Die Sonne war eben dabei, die Kühle der Nacht aus dem Hof zu vertreiben, als Akamouk uns mit einer Neuigkeit überraschte. Er und Iyad, sein Begleiter, würden in wenigen Tagen in ihre Heimat im Hoggar-Gebirge aufbrechen. Das bedeutet einige Tagesritte durch die Wüste. So einen Trip mitzumachen war schon immer mein Wunsch, nicht nur des Erlebens willen, sondern um besser verstehen zu können, wie Nomaden in der Einsamkeit leben und was sie prägt. Trotz der mir selbst auferlegten Pflicht, meinen Lebensweg schriftlich zu dokumentieren, würde ich diese Gelegenheit gerne wahrnehmen. Ohne zu zögern, frage ich ihn, ob ich mitkommen könne. Seine Antwort war eine knappe, doch wohlwollende Zustimmung. Es bleiben zwei Tage zur Vorbereitung. Mit Skepsis schütteln Michelle und François ihre Köpfe über mein Vorhaben, zeigen aber grundsätzlich Verständnis dafür, dass jemand wie ich, sich auf so ein Abenteuer einlassen wollte.
Der Tag des Aufbruchs ist gekommen. Die Sterne verblassen am schnell heller werdenden Himmel. Kälte kriecht unangenehm am Hals und bei den Handgelenken unter meine Kleidung. Im Hof selbst ist es noch recht dunkel, der sparsame François hat das Stromaggregat nicht angeworfen. Wenigstens scheint trübe aus der Küche ein von der Photovoltaik gespeistes Licht. Dort bereitet die gute Michelle Proviant für unsere Reise vor. Doch dann schiebt sich das Morgengrauen bis in die letzten Winkel des Hofes der Auberge du Soleil, in dem die längst fertig gesattelten und beladenen Kamele liegen. Das mir zugewiesene Reittier erkenne ich an den nicht aus Afrika stammenden Decken, die man für mich am Sattel festgebunden hat. Karl Mays Kara-ben-Nemsi hat sein treues Pferd Rih stets mit einer Handvoll Datteln belohnt. Deshalb denke ich, auf gleiche Weise mit dem edlen Mehari Freundschaft zu schließen, das mich die nächste Zeit durch Wüste, Sturm und Sand tragen wird. Offenen Herzens und mit den süßen Früchten auf der Hand gehe ich direkt auf das Tier zu. Es ist mir bewusst, dass Kamele kräftig beißen und Menschen gefährliche Wunden zufügen können, aber ich überwinde meine Bedenken und nähere die auf flacher Handfläche ausgebreitete Gabe seinem Maul. Da dieses Wüstenschiff keinen Namen hat, spreche ich dabei einschmeichelnd mit leiser und tief gehaltener Stimme beruhigende Worte. Doch in von mir nicht erwarteter abwehrender Reaktion brüllt das Vieh gurgelnd und reißt seinen Kopf mitsamt dem langen Hals rasch zur Seite. Erschrocken springe ich einen Satz rückwärts. Misstrauisch beäugt es mich mit einem Auge von oben herab. Durch den Lärm aufmerksam geworden, eilt Akamouk sofort herbei, das Kamel schwenkt den Kopf wieder in die gewohnte Lage und genießt zufrieden die ihm zuteilwerdenden Streicheleinheiten. Ob der Targi dabei überheblich lächelt, bleibt mir hinter seinem hochgezogenen Tegelmust zum Glück verborgen.
