13. KAPITEL – Freiheit – Flüchtlingselend und wieder Flora und Fauna

Es vergehen Stunden mit Warten auf Akamouks Rückkehr. Die Zeit zieht sich zäh dahin, und das Stillsitzen im Auto beginnt mich zunehmend zu nerven. So steige ich aus, um die Beine zu bewegen. Ich möchte ein Stück in die Wüste spazieren um herauszufinden, ob gleichmäßiges Gehen tatsächlich die Gedanken klären und neue Einfälle hervorrufen kann. Die herumlungernden Soldaten nehmen von meinem Fortgehen keine Notiz. Für sie bleibt das Fahrzeug als Pfand zurück, das genügt, um mich nicht weiter zu überwachen. Nach dem Verlassen der Straße marschiere ich zügig gegen Osten. In scheinbar erreichbarer Nähe ragen einige rote Felsen aus einer Hügelkette empor, die sich gegen den tiefblauen Himmel abzeichnen. Da ich nicht vorhabe mich sehr weit von der Straße fortzubewegen, nehme ich mir diese Erhebungen zum Ziel. Der Weg über den buckligen, mit Steinen durchsetzten Untergrund ist zwar etwas mühsam, trotzdem komme ich leidlich schnell voran. Meine Versuche, die Gedanken auf einen allein zu konzentrieren, werden aber immer wieder durch verschiedene Eindrücke unterbrochen. Da sind Unebenheiten, die einige Aufmerksamkeit fordern, um nicht darüber zu stolpern, dort läuft eine aufgescheuchte Echse davon, bleibt stehen, sieht sich nach mir um und verschwindet hinter einem Haufen aus Steinen. In einem leichten Bogen nähere ich mich von der Seite so leise wie möglich dem Steinhaufen an, von dem Tier ist jedoch keine Spur mehr zu sehen. Stattdessen fällt mir ein buntes Kopftuch auf, das sich dort zwischen den Gesteinsbrocken verfangen hat. Ich gehe weiter und entdecke etwas in der Ferne, das wie ein ruhiger See aussieht, der von der Hügelkette umgeben ist. Seine Oberfläche scheint sich leicht zu bewegen, als ob ein sanfter Wind darüber streicht. Fasziniert setze ich meinen Weg fort, doch im gleichen Tempo, in dem ich auf ihn zugehe, zieht er sich zurück. Das Wasser ist nur eine Fata Morgana. Die Illusion löst sich auf, und was zuvor wie ein See aussah, entpuppt sich als trockener Wüstenboden, aus dem einige knorrige, abgestorbene Akazien herausragen. Trotz der Täuschung verspüre ich eine seltsame Ruhe. In dem Augenblick wird mir bewusst, dass sich meine Gedanken im Laufe des Fußmarsches wahrhaftig auf irgendeine Art ordnen.

Es ist paradox, wie nahe restriktive Gewalt und absolute Freiheit beieinanderliegen. Nur ein paar hundert Meter von hier entfernt steht auf der Straße mein Fahrzeug, durch staatliche Willkür blockiert. Ich darf es, obwohl in meinem Besitz stehend, weder vor, noch zurück bewegen. Ein Symbol totaler Unfreiheit. So werde ich dazu gezwungen, dorthin zurückzukehren. Doch hier draußen, allein in der Wüste, gibt es keine Gesetze, keine Autoritäten, die mich einschränken könnten. Hier dagegen befinde ich mich in nicht antastbarem Freisein. An diesem Ort gibt es keine Macht, die mich zur Einhaltung von menschgemachten Gesetzen oder Vorschriften zwingen könnte, denn in der Wüste existieren sie nicht. Meine persönlichen physischen und psychischen Eigenverantwortlichkeiten werden nicht eingeschränkt. Nur den Zwängen natürlicher Körperfunktionen und -bedürfnisse, die dem freien Willen entzogenen sind, muss ich mich beugen. Und eben meiner eigenen ethischen Verantwortung, die aber nicht durch die Macht anderer erzwungen wurde. Definitionen von Freiheit gibt es sicher so viele, wie Individuen. Ein nomadisierender Targi, der seine gesamte Lebenszeit in größtmöglicher Unabhängigkeit verbringt, wird anders darüber denken, als ein Großstädter in beengender Zivilisation. Sehnsucht nach Freiheit empfinden und sich für diese einsetzen kann vermutlich vor allem derjenige, dem Eigenbestimmung großteils entzogen wurde. Meine grundlegende Abneigung gegen Zwang, Ungerechtigkeit und repressive Machtausübung ist sicher ererbt. Bei den internationalen Machteliten in der Politik und im Kapital beginnt dieser Widerwillen, und reicht bis zur Zwangsbeglückung durch die mit angewandter Psychologie professionell durchdachten Werbemethoden. Klingt wie Anarchie. Ist es aber nicht, eher nach Immanuel Kants: „Gesetz und Freiheit ohne Gewalt“.

Hier in der Sahara empfinde ich Zufriedenheit und Glück. Ich bin dankbar, diese Erfahrung machen zu dürfen, allein inmitten der Stille und Weite dieser unwirtlichen Landschaft. Unbeirrt durch die Luftspiegelung, die mir einen See vorgaukelt, marschiere ich weiter und stelle fest, dass die von mir angestrebte Hügelkette trotz längerem Fußmarsch nicht nähergekommen ist. Ich gehe auf einen grünlich fluoreszierenden Gegenstand zu, der meine Aufmerksamkeit verlangt. Es ist einer dieser billigen Plastikschuhe aus chinesischer Produktion, wie man sie millionenfach auf den Märkten im Sudan anbietet. Irgendetwas stimmt damit nicht. Objekte, die über mehrere Tage in der Wüste liegen, werden mit der Zeit von Flugsand bedeckt, zumindest aber sammeln sich auf der dem Wind abgekehrten Seite Häufchen von Sand an. Nichts davon traf hier zu. Wie kam der Schuh hierher, denn es führen auch keine Fußspuren zu diesem Ort. Das Rätsel ist nicht zu lösen, somit beschließe ich umzukehren, um entlang meiner eigenen Fährte zum Auto zurückzukommen. Ich scheine mich weiter vom Rover entfernt zu haben als geschätzt, denn nur schemenhaft nehme ich am Horizont die undeutlichen Umrisse der Militärfahrzeuge auf der Straße wahr. Ich gehe nochmals an dem verlorenen Tuch vorbei, auch da gibt es keine Spuren von Sand. Die Gegenstände können demnach nicht lange da liegen.

Erschöpft, müde und durstig erreiche ich den Rover. Kräftige Schlucke vom kühlen Wasser aus der Gerba wirken erfrischend. Das Timing hätte nicht besser sein können, denn kaum habe ich mich hingesetzt, nähert sich der Toyota mit Akamouk und unseren Papieren. Der sandige Wind trägt das tiefe Brummen des Motors heran, während Akamouk aussteigt. Er scheint verärgert, er verabschiedet sich auch nicht vom Fahrer des Wagens. Sein Tegelmust ist so hochgezogen, dass nur seine Augen zu erkennen sind, in denen ich eine seltsame Mischung aus Zorn und Frustration wahrzunehmen glaube. Ohne viele Worte bringen wir die Papiere zu dem Offizier. Er wirft einen kurzen Blick darauf und wünscht uns eine gute Fahrt. Wir fahren los, und Akamouk erzählt mir unterwegs die Gründe für seine Verstimmung. In den Büros von Tamanrasset arbeiten nahezu durchwegs Leute aus dem Norden. Er musste endlos lange warten, wurde von einem Büro ins andere geschickt, voll Misstrauen ausgefragt und fühlte sich wie ein Fremder behandelt. Und das einem freien Targi! Er erzählte, dass es in den Städten im Norden bürgerkriegsähnliche Zustände gibt, weil der seit zwanzig Jahren regierende vergreiste Präsident Bouteflika weiter regieren will. Dass wir im Süden Algeriens recht wenig darüber erfahren, ist bezeichnend. Nur vier Prozent der Gesamtbevölkerung des Wüstenstaates leben in und südlich der Sahara. Dem Großteil der Menschen hier ist das, was im Norden ihres Landes geschieht, herzlich egal. Dabei frage ich mich, wie lange man hier verweilen muss, um die Welt und ihre Kämpfe vollständig hinter sich zu lassen.

Bis In Guezzam ist die Straße asphaltiert und in recht befahrbaren Zustand, wir sind dementsprechend schnell unterwegs. Erstaunlich ist die große Präsenz von Soldaten in dieser Gegend. Jetzt weiß ich endlich, welches Ziel die lange Kolonne von Militär-LKWs hatte, die vor einigen Nächten an der Auberge de Soleil vorbeigedonnert ist. Es sind Spezialtruppen, viele mit Metalldetektoren ausgerüstet, um im Sand vergrabene Schmuggelware zu orten. Das scheint notwendig zu sein, denn die Soldaten, bei denen ich vorhin warten musste, erzählten mir, sie haben Lager mit automatischen Gewehren, sogar mit schweren Waffen, wie Granatwerfer gefunden. Alles bestimmt Vorräte der Al Quaida oder der Islamisten. Es ist offensichtlich, dass das Militär hier nicht nur die Sicherheit der Grenze gewährleistet. Die maßgeblicheren Grenzposten zu Nachbarstaaten wie Mali und Marokko sind bereits gesperrt, diese hier nach Niger ebenfalls, zumindest offiziell. Hinaus werden wir mit der von Akamouk in Tamanrasset erhaltenen Bewilligung ohne größere Schwierigkeiten kommen, wie das bei unserer Rückfahrt sein wird, steht in den Sternen geschrieben. Insch Allah!

Wir passieren eine lange, still stehende Kolonne von Lastentransportern, bevor das Zollamt erreicht ist. Hier geht alles erstaunlich schnell, die Ausfuhr des Wagens wird mit einem Stempel bestätigt und wir dürfen südwärts weiterfahren. Die asphaltierte Straße endet bald an einer Art befestigtem Fort. Die weitere Route führt über eine Piste, teilweise markiert, streckenweise wild durch die Gegend. Es sind fünfundzwanzig Kilometer zu überwinden, die mich an frühere Zeiten erinnern, als solche Wege der Alltag waren. Immer wieder begegnen uns kleine Trupps und ganze Familien Schwarzafrikaner, die in Richtung Algerien ziehen. Der Anblick ist bedrückend.

Wir erreichen gegen Abend Assamaka, den Grenzposten von Niger. Das Zollamt unterscheidet sich von den umliegenden Bauten nur durch einen Fahnenmast, an dem sich die nigrische Flagge im Abendwind leicht bewegt. Militär gibt es hier ebenfalls, allerdings in wesentlich geringerem Ausmaß als jenseits der algerischen Grenze. Der Diensthabende ist ein Targi und er begrüßt uns auf Art der Tuareg mit „labess“. Über ihn erfahren wir von zahlreichen toten Flüchtlingen, die in Massengräbern ringsum verscharrt sind. Algerien hat bei massiven Ausweisungen seit Oktober 2017 an die 13.000 Immigranten zurückgeschickt, weil die Europäische Union Druck auf die nordafrikanischen Länder ausübt, um die Routen übers Mittelmeer zu unterbinden. Den in Niger arbeitenden Organisationen der UN fehlen die Kapazitäten, um sich in dem Ausmaß zu kümmern, die bei dieser Anzahl Menschen notwendig wären. Lediglich an die 11.000 Flüchtlingen aus Mali, Gambia, Guinea, Elfenbeinküste, Niger und anderen Ländern ist der Marsch durch weit über 200 Kilometer staubtrockenes Land bis zur nächsten Stadt, Arli, gelungen.

Der „Chef de poste“ ist ebenfalls ein Targi und begrüßt uns mit einer Herzlichkeit, die über das rein Amtliche hinausgeht. Da es in der Umgebung kein Hotel gibt, bietet er uns an, in einem der Räume des Amtshauses zu übernachten. Es ist klar, dass wir dieses Privileg Akamouks Anwesenheit und der tief verwurzelten Gastfreundschaft der Tuareg zu verdanken haben. Im Hof des Zollgebäudes bereitet Akamouk eine große Portion Tee für uns und den gefälligen Zöllner. Bald gesellt sich einer seiner Untergebenen, ebenfalls ein Targi, zu uns. Sie wirken sichtlich erfreut über diese Einladung, denn der Arbeitsalltag lässt ihnen wenig Zeit, um Tee nach der alten Tradition zuzubereiten. Ich fühle mich etwas ausgeschlossen, da sich die Herren in ihrer Sprache Tamasheq unterhalten. Das Gespräch scheint manchmal meine Person zum Thema zu haben. Das bemerke ich an den interessierten Blicken, die mich gelegentlich treffen. Es wird spät, bevor wir uns zur Ruhe begeben.

Am Morgen des folgenden Tages erhalten wir anstandslos die notwendigen amtlichen Bestätigungen für mein Auto. Nach dem Betanken des Rovers und Nachfüllen der Wasserbehälter sowie einem länger sich hinziehenden Abschied der Touaregstämmigen, brechen wir wieder in Richtung Algerien auf. Jetzt erst fallen mir verlassene Lagerstellen in Pistennähe auf, erkenntlich an zurückgelassenen leeren Konservendosen und Resten anderer Verpackungen von Lebensmitteln. Damit erklären sich die Fundsachen bei meinem Spaziergang am Tag zuvor. Die dort gefundenen Gegenstände dürften von einem solchen Lager vom Westwind oder Tieren dorthin verschleppt worden sein. Die Unendlichkeit der Wüste birgt gleichermaßen Leben und Tod, doch sie urteilt nicht. Sie nimmt auf, gibt aber nichts Greifbares zurück.

Der erste Teil der Rückreise auf und neben der Piste ist zwar mühsam, doch ohne Probleme zu bewältigen. Sobald es wieder Asphalt unter den Rädern gibt, kommen wir schnell nach In Guezzam. Hier erwarte ich größere Schwierigkeiten mit der Einfuhr des Rovers, und meine Befürchtungen bewahrheiten sich. Ein junger, eindeutig aus dem Norden stammender Zollbeamter prüft die Papiere sorgfältig, blättert lange in einem Buch. Mit wichtiger Miene erhebt er sich von seinem Schreibtisch und kommt mit aufgeschlagenem Gesetzbuch auf mich zu. Es ist in der Amtssprache französisch gehalten. Er zeigt mir darin die Stelle seines Missfallens, wo geschrieben steht, dass mindestens drei Tage vergehen müssen, bevor das Fahrzeug erneut ins Land darf. Alle Versuche, ihm glaubhaft zu erklären, warum ich ganz dringend in den Norden fahren muss und dass mein Wagen keine Migranten transportiert, sind vergebens. Er bleibt unerbittlich, hört mich geduldig an, ohne von seiner Position abzuweichen. Bis er fragt, ob ich in Österreich geboren wurde. Die Überprüfung meines Reisepasses fällt zu seiner Zufriedenheit aus. Zwei Stempel und zwei Unterschriften, jeweils von ihm und seinem Vorgesetzten, und wir dürfen fahren. Was mein Geburtsland mit diesem Sinneswandel zu tun hat, wird für mich dauerhaft ein Rätsel bleiben. oder ist es wegen der Neutralität Österreichs? Ich beschließe, darüber nicht weiter nachzudenken. So faszinierend die Logik des afrikanischen Kontinents auch ist, ganz heimisch werde ich darin wohl nie.

