12. KAPITEL – Sand, Sand und Sand

Sogar hier in der Auberge, mitten in der unendlichen Steinwüste, gelten offenbar die gleichen Gesetzmäßigkeiten wie in dem weit entfernten überbevölkerten Europa: Man sucht Wichtiges in den Unterlagen und findet Vergessenes. So geschehen heute. Unter anderen amtlichen Papieren versteckt liegt eine Verpflichtung, dass ich angehalten bin, meinen Landrover nach drei Monaten Aufenthalt im Land wieder auszuführen. Die sind in wenigen Tagen um. Mit Schaudern erinnere mich an die Grenzformalitäten bei der Einreise nach Algerien, die diese Auflage vorschreiben. Vergleiche mit den Schikanen bei Fahrten in die vormals kommunistischen europäischen Oststaaten vergangener Jahrzehnte werden lebendig. Damit ich nicht in Konflikt mit den Behörden gerate, bin ich gezwungen, irgendetwas in dieser Angelegenheit zu unternehmen. Da mein Aufenthalt in der Sahara sich deutlich verlängern wird, suche ich Rat bei Freund François. Der meint, die beste Lösung wäre, umgehend nach „In Guezzam“ zu fahren und von dort über die Grenze zur Zollstation „Assamaka“ im Staat Niger. In dem Ort kann ich übernachten und am folgenden Tag das Auto wieder in Algerien einführen. Das wäre die nächstliegende Möglichkeit für einen Ausweg aus diesem Dilemma. Nach dem Gespräch will ich mich zu meinem Fahrzeug begeben, treffe aber im Hof auf Akamouk, der im Schatten des Zeltdaches sitzend das Schloss seines Karabiners reinigt. Neben ihm liegt sein heißgeliebtes Schwert, die Takouba. Wir reichen uns kurz die Hände, wonach ich ihm das Problem erkläre und von meinem Vorhaben erzähle, über Tamanrasset nach Süden zu fahren. Dieser Umweg ist nicht notwendig, er wüsste eine Abkürzung zur algerischen Grenzstation. Er hat ohnehin da unten etwas zu erledigen, und wenn ich ihn mitnähme, könnte er mir den Weg zeigen.

Da trifft es sich ausgezeichnet, dass sein Cousin Iyad hier ist, der während seiner Abwesenheit auf die Kamele achten kann. Selbstverständlich nehme ich ihn mit, allein durch die Wüste zu fahren ist mir ohnehin nicht geheuer. Wir planen gleich morgen loszufahren. Ich beginne sofort mit den Vorbereitungen wie Wasservorrat und Treibstoff auffüllen, sowie von Michelle Proviant für die sicher einige Tage dauernde Ausfahrt zu erbitten. Ich rolle meinen Schlafsack zusammen und verknüpfe ihn fest. François leiht mir ein leichtes faltbares Feldbett, Akamouk hat eine Art Gebetsteppich und Wolldecken dabei, und alles, was man zum Teekochen in der Wüste braucht. Die zwei Touareg helfen mir, die Sandbleche an den Wagenseiten anzubringen und beim Füllen der Gerbas mit frischem Wasser. Jagdgewehr und Navi kommen auch mit, obwohl beides durch das Beisein von Akamouk nicht notwendig sein wird.

In der ersten Morgendämmerung verlassen wir das Anwesen auf der schmalen Zufahrt zur Hauptpiste. Nachdem wir auf diese links in Richtung Osten einbiegen, versuche ich den Wagen so schnell als möglich zu beschleunigen. Aufgewirbelte Steine schlagen mit ungeheurem Lärm gegen die Kotflügel, leicht schleudernd gewinnt der schwere Landrover an Tempo, bis er schließlich die Tiefen der Wellen überspringen kann und ruhig über die Piste fliegt. Nach einigen Kilometern biegen wir rechts in Richtung Süden ab. Wir fahren dieselbe Strecke wie vor kurzer Zeit François und ich zur Jagd. Bei dem grün bewachsenen Tal halte ich an. Wir sehen keine Dorcagazellen äsen, denn wir sind zu spät dran, nur einen Fenek glaube ich im spärlichen Gras zu entdecken. Über mehrere Stunden bewegen wir uns bergab, bergauf, durch verödete Täler und fruchtbare Oasen.