Zugegeben, die rüpelhafte Abweisung des wohlgemeinten Freundschaftangebots hat meine Seele verletzt. Sollte diese offen gezeigte Aversion während des engen Zusammenlebens in den nächsten Tagen bestehen bleiben, könnte die Reise schwierig werden, überlege ich sorgenvoll. Michelle bringt drei Päckchen mit liebevoll zusammen gerichteten Lebensmitteln in den Hof. Meines ist etwas größer als die der anderen, wozu sie erklärend meint, dass mir die einfache Kost der Touareg vielleicht nicht zusagen würde. Weiterhin sauer auf dieses ungebildete Tier, das mich durch ein gewaltiges Stück Wüste tragen soll, steige ich in den Sattel. Der Erwartung entsprechend begleitet von heftigen lauten Unmutsäußerungen des Kamels. Akamouk gibt einen Befehl, ruckelt am Zaumzeug und das Mehari hebt sich, indem es seine Vorderbeine zur Hälfte streckt, sodass ich vermeine hinten hinunter zu rutschen. Ich ergreife rasch das Sattelkreuz vor mir und klammere mich kräftig daran fest. Und schon werde ich nochmals nach vorne geworfen, gefolgt von einem weiteren schnellen Strecken der Vorderbeine, was mich beinahe wieder rückwärts aus dem Sattel katapultiert. Bilder von texanischen Stierrodeos tauchen kurz in meiner Erinnerung auf. Dann sitze ich endlich aufrecht hoch oben. Das Kamel sieht sich nach mir um, wahrscheinlich in der Hoffnung mich abgeworfen zu haben. Ich zeige ihm den Stinkefinger, was bei den Dimensionen eines Dromedars eher eine lächerliche Geste darstellt. Ich habe das Gefühl, wir mögen uns nicht.
Die kleine Karawane setzt sich in Bewegung, François und Michelle stehen beim Tor und winken uns zum Abschied. Wir verlassen die Auberge, erst Akamouk, dann ich, und Iyad, der die zwei Lastkamele an einem Seil führt, bildet den Schluss. Es trifft sich glücklich, dass der Einfahrtsbogen für große Lastwagen gebaut ist, denn zum Missvergnügen des Reitkamels unter mir passe ich nur knapp darunter durch. In dieser Reihenfolge bleiben wir am Rand der Piste. Die Kühle des Morgens unterstreicht ein kalter Lufthauch. Mein Reittier schaukelt mich friedlich hinter dem des Targi her, ich habe nichts anderes zu tun, als zu sitzen und zu schauen. Nach einigen Kilometern biegt Akamouk unvermittelt in die freie Ebene ab. Bis jetzt decken sich meine Vorstellungen von einer solchen Reise mit dem gegenwärtigen Geschehen. Außer dem leisen Stapfen der Kamele und regelmäßigen Schaben eines Gepäckstückes an den Aufhängungen herrscht angenehme Stille. Nach und nach versinke ich in diesem Meer aus Ruhe und den gleichmäßig schaukelnden Bewegungen des Meharis.
Über lange Strecken verbreitet sich vollkommene Ausgeglichenheit in meiner sonst durch die Normen unserer industrialisierten Zivilisation und Kultur gequälten Seele. Jeglicher Zeitdruck fällt von mir ab. Die Sonne steigt höher und wärmt so kräftig, dass ich mich der dicken Jacke entledige und sie zusammengerollt über den Sattel lege. Der Hut mit der breiten Krempe bietet mir ausreichenden Schutz gegen die Sonne. Es ist recht wohltuend, dass Akamouk um die Mittagszeit die Karawane anhält. Erst steigt er selbst von seinem Reittier ab, danach bringt er meines zum Niederlegen. Das erfordert die gleichen Übungen des Gleichgewichts wie beim Aufstehen heute Morgen, nur in umgekehrter Reihenfolge. Die Unmutsbezeugungen dieses Kamels sind laut und nervtötend.
Die beiden Touareg legen ihre Schwerter, Akamouk dazu seinen Karabiner, den er stets am Riemen quer umgehängt trägt, auf den Boden. Sie schlichten die mitgebrachten Holzzweige zu einem Häufchen und fachen ein Feuer an. Die unvermeidliche Zeremonie des Teekochens beginnt. Nach dem über Stunden dauernden Ritt wird es mir erstmals besonders deutlich bewusst, wie belebend die Wirkung dieses Gebräus ist. Da es für uns keinen Zeitdruck gibt, genießen wir den Tee langsam schlürfend in kleinen Schlucken. Anschließend folgt das Reinigen und Wegräumen der Utensilien mit gemessenen und bedachten Bewegungen. Ebenso ohne Hast geschieht der neuerliche Aufbruch.
