palatschinken von Walter essen zu müssen, verputzten wir brav das Gebotene. Es war unvermeidlich, dass es später eine gröbere Auseinandersetzung mit dem Gardien gab, da wir für diesen Fraß nicht bezahlen wollten. Aber auch hier fand sich ein Weg! Walter drohte dem schwarzen Uniformträger an, er würde ihn beim Commandant Cercle, dem französischen Kommandanten für das Gebiet melden. Wir zahlten das konsumierte Bier und ersetzten großzügig den Einkaufspreis der verbratenen Eier. Er ist damit zufrieden, und wir waren uns wieder einmal darüber einig, dass Walter der beste Kassenwart war.

Am Abend campierten wir vor Tillabéri auf freier Strecke und schliefen beim Hören vom Band des dritten Aktes aus Mozarts Don Giovanni friedlich ein. Ab und zu wurde die Stille von Schakalen und aus weiterer Entfernung von Hyänen unterbrochen. Vor Tagesanbruch fuhren Walter und Kopezky los. Sie starteten mit großem Lärm, der einem Rennauto der Formel 1 alle Ehre gemacht hätte. Das war auf einen fehlenden Schalldämpfer zurückzuführen, der lag nämlich auf dem Gepäck im Auto, um bei Gelegenheit neu angeschweißt zu werden. In dem Städtchen Tillabéri fanden die beiden Teile der Expedition wieder zusammen. Dort trafen wir abermals den Franzosen, dem wir auf der Piste mit dem Motoröl ausgeholfen hatten. Es stellte sich heraus, dass er Angehöriger einer französischen Organisation für Entwicklungshilfe war. Aus lauter Dankbarkeit lud er uns alle auf jeweils zwei riesig dimensionierte Kognaks ein. Dadurch gestärkt und äußerst vergnügt begaben wir uns auf den Weg nach Niamey, der Hauptstadt von Niger, die wir als Basis für unsere Exkursionen in Niger ausgesucht hatten..

(Die Musikaufnahmen sind im Phongrammarchiv der Akademie der Wissenschaften, 1010 Wien, Liebiggasse 5 zu finden, das auch die Rechte dafür besitzt. Bei Interesse an näheren Auskünften bitte Kontaktaufnahme direkt mit dem Archiv, oder mit mir.)

16. KAPITEL – Überfall – Nilpferdjagd – Niamey

Der frühe Morgen in Akamaouks Geburtsort. Meckern und das Getrappel einer Ziegenherde, die langsam an meiner Behausung vorbeizieht, wecken mich. Durch die breiten Spalten der roh gezimmerten Türe dringt schon helles Licht, in dem Staubpartikel tanzen. Ich krieche aus der wohligen Wärme meines Schlafsacks und versuche in der Dunkelheit die Konturen des Schlafgemachs zu erkennen. Neben der Türe gibt es keine Öffnungen, nicht einmal ein Fenster. Das ist gut durchdacht, denn dadurch werden sowohl Kälte als auch mittägliche Hitze draußen gehalten. Mit einem Anflug von Heimweh denke ich dabei an die Weinkeller in Österreich, die ähnlich konzipiert sind. Diese emotionelle Aufwallung ist in dem Moment vorbei, in dem ich das Tor aufstoße und in den werdenden Morgen blicke. Die Sonne steht knapp unter dem Horizont, am Himmel blinken noch ein paar der hellsten Sterne, die Ziegen haben sich verzogen und es herrscht absolute Ruhe. Ein wenig vom Duft der Herde bleibt in der Luft hängen. Die Bewohner des Dörfchens scheinen nach der anstrengenden Nacht versäumten Schlaf nachzuholen.

Ich beschließe, die Kühle des Morgens für einen Spaziergang zu nützen und dem naheliegenden Teich einen Besuch abzustatten. Der Weg führt mich über den großen leeren Dorfplatz, an den gelöschten Feuerstellen vorbei, deren graue Asche und ein paar abgenagte Knochen der gebratenen Hammel Zeugnis von dem gestern und heute Nacht stattgefundenen Fest geben. In der herrschenden vollständigen Stille sind meine Schritte derart laut, dass ich unwillkürlich versuche, leiser aufzutreten. Außerhalb der Siedlung angelangt, führt der Weg bergab zum Wüstenteich. Das Ufer ist mit Abdrücken menschlicher Füße und tieferen Spuren von Tieren übersät und sinkt flach in den glasklaren Teich hinab. Ich entledige mich der Hose und des Hemdes und wate in das an der Oberfläche angenehm temperierte Wasser. Ich schwimme mit wenigen Schwimmbewegungen zum anderen Ende des kleinen Sees und wieder zurück. Das wiederhole ich einige Male und fühle mich wie ein König, der morgens allein in seinem Swimmingpool ein paar Schwimmzüge macht. Die Sonne schickt ihre ersten warmen Grüße durch die Blätter der Palmen, am Ufer haben sich Frauen und Mädchen plaudernd und unter weithin hörbarem Gelächter versammelt. Sie holen mit Kübeln und Tonkrügen Wasser aus dem See und verschwinden wieder im Dorf. Ich ziehe mich über die nasse Haut an. Beim Erreichen des Platzes im Zentrumsind Hemd und Hose trocken.

Der Stille folgt Unruhe, auf dem Platz haben sich Menschen eingefunden, viele Kinder darunter. In der Mitte liegen sechs Kamele, die von Männern in langen weißen und blauen Gewändern anscheinend für eine Ténet, eine Reise beladen werden. Einen davon erkenne ich wieder. Gelassen spricht er mit einem anderen Targi und beteiligt sich nicht an den Tätigkeiten. Es ist einer der bevorzugten Gäste, die beim vergangenen Fest neben mir am Teppich gesessen sind. Die Männer sind seine nicht adeligen Diener, welche die Arbeiten verrichten. Hier, in der Abgeschiedenheit des Hoggar, gelten bis heute die alten Gesetze der Hierarchien. In die unwillig klingenden Gurgelgeräusche der Kamele mischt sich das Meckern zweier Ziegen, die Leinen um den Hals gewunden haben, deren andere Enden unter einem schweren Stein eingeklemmt sind. Begleitet von einem Tross schnatternder und höchst neugieriger Kinder, die ich auf ein Alter zwischen sechs und zwölf Jahren schätze, begebe ich mich zu meiner Behausung.

Doch kurz vor dem Eingang bin ich wieder allein, die Nachkommen des Clans haben sich verkrümelt. Eine Rücksichtnahme auf Privates, die ich mehrmals bei Autochthonen, egal welcher Ethnie, rund um den Erdball erlebte. Ich betrete den dunklen Raum und werde von Akamouk begrüßt, der sich bei meinem Eintritt vom Feldbett erhebt. Er ist gekommen, um mich zu einem Frühstück mit der Freundin einzuladen, bei der er die Nacht verbracht hatte. Am Weg dorthin meint er, dass er gerne möglichst schnell zur Auberge du soleil zurückkehren, demnach sein Volk hier verlassen will. Seine Pflicht, den jungen Iyad gesund wieder heimzubringen, hatte er erfüllt. Niemand würde ihn hier mehr benötigen. Mir war es Recht, und ich stimme einer vorzeitigen Abreise zu.

An einer langgestreckten Mauer mit nur einem Eingang stehen die bisher nicht beladenen drei Kamele Akamouks. Er betritt den Hof vor mir und geht auf das aus Lehm gebaute, groß dimensionierte Wohnhaus zu. Ein Anwesen dieser Ausmaße kann nur einer einflussreichen Familie gehören. Meine Annahme wird durch Akamouk bestätigt, sie gehört zum Clan des aktuell herrschenden Amenokal, dem Chef aller Touareg. An einem Platz nahe dem Haus steht ein meisterlich aus rohen Holzstangen errichteter und mit Leder gedeckter Baldachin. Auf einer dem Augenschein nach festen Feuerstelle kocht schon Teewasser in der typischen Kanne aus blauem Email. Sie wird von einer ausnehmend hübschen, ja schönen jungen Targia gehütet. Sie trägt eine Menge Silberschmuck und ist kunstgerecht geschminkt. Ich verstehe Akamouk und bewundere seinen guten Geschmack. Sie bleibt, das ist ungewöhnlich, an der Kochstelle sitzen, während wir uns auf den ausgebreiteten kleinen Teppichen niederlassen. Mit bedachten, eleganten Bewegungen bereitet sie nach alter Tradition den Tee. Akamouk erklärt mir, dass sie in Oran und Algier Wirtschaft sowie Agrikultur studiert und die durch politische Umstände erzwungenen Ferien hier zu Hause verbringt. Täusche ich mich, oder wirft sie meinem Freund verliebte Blicke zu?

Wir führen ein anregendes Gespräch über die verschiedenen Möglichkeiten, die karge Landschaft der Sahara wirtschaftlich zu nützen. Sie beweist Ihre Intelligenz, indem sie ihr perfektes Französisch umgehend meinen bescheidenen Sprachkenntnissen anpasst, sodass eine recht flüssige und anregende Unterhaltung zustande kommt. Sie plant, gleich wie es etliche Bauern im Sahel seit einiger Zeit mit Erfolg realisieren, ebenfalls hier im Hoggar die Täler mit Anpflanzungen zu kultivieren. Auf meinen Einwand, die enorme Wasserarmut in diesem Gebiet betreffend, meint sie, man könne mit künstlicher Bewässerung aus Brunnen anfangen. Das würde Pflanzen und Bäume bis zu einer solchen Höhe und Dichte gedeihen lassen, um einen natürlichen Kreislauf herzustellen. Dadurch sollte ausreichend Regen entstehen, vorausgesetzt, die Grünfläche ist groß genug. Im Sahel gibt es Unterstützung aus China für diese Projekte, sie hofft auf eine solche von der EU und von einer neuen Regierung in Algerien. Die kürzlich Abgesetzte war nicht interessiert, da sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Gerne würde ich weiter mit dieser anziehenden Frau plaudern, aber Akamouk drängt zum Aufbruch. Ich verabschiede mich kurz mit dem Versprechen, bei nächster Gelegenheit wiederzukommen. Ihren Vorschlag, mir einen Vasallen als Führer bis zu meiner Unterkunft mitzugeben, lehne ich ab, denn in der mir eigenen Eitelkeit will ich den Weg eigenständig finden. Akamouk begleitet mich bis vor das Tor und zeigt mir die Richtung, in der ich gehen soll.