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Hoggar, am Weg nach Tamanrasset

Da wir die zwar schönere, aber umständlichere Route durch die Ifoghas-Berge zur Heimfahrt nicht nehmen, bleibt uns nur der Weg über Tamanrasset. Was mir nicht ungelegen kommt, denn es würde mich interessieren, ob es in dieser südlich gelegenen Universitätsstadt gleichfalls Anzeichen der Unruhen gibt. In den Städten im Norden sind nämlich Studenten die Organisatoren. Die 500 Kilometer bis „Tam“ bewältigen wir in einer Rekordzeit von viereinhalb Stunden. Am Militärkontrollpunkt erkennt man uns sofort und winkt freundlich durch. Die Abenddämmerung ist bei unserer Ankunft angebrochen. Ich überlege, ob wir die Nacht in der Stadt verbringen, oder vor deren Toren kampieren sollen. Bei Finsternis einen geeigneten Platz dafür zu finden, bedeutet Glückssache, außerdem ist Tamanrasset bekannt für seine angenehmen, aber kühlen Temperaturen, die in der Nacht sogar an den Gefrierpunkt gelangen können. Erreichen andere Städte wie In Salah Höchsttemperaturen bis 55° C, gibt es in Tam nicht einmal 30° C. Deshalb leiste ich mir ein Zimmer in derselben Unterkunft, die ich von der Fahrt mit François zum Elektroniker kenne. Selbstverständlich lade ich Akamouk auf diese Übernachtung im Hotel ein. Nach dem Einchecken schlendern wir durch die stillen Straßen der Stadt. Lediglich auf einem größeren Platz hat sich verloren und friedlich eine kleine Gruppe Studenten versammelt, die zwei algerische Fahnen hochhalten. Wir erfahren von ihnen, dass die Regierung die anstehenden Semesterferien um elf Tage vorverlegt hat. Da in den Ferien die Studentenheime durchwegs geschlossen bleiben, zerstreuen sich deren Bewohner in ihre Heimatorte, ein klarer Versuch, die Protestbewegung zu schwächen.

In der Morgendämmerung machen wir uns auf den Weg in Richtung Osten, zur vertrauten Auberge. Nach stundenlanger Fahrt, erreichen wir am späten Nachmittag, das Ziel, wo uns Michelle und François mit großer Herzlichkeit empfangen.Akamouk verzieht sich in den Hof zu Iyad, seinem Verwandten, ich steige in mein Türmchen hinauf, um zu duschen und mich der staubigen Kleidung zu entledigen, die ich in den Tagen dieser Fahrt durchgehend getragen hatte. Beim Abendessen hören die Wirtsleute meinem Bericht aufmerksam zu, François ergänzt die Erzählungen mit der neuesten Nachricht, dass Bouteflika dem Druck der Demonstranten nachgegeben hat und nicht mehr für eine weitere Amtsperiode kandidiert. Das könnte eine ruhig verlaufende Wahl bedeuten. Nach dem Essen begebe ich mich in das Turmzimmer, öffne den Computer und will meine persönlichen Erinnerungen an die Westafrikaexpedition vor sieben Jahrzehnten weiterschreiben. Doch nach einigen Zeilen schlafe ich vor dem Bildschirm kurz ein. Ich beschließe, morgen ausgeruht mit der Arbeit fortzufahren:

Fahrtroute Österr. Westafriaka-Expedition 1955-56

Wir, die fünf Mann der Expedition, hatten an der Piste nach Bidon 5 irgendwo übernachtet. Frierend, aber ausgezeichneter Stimmung brachen wir unser Lager unterm Sternenzelt ab, um die folgenden zweitausend Kilometer Sahara zu meistern. Die Wüste war eben wie ein Tisch, nirgends mehr Sanddünen zu sehen. Obwohl versandet, war der Boden hart und mühelos befahrbar. Damit den Autos das Wellblech der Piste ersparend, fuhren wir auf den Spuren der Fahrzeuge, die hunderte Meter neben der Hauptstrecke nach Süden führten. Dabei stets die Markierungen der Piste durch Steinhaufen, alte Telegraphenmasten oder leere Benzinfässer im Blick.

Der IFA lief wie ein Wiesel, bis mit zunehmender Sonnenwärme sein Kühler wieder kochte. Ab da waren wir gezwungen öfters stehenzubleiben, um Wasser nachzufüllen. Das Sonnenlicht wurde immer trüber und die Schatten verschwanden. Im unheimlichen Schleier eines aufkommenden Sandsturms erreichten wir den nächsten französischen Militärposten, den Poste Weygand, amtlich Balise 250 genannt. Dieser und der dreihundert Kilometer weiter südlich gelegene Posten gewährleisteten den Durchfahrenden die Versorgung mit Treibstoff und Wasser. Dort standen ein paar Baracken, wovon wir eine beziehen durften und den IFA durch das groß dimensionierte Tor hineinfahren konnten. Der Kühler wurde ausgebaut und wir mussten erkennen, eine Reparatur vor Ort war ausgeschlossen. Der Sturm rüttelte am Dach und an den Ecken der aus Wellblech bestehenden Unterkunft und vollführte einen Höllenlärm. Wir fürchteten, mitsamt der Baracke weggeblasen zu werden. Plötzlich wurde die kleine Türe neben dem Haupttor aufgerissen und schlug mit unerhörter Gewalt an die Wand. Zwei vermummte Gestalten stemmten sich gegen den Sturm herein und schlossen die Tür mit Mühe. Es waren recht sympatische dänische Reisende. Der eine war Kinderarzt aus Indien, der einen neuen Kontinent kennenlernen wollte, der andere einfach ein Abenteuer suchender Däne. Der Sturm ebbte ab, die gewohnte Stille umfing uns wieder. Wir verbrachten zu siebent eine recht angenehme Nacht in der Baracke. Diese Herren aus Dänemark schickte uns der Himmel, denn sie spendeten ein Dichtungsmittel für den Kühler. Dieses Geschenk ermöglichte es, einen Tag später unsere Fahrt fortzusetzen.

Bei Tagesanbruch verließen wir den Posten, die Dänen in ihrem alten Ford in Richtung Norden, wir mit frischem Mut nach Süden. Die Fahrt verlief zügig und beinahe reibungslos durch die stets größer werdende Hitze, bis eine über den Weg laufende tiefe Querrinne der Achse des Père Ubu das Genick brach. Und das geschah nur wenige Kilometer vor unserem angestrebten Etappenziel! Für solche gröbere Bodenunebenheiten, seien es Rinnen oder Erhebungen, gilt der Grundsatz: schräg anfahren! Ich hatte dieses Hindernis nicht gesehen. Der Frust war unvermeidlich, doch für lange Klagen war die Zeit zu knapp. Die Sahara verzeiht keine Schwäche, und so nahmen wir die nächste Herausforderung in Angriff, mit der unerschütterlichen Entschlossenheit, die uns bislang getragen hatte.

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Begräbnis der letzten Achse

Übung macht den Meister. In der Rekordzeit von knapp zweieinhalb Stunden war die Reserveachse eingebaut. So erreichten wir todmüde vor Sonnenuntergang Bidon 5, den mutmaßlich bekanntesten Ort der Tanezrouftpiste. Ort wäre übertrieben, eher eine Örtlichkeit, denn der Posten bestand aus zwei Wellblechbaracken, einer gemauerten Unterkunft und dem Stahlgerüst eines Sendemastes. Bidon V heißt auf Deutsch „Fass 5“. Schon im Jahre 1923 wurden nummerierte leere Benzinfässer zur Markierung entlang der Strecke deponiert. Der Ort war deswegen berühmt und auf jeder Landkarte eingezeichnet, weil er markierte die genaue Hälfte der Route zwischen Colomb Béchar im Norden und der Grenze zu Niger im Süden. Soweit das Auge reichte, sah man rundherum ausschließlich brettebene Wüste. Im Fall eines Falles war dies ein fixer Anlaufpunkt für Rettung Suchende auf der langen Durststrecke.

Zwei einsame französische Soldaten waren hier für alles verantwortlich. Allerdings waren die beiden nicht als Armeeangehörige zu erkennen. Sie hatten ihre Uniformen sorgsam im Spind aufbewahrt, um sie vor dem allgegenwärtigen Sand zu schützen. Stattdessen trugen sie fleckige Hemden und abgewetzte Shorts, die sie eher als Veteranen eines tropischen Abenteuerromans erscheinen ließen. Sie waren Funker, die uns freundlichst in ihrer Radiostation aufnahmen. Max und Schani unterhielten sich mit den beiden länger bei ausreichend Wein und Kognak, denn Wasser war kostbar. Es wurde über viele Kilometer in Tankwagen von der nächsten Oase Tessalit hierher transportiert. Der erschöpfte Rest der Expedition legte sich im Freien unter dem beeindruckend dichten Sternenhimmel schlafen. Es schien, dass die Wüste dieses wunderbare Schauspiel als Entschädigung für die Widrigkeiten des Tages aufgeboten hätte.

Wir haben beschlossen, hier einen Ruhetag einzulegen. Kopezky und ich reinigten jeweils unsere Arbeitsgeräte und befreiten sie vom allgegenwärtigen Sand. Walter kümmerte sich hingebungsvoll um den IFA und „schmierte den Wagen ab“. Das Auto besaß am Fahrgestell einige Nippel, durch die regelmäßig Fett gepresst werden musste, damit Lager etc. immer gut geschmiert waren. Eine fast meditative Tätigkeit, die wie ein Tempeldienst wirkte. Schani kämpfte indes mit dem streikenden Starter des Humber. Nachdem der IFA fertig war, nahmen Walter und ich eine kurze Tonreportage über diese faszinierende Örtlichkeit und deren Bewohner auf. Sie beschrieb die karge Schönheit dieser isolierten Welt, die beiden Funker, die wie aus einem französischen Schwarzweißfilm entsprungen schienen, und die allgegenwärtige Stille. Wir hatten vor, das Band auf unserer weiteren Route beim Besuch des nächstgelegenen Postamts nach Wien dem österreichischen Rundfunk zu schicken. Zum Abschied schenkten uns die Soldaten großzügig ein Päckchen Zigaretten pro Kopf. Es war ein Moment von fast rührender Gastfreundschaft. Vielleicht sahen sie uns als leidensfähige Brüder im Geiste, die sich mit der Wüste ebenso arrangierten wie sie selbst.

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Grenzstein Algerien / Mali
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An der Grenze Algerien / Mali

Mitten in der endlosen Wüste, allein und verloren, stand ein Grenzstein. Er zeigte den Reisenden die Entfernung zur nächsten Oase, den Übergang von Nordafrika (Afrique du Nord AFN) zum Gebiet von Französisch Westafrika (Afrique occidentale Française AOF) an. Ab hier galt der Franc CFA (Colonies Française d’Afrique). Der war doppelt so viel wert wie der französische Franc, das geltende Zahlungsmittel in Algerien. Doch ab hier waren die Preise die Gleichen wie die weiter nördlich in FF. Das hieß, alles war jetzt zweimal so teuer wie bisher. Walter, unser Kassenwart, war der Verzweiflung nahe. Seine ohnehin permanent sorgenvollen Ernst ausstrahlenden Gesichtszüge zeigten ab da beim Bezahlen stets so abgrundtiefe Trauer, dass wir um seine seelische Gesundheit bangten. Der Ernst der Lage war uns bewusst, unsere Vorräte und unser Budget hatten ihre Grenzen, und jede weitere Herausforderung konnte das Unternehmen aus dem Gleichgewicht bringen. Aber bis zum ersten Schock dieser Art dauerte es eine Weile, wir mussten vorerst noch einige Aufgaben auf der folgenden Strecke lösen.

Wir hatten uns in Wien verpflichtet, ein Auto durch die Wüste zu bringen, das in keiner Form für ein derartiges Unternehmen gebaut und darüber hinaus erheblich überladen war. Ein rückwärtiger Stoßdämpfer des IFA verabschiedete sich endgültig. Wir waren gezwungen, ihn mit Kupferdraht provisorisch zu reparieren, ein fragiles Provisorium, das ebenso viel Erfindungsreichtum wie Hoffnung erforderte. Aber auch unserem Wüstenschiff, dem Humber, mangelte es an der für so ein Unternehmen notwendigen Robustheit. Ich habe mich mehrmals gefragt, wie die Engländer mit solch anfälligen Fahrzeugen einen Krieg gewinnen konnten. Der rechte Vorderreifen des Père Ubu verlor unübersehbar schnell Luft und musste gegen den letzten intakten Reservereifen getauscht werden.

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Kommt der invalide Père Ubu nach?

Es gab andere interessante und erfreulichere Unterbrechungen. Die riefen uns in Erinnerung, dass wir nicht ausschließlich dazu aufgebrochen waren, kaputte Autos wieder flottzumachen. In der viele hundert Kilometer weiten flachen Wüste und Einsamkeit ringsum, trafen wir unseren ersten wirklichen Nomaden und bewunderten ihn gebührend.

Begegnung 1
Ein nomadisierender Targi
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Versuch einer Kommunikation

Dann kreuzte eine schöne junge Targia unseren Weg. Ihre Haltung war so stolz wie ihre Kleidung farbenfroh. Wir hielten an und Mackie sprach mit ihr. Die Zelte ihres Touarg-Clans standen nicht weit von hier und sie lud uns zum Tee ein. Meine Freunde nahmen diese Einladung begeistert an und folgten ihr zu Fuß. Ich blieb als Wächter bei den Fahrzeugen. Einer musste schließlich Wache halten. Mir war das recht, denn schon damals war mir die absolute Stille eine Wohltat im Gegensatz zu den lauten Fahrgeräuschen bisher. Nach dem Genuss der üblichen drei Gläser Tee kehrten die anderen zurück, sichtlich beglückt vom Tee und der Gesellschaft. Sicher trug die Targia mit ihrer Anmut zum allgemeinen Wohlbefinden bei. Bald darauf fuhren wir wieder gen Süden. Der schwächere IFA mit Walter und Kopezky an Bord knatterte voraus, wir folgten im Humber mit respektvollem Abstand.

