Es vergehen Stunden mit Warten auf Akamouks Rückkehr. Nachdem mich das Stillsitzen im Auto langsam nervt, steige ich aus, um meine Beine zu bewegen. Ich möchte ein bisschen in die Wüste spazieren und probieren, ob man bei gleichmäßigem Gehen tatsächlich Einfälle hat und Gedanken besser koordinieren kann. Die herumlungernden Soldaten nehmen von meinem Fortgehen keine Notiz, da der Rover als Pfand bei ihnen bleibt. Nach dem Verlassen der Straße marschiere ich zügig gegen Osten. In scheinbar erreichbarer Nähe ragen einige rote Felsen auf einer Hügelkette hoch in den Himmel. Da ich nicht vorhabe mich sehr weit von der Straße fortzubewegen, nehme ich mir diese Erhebungen zum Ziel. Die Fortbewegung auf dem buckligen, mit Steinen durchsetzten Untergrund ist zwar etwas mühsam, trotzdem komme ich leidlich schnell voran. Meine Versuche, die Gedanken auf einen allein zu konzentrieren, werden aber immer wieder durch verschiedene Eindrücke vereitelt. Da sind Unebenheiten, die einige Aufmerksamkeit fordern, um nicht darüber zu stolpern, dort läuft eine aufgescheuchte Echse davon, bleibt stehen, sieht sich nach mir um und verschwindet hinter einem Haufen aus Steinen. In einem leichten Bogen nähere ich mich von der Seite so leise wie möglich dem Steinhaufen an, von dem Tier ist jedoch keine Spur mehr zu sehen. Anstatt des Reptils hat sich dort eine Art buntes Kopftuch verfangen. Ich gehe weiter und bewundere einen bewegten See, der zwischen mir und den Hügeln liegt. Aber im gleichen Tempo, in dem ich auf ihn zugehe, zieht er sich zurück. Aus diesem See ragen einige verdorrte Akazien heraus, näherkommend erkenne ich, dass sie im trockenen Wüstenboden stehen. In dem Augenblick wird mir bewusst, dass sich meine Gedanken im Laufe des Fußmarsches wahrhaftig auf irgendeine Art entwirren. dass sich meine Gedanken während des Fußmarsches wahrhaftig auf irgendeine Art entwirren.
Es ist erstaunlich, wie nahe restriktive Gewalt und absolute Freiheit beieinanderliegen. Nur ein paar hundert Meter von hier entfernt steht auf der Straße mein Fahrzeug, durch staatliche Willkür blockiert. Ich darf es, obwohl in meinem Besitz stehend, weder vor, noch zurück bewegen. So werde ich dazu gezwungen, dorthin zurückzukehren. Hier dagegen befinde ich mich in nicht antastbarem Freisein. Keine Gewalt kann an diesem Ort die Befolgung von durch Menschen erdachte Gesetze oder Vorschriften von mir erzwingen, weil sie in der Wüste nicht existieren. Meine persönlichen physischen und psychischen Eigenverantwortlichkeiten werden nicht eingeschränkt. Nur den Zwängen natürlicher Körperfunktionen und -bedürfnisse, die dem freien Willen entzogenen sind, muss ich mich beugen. Und eben meiner eigenen ethischen Verantwortung, die aber nicht durch die Macht anderer erzwungen wurde. Definitionen von Freiheit gibt es sicher so viele, wie Individuen. Ein nomadisierender Targi, der seine gesamte Lebenszeit in größtmöglicher Unabhängigkeit verbringt, wird anders darüber denken, als ein Großstädter in beengender Zivilisation. Sehnsucht nach Freiheit empfinden und sich für diese einsetzen, ist vermutlich vor allem denjenigen möglich, denen Eigenbestimmung großteils entzogen wurde. Meine grundlegende Abneigung gegen Zwang, Ungerechtigkeit und repressive Machtausübung ist sicher ererbt. Bei den internationalen Machteliten in der Politik und im Kapital beginnt dieser Widerwillen, und reicht bis zur Zwangsbeglückung durch die mit angewandter Psychologie professionell durchdachten Werbemethoden. Klingt wie Anarchie. Ist es aber nicht, eher nach Immanuel Kants: „Gesetz und Freiheit ohne Gewalt“.