Aber das hätte ich besser unterlassen. Alle Lehmhäuser sind so oder so gleich gebaut. Keine Fixpunkte sind vorhanden wie Bäume oder Geschäfte. Auch natürliche geographische Merkmale, wie Hügel und Gräben gibt es nicht. Bis auf ein paar bettelnde Kinder zeigt sich niemand, den ich nach dem Weg fragen könnte. Einige Hühner und einzelne Ziegen kreuzen den Weg, irgendwo liegt ein von Hammelresten vollgefressener Hund, der bei meinem Erscheinen müde nur leicht seinen Kopf hebt. Der Stand der Sonne ist ebenso wenig hilfreich. Es ist nicht zu leugnen, ich habe mich verirrt. Der Tross lärmender und aufdringlicher Kinder hinter mir wächst mit jeder Häuserecke an. Kommunikation mit den Kleinen ist aus sprachlichen Gründen nicht machbar. Das steigert die Nervosität und ich verliere mich in Umwegen. Das Dorf ist nicht so groß und zu meiner Überraschung stehe ich unvermittelt auf dem recht belebten Hauptplatz. Die Karawane ist aufgebrochen und im Gelände in der Ferne verschwunden. Von diesem Platz finde ich den Weg zum Quartier schnell und direkt.

Ich rolle rasch meinen Schlafsack ein, da kommt schon Akamouk in Begleitung von zwei Halbwüchsigen zur Türe herein. Er erklärt ihnen, wie das Zusammenlegen des Feldbettes funktioniert. Sie machen das großartig und tragen es als Bündel hinaus. Während mein Reisegefährte das Bett am wie gewohnt unwillig brüllenden Lastkamel befestigt, gebe ich jedem der Helferlein ein paar Centimes. Das mir zugeteilte Mehari begrüßt mich schon von Weitem mit ungehaltenem Gurgeln. Zu Fuß, die Kamele an Stricken führend, ziehen wir aus dem Ort. Um Proviant und Wasservorrat brauche ich mich nicht zu kümmern, mein zuverlässiger Freund, der Targi, hat alles vorbereitet.

Wir verlassen das Ksar, die Siedlung des Clan, in Richtung Gebirge. In der Ebene klettern wir in die Sättel und lassen uns durch die Gegend schaukeln. Am Beginn der Steigung zum Pass steigen wir wieder ab, obwohl sich die Kamele bergan sicherer bewegen, als hinunter. Weiter geht die Reise durch bekannte Landschaften, die mir insofern neu erscheinen, weil wir in die Gegenrichtung ziehen. Das Nachtlager wird nicht am selben Platz errichtet, den wir schon einmal dafür benützt hatten, sondern ein paar Kilometer weiter westlich. Noch immer ist es mir nicht möglich, mein Kamel zum Niederlegen zu bewegen. Akamouk muss nachhelfen. Beim abendlichen Tee möchte ich von ihm wissen, warum er so schnell wieder von seinem Clan fortwill, da doch diese Frau zu ihm passt und ihn sicher glücklich machen würde. Er sei einmal verheiratet gewesen und habe seine Lehren daraus gezogen. An das nicht gebundene Nomadisieren hat er sich gewöhnt. Dieser Zustand dauert schon zu lange, um nochmals eine solche Bindung zu versuchen.

Nach dieser Nacht bewegen wir uns weiter gegen Westen und kommen neuerlich zum schnurgeraden Asphaltband der Transsaharastraße. Dort steht eine Gruppe Schwarzafrikaner, unverkennbar Flüchtlinge aus dem Süden. Sie umringen uns und wollen Geld, nein, sie verlangen es. Weit und breit keine algerischen Sicherheitskräfte, es gibt nur die leere, am Horizont verschwindende Straße und endlose Wüste um uns herum. Es scheinen Nigerianer zu sein, da sie mit uns Englisch sprechen. Wir sitzen hoch oben auf den Kamelen, die aber das Außergewöhnliche der Situation registrieren und unruhig werden. Ängstigen sie sich, kann das zu nicht kontrollierbaren Reaktionen der eigenwilligen Tiere führen. Mein Lieblingsreittier droht auszubrechen. Akamouk wendet sein Mehari und eilt mir erfolgreich zu Hilfe. Die Lage wird immer bedrohlicher, einige der Dunkelhäutigen sind mit Stangen aus Holz bewaffnet, die Knüppel ähneln. Wir müssen irgendetwas tun. Der Targi wirft mir seinen Karabiner herüber, den ich mit viel Glück auffange. Das bewirkt, dass einer der Männer nach dem Zügel von Akamouks Kamel greift. Der zieht blitzschnell sein Schwert und schlägt dem Angreifer mit der flachen Klinge derart auf die Hand, dass der Mann vor Schmerz aufbrüllt und den Strick loslässt. In einem Schwung trifft er den Kopf des neben ihm Stehenden. Ich lade mit extra lautem Geräusch den Karabiner durch, was seine Wirkung nicht verfehlt. Die Meute weicht daraufhin etwas zurück und gibt den Weg frei. Das erlaubt es uns weiterzureiten, doch der Schreck sitzt mir in den Gliedern.

In angemessener Entfernung halten wir an und steigen ab. Bevor ich den Karabiner Akamouk zurückgebe, nehme ich die Patrone aus dem Lauf und drücke sie in das Magazin. Es scheint so, als würde er zufrieden lächeln.
Der Targi hat gezeigt, dass noch immer das Blut der kriegerischen Vorfahren in seinen Adern fließt. In aller Ruhe bereitet er Tee und wir warten im spärlichen Schatten einer Akazie, bis die ärgste Hitze des Tages vorbei ist. Unser Ziel ist von hier sicher zwei Tagesmärsche entfernt. Wasser gibt es ausreichend in den Gerbas, allerdings werden die Lebensmittel knapp. Da wir in der Ebene gut vorankommen und kaum Pausen einschieben, legen wir am nächsten Tag eine erhebliche Strecke zügig zurück. In den letzten Strahlen der Sonne sichten wir einen Gazellenbock in bester Schussentfernung, der langsam gegen die Abendsonne spaziert. Akamouk schießt vom Kamel aus. Auf den ersten Schuss reagiert der Bock nur, indem er seinen Kopf in unsere Richtung dreht. Der zweite ist ein Treffer. Mit diesem alten Gewehr eine großartige Leistung. Ich helfe ihm beim Aufbrechen und Zerteilen der Jagdbeute. Ein Großteil des Fleisches wird in die eigene Haut gepackt, ein paar gute Stücke werden schnell an einem Holzfeuer geröstet. Zum Glück finden wir nicht weit von unserer Route entfernt einen abgestorbenen Akazienbusch, dessen Holz mehr als ausreichend dafür ist. Es freut uns, dass wir den Mouloudjis so ein nahrhaftes Geschenk mitbringen können.

Das Ehepaar empfängt uns wie zwei verlorene Söhne. Besonders Michelle ist die Wiedersehensfreude anzumerken, sie küsst uns auf beide Wangen, François umarmt uns herzlich. Akamouk übergibt zuerst das Fellbündel mit dem Fleisch der Gazelle, damit es gleich in den Kühlschrank kommt. In der Gaststube angekommen bringt François zwei große Flaschen Bier und Michelle einen Krug perlender Limonade für den Mohammedaner. Das erste Glas trinke ich auf einen Zug leer, worauf mir sofort wieder nachgeschenkt wird. Jetzt wären Erzählungen über die Reise angebracht und das Abendessen zu genießen. Ich bitte aber um Verständnis, das auf morgen zu verschieben, denn ich fühle mich nicht nur müde, sondern auch in der durch die seit Tage getragenen Kleidung nicht wohl. Nach diesem Begrüßungstrunk steige ich zu meinem Quartier hinauf, um ausgiebig zu duschen. Akamouk verzieht sich in den Hof und tränkt seine Tiere, was eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Michelle hat mir eine französische Seife ins Bad gelegt, die mich, da sie leicht parfümiert ist, die Dusche länger als notwendig genießen lässt. Ein Blick in den Hof zeigt mir, dass sich die Kamele schon außerhalb der Mauern aufhalten, und ich vermute Akamouk in der Garage, wo auch er sich der Körperpflege hingeben dürfte. Ich verbinde den Computer mit dem Netz und freue mich, dass er einwandfrei hochfährt. Der Kopf ist voll mit den Erlebnissen dieser eindrucksvollen Reise, aber es ist mir bewusst, dass ich an meinen sechs Jahrzehnte alten Erinnerungen arbeiten sollte. Doch nachdem ich mehrmals vor dem Bildschirm eingenickt bin, beschließe ich, morgen weiterzuschreiben:

See in der Wüste

Es war schon April 1956, die Expedition hatte gewaltige Verspätung. Die Reparaturen an den Autos haben die Planung um Monate zurückgeworfen. Wir mussten uns beeilen, denn langsam ging die Trockenzeit zu Ende, und nach einem Regen war die Beschaffenheit der Strecke unberechenbar. Bis Niamey, der Hauptstadt von Niger, hatten wir noch einige Kilometer zurückzulegen. Die Piste führte durch eines der wildreichsten Gebiete Westafrikas, dem Tillabéri. Alle Tierarten, welche heute in Ost- und Südafrika in touristisch genutzten Reservaten auf engstem Raum zu besichtigen sind, gab es im Cercle Tillabéri. Elefanten, Antilopen, Löwen, Leoparden, eine Vielzahl verschiedener Affen, Hyänen, Schakale, Krokodile und Hippopotami (Flusspferde).