Am Nachmittag treffen wir vor einer der von Ortsansässigen bewirtschafteten Wasserstellen auf eine kleine Ansammlung verschleierter Tuareg. Wir steigen aus und werden überaus freundlich begrüßt. Bei mir ist die Begrüßung schnell vorbei, bei meinem einheimischen Begleiter fällt der Empfang nach vorgeschriebenem traditionellem Ritual wesentlich ausführlicher aus. Dessen Umfang nimmt eine gewisse Zeit in Anspruch. Wir folgen der Einladung, uns mitten auf die Piste in den Schatten der hohen Dattelpalmen zu setzen. Die Männer bilden einen Kreis, Akamouk und ich werden gegenüber einem älteren, mit einem Tagelmust verschleierten Targi platziert, der von den Anwesenden mit besonderem Respekt behandelt wird. Es stellt sich heraus, dass es der Amrar, der Sheikh der Ansiedlung mit seinem Gefolge ist. Wegen der Nähe zu den Häusern hat niemand Utensilien für die Zubereitung von Tee dabei. Um uns in traditioneller Gastfreundschaft zu begrüßen, schickt der Chef des Dorfes zwei Jungen auf die umliegenden Palmen, damit sie für uns Datteln pflücken. Einer der Herren aus dem Gefolge zaubert eine Plastikschüssel unter seinem Burnus hervor, die rasch mit den kleinen, aber unglaublich schmackhaften frischen Früchten gefüllt und herumgereicht wird. Wir sind hier an den Ausläufern des hinter uns liegenden Bergmassivs und erhalten die Information, dass der Weg bis zur Route National 1, der Trans-Sahara-Straße, in extrem schlechtem Zustand ist. Für diese Nebenverbindung fühlt sich anscheinend keine Behörde verantwortlich und es gibt massive Sandverwehungen. Wir schlagen die freundlich gemeinte Einladung, im Ort zu übernachten höflich aus und fahren weiter, bis hinunter zum Beginn der Hamada.

Es ist schon dunkel und wir bereiten uns für die Nacht vor. Akamouk lehnt das Angebot, den unvermeidlichen Tee auf meinem Gaskocher zuzubereiten ab, , er hat ausreichend Holz gesammelt. Einem Targi bei der Teezeremonie zuzusehen, ist ein besonderes Vergnügen. Eindrucksvoll ist immer wieder, mit welcher Treffsicherheit und Eleganz aus großer Höhe in einem Strahl der fertige Tee aus der Kanne in die kleinen Gläser gegossen wird, ohne dabei nur einen Tropfen zu verlieren. Gelbgrün opalisierend ist das auf diese Weise mit Sauerstoff versetzte Getränk jedes Mal gleichbleibend in Qualität und Wirkung. So auch an diesem Abend, an dem ich heilfroh bin, nicht allein zu sein. Gleich nach dem Tee legen wir uns schlafen, der Targi auf seinem Teppich, ich im Schlafsack auf dem Feldbett. Irgendwelche Nachttiere fiepen, kläffen oder surren um uns herum. Ober mir spannt sich der märchenhafte, mit vielen Sternen übersäte Nachthimmel. Ich überlege, ob Akamouk nicht neben seiner Geschäfte andere Gründe hat, meine Fahrt hier mitzumachen? Er weiß sicher über die Gefahren auf dieser Strecke Bescheid. Trotz des mit Daunen gefüllten Schlafsacks wird es eine recht kühle Nacht und ich freue mich an diesem Morgen, im Osten das aufsteigende Tageslicht zu beobachten. Es verspricht Wärme. Akamouk legt schon seine Decken in den Landrover, ich rolle meinen Schlafsack zusammen und falte das Feldbett auf sein Minimum.

Das Morgenlicht wird schnell heller, sodass wir gleich starten. Die ersten Kilometer auf dem Geröll der hinter uns liegenden Berge sind flott bewältigt. Wir queren Sandverwehungen ohne größere Schwierigkeiten. Doch dann ist unvermittelt Schluss. Da wir uns gegen Osten bewegen, steigt die Sonne genau in Fahrtrichtung über dem Horizont auf, und blendet trotz Sonnenbrille. Ich kann die vor uns liegende Strecke nur mehr schemenhaft wahrnehmen, wegen der harten Wellblechpiste am Gas bleibend fahre ich direkt in ein mit Treibsand gefülltes Loch. Typischer Fehler eines Anfängers, nur teilweise durch die Blendung der Sonne entschuldbar. Äußerst vorsichtig versuche ich, mit niedrigster Übersetzung und Allradantrieb aus der Falle zu entkommen. Vergebens, der Sand ist trotz der frühen Morgenstunde schon zu trocken. Um weiteres Eingraben der Räder zu vermeiden, stelle ich den Motor ab und wir steigen aus dem Auto. Der Wagen steckt bis zu den Achsen im feinen Wüstensand. Während ich die Schaufel aus dem Landrover klaube, geht Akamouk voraus, um zu sehen, wo die befahrbare Piste wieder anfängt, bzw. weitergeht. Inzwischen schaufle ich vor den Vorderrädern Sand weg, so dass man die Sandbleche unterschieben kann.