Anscheinend kann gleichmäßiges Gehen tatsächlich Erkenntnisse bringen, bemerke ich an diesem Ort verwundert. Hier in der Sahara fühle ich mich zufrieden und glücklich, sowie dankbar dafür, das erleben zu dürfen. Unbeirrt durch die Luftspiegelung, die mir einen See vorgaukelt, marschiere ich weiter und stelle fest, dass die von mir angestrebte Hügelkette trotz längerem Fußmarsch nicht nähergekommen ist. Ich gehe auf einen grünlich fluoreszierenden Gegenstand zu, der meine Aufmerksamkeit verlangt. Es ist einer dieser billigen Plastikschuhe aus chinesischer Produktion, wie man sie millionenfach auf den Märkten im Sudan anbietet. Irgendetwas stimmt damit nicht. Objekte, die über mehrere Tage in der Wüste liegen, werden mit der Zeit von Flugsand bedeckt, zumindest aber sammeln sich auf ihrer dem Wind abgekehrten Seite Häufchen von Sand an. Nichts davon traf hier zu. Wie kam der Schuh hierher, denn es führen auch keine Fußspuren zu diesem Ort. Das Rätsel ist nicht zu lösen, somit beschließe ich umzukehren, um entlang meiner eigenen Fährte zum Auto zurückzukommen. Ich scheine mich weiter vom Rover entfernt zu haben als geschätzt, denn nur schemenhaft nehme ich am Horizont die undeutlichen Umrisse der Militärfahrzeuge auf der Straße wahr. Ich gehe nochmals an dem verlorenen Tuch vorbei, auch da gibt es keine Spuren von Sand. Die Gegenstände können demnach nicht lange da liegen.
Erschöpft, müde und durstig erreiche ich den Rover. Kräftige Schlucke vom kühlen Wasser aus der Gerba wirken auf meinen Körper erfrischend. Das Timing stimmt, denn bald darauf trifft der Toyota mit Akamouk und unseren Dokumenten ein. Er scheint mürrisch zu sein, doch kann ich seine Stimmung nicht genau erkennen, da er den Tegelmust so weit hochgezogen hat, dass nur die Augen zu sehen sind. Wir bringen die bestätigten Papiere zu dem Offizier. Er wirft einen kurzen Blick darauf und wünscht uns eine gute Fahrt. Wir fahren los, und Akamouk erzählt mir unterwegs die Gründe für seine Verstimmung. In den Büros von Tamanrasset arbeiten nahezu durchwegs Leute aus dem Norden. Er musste endlos lange warten, wurde von einem Büro ins andere geschickt, voll Misstrauen ausgefragt und fühlte sich wie ein Fremder behandelt. Und das einem freien Targi! Er erzählte, dass es in den Städten im Norden bürgerkriegsähnliche Zustände gibt, weil der seit zwanzig Jahren regierende greise Präsident Bouteflika weiter regieren will. Dass wir im Süden Algeriens recht wenig darüber erfahren, ist bezeichnend. Nur vier Prozent der Gesamtbevölkerung Algeriens leben in und südlich der Sahara. Dem Großteil der Menschen hier ist das, was im Norden ihres Landes geschieht, herzlich egal.