Obwohl die Bevölkerung am Niger Fische im Überfluss fing, war ihr Bedürfnis nach Fleisch ungestillt. Das Volk der Haussa, die Viehzüchter in diesem an die Sahara grenzendem Gebiet, verkauften zwar Fleischprodukte am Markt, aber zu hohen Preisen. Flusspferde waren eine geschützte Art. Da kaum jemand Interesse daran hatte, den riesigen Schädel eines Nilpferds als Trophäe mit heimzunehmen, gab die Administration ab und zu eines davon zur Jagd frei. Eine solche Menge Fleisch auf einmal wie ein Flusspferd liefert kein anderes Tier, darum wurden ein- bis zweimal pro Jahr Jagden veranstaltet. Es gab eine eigene Kaste unter den Bewohnern der Uferlandschaften, welche befugt war, Nilpferde zu jagen, die Sorkos. Diese Ehre vererbte sich über Generationen innerhalb weniger am Ufer des Niger lebender Familien. War eine solche Jagd angesagt, versammelten sich die Sorkos aus mehreren Familienclans, um das Vorgehen zu besprechen und durchzuführen. Wir wollten uns ein derart ursprüngliches und dramatisches Ereignis nicht entgehen lassen. Leider waren wir zu den feierlichen Beschwörungen, die den Jagden immer vorangehen, zu spät gekommen. Das wäre ein Fressen für mein Tonbandgerät gewesen!

In Tillabery, der Siedlung am Niger, lagen die langen Holzboote nebeneinander im Wasser. Die fünfzehn Jäger brachten ihre Harpunen in fünf Boote. Wir versuchten, eine der Piroguen mit Ruderern zu mieten. Das gelang erst, nachdem wir uns direkt an den Chef der Sorkos wandten und nach Übergabe eines kleinen Geschenks. Da es nichts zum Aufnehmen gab, konnte ich einmal unbeschwert in dem Boot mitfahren. Das war lang, aber äußerst schmal und ich fühlte mich nicht ungeheuer sicher. Nilpferde sind recht friedliche Tiere, doch wenn sie sich angegriffen glauben, werden sie erstaunlich gefährlich. Vor allem im Wasser sind sie überraschend schnell. Man hat uns vorher erzählt, dass ein verletzter Bulle vor kurzer Zeit ein solches Boot versenkt hat und alle Jäger darauf ums Leben gekommen sind. Wir verstauten uns zu dritt in dem Boot, als wichtigster Mann drängte sich der Fotograf Kopezky zuerst hinein, in der Mitte war ich und hinter mir Mackie.

Die Jagd kann beginnen

Vorne am Bug und hinten im Heck standen jeweils halbnackte schwarze Männer, deren schweißnasse Haut über den beachtenswerten Muskeln in der Sonne glänzte. Mit langen Stangen stakten sie das Boot mit großer Präzision durch das seichte Ufergewässer. Nach einer Fahrt von sicher einer Stunde hörten wir die typischen Grunzgeräusche von Nilpferden. Vorsichtig näherte sich die Flotte einer Hippofamilie an. Einige der gemütlichen Tiere standen oder lagen in Ufernähe, auf dem Fluss weiter draußen konnte man Augen und Nasenlöcher anderer Hippos wahrnehmen. Die sonst schwerfällig wirkenden Flussriesen im Schilf bemerkten unsere Annäherung sehr bald und liefen mit unglaublicher Geschwindigkeit ins tiefere Wasser. Das war so geplant, denn die Harpunen waren nur im tiefen Fluss anzuwenden. Im seichten Uferwasser hätten Jäger mit Harpune keine Chance gehabt und wären in Gefahr geraten, von einem aufgebrachten Hippo umgerannt und zertrampelt zu werden. Die gesamte Herde schwamm jetzt weiter draußen, dort wo der Fluss tief ist.

Das Nilpferd ist gesichtet

Dort zogen die Jagdboote hinaus und versuchten, ein besonders großes Exemplar einzukreisen. Die Jäger verständigten sich laut rufend und gestikulierend untereinander, jedes Boot nahm seine ihm zugedachte strategische Position ein. Die ersten Harpunen flogen, das getroffene Tier wehrte sich und der gewaltige Körper schoss zur Hälfte aus dem Fluss, sodass die hohen Wellen einige Boote beinahe zum Kentern brachten. Die Ruderer waren gezwungen ihre gesamte Kraft und Geschicklichkeit anzuwenden, damit die Boote, die durch die Stricke mit dem Tobenden fest verbunden waren, nicht umstürzten. Ein ins Wasser gefallener Mensch wäre in Lebensgefahr gewesen, denn die riesigen Kiefern eines Hippopotamus können ein Krokodil in der Mitte durchbeißen.

Auch unser Boot, obwohl etwas entfernt vom Geschehen, schaukelte gewaltig. Kopezky, er war bleich unter der sonnengebräunten Haut, hatte seinen Fotoapparat im Lederetui um den Hals hängen und hielt sich krampfhaft an den Bootsrändern fest. Obwohl ich mir einer unausweichlichen Retourkutsche bewusst war, konnte ich mich des Ratschlags nicht enthalten, dass man im Boot stehend sicher bessere Bilder von der Jagd schießen könne.

Nach längerer Zeit aufrecht in den Piroggen balancierend waren die Sorkos erfolgreich. Durchbohrt von einer Anzahl Harpunen verendete der Bulle endlich. Die tonnenschwere Beute wurde an Land gerollt und mit beachtenswerter Geschicklichkeit zerteilt.

Die Jagdbeute
Das Tier wird an Land gerollt

Das Hyppo wird aufgeteilt

Es ergab eine große Menge Fleisch, von dem die Jäger einen Teil an Ort und Stelle an die Interessenten verkauften. Der Großteil wurde auf den Markt und dort unter die Leute gebracht. Kein Stückchen blieb von dem gewaltigen Tier am Skelett. Wir verbrachten die Nacht im Dorf und bekamen jeder ein Stück Nilpferdfleisch ab, dessen Zubereitung wir leider nicht so einwandfrei schafften und uns fast die Zähne daran ausbissen. In Form von Faschiertem hätten wir sicher mehr Freude an dem fleischlichen Segen gehabt, aber wo soll man im afrikanischen Busch einen Fleischwolf finden? Etwas entfernt vom Lagerfeuer saß Kopezky an ein Rad des Pére Ubu gelehnt und nuckelte böse zu mir herüberblickend an einer frisch geöffneten Dose Nestlé-Kondensmilch. Das war seine Rache für meinen Ratschlag, denn wir liebten beide gleichermaßen diesen überaus gezuckerten, dickflüssigen Saft, der die Glückshormone jubeln lässt. Leider war der Vorrat davon enden wollend.

Sahel: Lager zwischen Gao u. Niamey

Die Stadt Niamey, die zu erreichen über Monate unser gesamtes Streben gewidmet war, lag bloß wenige Kilometer entfernt vor uns! Doch davor mussten ein paar steile Strecken der Piste bewältigt werden. Gewohnt, mit kaum funktionierenden Bremsen zu fahren, meisterten wir bravourös diese Gefälle knapp vor dem Ziel. Nach ewig langer Zeit hatten unsere Autos wieder Asphalt unter den Rädern und waren nicht mehr zu halten. Nur wenige asphaltierte Straßenzüge durchzogen wie Adern die Hauptstadt mit dem Regierungssitz von Niger. Die einzige stadteigene Ampel regelte nicht vorhandenen Verkehr. Der Hauptplatz war in kurzer Zeit erreicht und wir genehmigten uns in einem Bistró pro Mann zwei Limonaden. Etwas überrascht waren wir über die Größe der Flaschen, weil sie beinhalteten jeweils einen ganzen Liter! Kleinere Gebinde gab es nicht. Wir waren zutiefst zufrieden und verständlicherweise ein bisschen stolz, denn wir hatten unser geografisches Ziel trotz widrigster Umstände erreicht. Die fünf Expeditionsteilnehmer unterschiedlichster Charaktere waren inzwischen eine fest zusammengeschweißte Truppe geworden, in die sich sogar der professionelle Fotograf fast nahtlos einfügte.

Österreichs Außenamt hatte die Ankunft der Expedition vorangekündigt. Der französische Kommandant empfing uns freundlich. Als wir ihm unsere Sorgen um ein Quartier für einige Wochen mitteilten, gab er uns einen schwarzen Polizisten zum Geleit. Der führte uns in eine Art Villenviertel und zeigte uns ein Gebäude, das wir auf unbegrenzte Zeit bewohnen durften. Er übergab uns den Schlüssel und wir verabschiedeten ihn dankbar. Mit afrikanischen Maßstäben gemessen war das kein Haus, sondern ein kleiner Palast mit einem prominenten Eingang:

Niamey: Unser Haus

Wir öffneten die Türe und begannen zu inspizieren. Eine gewölbte und kühle Halle empfing uns. Dazu gab es vier große Räume, eine Küche, Wasch- und Toilettenräume und einen Weinkeller. Dem aufgelassenen „Club européen“, hatte das Gebäude als Clubhaus gedient und war nahezu vollständig eingerichtet. Obwohl das Dach an einem Ende eingefallen, waren da zwei Kühlschränke, etwas morsche Schränke mit Tafelgeschirr, Besteck und Gläsern verschiedenster Art. Metalltische und Stühle stapelten sich in den Ecken. Ein verwahrloster, ausgetrockneter Garten und eine zwanzig Meter im Geviert messende Terrasse, mit bunten Steinfliesen gepflastert. Dazwischen waren zwei Schatten spendende Akazienbäume gepflanzt. Im gesamten Haus gab es Anschlüsse für elektrischen Strom. Eine dicke Schicht Sandstaub überzog alles.

Ein Paradies für die fünf von Anstrengung und Entbehrungen gezeichneten Expeditionsteilnehmer. Der Weinkeller war leer, wie wir annahmen. Schani aber nahm nicht an, sondern suchte im Lichte einer Taschenlampe. Er brachte beim Graben mit einer Machete eine ausreichende Menge Flaschen Burgunder und andere französische Weinspezialitäten älteren Datums ans Tageslicht. Einstimmig beschlossen wir, den Wein seinem Eigentümer zu bezahlen, sobald er sich melden würde.