Akamouk kommt mit keiner erfreulichen Meldung zurück, die Wanderdüne ist überaus breit und sie von hier aus zu umfahren nicht möglich. Das bedeutet vor allen vier Rädern den Sand wegschaufeln, Bleche legen und so weit es geht zu fahren, auf der schon bewältigten Strecke zurückgehen, die Sandbleche holen, erneut ausgraben. Die Schieflage des Rovers begünstigt das Eingraben der Räder deutlich. Diese Aktionen sind so lange zu wiederholen, bis es wieder festeren Grund gibt. Wir heben die Sandbleche herunter und platzieren sie unter und vor den Vorderrädern. Ich richte sie präzis ein, Akamouk gräbt die Hinterräder frei. Mit Allradantrieb vorsichtig losfahren, dann Gas geben und so schnell wie möglich weiter, so lange, bis die Räder neuerlich im Sand versinken. Ein paar Meter sind geschafft. Akamouk läuft zurück, holt die zugeschütteten Bleche aus dem Sand. Wir graben beide, einer mit der Schaufel, der andere mit bloßen Händen. Mehrmals wiederholen sich diese Vorgänge. Die Sonne sticht gewaltig, das Schaufeln wird mühsamer, der Sand ist jetzt noch trockener und unbefahrbarer geworden. Ich zähle die Stationen nicht mit, doch nach geschätzten viermal graben packt den Rover der Ehrgeiz und er fährt und fährt, bis die Steinwüste wieder erkennbar ist. Ich spüre meinen Puls rasend schnell am Hals pochen, mein Hemd ist klatschnass und ich stapfe durch den weichen Sand in der langen, von mir gefahrenen Spur zurück zur letzten Grabstelle. Schon von Weitem sehe ich Akamouk, beide Bleche schleppend. Ich beeile mich, ihm entgegen zu kommen, und übernehme eines der schweren Sandbleche. Er windet seine Kopfbedeckung zu einem Knäuel und trägt das eine Blech auf dem Kopf, ich Europäer das andere unterm Arm.

Beim Auto angekommen fülle ich aus der Gerba zwei Becher mit Wasser bis zum Rand und wir trinken das herrlich kühle Nass. In einer Aufwallung von Dankbarkeit will ich den Targi umarmen, doch es bleibt bei einem herzlichen Händedruck. Mehr wage ich nicht, denn es ist schwer abzuschätzen, wie Akamouk europäische Dankesbezeigungen aufnehmen würde, die über Schulterklopfen hinausgehen. Wir beschließen, keine Pause einzulegen, sondern weiterzufahren.

Bis auf einige leicht zu umfahrende kleinere Verwehungen verläuft die Weiterfahrt ohne Probleme. Am späten Nachmittag sehen wir aus der Ferne die Route Transsaharienne in der Hitze flimmern, die vom Mittelmeer bis nach Lagos führt. Diese 4.500 Kilometer lange Straße wurde 1960 in Zusammenarbeit der Staaten Algerien, Mali, Niger, Tschad und Nigeria zur Belebung des Handels gebaut. Das ehrgeizige Unternehmen nimmt in Algier mit einer prächtigen vierspurigen Autobahn seinen Anfang, die sich später bis Ghardaia in eine normale Landstraße verwandelt. Von dort geht die zunehmend weniger gewartete, aber teilweise asphaltierte Straße zur algerischen Grenzstation In Guezzam, unserem ersten Ziel. Die Dunkelheit bricht schnell herein, wir sind hungrig und müde. Akamouk kocht Tee und ich bereite aus einem Teil des von Michelle vorbereiteten Proviants ein Abendessen. Erschöpft schlafen wir bis in die frühen Morgenstunden und erreichen nach kurzer Fahrt den Asphalt der großen Straße. Ein Wegweiser zeigt die Richtung an und verrät, dass weitere 150 Kilometer bis zur Grenzstation zu fahren sind. Es ist ein seit Wochen vermisstes Vergnügen, auf glattem Untergrund sicher dahin zu gleiten. Nach einer Stunde Fahrt zwingt uns eine Militärstreife an den Straßenrand. Das wird ein eher längerer Aufenthalt, denn die Militärs können unsere Papiere nicht an Ort und Stelle überprüfen. Sie schicken einen Boten mit den Dokumenten nach dem 200 Kilometer entfernten Tamanrasset. Akamouk lässt die Bescheinigungen nicht aus den Augen und fährt mit, ich bleibe beim Wagen. In den folgenden Stunden des Wartens passieren zwei riesige mit Menschen und Bündeln überladene Sahara-Lkws den Kontrollposten in Richtung Süden, ohne aufgehalten zu werden. Ich grabe in Erinnerungen und nütze die Zeit, um ausführliche Notizen für mein Buch zu machen, die ich nach unserer Rückkehr zu den Mouloudjies ins Reine übertragen werde:

Wellblechpiste

IIm Jahr 1956 führte von Mecheria eine die Stoßdämpfer mordende Wellblechpiste über viele Kilometer nach Colomb-Bechar, wo wir, die Österreichische Westafrikaexpedition 1955-56 um drei Uhr nachts vor der Post am Hauptplatz eintrafen. Wir übernachteten dort in den Autos, da wir zu dem von Walter angepeilten „maurischen Bad“, in dem das Quartier geplant war, keinen Zugang bekamen. Am nächsten Tag wurden die Briefe vom nahen Postamt geholt und die pflichtgemäße Anmeldung bei der Polizei erledigt. Lange Stunden verbrachten wir in der Amtsstube bei regelrechten Verhören durch höchst unfreundliche Beamte. Zumindest durften wir danach im „Waschraum“ der Offiziersmesse endlich wieder einmal Körperpflege betreiben und neue Stempel zierten unsere Reisepässe mit dem Datum 22. Februar 1956. Und ich kam in den Besitz einer Uhr. Mackie fand in einer Verhörpause den Karton mit den eher anspruchslosen Uhren, die uns die Wiener Vertretung von Timex zum Zwecke der Verteilung in Schwarzafrika mitgegeben hatte. Sie waren später in Form von Geschenken und „Türöffnern“ recht nützlich. Die geschätzten Zeitangaben nach Walters Uhr waren damit auf jeden Fall Geschichte.

EAm frühen Abend, nach den langwierigen Polizeiverhören, konnten wir endlich unsere Fahrt fortsetzen. Es war nicht weit bis Taghit, einer reizenden Oase, wo wir das erste Mal im Laufe dieser Expedition ein Lager mit Zelten aufschlugen, begleitet von allen Tücken, die ein erstmaliger Zeltaufbau durch Ungeübte mit sich bringt. Walter wollte sich solchen Mühsalen nicht aussetzen und bereitete aus Decken und seiner Luftmatratze einen Schlafplatz im Sand. Ja, das war Afrika! Wir vier, die vorher noch nie so weit im Süden waren, fühlten uns in unserem Expeditionsvorhaben bestätigt und erlebten anhaltende Glücksgefühle. Ausgenommen Walter, dem Abgeklärten. Ihm war keine Regung abzuluchsen, nicht einmal beim folgenden ausgiebigen Abendmahl, das wir uns nach den Strapazen auf der geöffneten, zum Tisch umfunktionierten Heckklappe des Père Ubu gönnten.

Lager in Taghit
„Ausspeisung“ In der Oase Taghit
Taghit
Nachtlager in Taghit

Mit ihren Brüdern im Norden verwandt, sind dort Berber ansässig. Sie hielten sich Sklaven und trieben Handel mit den Menschen. Das Leben an diesen Wasserstellen der Sahara war seit urdenklichen Zeiten bis jetzt das gleiche geblieben. Erst auf Anordnung von Beamten des französischen Militärs wurde eine der wichtigsten Einnahmequellen, die Sklaverei offiziell abgeschafft. Seit vor Jahrhunderten die ersten arabischen Karawanen die Sahara zum Sudan durchquerten, brachten sie von dort ihre Sklaven, das „schwarze Elfenbein“ mit nach dem Norden. Sklavenhaltung und –handel waren das angemaßte Recht der wohlhabenden Araber dieses Gebietes am nördlichen Rand der Sahara. Um das Verbot zu umgehen, beförderten sie die Sklaven kurzerhand zu Dienern. Außer einer neuen Bezeichnung änderte sich für die Schwarzen nichts an deren Lebensumständen.