Bis In Guezzam ist die Straße asphaltiert und in recht gutem Zustand, wir sind dementsprechend schnell unterwegs. Erstaunlich ist die starke Präsenz von Soldaten in dieser Gegend. Jetzt weiß ich endlich, welches Ziel die lange Kolonne von Militär-LKWs hatte, die vor einiger Zeit in der Nacht an unserer Auberge vorbeigedonnert ist. Es sind Spezialtruppen, viele mit Metalldetektoren ausgBis In Guezzam ist die Straße asphaltiert und in recht befahrbaren Zustand, wir sind dementsprechend schnell unterwegs. Erstaunlich ist die große Präsenz von Soldaten in dieser Gegend. Jetzt weiß ich endlich, welches Ziel, die lange Kolonne von Militär-LKWs hatte, die vor einiger Zeit in der Nacht an der Auberge de Soleil vorbeigedonnert ist. Es sind Spezialtruppen, viele mit Metalldetektoren ausgerüstet, um im Sand vergrabene Schmuggelware zu orten. Das scheint notwendig zu sein, denn die Soldaten, bei denen ich vorhin warten musste, erzählten mir, sie haben Lager mit automatischen Gewehren, und sogar mit schweren Waffen, wie Granatwerfer gefunden. Alles sicher Vorräte der Al Quaida. Das Militär hat hier zusätzlich andere Aufgaben zu verrichten. Die maßgeblicheren Grenzen zu den angrenzenden Ländern wie Mali und Marokko sind gesperrt, diese hier nach Niger ebenfalls. Hinaus werden wir mit der von Akamouk in Tamanrasset erhaltenen Bewilligung ohne größere Schwierigkeiten kommen, wie das bei unserer Rückfahrt sein wird, steht in den Sternen geschrieben. Inschallah!erüstet, um im Sand vergrabene Schmuggelware zu orten. Das scheint notwendig zu sein, denn die Soldaten, bei denen ich vorhin warten musste, erzählten mir, sie haben Lager mit automatischen Gewehren, und sogar mit schweren Waffen, wie Granatwerfer gefunden. Alles sicher Vorräte der Al Quaida. Das Militär hat hier noch ganz andere Aufgaben zu verrichten. Die größeren Grenzen zu den angrenzenden Ländern wie Mali und Marokko sind gesperrt, diese hier ebenfalls. Hinaus werden wir mit der von Akamouk in Tamanrasset erhaltenen Bewilligung ohne größere Schwierigkeiten kommen, wie das bei unserer Rückfahrt sein wird, steht in den Sternen geschrieben. Inschallah!
An einer langen stehenden Kolonne von Lastentransportern vorbei, erreichen wir das Zollamt. Es klappt alles angenehm schnell, die Ausfuhr des Wagens wird mit einem Stempel bestätigt und wir dürfen südwärts fahren. Eine kurze Strecke ist die Straße asphaltiert und endet bei einer Art befestigten Fort. Die weitere Route führt über eine Piste, teilweise markiert, streckenweise wild durch die Gegend. Es sind fünfundzwanzig Kilometer zu überwinden, die mich an frühere Zeiten erinnern. Immer wieder begegnen uns kleine Trupps und ganze Familien Schwarzafrikaner, die in Richtung Algerien ziehen. Wir erreichen gegen Abend Assamaka, den Grenzposten von Niger. Das Zollamt unterscheidet sich von den umliegenden Bauten nur durch einen Fahnenmast mit aufgezogener Landesfahne. Militär gibt es hier ebenfalls, allerdings in wesentlich geringerem Ausmaß als jenseits der algerischen Grenze. Der Diensthabende ist ein Targi und er begrüßt uns auf Art der Tuareg mit „labess“. Über ihn erfahren wir von zahlreichen toten Flüchtlingen, die in Massengräbern ringsum verscharrt sind. Algerien hat bei massiven Ausweisungen seit Oktober 2017 an die 13.000 Immigranten zurückgeschickt, weil die Europäische Union Druck auf die nordafrikanischen Länder ausübt, damit der Strom der Migranten über das Mittelmeer unterbunden wird. Den in Niger arbeitenden Organisationen der UN fehlen die Kapazitäten, um sich in dem Ausmaß zu kümmern, die bei dieser Anzahl Menschen notwendig wären. Lediglich an die 11.000 Flüchtlingen aus Mali, Gambia, Guinea, Elfenbeinküste, Niger und anderen Ländern ist der Marsch durch weit über 200 Kilometer unbarmherzige Wüste bis zur nächsten Stadt, Arli, gelungen.
Der „Chef de poste“ ist auch ein Targi und außerordentlich freundlich zu uns. Weil es in weiterer Umgebung kein Hotel gibt, dürfen wir in den Räumen des Amtshauses übernachten. Das ist eindeutig meiner Begleitung und der allgemeinen Gastfreundschaft der Touareg zu verdanken. Im Hof des Zollgebäudes bereitet Akamouk eine große Portion Tee für uns und den gefälligen Zöllner. Bald gesellt sich einer seiner Untergebenen, ebenfalls ein Targi, zu uns. Die Beamten haben neben ihrem Dienst keine Zeit, nach alter Tradition Tee zu kochen, und sind über diese Einladung unverkennbar erfreut. Ich bin etwas gelangweilt, denn die Herren unterhalten sich in ihrer Sprache Tamasheq. Das Gespräch scheint manchmal meine Person zum Thema zu haben. Das bemerke ich an den interessierten Blicken, die mich gelegentlich treffen. Wir sitzen bis spät in die Nacht, bevor wir uns zur Ruhe begeben.