Niamey: Mittag auf Veranda
Niamey: Siesta auf Veranda

Vorerst teilten wir die gegen Regen geschützten Räumlichkeiten unter uns auf. Jeder bezog sein Büro, ich richtete mein „Tonstudio“ ein. In einer Ecke der kühlen Halle entstand der Schlafraum für uns fünf. Da es nicht regnete oder stürmte, übernachteten wir auf der Terrasse. Was keine gute Idee für die erste Nacht war. Blutrünstige Moskitos raubten uns den wohlverdienten Schlaf. Anfangs waren es nur einige wenige Exemplare. Doch schien die Kommunikation unter den Quälgeistern bestens zu funktionieren, denn im Laufe der Nacht kamen Myriaden Stechmücken. Vermutlich aus dem ganzen Land herbeigerufen, um vier Österreichern und einem Belgier Blut abzuzapfen. Da wir zum Abendmahl eine Reihe von Flaschen von dem gefundenen Wein geleert hatten, dürften diese promillehaltigen Blutproben für die Insekten, die muselmanische Enthaltsamkeit gewohnt waren, sensationell berauschend gewirkt haben. Dieser massive Überfall ergab bei den übernächtigen Europäern den gesamten nächsten Tag jucken und kratzen ohne Ende. Dessen ungeachtet säuberten Walter, Kopezky und ich Haus und Terrasse von Mist und Sand, während Mackie und Schani in die Stadt zur Polizei und zum Büro der Air France fuhren. Diese hatte die ersten entwickelten Farbdiapositive aus Wien eingeflogen, auf die wir uns voller Neugier stürzten.

Der Chef du Cabinet der nigrischen Regierung hatte sich zu einem Besuch angesagt. Da sich die zufällig gleichzeitig in Niamey aufhaltenden Reporter von Paris Match verabschieden wollten, drückten sich meine Kollegen vor den anstehenden Aufräumarbeiten und fuhren zum Flugplatz für eine Fotoreportage. Somit blieb ich zurück und versuchte, das Haus bestmöglich auf Hochglanz zu bringen. Am Vormittag wurde elektrischer Strom eingeleitet, was uns dazu brachte, zumindest einen der Kühlschränke in Betrieb zu nehmen. In Afrika kommt man ohne Kühlung nicht aus. Bier und Trinkwasser erhalten damit belebende Temperaturen und, na ja, auch Lebensmittel halten länger. Der Besuch des schwarzen Ministers wurde durch die dargereichten kühlen Getränke zu einem Erfolg. Das war vorteilhaft, weil sein Wohlwollen sollten wir bald benötigen. Denn eines Tages erschien ein Beamter der Sureté, der Staatssicherheit, hörte die Tonbänder ab und notierte die Nummern aller technischen Geräte und Jagdwaffen. Wir sollten für irgendetwas Strafe zahlen. Unser gesamter Reichtum bestand aus knapp zweitausend CFA. Allein die Erlaubnis für die Gewehre betrug sechstausend Francs. Wir mussten die Bezahlung der Gebühren auf irgendeine Art so lange hinauszögern, bis das seit ein paar Wochen angekündigte Geld aus Wien ankommen würde. Das ließ sich aber Zeit. Es war unausbleiblich, dass nach einigen Tagen wieder Beamte der Sureté mit dem Verdikt erschienen, wegen dieser Schulden und Spionage müssten wir umgehend das Land verlassen. Das hätte ein unrühmliches Ende dieses Unternehmens der Feldforschung bedeutet, ehe es eigentlich angefangen hatte. Unausgesprochen hatten wir das Gefühl, dass uns der Chef de la Sureté womöglich nicht positiv gesinnt sein könnte. Unsere Nervosität wurde greifbar. Wir erbaten uns ein paar Stunden Zeit. Die wurde gewährt und genützt, um den französischen Commandant cercle und den Chef de cabinet zu mobilisierten. Diese zwei Herren übernahmen die Verantwortung für uns und wir konnten ab da ungestört unserer eigentlichen Arbeit weiter nachgehen.

Gemeinsam mit Walter nahmen wir für den österreichischen Rundfunk Features auf. Da waren Erzählungen von Märchen aus der Umgebung, eine Radioreportage über die Stadt und eine ebensolche für die Air France aus dem Flughafen von Niamey.

Flugplatz Niamey, Mackie u. Kopezky, dahinter eine DC 3
Flugplatz Niamey: Ich, Walter u. Direktor des Flughafens

Wir recherchierten fleißig, sowohl in der Stadt, und in deren Umgebung. Dabei entstanden einige der eindrucksvollsten Tonaufnahmen, wo lebensfrohe Eingeborene immer wieder irgendwelche Feste mit Musik, Trommeln und Tanz veranstalteten.

Tam -Tam aus Tera
„Für den vom Blitz Erschlagenen“ (Yakatala)

Wir lernten dabei interessante Menschen kennen, deren Einladungen zu Abendessen wir gerne annahmen, denn die ewigen angebrannten Palatschinken aus Walters Haute Cuisine nervten uns gewaltig. Wir befürchteten, alle an Skorbut zu erkranken. Aus diesem Grund wurde mir die Aufgabe übertragen, am Grand Marché Gemüse einzukaufen. Dieser großflächige Markt war von frühmorgens bis spät in die Nacht geöffnet und man fand dort alles, was das Land produzierte. Inklusive Käfer und anderes Kleingetier. Gelegentlich begleitete mich unser schwarzer Boy Kindo, ein vierzehnjähriger aufgeweckter Junge vom Stamme der Songhai. Das erleichterte mir das Feilschen. Wegen der kühleren Temperaturen war ich häufig am Abend einkaufen. Selbst bei Dunkelheit gab es in den stillen Gassen keine Sicherheitsrisiken für einen Weißhäutigen.

Für Ausländer und gut bezahlte Beamte fanden sich im Zentrum von Niamey zwei saubere und von Franzosen hygienisch betriebene Geschäfte, die Waren und Lebensmittel aus Europa anboten. Aber zu derart hohen Preisen, dass wir davon Abstand nahmen, dort einzukaufen. Unter den faszinierendsten Menschen der Stadt befand sich der Apotheker, dem die einzige Pharmacie nach europäischem Standard im Land gehörte. Louis Mouren war ein Hüne von Gestalt und sah John Wayne zum Verwechseln ähnlich. Das wissend hatte er vollkommen den Habitus dieses Filmhelden angenommen. Da er den Markt mit Medikamenten für das gesamte riesige Land beherrschte, war er dementsprechend wohlhabend.

Bis die Versicherungssumme von IFA bei uns eintraf, mussten wir Möglichkeiten finden, unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Mouren hatte neben der Apotheke einen Fotoladen mit Labor, das für Kopezkys technische Begabung bestens geeignet war. Dorthin brachten Leute nicht nur ihre Filme zum Entwickeln, sondern sogar ihre defekten Fotoapparate zur Reparatur. Hans untersuchte die Kameras und stellte mit sorgenvoller Miene größeren Schaden fest. Die Fehlerbehebung würde sicher einige Tage in Anspruch nehmen, oder man müsse die Kamera gar ins Werk einschicken, was logischerweise hohe Kosten verursache. Dann brachte er die Fotoapparate in die Werkstatt, nahm das winzige Stück Film, das den Transport blockiert hatte mit der Pinzette heraus und ließ eine geschmalzene Rechnung schreiben. Manchmal genügten wenige gezielte Strahlen Pressluft, um die Funktionsfähigkeit einer Kamera wiederherzustellen. Auch das musste entsprechend honoriert werden. So wurden auf kurze Zeit unsere sonst gefestigten Grundsätze von Ethik und Moral der Wissenschaft geopfert.

Damit kamen wir finanziell über die Runden. So lange bis der Chef der Sicherheit wieder eingriff und Mouren anwies, die Österreicher hinauszuschmeißen. Es wurde uns sogar verboten, die eigenen Filme zu bearbeiten. Das kam einer Ausweisung gleich. Sollten alle bisherigen Anstrengungen und Entbehrungen umsonst gewesen sein, unsere gesamten Pläne an einem missgünstigen Beamten scheitern? Trotz der sich offensichtlich anbahnenden Katastrophe blieb die Stimmung im Grunde optimistisch. Haben wir doch bisher schon einiges gemeistert.

Alle bisherigen und denkbaren zukünftigen Verzögerungen einrechnend, hatte ich eine Tafel „Österreichische Westafrikaexpedition 1955 – 57“ gemalt. Kaum war die Plakette am Haus angebracht, da erreichte uns die vernichtende Nachricht. Somit war dieses beachtenswerte Schild im Moment seiner Enthüllung obsolet geworden. Trotzdem fertigten wir davor ein unbekümmertes „Selfie“ an:

Niamey: Gruppenbild mit Schild: Kopezky, Schani, Walter, Herbert u. Mackie

Es war kein guter Tag für uns. Max setzte sich daraufhin nur spärlich mit einem Tanga bekleidet auf einen glühend heißen Blechstuhl, der den ganzen Tag in der Sonne gestanden war, Schani verwechselte beim Mittagessen Salz mit Zucker und die Palatschinken wurden so schwarz und hart wie nie zuvor. Abends fuhren wir zu einer Krokodiljagd, um diese akustisch einzufangen. Hundegebell und ununterbrochenes Krähen dutzender Hähne ließen auch dieses Vorhaben platzen.  

Am nächsten Tag erschien Mouren mit zwei erfreulichen Nachrichten. Die Versicherungssumme von 85.000 FF (französischen Francs) von der IFA-Versicherung war angekommen und die Ausweisung sei vom Commandant Cercle aufgehoben worden. Außerdem erzählte er uns von einem großen Fetischfest, das wir aufnehmen könnten. Es war das von uns lange gesuchte Yenendi, ein Fruchtbarkeitsritual.

18. KAPITEL – Kamelsuche, Geschichte des Père Ducros – Löwen auf der Piste – Vorbereitungen für Fetischfest

Das Tempo der Kreise, die ich in den quadratisch angeordneten vier Wänden des von mir bewohnten Turmgemachs ziehe, verändert sich gleichermaßen mit den Stimmungen meiner Eingebungen. Die Gedanken drehen mit, oder sind sie gegenläufig? Drei Runden im Sinne der Uhrzeiger, drei Runden dagegen. Egal, in welcher Richtung ich mich bewege, sobald mein Weg an einem bestimmten Fenster vorbeiführt, sehe ich die Scheibe des in der Morgendämmerung verblassenden Vollmondes. Quälend sind die Versuche, in der Erinnerung nach Begebenheiten zu suchen, die in den vergangenen Jahrzehnten durch andere tiefgreifende Erfahrungen überlagert worden sind.