Umringt von staunenden Kindern aller Farbschattierungen von schwarz bis ganz hell, brachen wir unser Lager ab und strebten weiter nach Süden. Die ersten bis zu hundert Meter hohen Sanddünen tauchten links und rechts von der Piste auf, mit ihrer bräunlich-gelben Farbe die eintönige Hamada, die graue Stein- und Felswüste unterbrechend. In Igli, im Büro der Societé Mer – Niger erfuhren wir mehr über den Zustand der folgenden Strecke. Überschwemmungen und Sandstürme wurden uns prophezeit, Ankündigungen die zu unserem Leidwesen in der Folge auch eintrafen. Da mussten wir durch und fuhren auf einer Wellblechpiste der übelsten Ausformung unserem nächsten Etappenziel, der Oase Kerzáz, entgegen.

Kurze Rast an der Tanezrouft

Kurz vor dem geplanten Etappenziel machte der IFA auf sich aufmerksam, indem er überdurchschnittlich zu saufen begann. Und zwar in einem Ausmaß, das den Neid seiner momentanen Besitzer erregte: zwölf Liter auf zwanzig Kilometer! Zusätzlich bekam er Fieber, die Temperatur des Kühlwassers sprang auf 95° Celsius. Und das bei durchaus kalten Außentemperaturen. Zweifel an der Tauglichkeit für Afrika dieses DDR-Produktes kamen hoch. In kurzen Abständen wurden nervende Pausen zur Abkühlung des Antriebes eingelegt. Endlich reinigten Schani und Walter eine verstopfte Düse im Vergaser, was der Motor mit exzellentem Gleichlauf und normaler Konsumation dankte. Nach etwa fünf Kilometern Pistenfahrt war der IFA F9 wieder dem Kochen nahe. Mein Rat, den Kühler auszubauen und zu reinigen wurde zwar befolgt, verringerte aber den allgemeinen Wasservorrat auf ein gefährliches Minimum. In flotter Fahrt erreichten wir zu nächtlicher Stunde Kerzaz, wo wir vor den Portalen des Hotels unser Lager aufschlugen. Ein Umstand, der unerfreuliche Diskussionen mit dem Hotelpersonal oder dessen Besitzer zur Folge hatte. Wir meldeten uns pflichtschuldig beim ebenso ungehaltenen Militärkommandanten und tankten bei der Tankstelle des Hotels auf. Scheinbar achtlos weggeworfen lag dort ein Benzinkanister, den wir zu unserer Sicherheit mitzunehmen gedachten. Dieses Unterfangen zog einen heftigen Streit über die Besitzrechte an dem Kanister mit dem Tankwart nach sich. Kerzaz war einer der wenigen Ortschaften, die uns nicht freundlich empfingen. Nur gut, dass wir diesen widerspenstigen Ort am Nachmittag schnell wieder verließen.

Eine frisch angewehte Sanddüne versperrte die Ausfahrt aus der Oase. Walter versuchte den IFA mit gehörigem Anlauf über die Düne zu jagen. Aber die 28 PS schafften es nicht einmal bis zur Hälfte. Nach ein paar Versuchen krachte es im Getriebe und ließ sich daraufhin nicht mehr schalten. Père Ubu schleppte den kleinen Wagen in eine Baracke der Societé Mer-Niger, wo wir mit Entsetzen einen dünnen Strahl Öl aus dem Gehäuse des Getriebes fließen sahen. Zum Glück lebte im Ort ein tüchtiger Schweizer Mechaniker, namens Hans Weyanet, der eine Autowerkstatt betrieb. Er kam, sah und stellte fest, dass das Getriebe und sein Kasten nicht mehr zu reparieren sind. Das war keineswegs hilfreich. Unserem Schwur treu bleibend, gaben wir das Auto trotzdem nicht auf. Umgehend schickten wir ein Telegramm an den Wiener IFA – Vertrieb, mit der Bitte um ein Ersatzgetriebe. Der Kommandant, er herrschte über ein Gebiet geschätzt halb so groß wie Österreich und bekleidete den Rang eines Lieutenants der französischen Armee, bot uns die sichere Aufbewahrung der von uns mitgeführten wertvollen Technik wie Kameras und Tonbandgeräte an. Er gab sich jetzt wesentlich freundlicher, wahrscheinlich erwartete er sich durch uns Abwechslung im öden Wüstenleben. Ihm diese zu bieten waren wir in der folgenden Zeit eifrig bemüht. Auf seine Intervention hin erhielten wir für die Dauer unseres Aufenthaltes eine alleinstehende leere Lagerhalle der Societé Mer-Niger zugewiesen, welche ein großes Einfahrtstor, keine Fenster, dafür aber Luftlöcher knapp unter dem Blechdach hatte.