Allmählich verwandelte sich die trockene Wüste mit einer jährlichen Niederschlagsmenge von 100 mm in feuchtere Steppe. Die ersten Büsche, tropische Had-Sträucher, tauchten vereinzelt auf, dazwischen an manchen Stellen Cram-cram, das Gras der Sahelzone. Die Touareg nennen diese harten Grasbüschel Fesh-fesh. Eine Vegetation, die offenbar einladend für Wildtiere war. Die ersten Wildtiere flüchteten aufgeschreckt von links nach rechts über die Piste. Das ist nicht ungefährlich, denn ein Zusammenstoß mit einer Gazelle, oder einer der größeren Antilopen kann schlimme Folgen haben. Später lernte ich, dass das Wild immer in Richtung Sonne flüchtet. Damit bringt es sich zwischen den Angreifer und dem diesen blendenden Gestirn.

Wir planten, vor Dunkelheit bis zu unserem nächsten Etappenziel zu fahren. Deshalb fuhr ich, zwar wegen der Tiere besonders aufmerksam, aber zügig weiter. Vor uns in der Ferne sahen wir ein Fahrzeug stehen, von Menschen umringt. Im Näherkommen erkannten wir das Objekt, es war der vorausgefahrene IFA. Wieder einmal stehend. Was bei den Passagieren des Humber größte Befürchtungen auslöste. Aber diesmal wartete eine angenehme Überraschung. Hans Kopezky hatte einen prachtvollen Bock geschossen, eine Dorcagazelle. Als wir ankamen, hatte Walter das Tier fachmännisch aufgebrochen und war am abhäuten. Das Fleisch wurde in das eigene Fell verpackt und wir erreichten bald Tessalit, wo außerhalb der Stadt, in Nähe der Werkstatt der Societé Mer-Niger unser Lager aufgeschlagen wurde. Die Umgebung lieferte genügend Holz für ein anständiges Lagerfeuer. An dem grillten wir große Fleischstücke und verzehrten sie mit Appetit und Begeisterung. Gesättigt und zufrieden verbrachten wir die Nacht vor den Toren Tessalits.

14. KAPITEL – Kamelritt -Beginn der Sahelzone – Jagdversuche

Die Sonne war eben dabei, die Kühle der Nacht aus dem Hof zu vertreiben, als Akamouk uns mit einer Neuigkeit überraschte. Er und Iyad, sein Begleiter, würden in wenigen Tagen in ihre Heimat im Hoggar-Gebirge aufbrechen. Das bedeutet einige Tagesritte durch die Wüste. So einen Trip mitzumachen war schon immer mein Wunsch, nicht nur des Erlebens willen, sondern um besser verstehen zu können, wie Nomaden in der Einsamkeit leben und was sie prägt. Trotz der mir selbst auferlegten Pflicht, meinen Lebensweg schriftlich zu dokumentieren, würde ich diese Gelegenheit gerne wahrnehmen. Ohne zu zögern, frage ich ihn, ob ich mitkommen könne. Seine Antwort war eine knappe, doch wohlwollende Zustimmung. Es bleiben zwei Tage zur Vorbereitung. Mit Skepsis schütteln Michelle und François ihre Köpfe über mein Vorhaben, zeigen aber grundsätzlich Verständnis dafür, dass jemand wie ich, sich auf so ein Abenteuer einlassen wollte.

Der Tag des Aufbruchs ist gekommen. Die Sterne verblassen am schnell heller werdenden Himmel. Kälte kriecht unangenehm am Hals und bei den Handgelenken unter meine Kleidung. Im Hof selbst ist es noch recht dunkel, der sparsame François hat das Stromaggregat nicht angeworfen. Wenigstens scheint trübe aus der Küche ein von der Photovoltaik gespeistes Licht. Dort bereitet die gute Michelle Proviant für unsere Reise vor. Doch dann schiebt sich das Morgengrauen bis in die letzten Winkel des Hofes der Auberge du Soleil, in dem die längst fertig gesattelten und beladenen Kamele liegen. Das mir zugewiesene Reittier erkenne ich an den nicht aus Afrika stammenden Decken, die man für mich am Sattel festgebunden hat. Karl Mays Kara-ben-Nemsi hat sein treues Pferd Rih stets mit einer Handvoll Datteln belohnt. Deshalb denke ich, auf gleiche Weise mit dem edlen Mehari Freundschaft zu schließen, das mich die nächste Zeit durch Wüste, Sturm und Sand tragen wird. Offenen Herzens und mit den süßen Früchten auf der Hand gehe ich direkt auf das Tier zu. Es ist mir bewusst, dass Kamele kräftig beißen und Menschen gefährliche Wunden zufügen können, aber ich überwinde meine Bedenken und nähere die auf flacher Handfläche ausgebreitete Gabe seinem Maul. Da dieses Wüstenschiff keinen Namen hat, spreche ich dabei einschmeichelnd mit leiser und tief gehaltener Stimme beruhigende Worte. Doch in von mir nicht erwarteter abwehrender Reaktion brüllt das Vieh gurgelnd und reißt seinen Kopf mitsamt dem langen Hals rasch zur Seite. Erschrocken springe ich einen Satz rückwärts. Misstrauisch beäugt es mich mit einem Auge von oben herab. Durch den Lärm aufmerksam geworden, eilt Akamouk sofort herbei, das Kamel schwenkt den Kopf wieder in die gewohnte Lage und genießt zufrieden die ihm zuteilwerdenden Streicheleinheiten. Ob der Targi dabei überheblich lächelt, bleibt mir hinter seinem hochgezogenen Tegelmust zum Glück verborgen.

Zugegeben, die rüpelhafte Abweisung des wohlgemeinten Freundschaftangebots hat meine Seele verletzt. Sollte diese offen gezeigte Aversion während des engen Zusammenlebens in den nächsten Tagen bestehen bleiben, könnte die Reise schwierig werden, überlege ich sorgenvoll. Michelle bringt drei Päckchen mit liebevoll zusammen gerichteten Lebensmitteln in den Hof. Meines ist etwas größer als die der anderen, wozu sie erklärend meint, dass mir die einfache Kost der Touareg vielleicht nicht zusagen würde. Weiterhin sauer auf dieses ungebildete Tier, das mich durch ein gewaltiges Stück Wüste tragen soll, steige ich in den Sattel. Der Erwartung entsprechend begleitet von heftigen lauten Unmutsäußerungen des Kamels. Akamouk gibt einen Befehl, ruckelt am Zaumzeug und das Mehari hebt sich, indem es seine Vorderbeine zur Hälfte streckt, sodass ich vermeine hinten hinunter zu rutschen. Ich ergreife rasch das Sattelkreuz vor mir und klammere mich kräftig daran fest. Und schon werde ich nochmals nach vorne geworfen, gefolgt von einem weiteren schnellen Strecken der Vorderbeine, was mich beinahe wieder rückwärts aus dem Sattel katapultiert. Bilder von texanischen Stierrodeos tauchen kurz in meiner Erinnerung auf. Dann sitze ich endlich aufrecht hoch oben. Das Kamel sieht sich nach mir um, wahrscheinlich in der Hoffnung mich abgeworfen zu haben. Ich zeige ihm den Stinkefinger, was bei den Dimensionen eines Dromedars eher eine lächerliche Geste darstellt. Ich habe das Gefühl, wir mögen uns nicht.

Die kleine Karawane setzt sich in Bewegung, François und Michelle stehen beim Tor und winken uns zum Abschied. Wir verlassen die Auberge, erst Akamouk, dann ich, und Iyad, der die zwei Lastkamele an einem Seil führt, bildet den Schluss. Es trifft sich glücklich, dass der Einfahrtsbogen für große Lastwagen gebaut ist, denn zum Missvergnügen des Reitkamels unter mir passe ich nur knapp darunter durch. In dieser Reihenfolge bleiben wir am Rand der Piste. Die Kühle des Morgens unterstreicht ein kalter Lufthauch. Mein Reittier schaukelt mich friedlich hinter dem des Targi her, ich habe nichts anderes zu tun, als zu sitzen und zu schauen. Nach einigen Kilometern biegt Akamouk unvermittelt in die freie Ebene ab. Bis jetzt decken sich meine Vorstellungen von einer solchen Reise mit dem gegenwärtigen Geschehen. Außer dem leisen Stapfen der Kamele und regelmäßigen Schaben eines Gepäckstückes an den Aufhängungen herrscht angenehme Stille. Nach und nach versinke ich in diesem Meer aus Ruhe und den gleichmäßig schaukelnden Bewegungen des Meharis.

Über lange Strecken verbreitet sich vollkommene Ausgeglichenheit in meiner sonst durch die Normen unserer industrialisierten Zivilisation und Kultur gequälten Seele. Jeglicher Zeitdruck fällt von mir ab. Die Sonne steigt höher und wärmt so kräftig, dass ich mich der dicken Jacke entledige und sie zusammengerollt über den Sattel lege. Der Hut mit der breiten Krempe bietet mir ausreichenden Schutz gegen die Sonne. Es ist recht wohltuend, dass Akamouk um die Mittagszeit die Karawane anhält. Erst steigt er selbst von seinem Reittier ab, danach bringt er meines zum Niederlegen. Das erfordert die gleichen Übungen des Gleichgewichts wie beim Aufstehen heute Morgen, nur in umgekehrter Reihenfolge. Die Unmutsbezeugungen dieses Kamels sind laut und nervtötend.

Die beiden Touareg legen ihre Schwerter, Akamouk dazu seinen Karabiner, den er stets am Riemen quer umgehängt trägt, auf den Boden. Sie schlichten die mitgebrachten Holzzweige zu einem Häufchen und fachen ein Feuer an. Die unvermeidliche Zeremonie des Teekochens beginnt. Nach dem über Stunden dauernden Ritt wird es mir erstmals besonders deutlich bewusst, wie belebend die Wirkung dieses Gebräus ist. Da es für uns keinen Zeitdruck gibt, genießen wir den Tee langsam schlürfend in kleinen Schlucken. Anschließend folgt das Reinigen und Wegräumen der Utensilien mit gemessenen und bedachten Bewegungen. Ebenso ohne Hast geschieht der neuerliche Aufbruch.

Wir reiten einige Stunden und halten erst, als sich die Sonne dem Horizont nähert. Im Windschatten größerer Felsen schlagen wir unser Nachtlager auf. Nachdem die Kamele von ihrer Last befreit sind, öffnen wir die von Michelle liebevoll gerichteten Proviantsäcke und genießen die belegten Brote. Der selbstverständliche Tee lässt nicht lange auf sich warten. Drei blasse Skorpione, angelockt durch das Licht des Feuers, statten uns einen Besuch ab. Eine Beteiligung an den Gesprächen, welche die Zeremonie normal begleiten, ist mir heute lästig. Ich bin zu müde dazu, außerdem spüre ich leicht schmerzend den Satteldruck durch den langen Ritt. Schließlich unterhalten sich die beiden in Tamasheq. Nach dem dritten Glas Tee ziehe ich mich auf mein Feldbett zurück. Höflich in einem Abstand von ein paar Metern kuscheln sich die zwei Touareg in ihre Decken, die Kamelsättel benützen sie als Kopfstütze.

Bis zum Ziel haben wir noch einige Tage vor uns. Die Kamele bewegen sich im Gleichmaß, ihre Hufe hinterlassen Spuren im trockenen Boden, die bald vom Wüstenwind verweht werden. Auch wenn unsere gegenseitige Empathie eher begrenzt ist, wächst mein Gefühl der Verbundenheit mit dem Mehari unter mir. Seine unermüdliche Ausdauer und das warme Fell, das seine Lebendigkeit spüren lässt, schenken mir Vertrauen. Akamouk ist in diesen endlosen Weiten der Sahara ein verlässlicher Führer. Sterne, Sonnenstand und Sandbeschaffenheit lassen ihn untrüglich den Weg finden, an dem die lebensnotwendigen Wasserstellen liegen. Es ist erstaunlich, wie viele Tiere in der Wüste leben. Von meinem erhöhten Sitz auf dem Mehari kann ich sie so direkt wie nie zuvor beobachten, denn sie flüchten kaum vor uns. Kommen wir ihnen zu nahe, stellen sie mit ein paar schnellen Bewegungen ihren natürlichen Sicherheitsabstand zu uns her und lassen sich nicht weiter stören. Antilopen, Gazellen, Wüstenfüchse und -mäuse, Eidechsen, sowie zwei Hornvipern bleiben völlig unbeeindruckt bei ihren jeweiligen Tätigkeiten. Aus nicht ersichtlichen Gründen gehen wir gewisse Strecken zu Fuß und führen unsere Tiere an einer Art Zaumzeug. Das scheint meinem unleidlichen Kamel zu gefallen, denn es brüllt nicht mehr, wenn ich mich ihm nähere, und frisst sogar den dargebotenen Hafer aus der Hand. Datteln bekommt es keine, weil die habe ich inzwischen mit Genuss selbst verzehrt.

Mein Zeitgefühl richtet sich kaum mehr nach der Armbanduhr, sondern wird durch die natürlichen Umstände definiert. Es mag daran liegen, dass Zeit hier nicht in Geld umgerechnet wird, so wie man es aus Europa gewohnt ist. Nicht die Zeit, die uns die mechanische Uhr diktiert, muss die Richtige sein. Daneben scheint es in Afrika eine andere Einteilung zu geben, die nicht wie in den Industrieländern die Lebensqualität der Menschen in Sekunden, Minuten und Stunden zerhackt. Die Nomaden erfahren ihre Zeit durch ihre Umgebung und Lebensrhythmen, womit sie eine abstrakte Messung vermeiden. Solche und ähnliche Gedanken begleiten mich auf dieser Wanderschaft durch die Wüste. Allerdings enden nicht alle mit derartigen Erkenntnissen.

Langsam erreichen wir die ersten Anhöhen und schroffen Berge des Hoggar. Es ist Mittag, wir folgen einer schmalen ansteigenden Piste, die deutlich nicht sonderlich befahren ist, denn die „tôle ondulée“, das unvermeidliche Wellblech, hält sich in Grenzen. Sie führt zu einer Oase mit Pflanzenbewuchs und einem zwischen Felsen eingebetteten größeren Teich. Es gibt Palmen mit mickrigen Datteln, die hauptsächlich aus Kernen bestehen. Eine Gruppe Schwarzafrikaner sammelt diese kaum genießbaren Früchte vom Boden auf. Weder ein Fahrzeug noch Lasttiere sind zu sehen, wie kamen die Menschen hierher? Sie scheinen verängstigt zu sein. Auf meine Fragen bekomme ich Antworten in englischer Sprache. Sie kommen aus dem Norden Nigerias und sind aus wirtschaftlichen Gründen und Angst vor dem islamistischen Boko Haram nach Algerien geflüchtet. Sie haben Schlepper bezahlt, die sie auf Umwegen bis hierher gebracht haben. Die machten sich aber in der Nacht mit dem Fahrzeug aus dem Staub, trotz des Versprechens, die Gruppe bis zum Mittelmeer zu bringen. Sie haben kaum Essbares dabei und wollen zu Fuß weiter nach Norden. Nachdem Akamouk mir versicherte, dass wir spätestens binnen zwei Tagen das Ziel unserer Reise erreichen werden, übergeben wir ihnen eine mit Wasser gefüllte Gerba und alle für uns voraussichtlich nicht mehr notwendigen Lebensmittel. Der Targi kann etwas Englisch und beschreibt den Reisenden markante Landschaftsmerkmale, an denen sie sich orientieren müssen, um die Transsaharastraße in wenigen Tagen zu erreichen.