Hervorgerufen durch die Bewegungen des Körpers und der Gedanken im Kreis, macht sich leichter Schwindel bemerkbar. Hier bin ich an einem der wenigen Orte dieser Erde, in dem noch größtmögliche Freiheit für den Menschen herrscht. Ich finde die widerssprüchliche Erkenntnis lustig, dass ich mich hier inmitten der Sahara an ewig sich im Kreise drehenden Gedanken berausche, gleich einem gefangenen Kriminellen. Im Jargon der Wiener Häfenbrüder werden solche Übungen „Hirntschechern“ genannt. Total ungeordnet tauchen Bilder aus vergangenen Zeiten auf. Dieses wiedergefundene Material aus Erinnerungen in geschriebene Worte umzusetzen, ist mir im Moment verwehrt. Wie Nebel steigen Befürchtungen auf, dass ich aus Altersgründen nicht mehr weiterschreiben könnte. Das trübt meine hoffnungsfrohe Sicht auf zukünftige Schreibarbeit. Das in der Runde Schreiten trägt wenig dazu bei, den Nebel zu durchdringen. Mehrere Versuche, Kniebeugen auszuführen, ohne dabei am nächstgelegenen Möbel Halt zu suchen, scheitern kläglich. Diese zusätzliche Erkenntnis meines Unvermögens ist weder aufbauend, geschweige denn weiterführend. Ich überlege mir die Möglichkeit, in den Gastraum hinunter zu pilgern, und mich zur Hebung der Stimmung aus dem reichlichen Vorrat an alkoholischen Getränken zu bedienen.

Diesen Gedanken verwerfe ich nach einem Blick auf die Uhr, deren Zeiger im rechten Winkel stehen und den Morgen ankündigen. Ich muss hier raus, eine Spur von Ablenkung täte meinem Gemütszustand sicher gut. Selbst ein über den Tisch laufender Skorpion wäre dafür hilfreich. Die hier oben herrschende absolute Stille wird von Gesprächsfetzen unterbrochen, die aus der Gaststube zu mir heraufdringen.

Kurze Zeit später klopft es rücksichtsvoll an der Türe. Das Herankommen geschah lautlos, denn es waren keine Schritte auf der Stiege zu hören. Ich richte mich auf und rufe mit munter klingen sollender maskuliner Stimme: „entrez“! Zu meinem Erstaunen betritt Akamouk den Wohnraum. Er hat sich der Sandalen vorher entledigt und geht bloßfüßig, was die Lautlosigkeit seiner Annäherung erklärt. Unsere Fingerspitzen berühren sich gleitend zur Begrüßung. Nie zuvor hat er mein Zimmer betreten. Für ihn ist es von einem Rumi bewohnt, dessen Privatsphäre nicht ohne triftigen Grund gestört werden darf. Demnach scheint Wichtiges vorzuliegen. Ein Kamel ist verschwunden. Keines seiner zwei Mehari, sondern das Lastkamel. Da bei mir der höchste Punkt der Umgebung ist, und man deshalb weit in die Wüste sehen kann, wollte er von hier versuchen das Tier zu entdecken. Er wechselt von einem Fenster zum anderen und blickt in den beginnenden Tag hinaus. Ich biete ihm meinen Swarovski-Feldstecher an, den er anfänglich ablehnt, nach erfolglosem Umsehen aus Höflichkeit doch annimmt. Spielerisch benützt er ihn länger als notwendig und schaut damit in alle Richtungen. Das Kamel ist nicht auszumachen. Danach nehme ich das Glas und suche selbst den Horizont ohne Erfolg ab. Er meint, dass er losgehen müsse, um das Lasttier einzufangen. Das kommt mir gelegen, und ich biete ihm die Unterstützung mit dem Landrover an. Sichtlich erfreut nimmt er das Angebot an, und ich hole gleich meine Desertboots hervor. Wir wären nicht in Afrika, versuchte er nicht, mich davon abzuhalten. Das muss ja nicht sofort sein, es ist Zeit genug, wenn wir morgen früh losfahren.

Weil Akamouk einmal da ist, ergreife ich die Gelegenheit und zeige ihm am Bildschirm des Rechners Fotos aus Österreich. Die gefallen ihm recht gut. Aber dann meint er in Bezug auf meine Ausrüstung mit Auto, Computer, Feldstecher usw., dass die Roumis ungeheuer arm dran seien. Sie brauchen solche Hilfsmittel, die in seinem Leben keine, oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. Er ist mit dieser Meinung nicht allein, insbesondere in den Clans im Hoggar gibt es bis zum heutigen Tag Familien, die fast ausschließlich strikt nach ihrer Tradition leben. Das sind Ausnahmefälle in einer Welt, in der die Fortschritte und Verlockungen der technisierten Zivilisationen konstant stärker Fuß fassen.

Vor mehr als zweihundert Jahren befand sich die Weltwirtschaft in einer langjährigen Depression, deshalb wurden neue Absatzgebiete für Industrieerzeugnisse und Handelswaren gesucht. Damit begann die Kolonialisierung Afrikas. Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde die Industrialisierung der Elektrizität immer bedeutender und der Bedarf an Bodenschätzen wie Kupfer, Zink, Gold etc. stieg. Darüber hinaus wurden Kolonialwaren verlangt. Die meisten europäischen Staaten errichteten Kolonien in Afrika. Sie versetzten den afrikanischen Menschen einen Kulturschock nach dem anderen. Der belgische König Leopold II. gründete im Kongo sogar seine Privatkolonie. Die Methoden Länder zu unterwerfen waren unterschiedlich und fanden selten ohne Einsatz von Gewalt und Brutalität ab. Nach Beendung des letzten Kolonialkriegs, Italien gegen das Königreich Abessinien (Äthiopien) im Jahre 1936, war das gesamte Afrika erobert. Die Afrikaner wurden mit europäischer Zivilisation konfrontiert, doch kaum mit Kultur aus Europa bekannt gemacht. Das übernahmen die christlichen Religionen wie die Römisch-Katholische, die Protestantische sowie die Anglikanische, welche allerorten missionierten.

In der Konsequenz war solches Bemühen selbstverständlich recht einseitig. Zu diesen drei großen Richtungen gesellten sich bald aus den USA Missionare der Mormonen und verschiedener weiterer Sekten, die alle versuchten, den Afrikanern das Heil zu predigen und hofften, damit den Islam am Vormarsch zu hindern. Die von den Kolonialmächten vorgezeigte materielle und technische Überlegenheit der Europäer führte den Ureinwohnern unweigerlich den Unterschied zu ihren eigenen Lebensumständen vor Augen. „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit“ sagte der Philosoph S. A. Kierkegaard. In Bezug auf die Entwicklung in Afrika ist das sicher zutreffend. Europa bietet seit Jahrzehnten einzelnen Afrikanern Bildung. In jüngster Vergangenheit taten dies vor allem Oststaaten, die keine Kolonien besaßen. In hohem Maße boten die DDR und einige Balkanländer erschwingliche Bildungsmöglichkeiten bis zum Universitätsabschluss. Aber auch die Sowjetunion und die Volksrepublik China holten junge Menschen an ihre Universitäten und gewannen durch die dadurch neu entstandenen Bildungsschichten umfassenden Einfluss in Afrika. China führt diese Politik weiterhin konsequent durch, zusätzlich mit enormen Investitionen, die allerdings über Kosmetik nicht hinausgehen. Nur wenige Afrikaner können den Verlockungen der ihnen vorgeführten Zivilisation so widerstehen, wie es Akamouk gelingt. Ihm kommt das Leben in der unendlichen Wüste zu Gute, wo sich zivilisatorische Wandlung und technischer Fortschritt hauptsächlich in den relativ kleinen Ballungszentren manifestieren.

Die Gerbas sind mit frischem Wasser gefüllt, ein Kanister mit Benzin zur Reserve ist verladen, mein Jagdgewehr und der Karabiner Akamouks sind verstaut. Wir begeben uns bei Tagesanbruch auf den Weg, der Targi gibt die Richtung an. Für mich bedeutet diese Fahrt einen besonderen Kick, weil ich bisher wegen der Orientierung die Pisten nie wesentlich außerhalb von der Sichtweite verlassen habe. Verloren gegangene Kamele halten sich allgemein nicht an diese Regel. Wir fahren nach Norden, den aus dem Wüstenboden herauswachsenden Büscheln Cram-Cram sorgfältig ausweichend. Die Wurzeln und Stiele des grünen Grases kleben mit dem angewehten Sand wie Zement zusammen und werden dadurch zu harmlos aussehenden, allerdings steinharten Hügeln. Fährt man die mit hohem Tempo an, kann ein Auto solchen Schaden nehmen, dass es liegen bleibt. Akamouk scheint einer für mich unsichtbaren Spur zu folgen. Wie er die erkennt, weiß ich nicht.

Da wir keine Wellblechpiste unter den Rädern haben, kann ich das Tempo so anpassen, dass er Da wir keine Wellblechpiste unter den Rädern haben, darf ich das Tempo so weit anpassen, dass er die Fährte nicht verliert. Bei den stundenlangen Fahrten durch die Wüste erfasst mich stets ein außerordentliches Glücksgefühl. Es ist herrlich, einfach nur so dahinzufahren, wo keine Verkehrsampeln Halt gebieten, oder Beschränkungen der Geschwindigkeit zu beachten sind. Unser Tempo ist ohnehin durch die Beschaffenheit des Geländes vorgegeben. Es gibt keine die persönliche Freiheit beschneidenden Regeln, außer den durch Erfahrung erhaltenen Ge- und Verboten, wie Selbsterhaltungstrieb, Moral oder Ethik. Ich verstehe Akamouk mit der Zeit immer besser. Durch den Wegfall all der Einschränkungen scheinen sich die natürlichen Sensoren des Wüstenbewohners zu schärfen und damit sein Überleben zu garantieren. Neben den ethnischen Gegensätzen unterscheidet dieses Wesensmerkmal die Menschen der Sahara von den Bewohnern des zivilisierten nördlichen Teils des Landes. Auf unserer Fahrt in Richtung Norden sehen wir das Wrack eines Peugeot 203, das bis zur Hälfte vom Erdreich verschlungen und mit Treibsand bedeckt ist. Das ist das Denkmal einer Tragödie, die sich geschätzt vor zirka sechzig Jahren hier zugetragen hat. Da der Befreiungskrieg nicht nur an den Küsten Algeriens tobte, war es für das Militär unvermeidlich, auch in den Wüstengebieten präsent zu sein. Diese lebensfeindlichen Regionen belegten mehr als zwei Drittel des Landes. Viele Soldaten aus dem Norden sind in die Sahara gesandt worden und sind in den Weiten der ihnen fremden Wüste verschollen, verhungert und verdurstet.