Wir reiten einige Stunden und halten erst, als sich die Sonne dem Horizont nähert. Im Windschatten größerer Felsen schlagen wir unser Nachtlager auf. Nachdem die Kamele von ihrer Last befreit sind, öffnen wir die von Michelle liebevoll gerichteten Proviantsäcke und genießen die belegten Brote. Der selbstverständliche Tee lässt nicht lange auf sich warten. Drei blasse Skorpione, angelockt durch das Licht des Feuers, statten uns einen Besuch ab. Eine Beteiligung an den Gesprächen, welche die Zeremonie normal begleiten, ist mir heute lästig. Ich bin zu müde dazu, außerdem spüre ich leicht schmerzend den Satteldruck durch den langen Ritt. Schließlich unterhalten sich die beiden in Tamasheq. Nach dem dritten Glas Tee ziehe ich mich auf mein Feldbett zurück. Höflich in einem Abstand von ein paar Metern kuscheln sich die zwei Touareg in ihre Decken, die Kamelsättel benützen sie als Kopfstütze.
Bis zum Ziel haben wir noch einige Tage vor uns. Die Kamele bewegen sich im Gleichmaß, ihre Hufe hinterlassen Spuren im trockenen Boden, die bald vom Wüstenwind verweht werden. Auch wenn unsere gegenseitige Empathie eher begrenzt ist, wächst mein Gefühl der Verbundenheit mit dem Mehari unter mir. Seine unermüdliche Ausdauer und das warme Fell, das seine Lebendigkeit spüren lässt, schenken mir Vertrauen. Akamouk ist in diesen endlosen Weiten der Sahara ein verlässlicher Führer. Sterne, Sonnenstand und Sandbeschaffenheit lassen ihn untrüglich den Weg finden, an dem die lebensnotwendigen Wasserstellen liegen. Es ist erstaunlich, wie viele Tiere in der Wüste leben. Von meinem erhöhten Sitz auf dem Mehari kann ich sie so direkt wie nie zuvor beobachten, denn sie flüchten kaum vor uns. Kommen wir ihnen zu nahe, stellen sie mit ein paar schnellen Bewegungen ihren natürlichen Sicherheitsabstand zu uns her und lassen sich nicht weiter stören. Antilopen, Gazellen, Wüstenfüchse und -mäuse, Eidechsen, sowie zwei Hornvipern bleiben völlig unbeeindruckt bei ihren jeweiligen Tätigkeiten. Aus nicht ersichtlichen Gründen gehen wir gewisse Strecken zu Fuß und führen unsere Tiere an einer Art Zaumzeug. Das scheint meinem unleidlichen Kamel zu gefallen, denn es brüllt nicht mehr, wenn ich mich ihm nähere, und frisst sogar den dargebotenen Hafer aus der Hand. Datteln bekommt es keine, weil die habe ich inzwischen mit Genuss selbst verzehrt.
Mein Zeitgefühl richtet sich kaum mehr nach der Armbanduhr, sondern wird durch die natürlichen Umstände definiert. Es mag daran liegen, dass Zeit hier nicht in Geld umgerechnet wird, so wie man es aus Europa gewohnt ist. Nicht die Zeit, die uns die mechanische Uhr diktiert, muss die Richtige sein. Daneben scheint es in Afrika eine andere Einteilung zu geben, die nicht wie in den Industrieländern die Lebensqualität der Menschen in Sekunden, Minuten und Stunden zerhackt. Die Nomaden erfahren ihre Zeit durch ihre Umgebung und Lebensrhythmen, womit sie eine abstrakte Messung vermeiden. Solche und ähnliche Gedanken begleiten mich auf dieser Wanderschaft durch die Wüste. Allerdings enden nicht alle mit derartigen Erkenntnissen.