Die Mittagssonne hat die Umgebung in einen Glutofen verwandelt. Nach den Tagen, in denen Wasser ausschließlich zum Trinken und Tee kochen verbraucht werden durfte und es keine Körperpflege gab, spüre ich das Verlangen im Teich zu baden. Am gegenüber liegenden Ufer nehmen die Kamele Wasser auf. Der kleine See ist glasklar und von angenehmer Temperatur, folglich steige ich hinein. Durch den bis zur Brust reichenden See bis in die Mitte watend, spüre ich an der tiefsten Stelle Bewegung an den Füßen. Wunderbar kühles Wasser quirlt mit Druck aus dem Boden. Das muss die Quelle sein, die den See speist. Meine zwei Reisegefährten bereiten inzwischen Tee und halten den Rumi, wenn schon nicht für verrückt, so vermutlich doch für ziemlich seltsam. Ich fühle mich nach dem Bad extrem wohl und erfrischt. Die Teegläser werden im See gewaschen und wir brechen auf, um unsere Reise fortzusetzen. Im Sattel sitzend und geschaukelt, schreibe ich in meinen Notizblock folgende weitere Erinnerungen an die erste Afrikaexpedition:

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Begegnung mit einer Familie der Touareg im Hoggar

Tessalit ist eine Oase, die sich ausreichend genug Mühe gibt, nicht vollständig in der umliegenden Wüste zu verschwinden. Unsere Autos waren auf den Pisten der Sahara extrem in Mitleidenschaft gezogen worden und mussten dringend repariert und überholt werden. Wir nutzten die Gelegenheit bei der Mer – Niger die Reifen des Père Ubu fachgemäß flicken zu lassen. Walter dagegen entschied sich, den IFA eigenhändig mit Werkzeug, Improvisation und Optimismus instand zu setzen. Der Stoßdämpfer funktionierte danach ungefähr so wie eine alte Matratze, hinreichend, aber keineswegs perfekt. Hans Kopezky wollte seine erste Jagdtrophäe, den wirklich schönen Kopf der Gazelle, unbedingt nach Hause bringen und bestand auf dessen Mitnahme. Die Theorie war bestechend einfach, das trockene Wüstenklima würde das Fleisch vom Schädel rasch abfallen lassen. Beispiele dafür hätte man ja im Sand der Sahara liegend mehrfach angetroffen. Also wurde der Gazellenkopf stolz auf das Dach des IFA geschnallt, voll Hoffnung auf schnellen Erfolg durch den trocknenden Fahrtwind.

Am Weg aus der Ortschaft Tessalit gab es einen französischen Flugplatz. Aus Neugier fuhren wir durch das unbewachte Zugangstor. Die dort stationierten Flieger luden uns auf ein Bier ein, was wir nicht ausschlagen konnten. Dieser Besuch zog sich ein bisschen in die Länge. Gestärkt und guten Muts begaben wir uns am Abend auf die Piste in Richtung Anefis. Südlich von Tessalit begann allmählich die Sahelzone, der Bewuchs mit Sträuchern wurde etwas dichter, Flächen von verdorrtem Steppengras weiteten sich aus. Es wurde Nacht und wir suchten einen Lagerplatz. Abseits der Piste fanden wir eine geeignete Stelle. Kopezky hatte Hunger und zündete ein kleines Feuer zum Kochen an. Was er besser unterlassen hätte, denn das trockene Gras um uns brannte sofort und war nicht mehr zu löschen. Fluchtartig verließen wir das unaufhaltsame Inferno, um einige Kilometer weiter neuerlich ein Lager aufzuschlagen. Ohne Lagerfeuer. An Schlaf war nicht zu denken, denn der Kopf der Gazelle stank erbärmlich und Hans musste ihn für die Dauer dieses Nachtlagers im Geäst eines entfernten Gesträuchs deponieren. Es wurde wieder eine unglaubliche Nacht unter einem überwältigenden Sternenhimmel. Man konnte schon den Stern des Südens sehen und ein Flugzeug kreuzte blinkend in großer Höhe von Nord nach Süd. Ich ertappte mich bei der intensiven Vorstellung, sauber gewaschen und gut riechend komfortabel zu sitzen, ich hörte das Knacksen der Eiswürfel in dem beschlagenen Whiskyglas, das mir eine freundlich lächelnde Hostess reichte. Doch diese Fantasie zerplatzte rasch, als das Jaulen und Kläffen der näherkommenden Schakale mich zurück in die Realität rief. Zweifel am Sinn unseres Unternehmens und an meinem Entschluss, aus Europa zu fliehen, wurden durch die gewaltige Schönheit dieser exotischen Nacht schnell vertrieben. Leider hatten die Schakale kein Verständnis für Trophäenjäger. In der Dunkelheit entführten sie den Gazellenkopf, Kopezkys ersten Jagderfolg, unauffindbar in die Weiten der Steppe. Ein Umstand, der bei ihm für Verstimmung sorgte, bei den anderen aber höchstens zu hämischen Mitleidbezeugungen Anlass gab.

Wir erreichten Bourem, die erste Ansiedlung am Niger nach der Wüste. Es war drückend heiß, als wir über einen Abhang kommend den langsam dahinfließenden, überaus breiten Strom sahen. Wir verstanden die Araber, die in monatelangen Ritten auf ihren Kamelen die Sahara durchquert hatten, bei diesem Anblick den Niger als „das Meer“ bezeichneten. Auch uns gab das weite Panorama ein Gefühl des Glücks und der Genugtuung darüber, unser Ziel trotz unzähliger technischer Pannen erreicht, und jeder von uns für sich über viele menschliche Unzulänglichkeiten gesiegt zu haben.

Dem Flusslauf folgend fuhren wir auf der Piste nach Gao, der zweitgrößten Stadt Malis. Es hätte eine reibungslose Fahrt werden können, wäre da nicht eine widerspenstige Ölleitung gewesen, die meinte, uns ausgerechnet in brütender Hitze ausbremsen zu müssen. Die Reparatur hielt uns auf, weshalb wir bei enorm hoher Temperatur erst zu Mittag auf der breiten, aus roter Erde bestehender Route National Nr. 8 zum Zentrum strebten. Angesichts der hohen Außentemperatur und unseres Zustands, staubverkrustet und gezeichnet von den Strapazen der Reise, schien uns das nächste Hotel die perfekte Lösung. Wir feierten uns selbst in der klimatisierten Lobby mit mehreren Flaschen eiskaltem Bier. Mackie versuchte, mit all seinem Charme die Hoteliers zu überreden, uns einige Nächte kostenloses Quartier zu gewähren. Angesichts des beachtlich desolaten Zustandes unserer Kleidung und der wegen Wassermangels ausgebliebener Körperpflege, fand diese Kraftanstrengung taube Ohren. Wir zogen unverrichteter Dinge ab und suchten uns einen Lagerplatz nächst einer Eingeborenensiedlung außerhalb der Stadt. Nicht zu nahe am Wasser, denn wir haben schon längst den vermehrten Ansturm von Moskitos und lästigen Fliegen gemerkt. Die waren bereits zu aufdringlichen Mitreisenden geworden, deren Gesellschaft wir lieber mieden. Es wurde einhellig beschlossen, eine Ruhepause einzulegen, um die durch die Wüste verschlissenen Energiereserven wieder aufzufüllen. Die ungewohnt feuchte Hitze tat ihr Übriges, uns mit den klimatischen Bedingungen der nächsten Monate vertraut zu machen.

Wir genossen die Pause mit der in diesem Gebiet üblichen trägen Zeitlosigkeit, die das Leben in am Fluss prägte. Es war faszinierend, zu sehen, wie die Bevölkerung in friedlichem Nebeneinander von Negriden und Tuareg, ihren Alltag in entspannter Harmonie bewältigte. Eine Konstellation, die manch Interessantes für die Arbeit der Expedition versprach, da hier auch unterschiedliche Religionen in toleranterKoexistenz aufeinandertrafen.

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Zwei junge Touareg aus verschiedenen Klassen. Der Rechte trägt viele der „Kri – Kris“ Amulette, die Suren aus dem Koran beinhalten.

Die Ruhepause bedeutete keineswegs Untätigkeit. Die Auenlandschaft entlang des Flusses war wild, versumpft und der Niger suchte sich in zahllosen Armen um lang gestreckte Inseln herum seinen Weg nach Südosten. Die Gegend war voll von Wasservögeln, Reiher, Kraniche und andere prachtvolle Exemplare. Es stellte sich die Frage, wie konnte man ihnen so nahekommen , dass Fotos ohne langes Teleobjektiv gelingen würden? Hans Kopezky war ein genialer Erfinder. Die Welt verdankte ihm nicht nur einen Ersatzverschluss für einen verlorenen Deckel des Benzintanks durch einen Plastikbecher, sondern dazu die schwimmende Tarnluftmatratze. Unsere Luftmatratzen aus dem Hause Semperit hatten neben der Fähigkeit selbst zu schwimmen, ausreichend Tragfähigkeit für einen Mann, vorausgesetzt, sie blieben intakt. Da uns ein Boot fehlte, erschien es logisch, die Matratzen mit Gras und Büschen zu umwickeln, um sie in eine Art schwimmendes Tarnversteck zu verwandeln. Mit solchem Gerät machten sich Mackie und Kopezky mit viel Optimismus auf Fotojagd. Aber der Schwimmkörper des Expeditionsleiters wurde bald undicht und er ging mitsamt der Konstruktion unter. Was seinen Unwillen derart hervorrief, dass er dieser faszinierenden Jagd auf Vögel endgültig ein Ende setzte. Mackie war so verärgert, dass er am Abend sogar darauf vergaß, die tägliche Wiedergabe von „River of no return“ (Marilyn Monroe), einzufordern.

Ein weiteres Fiasko bahnte sich an. Wir waren im ursprünglichen Afrika angekommen, es war heiß, die Nächte von Moskitos gestört, um uns herum negride Bevölkerung, der Niger in greifbarer Nähe. Erzählungen zufolge soll dieser Fluss mit Krokodilen verseucht sein, was uns dem Entschluss nahebrachte, die großen Reptilien zu jagen. Wir nahmen Kontakt zu einheimischen Fischern auf, die uns freundlich erklärten, wo solche Tiere zu finden wären. Dort fanden wir weder Krokodile, noch deren Spuren, wodurch notwendig wurde, am Fluss lebende Führer, somit Kenner des Niger, anzuheuern. Die gingen mit uns in der Nacht mit Taschenlampen ausgestattet am Ufer entlang. Es sah vielversprechend aus, bis sie, nach Entgegennahme des vereinbarten Lohns, schlagartig spurlos verschwanden. Kein Krokodilauge blitzte, kein gezielter Schuss fiel, und den Genuss einer Delikatesse, gekochten Krokodilschwanz, mussten wir um Wochen verschieben. Weder die Schlangen noch die Vögel, die wir dem Institut für Zoologie der Universität Wien versprochen hatten, ließen sich von unserem Eifer beeindrucken. Doch nicht alle Jagden blieben erfolglos. Die zum Verzehr benötigten Mengen wurden immer herangebracht. Wir erlegten Gänse, Ibisse, Kraniche und mitunter eine Gazelle. Natürlich war uns Diana nicht regelmäßig hold und wir mussten uns wieder mit angebrannten Palatschinken aus einem Gemisch von Mehl und Wasser begnügen.

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In martialischer Pose auf einem Termitenhügel mit Jagdausbeute.

Obwohl ich ein recht treffsicherer Schütze war, zumindest nicht schlechter als meine Freunde, konnte es genauso mir geschehen, dass ich von längerer Jagd nur mit einem erlegten Täubchen zurückkehrte.

Während wir am Ufer des Nigers verweilten, weckte eine faszinierende Tradition der Region mein Interesse. Zur Zeit der alten Königreiche entlang des Nigerstromes kommunizierten deren Herrscher untereinander durch verlässliche Boten, den Troubadouren und Märchenerzählern. Diese Sänger zogen von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt, überbrachten Neuigkeiten und besangen die Taten von Helden und Königen. Viele dieser Königreiche sind längst Geschichte, aber die fahrenden Sänger, die Troubadoure, jene poetischen Boten, sind geblieben. Manche waren weit über die Grenzen ihres Landes hinaus berühmt. Immer wieder hörten wir von einem solchen Meister seines Fachs, dem weithin geachtetenTroubadour Moise Yacouba. Doch wo sich dieses wandelnde Archiv der mündlichen Überlieferung aufhielt, wusste niemand mit Sicherheit zu sagen. Er war ein Phantom, ein Name, der in Legenden schimmerte und doch wie ein Hauch unerreichbar blieb. Ich insistierte, ihn zu finden, denn mich drängte es, endlich meiner Aufgabe nachkommen und bedeutsame Tonaufnahmen herstellen zu dürfen. Für die Suche brauchten wir funktionierende Autos. Schani und Walter wagten den Versuch, mit dem IFA zu einer Werkstatt in Gao zu fahren. Sie kamen mit einem LKW zurück, der sie mitgenommen hatte, denn die Kupplung des IFA war am Wege komplett unbrauchbar geworden. Aber sie brachten die frohe Botschaft mit, dass wir eben Ostern hatten! Nach zwei Tagen konnte der reparierte IFA abgeholt werden. Wir begaben uns auf die Suche, um das Objekt meiner Begierde, den berühmten Troubadour Moise Yacouba zu finden. Wir hörten Berichte, dass er angeblich hier, sowie dort gesehen worden sei, in einer anderen Stadt, einem abgelegenen Dorf, mit großer Sicherheit, oder vielleicht im Nachbarland. Ein schier nicht zu bewältigendes Problem, das zu lösen uns aber eher anspornte, denn aufgeben ließ.

15. KAPITEL – Ein Fest im Hoggar – Tonaufnahmen schwarzer Troubadoure

Der Ritt auf dem Rücken der Kamele in die Heimat Akamouks, dem Hoggar, ist faszinierend und eine Prüfung eigener Geduld. Wir queren die asphaltierte Transsaharastraße, die von Algier im Norden bis nach Lagos im Süden führt und umgekehrt. Beim Anblick des Luxus‘ dieser breiten Straße steigen Visionen von frisch überzogenem Bett, blitzsauberem Badezimmer, Abendessen im Restaurant an weiß gedecktem Tisch, gemütlichem Heurigen, Whisky in der Bonboniere-Bar und bezaubernden Damen dortselbst auf. Sie berühren mich wie die himmlischen Töne todbringender Sirenen, die den Reisenden in den trügerischen vermeintlichen Luxus locken. Doch schon sind wir auf der östlichen Seite der Straße angelangt, wo die unendliche flache Weite der Hamada-Wüste von Hügeln und größeren Felsen begrenzt wird. Vergessen sind die Verlockungen der Zivilisation Europas und tiefe Zufriedenheit erfasst mich, hier und nicht dort zu sein. Unmerklich steigt die Ebene an und die untergehende Sonne taucht die Landschaft in ein sanftes Glühen. Am Ufer eines ausgetrockneten Oued richten wir unser Nachtlager. Beim unvermeidlichen Tee meint Akamouk, dass wir nur noch eine Tagesreise vom ständigen Sitz seiner Familie entfernt sind. Eine Mitteilung, die mich und meine vom Kamelreiten gequälte untere Körperhälfte mit Erleichterung erfüllt.