Wir fahren weiter in der Richtung, die Akamouk durch Handzeichen angibt. Meine Gedanken sind in der Vergangenheit, und da geschieht es, dass ich einen gefährlichen Anfängerfehler begehe. Eine hellere Stelle in der flachen Hamada bringt das Auto abrupt zum Stehen. Es ist trotz Allradantrieb und eingeschaltetem Zwischengetriebe nicht mehr aus dem Sandloch zu bewegen. Schuldbewusst schaue ich zum Beifahrer am Nebensitz, der meinen Blick mit blauen Augen offen erwidert. Seine Bemerkung, dass mit einem Kamel so etwas nicht passieren kann, empfinde ich in diesem Moment als süffisant und eher unangebracht. Es hilft nichts, wir müssen aussteigen und graben. Das ausgiebig, denn der Landrover sitzt auf den Achsen auf. Wir schaufeln in der beginnenden Tageshitze, positionieren die Sandbleche unter die Räder. Der Motor springt anstandslos an, erster Gang hinein und mit viel Gefühl langsam die Kupplung loslassen. Wie von Engeln getragen klettert der Rover die Bleche hinauf und fährt auf diesen ohne Anstrengung aus dem Sandloch. Die Sandbleche sind schwer mit Sand bedeckt und es bedarf ziemlicher Kraftanwendung, um sie herauszuholen. Nachdem sie wieder an den Seitenwänden des Rovers befestigt sind, trinken wir von dem kühlen, ja kalten Wasser aus den Ziegenhäuten.

Es geht weiter in Richtung einer Sanddüne, die sich aus dem Hitzeflimmern der Ebene erhebt. Es macht den Eindruck, als läge sie inmitten eines Sees. Sie wächst im Näherkommen zu enormer Höhe. Auf die halten wir direkt zu und kommen zu einer von dieser Wanderdüne erstickten Oase. Hier muss eine größere Ansiedlung gewesen sein, denn Konturen ehemaliger Lehmbauten und einige Reste verdorrter Akazien ragen aus dem meterhohen Sand. Die Kronen von zwei Palmen mit langen grünen Blättern haben sich der tödlichen Umklammerung des feinen Wüstensandes bisher entzogen. Demzufolge muss es hier Wasser geben. Wir steigen aus dem Auto und eine erstaunlich große Menge Fliegen summt um uns herum und versucht an den Augen, am Hals, am ganzen Körper zu landen. Akamouk zieht seinen Tegelmust über das Gesicht und ist damit bis auf die Augenpartie vollständig geschützt. Fliegen in der Sahara sind keine Seltenheit. Selbst mitten in den Sanddünen sind diese Quälgeister lästig. Man wundert sich, wie sie dort überleben. Sie ernähren sich von Mikroorganismen, die durch Wind herangetragen werden. Die genügen ihnen zur Feuchtigkeitsaufnahme und sind damit unabhängig von Flüssigkeit. Schweiß einer Menschenhaut, egal welcher Farbe, bedeutet für diese Insekten eine selten zu findende Delikatesse. Ein Kamelkadaver bei einer der Palmen erklärt die Konzentration der Fliegen. Der wieder höher steigende Wasserspiegel scheint nicht nur das Kamel Akamouks angelockt zu haben. Wir finden es am Rande der Sanddüne, wo es sich friedlich an den dort wachsenden Grasbüscheln und sprießenden Akazienzweigen delektiert. Es hat mit seinen Vorderbeinen eine Mulde so tief gescharrt, bis Feuchtigkeit hervortrat, ja sogar eine bescheidene Menge Wasser ist am Grunde des Loches zu sehen. Akamouk meint, die Ansiedlung ist seit über zehn Jahren verlassen, und weil in dieser Zeit niemand Grundwasser entnommen hat, ist der Spiegel wieder gestiegen.

Akamouk nähert sich langsam dem Ausreißer. Der macht ein paar eher lustlose Schritte zur Flucht, der Targi greift schnell nach dem Strick, der noch vom Maul des Kamels hängt und lässt das Tier niederlegen. Mit den bekannten Unmutsäußerungen folgt es anstandslos. Eine Gerba wird ihm auf den Hals gelegt und Akamouk prophezeit, dass er morgen zu Mittag sicher in der Auberge sein werde. Ich hingegen solle ohne Umstände zurückfahren. Seine Augen blitzten schalkhaft zwischen den Tüchern des Tegelmust, während er mir versichert, sollte ich wieder im Sand stecken, er würde ohnehin vorbeikommen, um mir beim Schaufeln zu helfen. Ich unterdrücke eine Bemerkung dazu. Das bekommt er bei nächster Gelegenheit zurück, denke ich mir, bin aber froh, dem Fliegenschwarm zu entrinnen. Meiner eigenen Spur folgend, fahre ich in Richtung Auberge. Vor Einbruch der Dunkelheit taucht die mir bekannte Silhouette des Wohnturmes am Horizont auf.

Tuareg vor Wanderdüne in der Sahara

Der ungewollte Aufenthalt in Téra war für die Expeditionsarbeit recht befruchtend. Der Ramadan neigte sich dem Ende, Auto und Geräte waren repariert. Die Stadt versank teilweise in Morast. Den ganzen Tag hat es immer wieder geregnet. Spät am Nachmittag kam die Sonne heraus, doch die hohe Luftfeuchtigkeit blieb. Der Schweiß trocknete nicht, Hemden und Hosen klebten an den Körpern der Menschen. Dies war mit ein Grund, die Einladung des Commandant du Cercle, Monsieur Aillot, zu einem Abendumtrunk höchst willkommen zu heißen. Wir verbrachten den Abend auf dessen Terrasse. Außer uns waren Père Ducros von der Mission in Niamey, der nahe Tillabery ein Dorf besuchen wollte und hier in der kleinen katholischen Station untergebracht war, sowie der schwarze Adjutant des Kommandanten eingeladen.

Ich wurde wieder einmal dazu verdonnert, mit Hintergrundmusik die Stimmung durch Mozart und Sidney Bechet zu heben. Das anfänglich sich nur mühsam dahinschleppende Gespräch wurde durch den Alkohol, dem wir seit Tagen entwöhnt waren, rasch lebhafter. Der Gastgeber war ungeheuerlich schnell mit der Flasche bei der Hand, wenn es galt nachzuschenken. Bei Père Ducros holte er sich einen Korb nach dem anderen, trotzdem versuchte er immer wieder den schlanken, asketischen Missionar zum Trinken zu bewegen. Der Geistliche widerstand lächelnd. Das war für uns nichts Neues, denn wir kannten ihn aus der Hauptstadt Niamey, wo ich eine seiner Predigten aufgenommen hatte und durch seine Anwesenheit bei verschiedenen gesellschaftlichen Ereignissen. Seine Güte und Freundlichkeit waren bisher von keinem seiner Schützlinge ausgenützt worden, man hatte eben zu großen Respekt vor ihm. In dem sehnigen Körper wohnten ungeheure Energie, Willenskraft und Geduld. Die Arbeit, die er sich mit den Schwarzen in der Regenzeit machte, war enorm. Seine Mission bestand darin, dass er sich über diese Zeit in ein entlegenes Dorf zurückzog und dort den Eingeborenen half, ihr kümmerliches Dasein ein bisschen zu erleichtern. Er sprach ihnen nicht nur geistlichen Trost zu, sondern legte kräftig selbst mit Hand an, denn es gab immer etwas zu reparieren oder Arbeitsabläufe praktischer zu gestalten. Nebenher arbeitete er an Übersetzungen verschiedener Sprachen der Region, wie Haussa, Songhai und Djerma. Das erregte in erster Linie meine Aufmerksamkeit, weil ich für das Institut für Afrikanistik der Universität Wien und das Phonogrammarchiv Diktionäre akustisch dokumentieren sollte.

Père Ducros kannte unsere Aufgaben und nahm sie keinesfalls als Spielerei. Er war beruflich mehrmals mit Fetischeuren zusammengekommen und wusste eine Menge über diese Auserwählten zu verraten. Der Missionar war für seine Schweigsamkeit in diesen Fragen bekannt. Was uns nicht daran hinderte, ihn in unserem Forscherdrang eben darum zu bitten. Wir waren deshalb erstaunt, dass er ansetzte, offen darüber zu erzählen. Ich hatte gerade noch Zeit ein neues Tonband einzulegen und das Mikrofon am Magnetophon anzuschließen, da begann er, weit in den Stuhl zurückgelehnt, seine Geschichte (wortwörtlich direkt vom Band der Aufnahme transkribiert):

„In der Nähe des Marigot von Gorouol, einem toten Flussarm, lebte in einem Dorf namens Yatakala ein Zauberer, ein Zimma. Er wachte eifersüchtig über seine schwarzen Dorfbewohner und hatte einen Kummer, einen durch das Gebiet reisenden Marabout, einem moslemischen Prediger, der unermüdlich versuchte, die Schützlinge des Zimma zum Islam zu bekehren. Dieser Mann erschien von Zeit zu Zeit in dem Dorf. Der Zauberer unternahm nichts gegen ihn und ließ ihn gewähren.  Aber einmal erwartete er ihn bereits vor dem Dorf und machte ihm den Vorschlag, in aller Öffentlichkeit ihre Kräfte zu messen. Dem Marabout blieb nichts anderes übrig, als die Herausforderung anzunehmen. So führte der Fetischeur seinen Gegner inmitten aller Dorfbewohner auf den Platz vor der Fetischhütte. Dort ließen sich die beiden nieder und breiteten ihre Kultgegenstände vor sich aus. Lange saßen sie sich so gegenüber und murmelten. Der eine Suren aus dem Koran, der andere Beschwörungsformeln für seine Geister. Da machte der Zauberer mit einem Male eine Bewegung mit den Händen und der Marabout war über und über bedeckt mit roten Ameisen! Die sind für ihre kräftigen Zangen und besonders schmerzhaften Biss bekannt. Sicher ein Taschenspielertrick, aber er tat seine Wirkung. Blitzschnell krochen hunderte dieser Insekten unter das Gewand des Mannes, der, gequält von den Bissen, aufsprang und zum Wasser rannte. Der Zimma blieb Sieger und der Marabout vermied in Zukunft Besuche in dem Dorf.