Langsam erreichen wir die ersten Anhöhen und schroffen Berge des Hoggar. Es ist Mittag, wir folgen einer schmalen ansteigenden Piste, die deutlich nicht sonderlich befahren ist, denn die „tôle ondulée“, das unvermeidliche Wellblech, hält sich in Grenzen. Sie führt zu einer Oase mit Pflanzenbewuchs und einem zwischen Felsen eingebetteten größeren Teich. Es gibt Palmen mit mickrigen Datteln, die hauptsächlich aus Kernen bestehen. Eine Gruppe Schwarzafrikaner sammelt diese kaum genießbaren Früchte vom Boden auf. Weder ein Fahrzeug noch Lasttiere sind zu sehen, wie kamen die Menschen hierher? Sie scheinen verängstigt zu sein. Auf meine Fragen bekomme ich Antworten in englischer Sprache. Sie kommen aus dem Norden Nigerias und sind aus wirtschaftlichen Gründen und Angst vor dem islamistischen Boko Haram nach Algerien geflüchtet. Sie haben Schlepper bezahlt, die sie auf Umwegen bis hierher gebracht haben. Die machten sich aber in der Nacht mit dem Fahrzeug aus dem Staub, trotz des Versprechens, die Gruppe bis zum Mittelmeer zu bringen. Sie haben kaum Essbares dabei und wollen zu Fuß weiter nach Norden. Nachdem Akamouk mir versicherte, dass wir spätestens binnen zwei Tagen das Ziel unserer Reise erreichen werden, übergeben wir ihnen eine mit Wasser gefüllte Gerba und alle für uns voraussichtlich nicht mehr notwendigen Lebensmittel. Der Targi kann etwas Englisch und beschreibt den Reisenden markante Landschaftsmerkmale, an denen sie sich orientieren müssen, um die Transsaharastraße in wenigen Tagen zu erreichen.
Die Mittagssonne hat die Umgebung in einen Glutofen verwandelt. Nach den Tagen, in denen Wasser ausschließlich zum Trinken und Tee kochen verbraucht werden durfte und es keine Körperpflege gab, spüre ich das Verlangen im Teich zu baden. Am gegenüber liegenden Ufer nehmen die Kamele Wasser auf. Der kleine See ist glasklar und von angenehmer Temperatur, folglich steige ich hinein. Durch den bis zur Brust reichenden See bis in die Mitte watend, spüre ich an der tiefsten Stelle Bewegung an den Füßen. Wunderbar kühles Wasser quirlt mit Druck aus dem Boden. Das muss die Quelle sein, die den See speist. Meine zwei Reisegefährten bereiten inzwischen Tee und halten den Rumi, wenn schon nicht für verrückt, so vermutlich doch für ziemlich seltsam. Ich fühle mich nach dem Bad extrem wohl und erfrischt. Die Teegläser werden im See gewaschen und wir brechen auf, um unsere Reise fortzusetzen. Im Sattel sitzend und geschaukelt, schreibe ich in meinen Notizblock folgende weitere Erinnerungen an die erste Afrikaexpedition:

Tessalit ist eine Oase, die sich ausreichend genug Mühe gibt, nicht vollständig in der umliegenden Wüste zu verschwinden. Unsere Autos waren auf den Pisten der Sahara extrem in Mitleidenschaft gezogen worden und mussten dringend repariert und überholt werden. Wir nutzten die Gelegenheit bei der Mer – Niger die Reifen des Père Ubu fachgemäß flicken zu lassen. Walter dagegen entschied sich, den IFA eigenhändig mit Werkzeug, Improvisation und Optimismus instand zu setzen. Der Stoßdämpfer funktionierte danach ungefähr so wie eine alte Matratze, hinreichend, aber keineswegs perfekt. Hans Kopezky wollte seine erste Jagdtrophäe, den wirklich schönen Kopf der Gazelle, unbedingt nach Hause bringen und bestand auf dessen Mitnahme. Die Theorie war bestechend einfach, das trockene Wüstenklima würde das Fleisch vom Schädel rasch abfallen lassen. Beispiele dafür hätte man ja im Sand der Sahara liegend mehrfach angetroffen. Also wurde der Gazellenkopf stolz auf das Dach des IFA geschnallt, voll Hoffnung auf schnellen Erfolg durch den trocknenden Fahrtwind.