Am Morgen des folgenden Tages erhalten wir anstandslos die notwendigen amtlichen Bestätigungen für mein Auto. Nach dem Betanken des Rover und Nachfüllen der Wasserbehälter sowie einem länger sich hinziehenden Abschied der Touaregstämmigen, brechen wir wieder in Richtung Algerien auf. Jetzt erst fallen mir verlassene Lagerstellen in Pistennähe auf, erkenntlich an zurückgelassenen leeren Konservendosen und Resten anderer Verpackungen von Lebensmitteln. Damit erklären sich die Fundsachen bei meinem Spaziergang am Tag zuvor. Die dort gefundenen Gegenstände dürften von einem solchen Lager vom Westwind oder Tieren dorthin verschleppt worden sein.
Der erste Teil der Rückreise auf und neben der Piste ist zwar mühsam, aber ohne Probleme zu bewältigen. Auf Asphalt geht es dann nach In Guezzam, wo ich größere Schwierigkeiten bei der Einfuhr des Rovers erwarte. Ein jugendlicher, offensichtlich aus dem Norden stammender Zollbeamter prüft die Papiere sorgfältig, blättert lange in einem Buch. Mit wichtiger Miene erhebt er sich von seinem Schreibtisch und kommt mit aufgeschlagenem Gesetzbuch auf mich zu. Es ist in der Amtssprache französisch gehalten. Er zeigt mir darin die Stelle seines Missfallens, wo geschrieben steht, dass mindestens weitere drei Tage vergehen müssen, bevor er das Fahrzeug wieder ins Land lassen darf. Meine Versuche, ihm glaubhaft zu erklären, warum ich gezwungen bin, ganz dringend in den Norden zu fahren und dass ich keine Migranten mitführe, sind vergebens. Er bleibt hart und lässt mich reden, bis er fragt, ob ich in Österreich geboren wurde. Die Überprüfung meines Reisepasses fällt zu seiner Zufriedenheit aus. Zwei Stempel und zwei Unterschriften, jeweils von ihm und seinem Vorgesetzten, und wir dürfen fahren. Was mein Geburtsland mit diesem Entgegenkommen zu tun hat, wird für mich dauerhaft ein Rätsel bleiben, oder ist es wegen der Neutralität Österreichs? Ich beschließe, darüber nicht weiter nachzudenken, denn zu solch afrikanischer Logik scheine ich keinen Zugang zu haben.
Da wir die zwar schönere, aber umständlichere Route durch die Ifoghas-Berge zur Heimfahrt nicht nehmen, bleibt uns nur der Weg über Tamanrasset. Was mir nicht ungelegen kommt, denn es würde mich interessieren, ob es selbst in dieser südlichen Hochschulstadt Unruhen gibt, da in den Städten im Norden Studenten die Organisatoren sind. Wir schaffen die 500 Kilometer bis „Tam“ in einer Rekordzeit von viereinhalb Stunden. Bei dem Militärkontrollpunkt winkt man uns höflich durch, da wir dort bestens bekannt sind. Die Abenddämmerung ist bei unserer Ankunft angebrochen. Ich überlege, ob wir die Nacht in der Stadt verbringen, oder vor deren Toren kampieren sollen. Bei Finsternis einen geeigneten Platz dafür zu finden, bedeutet Glückssache, außerdem ist Tamanrasset einer der kühlsten Orte der Sahara. Erreichen andere Städte wie In Salah Höchsttemperaturen bis 55° C, gibt es in Tam nicht einmal 30° C. Dementsprechend das Verhältnis in den Nachtstunden, wobei 0° in Tam keine Seltenheit sind. Deshalb leiste ich mir ein Zimmer in derselben Unterkunft, die ich von der Fahrt mit François zum Elektroniker kenne. Selbstverständlich lade ich Akamouk auf diese Übernachtung im Hotel ein. Wir schlendern durch die stille Stadt, lediglich auf einem größeren Platz hat sich verloren und friedlich eine kleine Gruppe Studenten versammelt, die zwei algerische Fahnen hochhalten. Wir erfahren von ihnen, dass die Regierung die anstehenden Semesterferien um elf Tage vorverlegt hat. Da in den Ferien die Studentenheime durchwegs geschlossen bleiben, zerstreuen sich deren Bewohner in ihre Heimatorte. Eine Anordnung zur Schwächung der Demonstranten.