Der Abend verläuft in der für die Wüste typischen Stille, die nur von gelegentlichem Kamelbrummen unterbrochen wird. Nicht von ungefähr kommen wir im Laufe des Abends auf Politik zu sprechen. Algeriens Staatsform ist eine Demokratie mit starker militärischer Prägung. Mit kräftiger Unterstützung Russlands versucht die Regierung Machtpolitik zu betreiben, indem sie die Frente Polisario in der angrenzenden Westsahara unterstützt. Ein Erbe des Kalten Krieges und geopolitisches Ringen um Einfluss. Akamouk hält eine solche Regierungsform für Afrika als ungeeignet. Zumindest in der zurzeit im Norden existierenden Form. Auf meine erstaunte Frage antwortet er, dass das Volk Diktatoren ausgeliefert sei, die sich über Jahrzehnte an der Macht halten und sobald sie selbst Schwäche zeigen, von neuen Despoten, die sich wieder als Demokraten ausgeben, abgelöst werden. Eine wirkliche Demokratie kann es nur dann geben, wenn das Volk in gleichem Maße Erfahrung und Bildung besitzt, wie die Politiker. Diese Augenhöhe bewahrt es davor, benützt und ausgebeutet zu werden. Ich halte ihm dagegen, dass es demokratische Wahlen gibt, um solche Missverhältnisse auszugleichen, und dabei das Volk die Leute frei bestimmen könne, die dann in den Regierungen den Willen der Bevölkerung vertreten. Kopfschüttelnd erklärt er mir, dass dies eben diejenigen sind, die in ihrem Wissen, vom Volk gewählt worden zu sein, ihre persönliche Macht ausleben und bedacht sind, diese zu erhalten und zu mehren. Warum fällt es mir schwer, ihm zu widersprechen? Die einfache Struktur der Touareg wirkt plötzlich wie ein Ideal. Sie wählen einen Amenokal aus den Ihaggaren, den Adeligen, der als Chef zwar respektiert und bezahlt wird, aber ausschließlich die Macht ausüben darf, die ihm zugestanden wird. Sein Volk lebt selbstbestimmt dort, wo die Mächtigen der Demokratie aus dem Norden nicht hinkommen, und handelt nach eigenen Gesetzen. Ohne aufwändige Bürokratie, es gilt eine Art Ehrenkodex, den niemand zu brechen wagt. So einfach ist das. Später, auf meinem Feldbett liegend überlege ich, ob man so ein System nicht auf unsere Demokratien übertragen könnte. Aber ich finde keine befriedigende Antwort darauf und schlafe in dem Gefühl, ein Teil des Sternenhimmels ober mir zu sein, zufrieden ein.

Am nächsten Morgen drängt Akamouk ungewöhnlich früh zum Aufbruch. Etwas treibt ihn an, seine Nervosität ist nicht zu übersehen. Er legt ein schnelleres Tempo als normal vor. Die Zinnen des Hoggargebirges rücken immer näher. Die Landschaft verändert sich, zwischen Geröll wächst grünes Cram-Cram, das widerstandsfähige harte Gras der Wüste, das einen scharfen Kontrast zur roten Erde bildet. Der für mich kaum zu erkennende Weg führt sachte bergan und die schroffen Zinnen rücken näher zusammen, sodass wir uns später am Nachmittag wie durch eine Schlucht bewegen. Im Schatten dieser steil aufragenden Felsen stehen wir mit einem Mal vor einer Wasserstelle, umrahmt von karg blühendem Oleander und ähnlichen Pflanzen. Die Kamele haben dort Gelegenheit zu trinken, was einige Zeit in Anspruch nimmt. Sie naschen von dem frischen Grün der Büsche. Die zwei Touareg bereiten auf einem schnell angefachten Feuer Tee.

Dann ziehen wir durch die felsige, wie von Stalagmiten begrenzte Schlucht weiter. Nach kurzem Marsch öffnet sie sich und gibt den Blick auf ein ausgedehntes Tal unter uns frei. Von der tief stehenden Sonne in goldenes Licht getaucht sehe ich eine Anzahl aus Lehm gebauter Gebäude um einen zentralen Platz herum, dahinter einige der für die Touareg typischen Spitzzelte, die Khaimas. Diese Anordnung von Wohnstätten ist bezeichnend für einen Clan, dessen Mitglieder sich im Laufe der Zeit zu Halbnomaden entwickelt haben. Ein paar rechteckige Flächen werden von niederen, aus rohen Steinen zusammengefügten Mauern begrenzt. Im Tal verstreut weiden größere Ziegenherden das spärlich wuchernde Steppengras ab. Neben einem hinter Büschen versteckten kleinen See stehen und liegen wiederkäuend einige Kamele. Auf dem Platz im Ort haben sich eine Menge Menschen und Meharis versammelt, wobei in der Mitte eine flache Sandfläche großräumig ausgespart bleibt. Rundherum steigen wie von Opferfeuern dünne Rauchsäulen gegen den Himmel. Wir hören den Klang eines Saiteninstruments, dem Imzad, von den begleitenden Trommeln und singender Frauen deutlich bis zu uns herauf. Ein großes Fest scheint stattzufinden. Akamouk deutet auf die Ansiedlung hinunter, erklärt stolz, dass das seine Familie sei. Wir steigen den steil abfallenden, nicht ungefährlichen Weg in das Tal hinab. Das geschieht nur recht langsam und vorsichtig, denn selbst unsere Kamele rutschen manchmal auf dem abschüssigen Geröll. Bricht sich so ein Tier in der Wüste ein Bein, ist es unrettbar verloren.

Schon lange hatte ich mich gefragt, wie es sein konnte, dass in Afrika die Menschen in diesen abgelegenen Zielorten, die wir oft erst nach tagelangen Reisen erreichten, bereits über uns Bescheid wussten. So auch hier. Ich weiß, dass Akamouk keine weitreichenden Kommunikationsmittel besitzt. Er konnte es kaum gewesen sein, der Nachrichten verbreitet hatte. Das hier ist aber unverkennbar ein vorbereiteter Empfang, wie zu Ehren eines Fürsten. Ich beschließe, Akamouk erst später danach zu fragen, denn eben queren wir den freien Platz in Richtung einer am Boden sitzenden Gruppe älterer Männer. Sie sind alle mit Tegelmusts verschleiert. Iyad und Akamouk begrüßen einen nach dem anderen, jeden mit dem bei den Touareg üblichen, reichlich umständlichen Ritual. Ich werde vorgestellt, worauf mich der vermutlich älteste von ihnen mit weit ausholender Geste eineinlädt, neben ihm Platz zu nehmen. Meine zwei Begleiter ziehen sich auffallend schnell zurück und verschwinden in der Menge. Möglichst elegant lasse ich mich auf den mir frei gemachten Teil des Teppichs nieder, obwohl meine Knie, gequält von Arthrose und dem langen Ritt, Protest anmelden. Noch denke ich nicht daran, wie ich da wieder hochkommen werde, und verschränke meine Beine so gut als möglich nach Art der Eingeborenen. Der mir zunächst sitzende Vermummte scheint der Scheich zu sein. Er spricht ausgezeichnet Französisch und erzählt mir, dass er wüsste, wer ich sei und an einem Buch schreibe. Wie kann er das wissen, weder ich noch meine beiden Begleiter haben irgendetwas in dieser Richtung gesagt. Ob darin alle Menschen vorkämen, die ich auf meinen Wegen treffe, fragt er hinterhältig. Sofort vermute ich, dass der alte Schlawiner auf eine Bezahlung aus ist, so sage ich ihm, dass mich ausschließlich Natur und Landschaften interessieren. Womit ich keineswegs lüge, denn die Menschen sind ja auch Natur, und ich erspare mir mühsames Feilschen. Nicht nur im Urwald, sogar in der Sahara scheint es einen Buschtelegrafen zu geben, der Neuigkeiten wie diese über weite Strecken transportiert.

In der Mitte des Platzes haben Frauen einen kleinen Kreis gebildet. Sie musizieren mit handlichen Trommeln und dem Imzad, einem Streichinstrument, das einen großen Klangkörper, aber nur eine Saite hat. Sie spielen und singen und begleiten damit eine spektakuläre Vorführung. Um die Musikerinnen herum treiben bewaffnete Krieger der Touareg in voller Montur ihre Meharis in solchem Tempo zum Galopp, dass sie in Schräglage geraten. Die Erde dröhnt vom Getrampel, die flachen Zehen der Tiere wirbeln kleine Sandfontänen hoch. Eine auffallend attraktive Targia nähert sich, gekleidet in einen Haik, ein ärmelloses langes Gewand, gekleidet. Sie reicht uns, die wir auf dem Teppich sitzen, ein verziertes Tablett mit Tee. Davon nehmen wir jeder ein Glas. Nach kurzer Zeit erscheint sie abermals mit frisch gefüllten Gläsern. Flirtet sie mit mir? Oder ist das nur eine Illusion wegen ihrer großen dunklen Augen, die mich offen und direkt anblicken. Dreimal wiederholt sich diese Zeremonie. Die Musik ändert ihren Rhythmus und es erscheinen drei Tuareg auf Kamelen in paralleler Formation, die sie tänzerisch in exaktem Gleichschritt im Kreis um die Musikerinnen bewegen. Obwohl die Musik weiterspielt, verlassen die Reiter nach mehreren Runden den Platz und verschwinden hinter dem nächsten Gebäude. Wieder ändert die Musik ihren Charakter, sie wird ruhiger, der Gesang der Frauen verebbt. Nur die Musikerin mit dem Imzad fiedelt leise weiter vor sich hin. Musiker, die dieses Saiteninstrument spielen können, gelten in Algerien schon als fast ausgestorben. Seit einigen Jahren ist man mit Erfolg bemüht, bei der Bevölkerung das Interesse an diesem Instrument wiederzubeleben. Dass ich eines davon heute hier zu Gehör bekomme, bedeutet eine glückliche Ausnahme.

Der Duft von gegrilltem Hammel, der von den Feuerstellen herüberweht, regt meinen Appetit an. Es dauert Stunden, bis das Fleisch vollständig gar ist. Jetzt aber ist es so weit. Bei leiser „Tischmusik“ bringen uns Frauen lächelnd tiefe Teller, angefüllt mit Couscous, worauf große, duftende Stücke vom Mechoui, dem gebratenen Hammelfleisch, eingebettet liegen. Weil ich ein Rumi bin, gibt es für mich sogar Essbesteck. Meine Gastgeber greifen mit den bloßen Fingern der rechten Hand zu. Das Fleisch ist zart, durchgegart, und schmeckt typisch nach Hammel. Da jeder Bissen von Fett trieft, wäre mir ein alkoholisches Getränk dazu recht angenehm, damit es das Fett etwas neutralisiert. Aber so weit geht die Gastfreundschaft der Moslems doch wieder nicht, dass sie über ihren eigenen Schatten springen und Alkohol herbeischaffen würden. Ich genieße die Speisen trotzdem, da derartige Feste äußerst selten stattfinden. Außerdem kann ich später in meinem Gepäck nach dem Fläschchen Kognak graben, welches die fürsorgliche Michelle für solche Fälle darin versteckt hat.

Ich bin noch in den seltenen Genuss dieses köstlich zarten Hammels vertieft, da legen die Frauen ihre Instrumente beiseite und stehen auf. Sie wenden sich in unsere Richtung, und singen in höchster Tonlage, dazu klatschen sie mit den Händen den Rhythmus. Zwei Touareg erscheinen mit Tanzschritten vor uns auf der Sandfläche. Ihre Schwerter schwenken sie weit über ihren Köpfen, während ihre breit gespreizten Beine rhythmisch den Sand aufwirbeln. Wie in Zeitlupe vollführen die beiden tänzerisch einen Schwertkampf, jedoch ohne dass sich die scharfen Klingen der Tabukas jemals berühren. Sich duckend gehen sie tief in die Hocke, um sich gleich darauf wieder federnd zu aufrechtem Tanz zu strecken. Ihre linken Arme zeigen Bewegungen, als hielten sie Schutzschilder. Die typischen bemalten Schilder der alten Tamascheq-Krieger sind kaum mehr zu finden. Wahrscheinlich weil sie nutzlos geworden sind und an Touristen verkauft wurden. Die Schwerter aber sind weiterhin aktuell zur Verteidigung und zur Manneszierde in Gebrauch. Das Fest dauert bis in die Dunkelheit der Nacht, erhellt von den tanzenden Flammen einiger Feuer. Müde geworden, ziehe ich mich in den Raum zurück, den mir der Scheich in einem der Lehmhäuser zugewiesen hat. Freundliche Hände tragen mein Gepäck herein. Kaum wieder allein, suche ich sofort die Kognacflasche. Der Inhalt ist kräftige Medizin für den Magen, der derartige Mengen Fett nicht gewohnt ist. Schnell ist das Feldbett aufgebaut, ich lege mich komplett angezogen darauf, und überlege mir, begleitet von der vom Platz gedämpft herübertönenden Musik, die nächste Folge meiner schriftlichen Erinnerungen:

Traditioneller Schwertertanz der Touareg

Wir folgten noch immer dem Lauf des Niger, auf der scheinbar endlosen Suche nach dem mysteriösen Troubadour. Ein Mann aus einem nahegelegenen Dorf hat auf irgendeine Weise erfahren, dass wir Moise Yacouba, den großen Barden, suchen. Dieser Informant kam zu uns ins Lager, als wir ums Lagerfeuer herum saßen und versuchten, mit Appetit eine Speise zu verdrücken, die Walter vorher leicht anbrennen hat lassen. Er erzählte uns, dass dieser Troubadour morgen in einer Siedlung, etwa fünfzig Kilometer südlich von hier, spielen wird. Mit Mühe wurde Walter davon abgehalten, den schwarzen Gast aus Dank für seine Mitteilung auf das Essen mit uns einzuladen, denn wir befürchteten darauffolgende Racheakte. So gab Mackie dem Überbringer der Nachricht etwas Geld, was ihn sicher mehr freute und uns weniger beunruhigte.