Am Weg aus der Ortschaft Tessalit gab es einen französischen Flugplatz. Aus Neugier fuhren wir durch das unbewachte Zugangstor. Die dort stationierten Flieger luden uns auf ein Bier ein, was wir nicht ausschlagen konnten. Dieser Besuch zog sich ein bisschen in die Länge. Gestärkt und guten Muts begaben wir uns am Abend auf die Piste in Richtung Anefis. Südlich von Tessalit begann allmählich die Sahelzone, der Bewuchs mit Sträuchern wurde etwas dichter, Flächen von verdorrtem Steppengras weiteten sich aus. Es wurde Nacht und wir suchten einen Lagerplatz. Abseits der Piste fanden wir eine geeignete Stelle. Kopezky hatte Hunger und zündete ein kleines Feuer zum Kochen an. Was er besser unterlassen hätte, denn das trockene Gras um uns brannte sofort und war nicht mehr zu löschen. Fluchtartig verließen wir das unaufhaltsame Inferno, um einige Kilometer weiter neuerlich ein Lager aufzuschlagen. Ohne Lagerfeuer. An Schlaf war nicht zu denken, denn der Kopf der Gazelle stank erbärmlich und Hans musste ihn für die Dauer dieses Nachtlagers im Geäst eines entfernten Gesträuchs deponieren. Es wurde wieder eine unglaubliche Nacht unter einem überwältigenden Sternenhimmel. Man konnte schon den Stern des Südens sehen und ein Flugzeug kreuzte blinkend in großer Höhe von Nord nach Süd. Ich ertappte mich bei der intensiven Vorstellung, sauber gewaschen und gut riechend komfortabel zu sitzen, ich hörte das Knacksen der Eiswürfel in dem beschlagenen Whiskyglas, das mir eine freundlich lächelnde Hostess reichte. Doch diese Fantasie zerplatzte rasch, als das Jaulen und Kläffen der näherkommenden Schakale mich zurück in die Realität rief. Zweifel am Sinn unseres Unternehmens und an meinem Entschluss, aus Europa zu fliehen, wurden durch die gewaltige Schönheit dieser exotischen Nacht schnell vertrieben. Leider hatten die Schakale kein Verständnis für Trophäenjäger. In der Dunkelheit entführten sie den Gazellenkopf, Kopezkys ersten Jagderfolg, unauffindbar in die Weiten der Steppe. Ein Umstand, der bei ihm für Verstimmung sorgte, bei den anderen aber höchstens zu hämischen Mitleidbezeugungen Anlass gab.
Wir erreichten Bourem, die erste Ansiedlung am Niger nach der Wüste. Es war drückend heiß, als wir über einen Abhang kommend den langsam dahinfließenden, überaus breiten Strom sahen. Wir verstanden die Araber, die in monatelangen Ritten auf ihren Kamelen die Sahara durchquert hatten, bei diesem Anblick den Niger als „das Meer“ bezeichneten. Auch uns gab das weite Panorama ein Gefühl des Glücks und der Genugtuung darüber, unser Ziel trotz unzähliger technischer Pannen erreicht, und jeder von uns für sich über viele menschliche Unzulänglichkeiten gesiegt zu haben.