 

Unsere Lagerhalle in Kerzáz

Drei Wochen Aufenthalt sollten folgen! Sorge erfüllte uns, dass wir den Zweck der Expedition und die in uns gesetzten Erwartungen womöglich nicht erfüllen werden. Wir haben von den Soldaten klappbare Feldbetten geliehen bekommen. Die gaben uns die Sicherheit, in den Nächten nicht von den zahlreichen Skorpionen gestochen, oder von Schlangen gebissen zu werden. Lagerleben hatten wir schon vorher geübt, allein unsere Kochkünste waren bisher nicht so ausgereift, dass wir ohne Konserven auskamen.

Schnell haben wir uns in das soziale Leben von Kerzáz integriert. Wir trieben Sport, indem wir gegen die dort stationierten Soldaten Fußball spielten. Das brachte uns eine Einladung auf Bier und zwei leicht invalide Mitglieder der Expedition ein. Hans, der Schweizer, gesellte sich dazu und spendierte einige Runden Rotwein im Hotel. Später matchten wir uns sogar mit der Fußballmannschaft von Kerzáz, die wir später einmal bei einem Spiel gegen die Mannschaft von Beni Abbes, einer nördlich gelegenen kleinen Wüstenstadt, erfolgreich unterstützten..

Am 27. Februar 1956 feierten wir feuchtfröhlich den einunddreißigsten Geburtstag von Mackie. Wir hatten dabei Gesellschaft von Hans, dem Schweizer und der Leiterin einer am selben Tag eingetroffenen französischen Reisegruppe. Die vorgesehene kulinarische Abendeinladung, Reis mit Kichererbsen, war absolut ungenießbar. Das hielt die Festgesellschaft nicht davon ab, unter dem Absingen vaterländischer Lieder über den Platz der Oase zum Hotel zu ziehen. In dem wurde heftig weiter gefeiert. Hans Kopecky und die Reiseleiterin beschlossen einen nächtlichen Rundgang durch den Ort bei Mondschein, von dem Hans erst im Morgengrauen zurückkehrte.

Spät, sehr spät in der Nacht fielen wir auf unsere Feldbetten und schliefen tief, bis uns Schani abrupt mit den Worten weckte: „Brennt, brennt, wir ‘aben Brand ge’abt ‘eute Nackt!“ Durch das offene Tor sahen wir im Mondlicht vor der Einfahrt die glosende Bettdecke unseres Belgiers. Ob er selbst oder Mackie die Decke mittels einer brennenden Zigarette angezündet hatte, konnte nie mehr schlüssig festgestellt werden. Bei Tagesanbruch wurden wir nochmals geweckt, ein Bursche vom Hotel brachte ein paar Dosen Bier, welche die Reiseleiterin vor ihrer Weiterfahrt noch schnell für uns gespendet hatte. Hans scheint bei Ihr einen positiven Eindruck hinterlassen zu haben.

Meine Freunde begaben sich später zum Markt vom Douar, um frische Lebensmittel zu kaufen. Dort mussten sie Walter, unseren geizigen Kassenwart, mit Gewalt davon zurückhalten, sich von den ohnedies nicht reichen Oasenbewohnern Gemüse schenken zu lassen. Seine Mitleid heischende Verhandlungstaktik war wesentlich ausgereifter, als die der ansässigen Bauern. Ich nützte diese Zeit, mein Tonbandgerät aufzubauen. Da das Stromaggregat der Oase nur innerhalb der dunklen Nachtstunden lief, war eine Inbetriebnahme der Elektronik tagsüber nicht möglich. Für den nächsten Abend hatten wir mit Musikern aus der Nachbaroase eine Aufnahmesession vereinbart, aber die Herren erschienen nicht. Wieder ein Rückschlag für mich. In der Absicht, Frust und Langeweile damit zu vertreiben, und da die Technik nun schon einmal betriebsfertig stand, schlug Walter vor, wir sollten jeder etwas singen, und zwar so schön wie möglich. Ich habe bemerkenswert unorthodoxe Interpretationen von Mozarts Bildnis- und Hallenarie, Nicolais „Als Knäblein klein an der Mutterbrust“, oder Johann Strauss‘ „Im tiefen Keller sitz‘ ich hier“ zu hören bekommen, die mich zutiefst berührten. Diese Dokumente unserer fortgeschrittenen Sangeskunst wurden von mir umgehend wieder gelöscht. BASF war zwar großzügig mit geschenktem Bandmaterial für die Arbeiten der Expedition, doch fand ich diese Aufnahmen für weder wissenschaftlich bedeutend, geschweige denn künstlerisch hochwertig.