Und genau in dieses Dorf sollte ich vor zwei Jahren das Christentum tragen. Mir war die Geschichte bekannt und man kann sich vorstellen, mit welchen Gefühlen ich in Yatakala ankam. Am Dorfeingang wartete bereits der Zauberer, umgeben von seinen Vertrauten. Wir sahen uns in gegenseitigem Misstrauen eine Weile an. Es fiel ihm nicht ein, mich willkommen zu heißen. Er war finster und feindselig. Niemals werde ich seine Augen vergessen, als er mich fragte, was ich wolle. Ich war damals überzeugt, Mordgedanken in ihnen lesen zu können. Es war mir klar, dass ich für ihn ein weit größerer Feind sein musste, als der Marabout, dem er so übel mitgespielt hatte. Ich antwortete ihm klar und eindeutig, dass ich hier sei, den Menschen von dem einzigen Gott zu erzählen. Soll ich ihnen schildern, was in mir dabei vorging? Wenn er ablehnte, oder sich offen gegen meinen Besuch stellte, dann war meine Mission so gut wie beendet. Die Angst und der Respekt der Dorfbewohner vor dem Zimma waren viel zu stark, als dass sie mich geduldet hätten. Einige von ihnen waren zwar offen, aber niemand würde ein Wort mit mir sprechen, sie würden sich vor mir verstecken. Das waren meine Gedanken und ich habe in die von mir gegebene Antwort alle meine Gebete gelegt.

Ja, sagte er auf Songhai, ich wusste, dass du kommst. Eine Hütte ist bereit, du wirst uns von deinem einzigen Gott erzählen. Dabei lachte er mir höhnisch ins Gesicht. Ich hatte das Gefühl, hier nicht mehr lebend herauszukommen. Der Zauberer grinste und trat mit einer Handbewegung zur Seite, die alle Anwesenden dazu veranlasste, eine Gasse zu bilden. Langsam, ohne ein Wort zu erwidern, ging ich in die Richtung, in der ich den Dorfplatz vermutete. Vor mir lief eine Meute Schwarzer und ich erreichte bald eine der größten Hütten des Dorfes. Man hatte sie ausgeräumt. Sie wartete auf mich. Ich konnte mir nicht erklären, woher man über mein Eintreffen wusste. Ich ließ mich in der Hütte nieder, denn ich war wie erschlagen und begann zu überlegen. Dass der Zauberer mich nicht ungehindert predigen lassen würde, das war mir klar. Aber was plante er? Musste ich nicht hinter jeder Ecke, ja bei jedem Schritt eines seiner gefährlichen Kunststücke erwarten? Und würde er mich so relativ gut wegkommen lassen, wie den Marabout? Mein kleiner Songhaijunge, der für mich dolmetschte, klebte beinahe an meinen Füßen. Er hatte wahnsinnige Angst. Dabei war er als Christ geboren und in der Missionsschule erzogen worden. Ich sah ein, dass ich dem Knaben ein Beispiel geben musste, wenn ich nicht zulassen wollte, dass er instinktiv wieder in den Teufelsglauben seiner Ahnen zurückfiel. Laut begann ich zu beten, und sah, dass das seinen Eindruck auf den Vierzehnjährigen nicht verfehlte. Später brachte man mir zu essen. Ich lachte laut auf, als man mir die Kalebasse zur Tür hereinstellte, denn jeder, der hier mit den Eingeborenen zu tun hat, der weiß, welche Künstler sie im Giftmischen sind. Natürlich aß ich keinen Bissen, aber die Tatsache, dass man mir Essen brachte, hatte in mir die völlige Gewissheit erstehen lassen, dass man mir nach dem Leben trachtete.

Die Zeit der Predigt rückte näher. Das Dorf versammelte sich um die Fetischhütte, vor der ich sprechen sollte. Konnte ich es wagen, einen anderen Platz zu verlangen? Ich war sicher, dass ich etwas zu befürchten hatte. Besonders als ich sah, dass sich der Zauberer unter die Wartenden gemischt hatte. Als ich vor die Hütte trat, beteuerte er mir mit scheinheiliger Miene, dass er auch zuhören wolle. Sosehr ich mich auf dem Weg zur Fetischhütte auch umsah, ich konnte nichts Verdächtiges bemerken. Nicht einen Augenblick ließ mich der Medizinmann aus den Augen. Als ich zu sprechen begann – ich gebe zu, dass mir bei den ersten Worten die Stimme vor Nervosität beinahe versagte. Ich sprach wie in Fieber. Heute weiß ich nicht mehr, was ich gesagt habe. Der Zauberer verfolgte jede meiner Bewegungen mit den Augen, die mir weh taten. Ich erinnere mich, dass ich schnell sprach, ich hatte keine Zeit! Jeden Augenblick konnte ich durch irgendetwas unterbrochen werden. Ich musste die Zuhörer packen. Während der junge Gehilfe meine Sätze verdolmetschte, hatte ich Zeit gehabt mich zu fassen, aber mein Hirn arbeitete zu krampfhaft. Ich suchte nach Gleichnissen, die verständlich waren. Es suchte nach Formen, die aus dem Leben der Schwarzen gegriffen waren. Ihre Tierwelt, die Trockenheit und das Mil als Grundnahrungsmittel mussten in die Predigt hinein. Langsam merkte ich einen geringen Widerhall. Und mit ihm überbrückte ich alles, was mich hemmte. Ich sprach mich in eine Begeisterung und fühlte immer mehr, wie die Menschen an meinen Lippen hingen. Die Augen des Zauberers spürte ich nicht mehr. Ich sah, dass die Hühner, die sich auf den Platz wagten, sofort verjagt wurden. Das ist bei den Negern ein Zeichen von außerordentlichem Interesse.

Als ich geendet hatte, starrten mich die Leute an, als wäre ich einer ihrer mächtigen Geister. Die Runde war so tief beeindruckt, dass mir Tränen in die Augen traten. Ich sagte ihnen noch einige sehr freundliche Worte und hieß sie in ihre Hütten gehen um nachzudenken über alles, was sie gehört hatten. Den Zauberer hatte ich völlig vergessen. Jetzt bemerkte ich ihn, unbewegt und finster. Er fixierte mich noch immer. Als auch er wegwollte, fasste mich ein… wie soll ich es nennen, ein unbezwingliches Verlangen danach, einige Worte mit ihm zu wechseln. Ich sprach ihn an und fragte ihn, ob er verstanden hätte. Er nickte. Ich fragte ihn, ob er mir glaube, und wieder nicken. Das kam für mich überraschend, dass ich deutlicher fragte: Glaubst Du, dass Jesus Christus wirklich und wahrhaftig Gott ist?‘

Abermals bejahte er schnell. Ich war so verblüfft, ich konnte nicht anders, als ihn zu fragen, warum er mir alles glaube, da ich doch das erste Mal zu ihnen gesprochen habe. Seine Antwort war: ,Ich kenne sehr viele Menschen, aber ich habe noch nie einen gesehen, der für die zu sterben wünscht, die ihn töten wollen. Er muss Gott sein. ‘Das war die Antwort eines Zauberers der Wilden, die das erste Mal eine Predigt hörten.“

Kopecky, der Französisch nicht verstand, nervte uns mit seiner ständig wiederholten Frage: „wassagter?“. Deshalb übersetzten wir abwechselnd die für ihn unverständlichen Geschichten. Im Laufe der Erzählung war er still und blass geworden. Plötzlich bezweifelte er die Sinnhaftigkeit der geplanten Aufnahmen des Yenendi und schlug vor, umgehend nach Niamey zurückzufahren. Dieser Vorschlag wurde mehrheitlich abgelehnt. Wir blieben tief beeindruckt noch einige Zeit sitzen, weil sich ein interessantes Gespräch entwickelte. Père Ducros bekam bewunderndes Lob zu hören, doch meinte er dazu, dass der Erfolg seiner Bemühungen voraussichtlich nicht von Dauer war. Man müsste immer bei den Menschen bleiben. Man sollte nicht gezwungen sein, sie nach einigen Monaten zu verlassen. Wie Kinder vergessen sie so leicht. Es gibt zu wenig Missionare, derzeit sind nur acht an der Zahl im gesamten Gebiet von Niger. Der Staat ist etwa dreieinhalb Mal so groß wie Frankreich, bewohnt von zweieinhalb Millionen Afrikanern, die aus verschiedenen ethnischen Gruppen stammen.

Wir verabschiedeten uns von ihm mit dem Versprechen, in Niamey wieder zusammenzutreffen. Das waren die Verhältnisse im Jahre 1956 in diesem teil von Afrika. Wir nützten die Gelegenheit diesen erfahrenen Priester mit dem langen schwarzen Bart nach Fetischkulten und autochthonen Religionsfesten zu befragen. Dieser Abend brachte unsere Arbeit ein erfreuliches Stück weiter. Leider musste er bald beendet werden, da es inzwischen recht spät geworden war und Blitze und Donnergrollen aus der Ferne den nächsten Regen ankündigten. Père Ducros sollte möglichst vor Eintreffen des Gewitters die Missionsstation erreichen, und wir waren von den vielen Informationen und dem ungewohnten Alkoholgenuss ohnehin recht erschöpft. Darüber hinaus standen Mackie und mir die Aufgabe bevor, Hans Kopecky von der Ungefährlichkeit unseres bevorstehenden Unternehmens zu überzeugen. Ich packte mein Magnetophon zusammen, drückte Hans die Tonbänder in die Hände, nicht ohne ihn auf die Verantwortung hinzuweisen, die dem Transport dieser heiklen Fracht in die Garage zukäme. Eine Bemerkung, die mir sicher demnächst wieder Ärger mit ihm einbringen würde, ihn aber für den Moment von seinen Sorgen und Ängsten ablenkte.