In der Morgendämmerung machen wir uns auf den Weg in Richtung Osten, zur Auberge. Dort kommen wir spät am Nachmittag an. Michelle und François begrüßen uns herzlich und familiär. Akamouk verzieht sich in den Hof zu Iyad, seinem Verwandten, ich steige in mein Türmchen hinauf, um mich zu duschen und der Kleidung zu entledigen, die ich in den Tagen dieser Fahrt getragen hatte. Beim Abendessen hören mir die Wirtsleute meinem Bericht aufmerksam zu, François ergänzt die Erzählungen mit der neuesten Nachricht, dass Bouteflika dem Druck der Demonstranten nachgegeben hat und nicht mehr für eine weitere Amtsperiode kandidiert. Das könnte eine ruhig verlaufende Wahl bedeuten. Nach dem Essen begebe ich mich in das Turmzimmer, öffne den Computer und will meine persönlichen Erinnerungen an die Westafrikaexpedition vor sieben Jahrzehnten weiterschreiben. Doch nach einigen Zeilen schlafe ich vor dem Bildschirm kurz ein. Ich beschließe, morgen ausgeruht mit der Arbeit fortzufahren:
Wir, die fünf Mann der Expedition, hatten irgendwo an der Piste nach Bidon 5 übernachtet. Frierend, aber ausgezeichneter Stimmung brachen wir unser Lager unterm Sternenzelt ab, um die folgenden zweitausend Kilometer Sahara zu meistern. Die Wüste war eben wie ein Tisch, nirgends mehr Sanddünen zu sehen. Obwohl versandet, war der Boden hart und mühelos befahrbar. Damit den Autos das Wellblech der Piste ersparend, fuhren wir auf den Spuren der Fahrzeuge, die hunderte Meter neben der Hauptstrecke nach Süden führten. Dabei stets die Markierungen der Piste durch Steinhaufen, alte Telegraphenmasten oder leere Benzinfässer im Blick.
Der IFA lief wie ein Wiesel, bis mit zunehmender Sonnenwärme sein Kühler wieder kochte. Ab da waren wir gezwungen öfters stehenzubleiben, um Wasser nachzufüllen. Das Sonnenlicht wurde immer trüber und es waren keine Schatten mehr zu sehen. Im unheimlichen Schleier eines aufkommenden Sandsturms erreichten wir den nächsten französischen Militärposten, den Poste Weygand, amtlich Balise 250 genannt. Dieser und der dreihundert Kilometer weiter südlich gelegene Posten gewährleisteten den Durchfahrenden die Versorgung mit Treibstoff und Wasser. Dort standen ein paar Baracken, wovon wir eine beziehen durften und den IFA durch das groß dimensionierte Tor hineinfuhren. Der Kühler wurde ausgebaut und wir erkannten seinen Zustand als irreparabel. Der Sturm rüttelte am Dach und an den Ecken der aus Wellblech bestehenden Unterkunft und vollführte einen Höllenlärm. Wir fürchteten, mitsamt der Baracke weggeblasen zu werden. Plötzlich wurde die kleine Türe neben dem Haupttor aufgerissen und schlug mit unerhörter Gewalt an die Wand. Zwei sich gegen den Sturm stemmende vermummte Gestalten kamen herein und schlossen, sich gegenseitig unterstützend, wieder den Eingang. Die Reisenden waren recht sympathische Dänen. Einer davon war ein Kinderarzt aus Indien, der einen anderen Kontinent kennenlernen wollte. Der Zweite war einfach nur Däne. Der Sturm ebbte ab, die gewohnte Stille umfing uns wieder. Wir verbrachten zu siebent eine recht angenehme Nacht in der Baracke. Diese Herren aus Dänemark schickte uns der Himmel, denn sie spendeten ein Dichtungsmittel für den Kühler. Das ermöglichte uns nach dessen Anwendung, einen Tag später weiterzufahren.