Le Commandant de Kerzaz

Und ein weiteres Fest feierten wir. Just in die Zeit unseres Aufenthaltes fiel die Beförderung des amtierenden Lieutenants zum Capitaine. Dieser lud uns zu dieser Feier schriftlich ein und ich wurde gebeten, das „starke“ Telefunken-Tonbandgerät mitzubringen. Wahrscheinlich war an diesem Abend das Stromaggregat von Kerzáz derart überlastet, dass sowohl Spannung als auch Frequenz der Stromversorgung nicht mit dem Magnetophon koordinierten. Die wiederzugebende Musik von Sidney Bechet jaulte entsetzlich. Ein Umstand, der für einige Missstimmung bei mir, und logischerweise beim Militär sorgte. Die österreichische Tabakregie hatte uns ein paar Schachteln Zigarren der Marke „Großglockner“ mitgegeben, die wir bei dieser Gelegenheit großzügig verteilten und damit den Abend wieder ins Gleichgewicht brachten. Selbst der Scheich von Kerzáz hatte uns liebgewonnen und lud zu einem Meshoui (Hammel am Spieß) und Couscous ein. Dafür hatte ihm Mackie seine Pistole verkaufen müssen.

Anfang der vierten Woche in der Oase erreichte uns ein Telegramm mit der Mitteilung, dass das Ersatzgetriebe auf den Weg gebracht worden sei. Es war der erste halbwegs warme Tag. Mit Eifer machten wir uns an die Reparatur der Holzkarosserie des Père Ubu, die wegen der trockenen Luft an einigen Stellen zu zerfallen drohte. Aus dem IFA wurde der komplette Motor ausgebaut. Am nächsten Tag kam das ersehnte Ersatzteil. Zu unserem nicht geringen Schreck waren die gesamten Kosten für den Transport von Wien bis hierher aus eigener Tasche zu bezahlen. Wir bauten das neue Getriebe und den Motor wieder ein. Diese Arbeiten verrichteten wir selbst, denn der Schweizer wäre zu teuer gekommen. Im Teamwork gelangen Walter und mir die Einbauten ohne Kran innerhalb einer Rekordzeit in wenigen Stunden.

Aus/Einbau Motor u. Getriebe
Das „böse“ Getriebe

Zu Mittag erschien ein Engländer auf seinem Motorrad. Er wollte bis nach Accra, an die Goldküste. Das Fahrzeug hatte eine Panne, Schani half ihm bei der Reparatur. Am späten Nachmittag startete der IFA wieder. Sein Geknatter war Musik für unsere Ohren. Fachmännisch beluden wir die Autos, füllten die Wasserreserven auf, und stiegen daraufhin auf einen für uns ungewohnt kurz gehaltenen Abschiedsdrink zum Capitaine auf den „Berg“. Wir hatten nur vor, weg- und weiterkommen.

Bei erster Morgendämmerung sprangen wir von den Feldbetten, packten die persönlichen Sachen zusammen und machten uns gut gelaunt bei Tagesanbruch auf den Weg. Uns war bewusst, dass wir bis Gao am Niger weitere 2.000 Kilometer Wüstenpisten und Sand zu bewältigen haben. Zügig fuhren wir durch Täler gebirgiger Landschaften, bis der Motor des IFA wieder einmal kochte. Kurzerhand wurde die Kühlerhaube abmontiert und dem Père Ubu aufs Dach gebunden. Das war die Lösung des Problems. Nach einiger Zeit öffnete sich die Bergwelt und vor uns lag die unendliche Fläche der Hamada, einer von Sandflächen unterbrochenen riesigen Steinwüste. Voll Zuversicht stürzten wir uns da hinein, ins Ungewisse. Die Fahrt verlief ohne Probleme, bis sich hundert Kilometer vor Adrar, unserem Etappenziel, Ubu eine Feder brach. Eine relativ einfache Reparatur, ich wechselte die gebrochene Lamelle innerhalb von zwei Stunden gegen eine neue. Kurz nach der Oase Sbaa bekamen wir einen kleinen Vorgeschmack auf die vor uns liegenden 1.800 Kilometer. Wir gruben den IFA mehrmals mit bloßen Händen aus dem Sand aus, über manche Strecken schleppte ihn der große Wagen.

Erst in der Nacht erreichten wir die „Stadt aus Schokolade“ Adrar. Alle Häuser waren aus einem dunkelbraunen Lehm erbaut, sie vermittelten damit den Eindruck, in einer Konditorei zwischen überdimensionalem Konfekt zu weilen. Leichte Schwindelanfälle überfielen mich überraschend, vermutlich durch die anstrengenden Tätigkeiten des vergangenen Tages verursacht. Stundenlanges fahren im Sand, Autos reparieren und ausgraben, alles Kraft und Energie fordernde Einsätze.