Der nächste Tag war ausgefüllt mit Vorbereitungen für die geplanten Aufnahmen in Begouriou Tondo Kangé. In der gesamten Stadt fanden heute Festlichkeiten zum Ende des Ramadan statt, die in den frühen Morgenstunden mit Trommeln und Geschrei begonnen hatten. Aus der näheren und weiteren Umgebung waren sie gekommen, die Moslems und die Ungläubigen der verschiedenen Stämme, wie Djerma, Touareg, Bella und Songhai. Sie alle feierten das Ende des Ramadans ausgiebig und geräuschvoll. Abordnungen zogen zum Sitz des Kommandanten, um ihn zu begrüßen und schlichte Geschenke zu überreichen. Handarbeiten, Schmuckgegenstände und kleinere Haustiere. Monsieur Aillot schüttelte unzählige Hände und verschenkte an die zahlreichen Besucher als Gegenleistung Stoffe, dunkelblau für die Touareg, bunte für die anderen. Genauso Salz, Messer, Taschenlampen mit Batterien, Angelhaken und Zierknöpfe wurden gerne von den Eingeborenen entgegengenommen.

Festtrommeln zum Abschluss des Ramadan

Mackie und Kopecky begaben sich am Vormittag ins Zentrum von Téra, um die Verpflegung für die nächste Woche zu besorgen. Wobei sie äußerst umsichtig mit unserem Vorrat an Geld vorzugehen hatten, da wir nicht wussten, ob und um welchen Preis der Humber in Niamey verkauft wurde. Mackie wäre nicht er gewesen, hätte er nicht an einen fünf Liter Rotwein fassenden „Ballon“ gedacht.

Währenddessen kümmerte ich mich um die Bärenbatterien, sie waren ein grundlegender Baustein für meine Technik. Ich prüfte deren Säurestand, füllte destilliertes Wasser nach und „pufferte“ sie vorsichtshalber mit dem mitgebrachten Ladegerät. Das Funktionieren von Einankerumformer in Kombination mit dem Tonbandgerät bedurfte einer Überprüfung. Den Vergaser vom IFA legte ich trocken und startete den Motor. Das musste leider bei geschlossenem Tor geschehen, denn die vorbeiziehenden, das Ende des Ramadan feiernden Massen, hätten aus Neugierde sicher die Garage überflutet. Durch den laufenden Zweitaktmotor des IFA füllte sich der kaum lüftbare Raum mit milchigem Nebel, bläulich und beißend. Sehr zum Leidwesen meiner Kollegen, denn nachdem sie heimgekommen waren, fluchten sie laut über den Gestank in der Garage. Das war mir durchaus egal, Hauptsache der Wagen lief. Mackie versuchte den zweiten, rechten Scheibenwischer am F9 zu reparieren, der genau vor seinem „Kommandoplatz“, dem Beifahrersitz, die Klarsicht herstellen sollte. Mackie hatte auf dieser Reise schon mehrmals sein Unverständnis für Technik aller Art bewiesen. Nachdem wir den Inhalt des Weinballons bis zu dessen Hälfte verringert hatten, folgte eine von außen durch überbordenden Festlärm gestörte, unruhige Nacht.

Banjou, unser Dolmetscher, weckte uns durch heftiges Klopfen am Tor. Der Wettergott meinte es Banjou, der Dolmetscher, weckte uns durch heftiges Klopfen am Tor. Der Wettergott meinte es gut mit uns, denn obwohl der Himmel mit schwarzen Wolken tief verhangen war, regnete es nicht. Banjou saß neben Kopecky auf der Rückbank. Unterwegs fragte er uns, warum wir das alles hier täten, ob wir keinen Beruf hätten? Mackie erklärte ihm, dass wir für die Wissenschaft als Feldforscher nach Afrika gefahren sind. Wir sollten möglichst umfänglich über die Sitten und Gebräuche der Menschen hier erfahren, sowie diese für Universität, Museum und Akademie der Wissenschaften dokumentieren, und um für uns selbst daraus zu lernen. Das waren die Zauberworte, die uns einen Einblick in sein Leben erlaubten. Dieses war bezeichnend für einen Großteil der Bevölkerung im Staate Niger, regionale Besonderheiten ausgenommen. Er wuchs im Glauben an Allah auf, besuchte die Koranschule, aber ebenfalls die offizielle nationale Schule und verbrachte kurze Zeit in einer katholischen Mission. Er diente etliche Jahre beim Militär und arbeitete manchmal als Dolmetscher. Anscheinend hatten wir sein Vertrauen, denn er erzählte uns, dass seine Mutter eine „Hole Tam“ gewesen war. Sie war so eine Geistersklavin, ein Medium der Medizinmänner, wie wir es bald mit Ton und Foto zu dokumentieren hofften. Gewissermaßen unter vorgehaltener Hand vertraute er uns an, die meisten seiner Freunde und Bekannten würden den Religionen ihrer Väter folgen, egal ob sie jetzt Moslem oder Christen wären. Seine Erklärung dafür war einleuchtend: Die alten Geister könnten doch nicht so einfach verschwinden.

Einmal musste die Fahrt unterbrochen werden, weil sich mitten auf der Piste ein Liebespaar räkelte. In Westafrika befinden sich die Löwen nicht nur im Aussterben, sondern sind außerdem lange nicht so stark und prächtig wie ihre ostafrikanischen Kollegen. Mackie machte Anstalten die beiden Großkatzen zu erschießen, was mit Unterstützung von Banjou verhindert werden konnte. Ich erinnerte den Expeditionsleiter an unsere bevorstehende Arbeit, aber Banjous Bemerkung, die zu erlegen würde ein schlechtes Omen bedeuten, gab den Ausschlag. Mackie war im Grunde seines Herzens recht abergläubisch. Kopecky saß mit weit aufgerissenen Augen zusammengekauert auf dem Rücksitz und meinte, dass man aus dem Auto heraus nicht fotografieren könne. Der Aufforderung Mackies, die Tiere durch Hupen zu verscheuchen, konnte ich nicht Folge leisten, weil die Halterung der Hupe schon nach den ersten Kilometern im Norden der Sahara den Erschütterungen durch die Wellblechpiste nicht standgehalten hatte. Wir warteten im Auto sitzend und diskutierend so lange, bis sich das Pärchen erhob und unendlich langsam von der Piste fortbewegte.

Wir schafften die vierzig Kilometer in einer Rekordzeit von drei Stunden, dann sahen wir Begouriou Tondo Kangé vor uns in einem Tal liegen. Es war ein Dorf wie jedes andere in der Gegend. Dicht drängten sich die Hütten auf der sorgfältig gerodeten Buschlichtung. Wir fuhren so weit, bis die Piste in einen schmalen Dorfweg mündete. Eine Meute Hunde umringte uns kläffend, einige Hühner waren zu sehen und ein paar nackte Dorfkinder liefen auf uns zu. Darunter fanden sich erstaunlich junge Mädchen, die mit einer Art Schurz bekleidet waren und auf ihren Hüften kleine Kinder balancierten. Ihre jüngeren Geschwister. Erwachsene Dorfbewohner zeigten sich keine.

Es lag eine merkwürdige Stimmung über dem Hauptplatz der Siedlung. Trotz des Kläffens der Hunde und dem Krähen eines Hahnes hörten wir Stimmen vom anderen Ende des Dorfes. In diese Richtung bewegten wir uns. An die letzten Hütten anschließend, öffnete sich eine mit einem dürftigen Zaun zum Busch abgegrenzte ebene Fläche, auf der sich die gesamten Einwohner von Begouriou tummelten. Die Vorbereitungen zu dem Kultfest waren voll im Gange. Yabilan, der Zauberer, war in ein Gespräch mit dem Chef du village vertieft, der bei unserem Anblick sofort unterbrach und in der Menge verschwand. Yabilan begrüßte uns freundlich und wir durften uns frei bewegen und die Gegebenheiten begutachten. Große, halbe Kalebassen waren mit der Öffnung nach unten in die Erde eingelassen, Matten und Teppiche lagen für die „Hole N‘kainas“, die Geistermusiker und dem Zauberer bereit. Die eigentliche Opferstätte bestand aus zwei mannshoch an Stangen befestigten Tongefäßen in Halbkugelform. In sie floss später das Blut der Opfertiere. Es gab hier keine Götzen- oder Ahnenfiguren wie in anderen Gebieten Afrikas wo Opferrituale gefeiert wurden, über die das Blut geschüttet wurde. Die Gefäße waren die „Hampis“, deren eigentliche Bedeutung sich uns zu diesem Zeitpunkt nicht erschloss..

Hampi. Ritualgefäße für Opferblut. Niger

Mackie war wegen des Problems mit dem Häuptling besorgt. Obwohl Yabilan ihn beruhigte, Mackie war wegen des Problems mit dem Häuptling besorgt. Obwohl Yabilan ihn beruhigte, suchte er in der Menge nach dem Chef du village. Er fand ihn und bat ihn auf die Seite. Der Mann sprach gut Französisch, dadurch konnten sie unter vier Augen ohne Dolmetscher verhandeln. Nach langen Erklärungen unseres Expeditionsleiters, die alle auf deutliche Ablehnung stießen, gab Mackie seinem Herzen einen Stoß und holte aus der Hemdtasche ein paar Scheine CFA heraus. Die übergab er dem Chef mit der Bemerkung, das Geld sei zur Abdeckung der Kosten bestimmt, die wir dem Dorf durch unsere Anwesenheit verursachten. Diesem Angebot konnte der Häuptling nicht widerstehen, er steckte die Geldscheine flink ein und verschwand wieder in der Menge. Wir durften nun ziemlich sicher sein, dass er uns zwar hasste, aber nicht sabotieren würde. Sogar eine Hütte bekamen wir zugewiesen, deren Dach, wie wir später bemerken mussten, nicht lückenlos dicht war. Wir lagerten dort unsere Luftmatratzen, Kochgeschirre und die spärlichen persönlichen Gegenstände. Das Auto mit meinen Arbeitsgeräten und den Waffen fuhren wir um das Dorf herum und stellten es so weit vom Ort des Geschehens ab, wie die Länge des Mikrofonkabels mit einer Verlängerung reichte. Der IFA stand knapp außerhalb der Schatten spendenden Äste eines Baumes, die in der glühenden Mittagshitze die Sonne vom Auto abgehalten hätten. Langsam füllte sich der Platz mit Dorfbewohnern und bunt gekleideten, von weither angereisten Gästen.