Dem Flusslauf folgend fuhren wir auf der Piste nach Gao, der zweitgrößten Stadt Malis. Es hätte eine reibungslose Fahrt werden können, wäre da nicht eine widerspenstige Ölleitung gewesen, die meinte, uns ausgerechnet in brütender Hitze ausbremsen zu müssen. Die Reparatur hielt uns auf, weshalb wir bei enorm hoher Temperatur erst zu Mittag auf der breiten, aus roter Erde bestehender Route National Nr. 8 zum Zentrum strebten. Angesichts der hohen Außentemperatur und unseres Zustands, staubverkrustet und gezeichnet von den Strapazen der Reise, schien uns das nächste Hotel die perfekte Lösung. Wir feierten uns selbst in der klimatisierten Lobby mit mehreren Flaschen eiskaltem Bier. Mackie versuchte, mit all seinem Charme die Hoteliers zu überreden, uns einige Nächte kostenloses Quartier zu gewähren. Angesichts des beachtlich desolaten Zustandes unserer Kleidung und der wegen Wassermangels ausgebliebener Körperpflege, fand diese Kraftanstrengung taube Ohren. Wir zogen unverrichteter Dinge ab und suchten uns einen Lagerplatz nächst einer Eingeborenensiedlung außerhalb der Stadt. Nicht zu nahe am Wasser, denn wir haben schon längst den vermehrten Ansturm von Moskitos und lästigen Fliegen gemerkt. Die waren bereits zu aufdringlichen Mitreisenden geworden, deren Gesellschaft wir lieber mieden. Es wurde einhellig beschlossen, eine Ruhepause einzulegen, um die durch die Wüste verschlissenen Energiereserven wieder aufzufüllen. Die ungewohnt feuchte Hitze tat ihr Übriges, uns mit den klimatischen Bedingungen der nächsten Monate vertraut zu machen.
Wir genossen die Pause mit der in diesem Gebiet üblichen trägen Zeitlosigkeit, die das Leben in am Fluss prägte. Es war faszinierend, zu sehen, wie die Bevölkerung in friedlichem Nebeneinander von Negriden und Tuareg, ihren Alltag in entspannter Harmonie bewältigte. Eine Konstellation, die manch Interessantes für die Arbeit der Expedition versprach, da hier auch unterschiedliche Religionen in toleranterKoexistenz aufeinandertrafen.

Die Ruhepause bedeutete keineswegs Untätigkeit. Die Auenlandschaft entlang des Flusses war wild, versumpft und der Niger suchte sich in zahllosen Armen um lang gestreckte Inseln herum seinen Weg nach Südosten. Die Gegend war voll von Wasservögeln, Reiher, Kraniche und andere prachtvolle Exemplare. Es stellte sich die Frage, wie konnte man ihnen so nahekommen , dass Fotos ohne langes Teleobjektiv gelingen würden? Hans Kopezky war ein genialer Erfinder. Die Welt verdankte ihm nicht nur einen Ersatzverschluss für einen verlorenen Deckel des Benzintanks durch einen Plastikbecher, sondern dazu die schwimmende Tarnluftmatratze. Unsere Luftmatratzen aus dem Hause Semperit hatten neben der Fähigkeit selbst zu schwimmen, ausreichend Tragfähigkeit für einen Mann, vorausgesetzt, sie blieben intakt. Da uns ein Boot fehlte, erschien es logisch, die Matratzen mit Gras und Büschen zu umwickeln, um sie in eine Art schwimmendes Tarnversteck zu verwandeln. Mit solchem Gerät machten sich Mackie und Kopezky mit viel Optimismus auf Fotojagd. Aber der Schwimmkörper des Expeditionsleiters wurde bald undicht und er ging mitsamt der Konstruktion unter. Was seinen Unwillen derart hervorrief, dass er dieser faszinierenden Jagd auf Vögel endgültig ein Ende setzte. Mackie war so verärgert, dass er am Abend sogar darauf vergaß, die tägliche Wiedergabe von „River of no return“ (Marilyn Monroe), einzufordern.