Gegen ein Mietentgelt von 300 FF bezogen die insgesamt fünf Mitglieder der Expedition im Hotel „Marabou“ einen leeren Raum. Der Engländer mit Motorrad war vor uns angekommen und hatte ein „normales“ Zimmer gleich nebenan erhalten. Wegen meines andauernden Schwindelgefühls nahm ich sein verständnisvolles Angebot an, mit ihm das Quartier zu teilen. Das verschaffte mir die ungewohnte Möglichkeit, in einem richtigen Bett zu schlafen!

Wir legten in der Stadt eine kurze Reisepause ein, Schani und Walter arbeiteten an den Autos, Mackie und Kopezky fotografierten Motive in Adrar. Diese Stadt lag nahe von Wasserquellen und verfügte über ein ausgeklügeltes System von Wasserkanälen, das seit Jahrhunderten verwendet wurde, um Wasser aus den umliegenden Bergen in die Stadt zu leiten. Diese Kanäle, „Foggaras“ genannt, waren ein wichtiger Teil der traditionellen Lebensweise der Bewohner. Sie ermöglichten es den Menschen, in einer Region zu leben, die sonst zu trocken wäre, um eine dauerhafte Siedlung zu unterhalten. Die Foggaras waren eine Erfindung der Berber, die diese Technik seit Jahrtausenden nutzten, um Wasser aus dem Grundwasserstrom in die Siedlungen zu bringen. Sie wurden von Generation zu Generation genutzt und sind bis heute ein wichtiger Bestandteil des Lebens in Adrar. Die Kanäle waren oft mehrere Kilometer lang und wurden von einer Gruppe von Arbeitern, die als „Foggaraschis“ bekannt waren, gewartet und instand gehalten. Man erzählte uns, dass sogar Fische darin leben. Insgesamt war Adrar eine faszinierende Stadt, von einer reichen Geschichte und Kultur geprägt. Die Foggaras sind nur ein Beispiel für die erstaunlichen technischen Leistungen, die von den Menschen in der Sahara-Wüste geschaffen wurden, um in einer der extremsten Gegenden der Erde zu überleben.

John, der Engländer mit dem Motorrad, lud sein Fahrzeug auf einen LKW auf, denn die Behörden ließen ihn nicht weiter allein durch die Sahara fahren. An dem von uns mitgeführten Wassertank war ein Leck entstanden, das mit den in Adrar verfügbaren Mitteln nicht zu reparieren war. Walter kaufte am Markt eine zusammengenähte Ziegenhaut, eine Gerba, die wir mit frischem Wasser füllten und seitlich außen an den Père Ubu banden. Damit war unsere Versorgung mit Trinkwasser gesichert. Das sowieso überladene Fahrzeug musste immer mehr Gewicht auf sich nehmen.

Südlich Adrar war die Wüste eben wie ein Brett, auch keine Dünen weit und breit. Die Piste wurde hier kilometerbreit, jeder Durchfahrende suchte in der Ebene für sein Fahrzeug einen Weg dort, wo er den besten Untergrund vermutete, um nicht im Sand stecken zu bleiben. Die Beschaffenheit des Sandes konnte sich von Stunde zu Stunde ändern, sodass es nicht ratsam war, einer Spur zu folgen und sich auf diese zu verlassen. Einige böse Überraschungen erlebten wir, weil wir ein Auto, das nicht für die Wüste gebaut war, über die Distanz bringen mussten.

Untauglicher Versuch selbst freizukommen

Wie die Maulwürfe arbeiteten wir uns durch den Sand bis zur Oase Reggan, wo wir Trinkwasser nachfüllen wollten. Es blieb beim bloßen Willen. Wasser gab es schon, aber es war trübe und für Europäer nicht genießbar. Bis zum nächsten Lagerplatz schleppte Père Ubu den IFA mit einem zum wiederholten Male reißenden Seil, dabei zusätzlich einen heftigen Sandsturm überstehend. Endlich wieder eine Nacht unter freiem Himmel. Die Sternenpracht war in ihrer Schönheit erdrückend, und die Stille körperlich zu erleben. Obwohl allen bewusst war, dass noch 1.500 Kilometer Durstwüste vor uns lagen, waren wir glücklich, weil die Expedition trotz der Umstände mobil war. Unsere Zuversicht kannte nach der bisher bewältigten Strecke keine Grenzen. In Clouzot’s Schwarzweißfilm „Lohn der Angst“ hatten wir ein ständig präsentes und oft zitiertes Vorbild.

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