Trotz aller bisherigen Erfahrungen und geringer Erfolgsaussichten, wollten wir am nächsten Tag zu dem angegebenen Dorf aufbrechen. Wir beluden am Morgen unsere beiden invaliden Autos mit dem nötigsten Gepäck für die Arbeit. Die Motoren liefen schon, als uns Schani in dem ihm eigenen Kauderwelsch aus deutsch und belgisch mit der Nachricht überraschte, dass die Bremsen beim IFA wieder einmal kaputt seien. Diese Mitteilung löste einen heftigen Ausraster des Expeditionsleiters aus, den ich mit dem Vorschlag beendete, notfalls mit ihm allein im Père Ubu weiterzufahren. Walter, ohnehin von unschlagbarem Optimismus, blieb mit Kopezky und Schani im Lager, um sich mit stoischer Geduld und zweifelhaften Werkzeugen an die Bremsreparatur zu machen. Da ich zu bedenken gab, dass wenn wir das Funktionieren der Bremsen abwarten, der Sänger uns wieder durch die Lappen gehen könnte, fuhren Mackie und ich im Père Ubu los.

Wir kamen am Nachmittag in ein Dorf, das aus geschätzten fünfzig Hütten bestand. Malerisch direkt am Ufer des Niger gelegen, lebten die Dorfbewohner, Angehörige der Völker Songhai und Djerma vom Fischfang, der Jagd auf Vögel und gelegentlich auf Krokodile. Der letzte Punkt ließ Mackie nervös auf die Wasseroberfläche starren, während ich mich fragte, welche Jagd ihm wohl wichtiger wäre, die auf die Reptilien, oder die auf den fahrenden Sänger.

Fische trocknen am Niger

In ihren lang gestreckten und meist sehr alten Piroggen, das waren schmale, aus einem einzigen Baumstamm geschnitzte Boote, glitten die Dorfbewohner nahezu lautlos über den Niger. Diese Einbäume, die so einfach wirkten, waren in ihrer Bedienung eine Kunst für sich. Oft wurden die schwer beladenen Einbäume mit kurzen Blattrudern bewegt, oder man stakte mit langen Stangen an den Rändern des Niger entlang, wobei jeder Schub präzise und zielgerichtet war. Es war, als würden sie über den Fluss tanzen, und dabei vermittelten sie eine uralte Verbindung zwischen Mensch und Strom, die Zeit und Technik überdauert hatte. Inmitten der Lehmhütten mit den spitzen Grasdächern herrschte reges Leben. Hühner liefen im Sand pickend zwischen den Beinen der Kinder und Frauen präparierten Fische zum trocknen. Es lag Spannung in der Luft. Alle Dorfbewohner waren da, die Fischerboote lagen dicht gedrängt am Ufer, kein Boot schwamm auf dem sonst belebten Niger. Mackie suchte unverzüglich den Chef du Village, den Dorfvorsteher. Nach der Übergabe einiger sorgfältig gefalteter Geldscheine erklärte er dem Häuptling unser Vorhaben. Der nickte zustimmend, und wir erhielten die gewünschte Information über Yacoubas Auftrittsort.

Als wir am beschriebenen Platz ankamen, suchte ich einen geeigneten Ort für Père Ubu, unserem rollenden Studio, aus. So weit, dass die Länge des Kabels für das Mikrofon gerade noch über den Platz reichte, trotzdem aber eine Sichtverbindung zwischen dem Künstler und mir erhalten blieb. Wie gewohnt scharten sich die Dorfbewohner, die Jugend vor allem, um den Père Ubu und sahen mir interessiert bei den Vorarbeiten zu den Aufnahmen zu. Ein Junge und ich hoben die schwere Bärenbatterie von der Ladefläche. Den Einankerumformer, der die 12 Volt Gleichstrom der Autobatterie in 220 Volt Wechselstrom wandelte, stellten wir in seiner Kiste daneben auf den Boden. Die beiden Instrumente zur Messung der Spannung und der Frequenz des Stromes für das Tonbandgerät schaltete ich dazu. Damit war ein störungsfreier Betrieb des Telefunken KL 25 gewährleistet.

Die schwere Bärenbatterie als Stromquelle

In der ersten Reihe halbnackte Jugendliche die sich mit neugierigen Händen um den Père Ubu drängten. Dahinter schoben sich die Erwachsenen nach, die deutlich zurückhaltender, aber nicht minder interessiert waren. Mackie hielt sich ein paar Schritte abseits und bewachte meine Geräte, wobei er sich sichtlich unwohl fühlte. Vor allem beim Expeditionsleiter wurden die Rufe nach einem Cadeau, einem Geschenk, ständig eindringlicher, was ihm allmählich auf die Nerven zu gehen schien. Auch ich musste mich gegen körpernahen Andrang wehren, weil grenzenlose Neugier die Menschen dazu trieb, alles zu betasten. Was ich nicht zulassen konnte. Es war geraten äußerst vorsichtig zu agieren, da wir es uns keineswegs mit den Dorfbewohnern verscherzen, aber genauso wenig als Melkkühe dastehen wollten. Endlich traf zu unserer Entlastung der IFA mit Besatzung ein. Diesmal fuhr Schani das Auto, sodass Walter als amtierender Kassenwart die Geschenke heischenden Halbwüchsigen in aller Freundlichkeit selbst abwimmeln durfte.

Vorbereitung für Aufnahmen

Um den Gleichlauf des Tonbandgerätes zu überprüfen, war Musik bestens geeignet. Ich legte zu diesem Zweck ein Band mit Aufnahmen vom Radiosender Blue Danube Network aus Wien auf. Das lenkte die Aufmerksamkeit der Leute wieder mehr auf meine Tätigkeit. Lachend und plaudernd hörten sie verschiedenen Jazznummern zu. Teilnahme kam bei den Umstehenden erst beim Anhören eines Mambos, der Begeisterung und wildes Tanzen auslöste. Alles war schlagartig in Bewegung geraten, feiner Staub stieg auf, ich machte mir schon Sorgen um die einwandfreie Funktion der Geräte. Meine drei Kollegen drängten die Tanzenden so weit zurück, dass der Kreis größer wurde und die Gefahr durch den aufgewirbelten Staub gebannt schien.

Schließlich lichteten sich die Reihen um meine Geräte, und ich hatte genug Platz und Ruhe, ein neues, unbespieltes Band für die bevorstehende Aufnahme einzulegen. Wir hatten von BASF ein großzügiges Kontingent an tropenfesten LGS – Tonbändern mitbekommen, deren Qualität und Haltbarkeit ich besonders schätzte. Unvermittelt verlor sich das Interesse der Dorfbewohner an mir und meinen Geräten. Alle liefen zum Dorfeingang, Moise Yacouba, der Chef der fahrenden Sänger, war eingetroffen! Er ließ seinen Peugeot 203, der ihn von einem Auftrittsort zum anderen brachte, am Dorfrand stehen. Gemessenen Schrittes und mit einer Gelassenheit, die nur wahre Meister an den Tag legen, wurde er von den Honoratioren des Dorfes und einer sich ehrfurchtsvoll leise verhaltenden Menge zu dem Platz geleitet, der für ihn vorgesehen war. Für Yacouba, dessen in hellblaues Tuch gehüllte Erscheinung mit seinen grau melierten Haaren eine Aura altersweiser Souveränität ausstrahlte, wurde eiligst ein richtiger Stuhl gebracht. Diesen platzierte man im Eingang eines aus Lehm gebauten Hauses, um ihm den Rücken freizuhalten. Einige Dorfbewohner bemühten sich rührend um ihn, indem sie Unmengen gegrilltes Rindfleisch herbeibrachten und Kalebassen mit frischem Wasser in seine Reichweite stellten. In gehörigem Respektabstand von Yacouba haben sich der Chef und die Ältesten des Dorfes in einem Halbkreis niedergelassen. Dahinter standen, in mehrere Reihen geschichtet die Dorfbewohner. Ein leichter Wind wehte den konzentrierten Schweißgeruch der angesammelten Menge über den Platz zu mir herüber. Es war der typische Duft, der einem überall dort in Afrika begegnete, wo Menschen sich zum Feiern, Tanzen oder einfach nur zum Leben versammelten. Einmal ist er stärker, ein anderes Mal schwächer. Anfangs bemerkt man ihn, vielleicht sogar mit einer leichten Irritation, doch schnell wird er Teil der Szenerie, zum unverzichtbaren Element des Lokalkolorits.

Nach einiger Zeit, in welcher der immerzu lächelnde Meister speiste und trank, näherte sich Mackie dem Troubadour. Er erklärte dem Künstler, was wir vorhatten. Die beiden handelten den Preis aus, der für das Mitschneiden seiner Darbietungen bezahlt werden musste. Es war eine größere Summe, die zur Schnappatmung bei Walter führte und ihn deutlich zum Erbleichen brachte. Des Kassenverwalters erregtes Zögern beruhigte sich, weil ich ihn daran erinnerte, dass wir nicht hier wären, wenn uns das Phonogrammarchiv in Wien nicht mehrmals die wissenschaftliche Notwendigkeit unseres Unternehmens bescheinigt hätte. Das verpflichtete uns, solche Aufnahmen heimzubringen. Um das Gesicht zu wahren, meint er ernst und mit herabgezogenen Mundwinkeln, dass die Bezahlung erst nach erbrachter Leistung erfolgen würde. Eine vernünftige Bedingung, der auch Yacouba zustimmte. Ich hatte inzwischen unser einziges Mikrofon, das AKG D 12, auf das Stativ geschraubt und Mackie bahnte sich mit diesem eine Schneise durch das Publikum und zog das Mikrofonkabel nach. Er stellte Schließlich lichteten sich die Reihen um meine Geräte, und ich hatte genug Platz und Ruhe, ein neues, unbespieltes Band für die bevorstehende Aufnahme einzulegen. Wir hatten von BASF ein großzügiges Kontingent an tropenfesten LGS – Tonbändern mitbekommen, deren Qualität und Haltbarkeit ich besonders schätzte. Unvermittelt verlor sich das Interesse der Dorfbewohner an mir und meinen Geräten. Alle liefen zum Dorfeingang, Moise Yacouba, der Chef der fahrenden Sänger, war eingetroffen! Er ließ seinen Peugeot 203, der ihn von einem Auftrittsort zum anderen brachte, am Dorfrand stehen. Gemessenen Schrittes und mit einer Gelassenheit, die nur wahre Meister an den Tag legen, wurde er von den Honoratioren des Dorfes und einer sich ehrfurchtsvoll leise verhaltenden Menge zu dem Platz geleitet, der für ihn vorgesehen war. Für Yacouba, dessen in hellblaues Tuch gehüllte Erscheinung mit seinen grau melierten Haaren eine Aura altersweiser Souveränität ausstrahlte, wurde eiligst ein richtiger Stuhl gebracht. Diesen platzierte man im Eingang eines aus Lehm gebauten Hauses, um ihm den Rücken freizuhalten. Einige Dorfbewohner bemühten sich rührend um ihn, indem sie Unmengen gegrilltes Rindfleisch herbeibrachten und Kalebassen mit frischem Wasser in seine Reichweite stellten. In gehörigem Respektabstand von Yacouba haben sich der Chef und die Ältesten des Dorfes in einem Halbkreis niedergelassen. Dahinter standen, in mehrere Reihen geschichtet die Dorfbewohner. Ein leichter Wind wehte den konzentrierten Schweißgeruch der angesammelten Menge über den Platz zu mir herüber. Es war der typische Duft, der einem überall dort in Afrika begegnete, wo Menschen sich zum Feiern, Tanzen oder einfach nur zum Leben versammelten. Einmal ist er stärker, ein anderes Mal schwächer. Anfangs bemerkt man ihn, vielleicht sogar mit einer leichten Irritation, doch schnell wird er Teil der Szenerie, zum unverzichtbaren Element des Lokalkolorits.

Nach einiger Zeit, in welcher der immerzu lächelnde Meister speiste und trank, näherte sich Mackie dem Troubadour. Er erklärte dem Künstler, was wir vorhatten. Die beiden handelten den Preis aus, der für das Mitschneiden seiner Darbietungen bezahlt werden musste. Es war eine größere Summe, die zu Schnappatmung bei Walter führte und ihn deutlich zum Erbleichen brachte. Des Kassenverwalters erregtes Zögern beruhigte sich, weil ich ihn daran erinnerte, dass wir nicht hier wären, wenn uns das Phonogrammarchiv in Wien nicht mehrmals die wissenschaftliche Notwendigkeit unseres Unternehmens bescheinigt hätte. Das verpflichtete uns, solche Aufnahmen heimzubringen. Um das Gesicht zu wahren, meint er ernst und mit herabgezogenen Mundwinkeln, dass die Bezahlung erst nach erbrachter Leistung erfolgen würde. Eine vernünftige Bedingung, der auch Yacouba zustimmte. Ich hatte inzwischen unser einziges Mikrofon, das AKG D 12, auf das Stativ geschraubt und Mackie bahnte sich mit diesem eine Schneise durch das Publikum und zog das Mikrofonkabel nach. Er stellte es meiner Anweisung folgend genau vor den Troubadour, der bereits auf seiner Komsa, einer selbst gebauten Gitarre, improvisierte. Der Moment, auf den wir so lange gewartet hatten, war endlich da.

Moise Yacouba 1

Bevor Moise Yacouba seinen Sprechgesang begann, griff er sich in aller Seelenruhe noch ein Stück Fleisch. Genüsslich biss er hinein, kaute mit demonstrativer Gelassenheit und wischte sich letztendlich die fettigen Finger an seiner Tunika ab. Erst dann setzte er zu seinem Vortrag an. Eine Inszenierung, die ihm die volle Aufmerksamkeit der Zuhörer sicherte. Seine Darbietung begann mit alten Märchen und Legenden über die vergangenen Dynastien der Djerma und Haussa, jener Völker, die in den Gebieten des heutigen Niger und des südlichen Mali sesshaft waren. Zur Begleitung entlockte er seinem Instrument eine Fülle von Rhythmen und Tönen, die das gesprochene Wort nicht nur unterstützten, sondern lebendig machten. Unser Dolmetscher übersetzte die Texte sofort, und Yacouba ließ ihm dafür großzügig Zeit, indem er während der Übersetzung schwieg. Doch selbst in diesen Momenten blieb er präsent. Er spielte weiter, untermalte den jeweiligen Abschnitt mit Klangbildern und verstärkte so die emotionale Wirkung seiner Geschichten. Das gab uns Gelegenheit zu verstehen, was wir hörten. Diese Erzählungen waren weit mehr als bloße mündliche Überlieferungen. Sie trugen den kollektiven Erfahrungsschatz und die kulturelle Identität ganzer Gemeinschaften in sich. Für uns war dieser Moment von unschätzbarem wissenschaftlichem Wert. Es war, als hätten wir ein lebendiges Archiv betreten, dessen Tiefe und Authentizität keine schriftliche Quelle je vollständig hätte erfassen können.