Bei Tagesanbruch verließen wir den Posten, die Dänen in ihrem alten Ford in Richtung Norden, wir mit frischem Mut nach Süden. Wir fuhren mit annehmbarem Tempo zügig durch die stets größer werdende Hitze, bis eine über den Weg laufende tiefe Querrinne der Achse des Père Ubu neuerlich das Genick brach. Und das geschah nur wenige Kilometer vor unserem angestrebten Etappenziel!
Übung macht den Meister. In der Rekordzeit von knapp zweieinhalb Stunden war die Reserveachse eingebaut. So erreichten wir todmüde vor Sonnenuntergang Bidon 5, den mutmaßlich bekanntesten Ort der Tanezrouftpiste. Ort wäre übertrieben, eher eine Örtlichkeit, denn der Posten bestand aus zwei Wellblechbaracken, einer gemauerten Unterkunft und dem Stahlgerüst eines Sendemastes. Bidon V heißt auf Deutsch „Fass 5“. Bereits im Jahre 1923 wurden nummerierte leere Benzinfässer zur Markierung entlang der Strecke deponiert. Der Ort war deswegen berühmt und auf jeder Landkarte eingezeichnet, weil er markierte die genaue Hälfte der Route zwischen Colomb Béchar im Norden und der Grenze zu Niger im Süden. Soweit das Auge reichte, sah man rundherum ausschließlich brettebene Wüste. Im Fall eines Falles war dies ein fixer Anlaufpunkt für Rettung Suchende auf der langen Durststrecke.
Zwei einsame französische Soldaten waren hier für alles verantwortlich. Allerdings waren die beiden nicht als Armeeangehörige zu erkennen. Sie hatten ihre Uniformen sorgsam im Spind aufbewahrt, um sie vor dem allgegenwärtigen Sand zu schützen. Sie waren Funker, die uns freundlichst in ihrer Radiostation aufnahmen. Max und Schani unterhielten sich mit den beiden länger bei ausreichend Wein und Kognak, denn Wasser war kostbar. Es wurde über viele Kilometer in Tankwagen von der nächsten Oase Tessalit hierher transportiert. Der erschöpfte Rest der Expedition legte sich im Freien unter phänomenal dichtem Sternenhimmel schlafen.
Wir haben beschlossen, hier einen Ruhetag einzulegen. Kopezky und ich reinigten jeweils unsere Arbeitsgeräte und befreiten sie von Sand. Walter „schmierte den Wagen ab“, der IFA besaß am Fahrgestell einige Nippel, durch die regelmäßig Fett gepresst werden musste, damit Lager etc. immer gut geschmiert waren. Schani reparierte am Humber den streikenden Starter. Nachdem der IFA fertig war, nahmen Walter und ich eine kurze Tonreportage über diese faszinierende Örtlichkeit und deren Bewohner auf. Wir hatten vor, sie auf unserer weiteren Route beim Besuch des nächstgelegenen Postamts nach Wien dem österreichischen Rundfunk schicken. Es gab einen herzlichen Abschied, die Soldaten schenkten jedem von uns ein Paket Zigaretten.