Ein weiteres Fiasko bahnte sich an. Wir waren im ursprünglichen Afrika angekommen, es war heiß, die Nächte von Moskitos gestört, um uns herum negride Bevölkerung, der Niger in greifbarer Nähe. Erzählungen zufolge soll dieser Fluss mit Krokodilen verseucht sein, was uns dem Entschluss nahebrachte, die großen Reptilien zu jagen. Wir nahmen Kontakt zu einheimischen Fischern auf, die uns freundlich erklärten, wo solche Tiere zu finden wären. Dort fanden wir weder Krokodile, noch deren Spuren, wodurch notwendig wurde, am Fluss lebende Führer, somit Kenner des Niger, anzuheuern. Die gingen mit uns in der Nacht mit Taschenlampen ausgestattet am Ufer entlang. Es sah vielversprechend aus, bis sie, nach Entgegennahme des vereinbarten Lohns, schlagartig spurlos verschwanden. Kein Krokodilauge blitzte, kein gezielter Schuss fiel, und den Genuss einer Delikatesse, gekochten Krokodilschwanz, mussten wir um Wochen verschieben. Weder die Schlangen noch die Vögel, die wir dem Institut für Zoologie der Universität Wien versprochen hatten, ließen sich von unserem Eifer beeindrucken. Doch nicht alle Jagden blieben erfolglos. Die zum Verzehr benötigten Mengen wurden immer herangebracht. Wir erlegten Gänse, Ibisse, Kraniche und mitunter eine Gazelle. Natürlich war uns Diana nicht regelmäßig hold und wir mussten uns wieder mit angebrannten Palatschinken aus einem Gemisch von Mehl und Wasser begnügen.

Obwohl ich ein recht treffsicherer Schütze war, zumindest nicht schlechter als meine Freunde, konnte es genauso mir geschehen, dass ich von längerer Jagd nur mit einem erlegten Täubchen zurückkehrte.
Während wir am Ufer des Nigers verweilten, weckte eine faszinierende Tradition der Region mein Interesse. Zur Zeit der alten Königreiche entlang des Nigerstromes kommunizierten deren Herrscher untereinander durch verlässliche Boten, den Troubadouren und Märchenerzählern. Diese Sänger zogen von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt, überbrachten Neuigkeiten und besangen die Taten von Helden und Königen. Viele dieser Königreiche sind längst Geschichte, aber die fahrenden Sänger, die Troubadoure, jene poetischen Boten, sind geblieben. Manche waren weit über die Grenzen ihres Landes hinaus berühmt. Immer wieder hörten wir von einem solchen Meister seines Fachs, dem weithin geachtetenTroubadour Moise Yacouba. Doch wo sich dieses wandelnde Archiv der mündlichen Überlieferung aufhielt, wusste niemand mit Sicherheit zu sagen. Er war ein Phantom, ein Name, der in Legenden schimmerte und doch wie ein Hauch unerreichbar blieb. Ich insistierte, ihn zu finden, denn mich drängte es, endlich meiner Aufgabe nachkommen und bedeutsame Tonaufnahmen herstellen zu dürfen. Für die Suche brauchten wir funktionierende Autos. Schani und Walter wagten den Versuch, mit dem IFA zu einer Werkstatt in Gao zu fahren. Sie kamen mit einem LKW zurück, der sie mitgenommen hatte, denn die Kupplung des IFA war am Wege komplett unbrauchbar geworden. Aber sie brachten die frohe Botschaft mit, dass wir eben Ostern hatten! Nach zwei Tagen konnte der reparierte IFA abgeholt werden. Wir begaben uns auf die Suche, um das Objekt meiner Begierde, den berühmten Troubadour Moise Yacouba zu finden. Wir hörten Berichte, dass er angeblich hier, sowie dort gesehen worden sei, in einer anderen Stadt, einem abgelegenen Dorf, mit großer Sicherheit, oder vielleicht im Nachbarland. Ein schier nicht zu bewältigendes Problem, das zu lösen uns aber eher anspornte, denn aufgeben ließ.