Moise Yacouba 2

In Begleitung des Meisters war ein hochgewachsener junger Mann mitgekommen. Ali Mabou war sein Name und ein Schüler des großen Yacouba. Er war anders gekleidet als sein Lehrer. Er trug einen Boubou, ein bis zu den Knien reichendes gerades Kleidungsstück mit Stickereien aus Vorarlberg auf der Brust, von dem er sicher annahm, dass es weiß sei. Auf dem Kopf hatte er eine runde weiße Kappe ohne Krempe, die ihn als gläubigen Mohammedaner auswies. Er hielt sich die ganze Zeit über im Hintergrund, andächtig seinem Idol zuhörend. Doch als nach etwa einer halben Stunde sein Chef müde wurde, übernahm Ali und setzte das Konzert fort. An diesen Gesang mussten wir uns erst gewöhnen, die Inhalte seiner Texte hingegen waren nicht weniger bedeutsam, als die von Yacouba. Ihm hörten die Leute ebenso aufmerksam und bewundernd zu. Mir kam der ungeplante Zusatz höchst gelegen, denn ich konnte damit wieder ein ganzes Tonband mit archaischer afrikanischer Kunst bespielen.

Ali Mabou

Nach den Darbietungen begann das unvermeidliche Nachspiel, erneutes Feilschen um die Bezahlung. Moise Yacouba, offenbar noch ganz beseelt von der erhabenen Schönheit seiner eigenen Performance – und der seines Begleiters Ali, dessen samtige Stimme den Auftritt veredelt hatte, sah sich berechtigt, das Dreifache des ursprünglich vereinbarten Honorars zu verlangen. Doch Walter, ein Meister der afrikanischen Verhandlungskunst, zeigte sich unbeeindruckt. Er war keineswegs bereit, diese nachträgliche Kalkulation zu akzeptieren. Beharrlich bestand er auf der vorher beschlossenen Summe. Daraus entstand ein langes Palaver, Argumente für und dagegen wurden ausgetauscht. Darüber brach die Dämmerung herein und ich musste mich beeilen, im Rest des Tageslichts die Geräte wieder im Auto zu verstauen. Dafür war äußerste Sorgfalt angebracht, den ein schlecht gesicherter Einankerumformer oder ein Tonbandgerät, das sich während der Fahrt auf holperigen Pisten verselbstständigte, konnte leicht zu einem Totalschaden führen. Walter und Mackie hielten als europäische Verhandlungsfront stand, indem Yacouba und Mabou die afrikanische Schule der geduldigen Argumentation zelebrierten. Besonders der Expeditionsleiter wirkte nach einiger Zeit zunehmend unruhig, wogegen der Kassenwart durch Beharrlichkeit beeindruckte. Die Afrikaner waren es nicht gewohnt, dass Europäer derart geduldig und geschickt verhandelten, mit merklichem Respekt nahmen sie zur Kenntnis, dass sie hier auf würdige Gegner getroffen waren. Nach einer gefühlten Ewigkeit, mehreren Ehrenrunden in der Spirale der Argumente und einem gerissenen Kompromiss war die Sache am Ende geklärt. Walter zahlte nur einen Bruchteil der geforderten Summe, doch Yacoubas Würde blieb gewahrt. Man verabschiedete sich mit Herzlichkeit und gestiegenem Respekt füreinander. Für uns war es eine Lektion in Geduld, Verhandlungskunst und der Kunst des richtigen Abschieds. Qualitäten, die uns bei der folgenden Expeditionszeit zu einigen Erfolgen verhalfen.

Obwohl die Nacht schon hereingebrochen war, begaben wir uns wieder auf die Piste, um zum Lager zurückzukehren. Ohne größere Zwischenfälle erreichten wir unsere Zelte kurz vor Mitternacht. Dort erwartete uns Schani mit einem triumphierenden Grinsen, er hatte in irgendeinem Laden eine fünf Liter fassende Flasche Rotwein aufgetrieben, mit der wir den Erfolg unserer ersten Arbeit so lange feierten, bis sie zur Nagelprobe geleert war. Müde und zufrieden begaben wir uns zur Ruhe.

Walter und ich zogen bei Tagesanbruch los auf Jagd. Schon bald kehrten wir mit einer respektablen Beute zurück, einem Vogel von der Größe und dem Erscheinungsbild einer Graugans. Da wir keine Vorrichtungen hatten, die Jagdbeute zu braten oder zu grillen, wurde der erfolgreiche Schütze beauftragt, das Tier zuzubereiten. Das war ein folgenschwerer Fehler, wie sich herausstellen sollte. Das Lager und die nächste Umgebung wurden weithin mit gerupften Federn überzogen. Ebenso war die Bissfestigkeit des stundenlang mit Liebe gekochten Tieres derart, dass wir das Fleisch in kleinste Würfel schneiden mussten, um es verspeisen zu können. Zu Walters Ehrenrettung sei erwähnt, dass der Geschmack des Gerichts durchaus überzeugte. Bei diesem Mahl beschlossen wir die Weiterreise für den folgenden Tag, und das unbedingte Verfassen einer Sammlung Märchen der Djerma und Songhai in deutscher Sprache.

Schon routiniert brachen wir unser Lager ab, beluden die Autos und begaben uns auf die Piste in Richtung Niamey im Süden. Der IFA führte die Karawane an, gefolgt vom Humber in respektvoller Distanz. Unterwegs stießen wir auf einen Franzosen, dessen Auto eine Panne erlitten hatte. Uns in würdigem Samaritertum fühlend, verkauften wir ihm vier Liter Motoröl aus unserem Fundus. In Ayorou trafen wir die Besatzung des IFA wieder und besuchten den dort diensthabenden Gardien, eine Art Dorfpolizist. Nicht ausschließlich um uns zu melden, er hatte im Haus einen Tisch stehen und ein paar Stühle, die den Eindruck einer Gaststätte vermittelten. Außerdem sahen wir in einer Ecke einen Kühlschrank und daneben eine Kochstelle. Auf unsere Frage, ob wir etwas zu essen bekommen könnten, bot er uns Eierspeise an. Aus dem Frigidaire holte er ein paar Flaschen Bier, nach denen wir gierig griffen. Dann brachte er selbstbewusst die Rühreier. Sie waren nicht nur versalzen, sondern zusätzlich so stark gebraten, dass sie durchgehend braun und staubtrocken waren. Doch in Anbetracht der Alternative, Walters kulinarische Experimente erneut ertragen zu müssen, verzehrten wir tapfer das Gebotene. Es war unvermeidlich, dass es später eine gröbere Auseinandersetzung mit dem Gardien gab, da wir für diesen Fraß nicht bezahlen wollten. Aber auch hier fand sich ein Weg! Walter drohte dem schwarzen Uniformträger an, er würde ihn beim Commandant Cercle, dem französischen Kommandanten für das Gebiet melden. Wir zahlten das konsumierte Bier und ersetzten großzügig den Einkaufspreis der verbratenen Eier. Er ist damit zufrieden, und wir waren uns wieder einmal darüber einig, dass Walter der beste Kassenwart war.

Am Abend kampierten wir vor Tillabéri auf freier Strecke und schliefen beim Hören vom Band des dritten Aktes aus Mozarts Don Giovanni friedlich ein. Ab und zu wurde die Stille von Schakalen und aus weiterer Entfernung von Hyänen unterbrochen. Vor Tagesanbruch fuhren Walter und Kopezky los. Sie starteten mit großem Lärm, der einem Rennauto der Formel 1 alle Ehre gemacht hätte. Das war auf einen fehlenden Schalldämpfer zurückzuführen, der lag nämlich auf dem Gepäck im Auto, um bei Gelegenheit neu angeschweißt zu werden. In dem Städtchen Tillabéri fanden die beiden Teile der Expedition wieder zusammen. Dort trafen wir abermals den Franzosen, dem wir auf der Piste mit dem Motoröl ausgeholfen hatten. Es stellte sich heraus, dass er Angehöriger einer französischen Organisation für Entwicklungshilfe war. Aus lauter Dankbarkeit lud er uns alle auf jeweils zwei riesig dimensionierte Kognaks ein. Dadurch gestärkt und äußerst vergnügt begaben wir uns auf den Weg nach Niamey, der Hauptstadt von Niger, wo wir unser Basislager für die kommenden Exkursionen in Niger errichten wollten.

(Die Musikaufnahmen sind im Phongrammarchiv der Akademie der Wissenschaften, 1010 Wien, Liebiggasse 5 zu finden, das auch die Rechte dafür besitzt. Bei Interesse an näheren Auskünften bitte Kontaktaufnahme direkt mit dem Archiv, oder mit mir.)

16. KAPITEL – Überfall – Nilpferdjagd – Niamey

Der frühe Morgen in Akamouks Geburtsort bricht an. Das Meckern und das Getrappel einer Ziegenherde, die langsam an meiner Behausung vorbeizieht, weckt mich. Durch die breiten Spalten der roh gezimmerten Türe tanzt das erste Tageslicht in einem Wirbel aus Staubpartikeln. Ich krieche aus der wohligen Wärme des Schlafsacks und versuche in der Dunkelheit die Konturen des Schlafgemachs zu erkennen. Die dicken Wände haben neben der Türe keine Öffnungen, nicht einmal ein Fenster. Das ist gut durchdacht, denn dadurch werden sowohl Kälte als auch mittägliche Hitze draußen gehalten. Mit einem leisen Anflug von Heimweh denke ich dabei an die Weinkeller in Österreich, die ähnlich konzipiert sind. Diese emotionelle Aufwallung ist in dem Moment vorbei, in dem ich das Tor aufstoße und in den werdenden Morgen blicke. Die Sonne steht knapp über dem Horizont, am Himmel blinken noch ein paar der hellsten Sterne, die Ziegenherde ist längst verschwunden. Es herrscht absolute Ruhe, nur ein wenig vom Duft der Herde hängt in der Luft. Die Bewohner des Dörfchens scheinen nach der anstrengenden Nacht versäumten Schlaf nachzuholen.

Ich beschließe, die morgendliche Frische für einen Spaziergang zum nahen Teich zu nutzen. Der Weg führt mich über den großen leeren Dorfplatz, vorbei an gelöschten Feuerstellen, deren graue Asche und ein paar abgenagte Knochen der gebratenen Hammel stumme Zeugen des gestrigen Festes sind. In der vollständigen Stille wirken meine Schritte derart laut, dass ich unwillkürlich versuche, leiser aufzutreten. Außerhalb der Siedlung angelangt, führt der Weg bergab zum Wüstenteich. Das Ufer ist mit Abdrücken menschlicher Füße und den tieferen Spuren von Tieren übersät und sinkt flach in den glasklaren Teich hinab. Ich entledige mich meiner Hose und des Hemdes und wate in das an der Oberfläche angenehm temperierte Wasser. Ich schwimme mit wenigen Schwimmbewegungen zum anderen Ende des kleinen Sees und wieder zurück. Das wiederhole ich einige Male und fühle mich wie ein König, der morgens allein in seinem Swimmingpool ein paar Schwimmzüge macht. Die Sonne schickt ihre ersten warmen Grüße durch die Blätter der Palmen, am Ufer haben sich Frauen und Mädchen plaudernd und unter weithin hörbarem Gelächter versammelt. Sie holen mit Kübeln und Tonkrügen Wasser aus dem See und verschwinden wieder im Dorf. Ich ziehe mich über die nasse Haut an. Beim Erreichen des Platzes im Zentrumsind meine Kleider trocken.

Der Stille folgt Unruhe, auf dem Platz herrscht mittlerweile reges Treiben. Dazwischen viele Kinder. In der Mitte liegen sechs unwillig gurgelnde Kamele, die von Männern in weißen und blauen Gewändern für eine Ténet, eine Reise, beladen werden. Einen auffällig gelassen wirkenden Mann in einer dunkelblauen Deraa, dem langen fließenden Kleidungsstück, erkenne ich wieder. Er spricht mit einem anderen Targi und beteiligt sich nicht an den Tätigkeiten. Es ist einer der bevorzugten Gäste, die beim vergangenen Fest neben mir am Teppich gesessen sind. Die Männer sind seine nicht adeligen Diener, welche die Arbeiten verrichten. Hier, in der Abgeschiedenheit des Hoggar, gelten bis heute die alten Gesetze der Hierarchien. Der Platz ist erfüllt vom Klang gurgelnder Kamele, in das sich das Meckern zweier Ziegen mischt, die Leinen um den Hals gewunden haben, deren Enden unter einem schweren Stein eingeklemmt sind. Begleitet von einem Tross schnatternder und höchst neugieriger Kinder, die sechs bis zwölf Jahre alt sein dürften, begebe ich mich zu meiner Behausung. Doch kurz vor dem Eingang bin ich wieder allein, die Nachkommen des Clans sind verschwunden. Eine Geste des Respekts für Privates, den ich mehrmals bei Autochthonen, egal welcher Ethnie, genauso auf anderen Kontinenten erlebte.

Im dunklen Raum meiner Behausung werde ich von Akamouk begrüßt. Er ist gekommen, um mich zu einem Frühstück mit der Freundin einzuladen, bei der er die Nacht verbracht hatte. Am Weg dorthin meint er, dass er gerne möglichst schnell zur Auberge du soleil zurückkehren, demnach sein Volk hier verlassen will. Seine Pflicht, den jungen Iyad gesund wieder heimzubringen, hatte er erfüllt. Niemand würde ihn hier mehr benötigen. Mir war es Recht, und ich stimme einer vorzeitigen Abreise zu.

An einer langgestreckten Mauer mit nur einem Eingang stehen die bisher nicht beladenen drei Kamele Akamouks. Er betritt den Hof vor mir und geht auf das aus Lehm gebaute, groß dimensionierte Wohnhaus zu. Ein Anwesen dieser Ausmaße kann nur einer einflussreichen Familie gehören. Meine Annahme wird durch Akamouk bestätigt, sie gehört zum Clan des aktuell herrschenden Amenokal, dem obersten Chef aller Touareg. An einem Platz nahe dem Haus steht ein meisterlich aus rohen Holzstangen errichteter und mit Leder gedeckter Baldachin. Auf einer dem Augenschein nach festen Feuerstelle kocht schon Teewasser in der typischen Kanne aus blauem Email. Sie wird von einer ausnehmend hübschen, ja schönen jungen Targia gehütet. Sie trägt eine Menge Silberschmuck und ist kunstgerecht geschminkt. Ich verstehe Akamouk und bewundere seinen guten Geschmack. Sie bleibt, das ist ungewöhnlich, an der Kochstelle sitzen, wir lassen uns auf dem ausgebreiteten kleinen Teppichen nieder. Mit bedachten, eleganten Bewegungen bereitet sie nach alter Tradition den Tee. Akamouk erklärt mir, dass sie in Oran und Algier Wirtschaft sowie Agrikultur studiert und die durch politische Umstände erzwungenen Ferien hier zu Hause verbringt. Täusche ich mich, oder wirft sie meinem Freund verliebte Blicke zu?