Mitten in der Wüste, mutterseelenallein, stand ein Grenzstein. Er zeigte den Reisenden die Entfernung zur nächsten Oase, den Wechsel von Nordafrika (Afrique du Nord AFN) zum Gebiet von Französisch Westafrika (Afrique occidentale Française AOF) an. Ab hier galt der Franc CFA (Colonies Française d’Afrique). Der war doppelt so viel wert wie der französische Franc, das geltende Zahlungsmittel in Algerien. Doch ab hier waren die Preise die Gleichen wie die weiter nördlich in FF. Das hieß, alles war jetzt zweimal so teuer wie bisher. Walter, unser Kassenwart, war der Verzweiflung nahe. Seine ohnehin permanent sorgenvollen Ernst ausstrahlenden Gesichtszüge zeigten ab da beim Bezahlen stets so abgrundtiefe Trauer, dass wir um Walters seelische Gesundheit bangten. Aber bis zum ersten Schock dieser Art dauerte es eine Weile, wir mussten vorerst noch auf der folgenden Strecke einige Aufgaben lösen. Wir hatten uns in Wien verpflichtet, ein Auto durch die Wüste zu bringen, das in keiner Form für ein derartiges Unternehmen gebaut und darüber hinaus erheblich überladen war. Ein rückwärtiger Stoßdämpfer des IFA wollte nicht mehr weiter und musste mit Kupferdraht provisorisch repariert und damit halbwegs funktionstüchtig gemacht werden. Aber auch unserem Wüstenschiff, dem Humber, mangelte es an der für so ein Unternehmen notwendigen Robustheit. Ich habe mich mehrmals gefragt, wie die Engländer mit solch anfälligen Fahrzeugen einen Krieg gewinnen konnten. Der rechte Vorderreifen des Père Ubu verlor sichtlich schnell Luft und musste gegen den letzten intakten Reservereifen getauscht werden.
s gab andere interessante und erfreulichere Unterbrechungen. Die riefen uns in Erinnerung, dass wir nicht ausschließlich dazu aufgebrochen waren, kaputte Autos wieder flottzumachen. In der viele hundert Kilometer weiten flachen Wüste und Einsamkeit ringsum, trafen wir unseren ersten wirklichen Nomaden und bewunderten ihn gebührend.
Dann kreuzte eine schöne junge Targia unsere Bahn. Wir hielten an und Mackie sprach mit ihr. Die Zelte ihres Touarg-Clans standen nicht weit von hier und sie lud uns zum Tee ein. Meine Freunde nahmen diese Einladung begeistert an und folgten ihr zu Fuß. Ich blieb als Wächter bei den Fahrzeugen. Mir war das recht, denn schon damals war mir die absolute Stille eine Wohltat im Gegensatz zu den lauten Fahrgeräuschen von vorher. Nach dem Genuss der üblichen drei Gläser Tee kamen die Freunde beglückt zurück und wir fuhren wieder gen Süden. Der schwächere Wagen, der IFA, knatterte mit seiner normalen Besatzung, Walter und Kopezky voran, wir im Humber folgten mit einigem Abstand. Allmählich verwandelte sich die trockene Wüste mit einer jährlichen Niederschlagsmenge von 100 mm in feuchtere Steppe. Die ersten Büsche, tropische Had-Sträucher, tauchten vereinzelt auf, dazwischen an manchen Stellen Cram-cram, das Gras der Sahelzone. Die Touareg nennen diese harten Grasbüschel Fesh-fesh. Das begünstigte die Fauna, die ersten Wildtiere flüchteten aufgeschreckt von links nach rechts über die Piste. Das ist nicht ungefährlich, denn ein Zusammenstoß mit einer Gazelle, oder einer der größeren Antilopen kann schlimme Folgen haben. Später lernte ich, dass das Wild immer in Richtung Sonne flüchtet.
Wir planten, vor der Dunkelheit bis zu unserem nächsten Etappenziel zu fahren, deshalb fuhr ich, zwar wegen der Tiere besonders aufmerksam, aber zügig weiter. Vor uns in der Ferne sahen wir ein Fahrzeug stehen und Menschen daneben. Im Näherkommen erkannten wir das Objekt, es war der vorausgefahrene IFA. Wieder einmal stehend. Was bei den Passagieren des Humber größte Befürchtungen auslöste. Doch brachte dieser Aufenthalt Erfreuliches. Hans Kopezky hatte einen prachtvollen Bock geschossen, eine Dorcagazelle. Als wir ankamen, hatte Walter das Tier bereits aufgebrochen und war am abhäuten. Das Fleisch wurde in das eigene Fell verpackt und wir erreichten bald Tessalit, wo wir außerhalb der Stadt, in Nähe der Werkstatt der Societé Mer-Niger unser Lager aufschlugen. Es gab brennbares Holz von den Büschen der Umgebung für ein entsprechendes Lagerfeuer. An dem grillten wir große Fleischstücke und verzehrten sie mit Appetit und Begeisterung. Gesättigt und zufrieden verbrachten wir die Nacht vor den Toren Tessalits.