Wir führen ein anregendes Gespräch über innovative Möglichkeiten, die karge Landschaft der Sahara wirtschaftlich zu nützen. Sie beweist Ihre Intelligenz, indem sie ihr perfektes Französisch umgehend meinen bescheidenen Kenntnissen dieser Sprache anpasst, sodass eine recht flüssige und inspirierende Unterhaltung zustande kommt. Sie plant, gleich wie es etliche Bauern im Sahel seit einiger Zeit mit Erfolg realisieren, ebenfalls hier im Hoggar die Täler mit Anpflanzungen zu kultivieren. Auf meinen Einwand, bezüglich der enormen Wasserarmut in diesem Gebiet, meint sie, man könne mit künstlicher Bewässerung aus Brunnen beginnen. Das würde Pflanzen und Bäume bis zu einer solchen Höhe und Dichte gedeihen lassen, um einen natürlichen Kreislauf herzustellen. Dadurch sollte ausreichend Regen entstehen, vorausgesetzt, die Grünfläche ist groß genug. Im Sahel gibt es Unterstützung aus China für diese Projekte, sie hofft auf eine solche von der EU und von einer neuen Regierung in Algerien. Die kürzlich abgesetzte war nicht interessiert, da sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Gerne würde ich weiter mit dieser anziehenden Frau plaudern, aber Akamouk drängt zum Aufbruch. Ich verabschiede mich kurz mit dem Versprechen, bei nächster Gelegenheit wiederzukommen. Ihren Vorschlag, mir einen Vasallen als Führer bis zu meiner Unterkunft mitzugeben, lehne ich dankend ab, denn in der mir eigenen Eitelkeit glaube ich, den Weg eigenständig zu finden. Akamouk begleitet mich bis vor das Tor und zeigt mir die Richtung, in der ich gehen soll.

Aber das hätte ich besser unterlassen. Alle Lehmhäuser sind so oder so gleich gebaut. Es gibt keine Fixpunkte wie Bäume oder Geschäfte. Selbst natürliche Merkmale wie Hügel und Gräben fehlen. Bis auf ein paar bettelnde Kinder zeigt sich niemand, den ich nach dem Weg fragen könnte. Einige Hühner und einzelne Ziegen kreuzen den Weg, irgendwo liegt ein von Hammelresten vollgefressener Hund, der bei meinem Erscheinen müde nur leicht seinen Kopf hebt. Der Stand der Sonne ist ebenso wenig hilfreich. Es ist nicht zu leugnen, ich habe mich verirrt. Der Tross lärmender und aufdringlicher Kinder hinter mir wächst mit jeder Häuserecke an. Kommunikation mit den Kleinen ist aus sprachlichen Gründen nicht möglich Das steigert die Nervosität und ich verliere mich in Umwegen. Das Dorf ist nicht so groß und zu meiner Überraschung stehe ich unvermittelt auf dem recht belebten Hauptplatz. Die Karawane ist aufgebrochen und im Gelände in der Ferne verschwunden. Von diesem Platz finde ich den Weg zum Quartier schnell und direkt.

Ich rolle rasch meinen Schlafsack ein, da kommt schon Akamouk in Begleitung von zwei Halbwüchsigen zur Türe herein. Er erklärt ihnen, wie das Zusammenlegen des Feldbettes funktioniert. Sie machen das großartig und tragen es als Bündel hinaus. Während mein Reisegefährte das Bett am wie gewohnt unwillig brüllenden Lastkamel befestigt, gebe ich jedem der Helferlein ein paar Centimes. Das mir zugeteilte Mehari begrüßt mich schon von Weitem mit ungehaltenen Tönen. Zu Fuß, die Kamele an Stricken führend, ziehen wir aus dem Ort. Um Proviant und Wasservorrat brauche ich mich nicht zu kümmern, mein zuverlässiger Freund, der Targi, hat alles vorbereitet.

Wir verlassen das Ksar, die Siedlung des Clan, in Richtung Gebirge. Von der morgendlichen Kühle begleitet, starten wir unseren Weg zu Fuß. In der Ebene angelangt, klettern wir in die Sättel und lassen uns durch die Gegend schaukeln. Am Beginn der Steigung zum Pass steigen wir wieder ab, obwohl sich die Kamele bergan sicherer bewegen, als hinunter. Weiter geht die Reise durch bekannte Landschaften, die mir insofern neu erscheinen, weil wir in die Gegenrichtung ziehen. Diesmal schlagen wir unser Nachtlager einige Kilometer westlich der Stelle auf, die wir auf der Hinreise genutzt haben. Abermals habe ich Schwierigkeiten, mein Kamel dazu zu bringen, sich niederzulegen, und wieder muss Akamouk mit geübter Hand nachhelfen. Beim abendlichen Tee möchte ich von ihm wissen, warum er so schnell von seinem Clan fortwill, da doch diese Frau zu ihm passt und ihn sicher glücklich machen würde. Er sei einmal verheiratet gewesen und habe seine Lehren daraus gezogen. Inzwischen hat er sich an das nicht gebundene Nomadisieren gewöhnt. Dieser Zustand dauert schon zu lange, um nochmals eine solche Bindung zu versuchen.

Am nächsten Morgen bewegen wir uns weiter gegen Westen und kommen neuerlich zum schnurgeraden Asphaltband der Transsaharastraße, die sich von Horizont zu Horizont erstreckt. Dort steht eine Gruppe Schwarzafrikaner, unverkennbar Flüchtlinge aus dem Süden. Sie umringen uns und wollen Geld, nein, sie verlangen es. Weit und breit keine algerischen Sicherheitskräfte, es gibt nur die leere, in der Unendlichkeit verschwindende Straße und Wüste um uns herum. Es scheinen Nigerianer zu sein, da sie mit uns Englisch sprechen. Wir sitzen hoch oben auf den Kamelen, die aber das Außergewöhnliche der Situation registrieren und unruhig werden. Ängstigen sie sich, kann das zu nicht kontrollierbaren Reaktionen der eigenwilligen Tiere führen. Mein Lieblingsreittier droht auszubrechen. Akamouk wendet sein Mehari und eilt mir erfolgreich zu Hilfe. Die Lage wird immer bedrohlicher, einige der Dunkelhäutigen sind mit Stangen aus Holz bewaffnet, die Knüppel ähneln. Wir müssen irgendetwas tun. Der Targi wirft mir seinen Karabiner herüber, den ich mit Glück auffange. Das bewirkt, dass einer der Männer nach dem Zügel von Akamouks Kamel greift. Der zieht blitzschnell sein Schwert und schlägt dem Angreifer mit der flachen Klinge derart auf die Hand, dass der Mann vor Schmerz aufbrüllt und den Strick loslässt. Im selben Schwung trifft er den Kopf des neben ihm Stehenden. Ich lade mit extra lautem Geräusch den Karabiner durch, was seine Wirkung nicht verfehlt. Die Meute weicht daraufhin etwas zurück und gibt den Weg frei. Das erlaubt es uns weiterzureiten, doch der Schreck sitzt mir in den Gliedern. Dem Targi erscheint diese Situation völlig normal, seine Haltung gegenüber Menschen aus Schwarzafrika hat er von seinen Vorfahren übernommen. Ich jedoch mache mir Gedanken über ihr Schicksal und das Elend der Flüchtlinge insgesamt. Zeit dafür habe ich ja genug, auf dem Rücken meines widerspenstigen Reittieres.

In angemessener Entfernung halten wir an und steigen ab. Bevor ich den Karabiner Akamouk zurückgebe, nehme ich die Patrone aus dem Lauf und drücke sie in das Magazin. Es scheint so, als würde er zufrieden lächeln.
Der Targi hat gezeigt, dass noch immer das Blut der kriegerischen Vorfahren in seinen Adern fließt. In aller Ruhe bereitet er Tee und wir warten im spärlichen Schatten einer Akazie, bis die ärgste Hitze des Tages vorbei ist. Unser Ziel ist von hier sicher zwei Tagesmärsche entfernt. Wasser gibt es ausreichend in den Gerbas, allerdings werden die Lebensmittel knapp. Da wir in der Ebene gut vorankommen und kaum Pausen einschieben, legen wir am nächsten Tag eine erhebliche Strecke zügig zurück. In den letzten Strahlen der Sonne sichten wir einen Gazellenbock in bester Schussentfernung, der langsam gegen die Abendsonne spaziert. Akamouk schießt vom Kamel aus. Auf den ersten Schuss reagiert der Bock nur, indem er seinen Kopf in unsere Richtung dreht. Der zweite ist ein Treffer. Mit diesem alten Gewehr eine großartige Leistung. Ich helfe ihm beim Aufbrechen und Zerteilen der Jagdbeute. Ein Großteil des Fleisches wird in die eigene Haut gepackt, ein paar gute Stücke werden schnell an einem Holzfeuer geröstet. Zum Glück fand sich nicht weit von unserer Route entfernt ein abgestorbener Akazienbusch, dessen Holz mehr als ausreichend dafür ist. Es freut uns, dass wir den Mouloudjis so ein nahrhaftes Geschenk mitbringen können.

Das Ehepaar empfängt uns wie zwei verlorene Söhne. Besonders Michelle ist die Wiedersehensfreude anzumerken, sie küsst uns auf beide Wangen, François umarmt uns herzlich. Akamouk übergibt zuerst die Fellbündel mit dem Fleisch der Gazelle, damit es gleich in den Kühlschrank kommt. In der Gaststube angekommen bringt François zwei große Flaschen Bier und Michelle einen Krug perlender Limonade für den Mohammedaner. Das erste Glas trinke ich auf einen Zug leer, worauf mir sofort wieder nachgeschenkt wird. Jetzt wären Erzählungen über die Reise angebracht und das Abendessen zu genießen. Ich bitte aber um Verständnis, das auf morgen zu verschieben, denn ich fühle mich nicht nur müde, sondern außerdem in der durch die seit Tagen getragenen Kleidung nicht wohl. Nach diesem Begrüßungstrunk steige ich zu meinem Quartier hinauf, um ausgiebig zu duschen. Akamouk verzieht sich in den Hof und tränkt seine Tiere, was eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Michelle hat mir eine französische Seife ins Bad gelegt, die mich, da sie leicht parfümiert ist, die Dusche länger als notwendig genießen lässt. Ein Blick in den Hof zeigt mir, dass sich die Kamele schon außerhalb der Mauern aufhalten, und ich vermute Akamouk in der Garage, wo auch er sich der Körperpflege hingeben dürfte. Ich verbinde den Computer mit dem Netz und freue mich, dass er einwandfrei hochfährt. Der Kopf ist voll mit den Erlebnissen dieser eindrucksvollen Reise, aber es ist mir bewusst, dass ich an meinen sechs Jahrzehnten alten Erinnerungen arbeiten sollte. Nachdem ich aber mehrmals vor dem Bildschirm eingenickt bin, beschließe ich, morgen weiterzuschreiben:

See in der Wüste

Es war schon April 1956, die Expedition hatte gewaltige Verspätung. Die Reparaturen an den Autos haben die Planung um Monate zurückgeworfen. Wir mussten uns beeilen, denn langsam ging die Trockenzeit zu Ende, und nach einem Regen war die Beschaffenheit der Strecke unberechenbar. Bis Niamey, der Hauptstadt von Niger,waren es noch einige Kilometer. Die Piste führte durch eines der wildreichsten Gebiete Westafrikas, dem Tillabéri. Alle Tierarten, welche heute in Ost- und Südafrika in touristisch genutzten Reservaten auf engstem Raum zu besichtigen sind, haben wir im Cercle Tillabéri tagsüber gesehen. Da waren Elefanten, Antilopen, Löwen, Leoparden, eine Vielzahl verschiedener Affen, während Hyänen und Schakale sich bei Nacht lautstark bemerkbar machten. Auch die Flüsse waren lebendig, voller Krokodile und beeindruckender Flusspferde, die wir schon bald aus nächster Nähe erleben würden.

Obwohl die Bevölkerung am Niger Fische im Überfluss fing, war ihr Verlangen nach Fleisch ungestillt. Die Haussa, ein Volk von Viehzüchtern, boten zwar Fleischprodukte auf den Märkten an, doch ihre Preise waren hoch, und nicht jeder konnte es sich leisten. Flusspferde aber standen unter Schutz, und ihre Jagd war streng reglementiert. Da kaum jemand Interesse daran hatte, den riesigen Schädel eines Nilpferds als Trophäe mit heimzunehmen, gab die Administration ab und zu eines davon zum Abschuss frei. Eine solche Menge Fleisch auf einmal wie ein Flusspferd liefert kein anderes Tier, darum wurden ein- bis zweimal pro Jahr Jagden veranstaltet. Es gab eine eigene Kaste unter den Bewohnern der Uferlandschaften, welche befugt war, diese imposanten Tiere zu jagen: die Sorkos. Diese Ehre vererbte sich über Generationen innerhalb weniger am Ufer des Niger lebender Familien. Jede Jagd war nicht nur ein Akt der Notwendigkeit, sondern ein tief verwurzeltes Ritual. War eine solche Jagd angesagt, versammelten sich die Sorkos aus mehreren Familienclans, um das Vorgehen zu besprechen und durchzuführen. Wir hatten Glück. Eine dieser seltenen Jagden war angesetzt, und wir waren fest entschlossen, dieses ursprüngliche und dramatische Ereignis zu dokumentieren. Leider waren wir zu den feierlichen Beschwörungen, die den Jagden immer vorangehen, zu spät gekommen. Das wäre ein Fressen für mein Tonbandgerät gewesen!

In Tillabéry, der Siedlung am Niger, lagen die Boote der Fischer nebeneinander im Wasser. Lange, schmale Piroggen, deren Holz glänzend vom Gebrauch schien, schaukelten sanft am Ufer. Fünfzehn Jäger bereiteten ihre Harpunen vor und verteilten sich auf fünf Boote. Ihre Bewegungen waren ruhig und konzentriert, die Gesichter ungewöhnlich ernst. Die Atmosphäre war geladen. Wir wollten unbedingt eine der Piroggen mit Ruderern mieten, doch das war nicht problemlos. Erst als wir uns direkt an den Chef der Sorkos wandten und ihm ein kleines Geschenk überreichten, willigte er ein, uns in eines der Boote zu lassen. Da es nichts zum Aufnehmen gab, konnte ich einmal unbeschwert in dem Boot mitfahren. Das war lang, aber äußerst schmal und ich fühlte mich nicht ungeheuer sicher. Nilpferde sind recht friedliche Tiere, doch wenn sie sich angegriffen glauben, werden sie erstaunlich gefährlich. Vor allem im Wasser sind sie überraschend schnell. Man erzählte uns zuvor, dass ein verletzter Bulle kürzlich ein solches Boot versenkt hatte, wobei alle Jäger ums Leben kamen. Das Holzboot schwankte bedenklich, während wir uns darin verteilten. Kopezky, mit seiner Kamera stets im Anschlag, bestand darauf, sich als Erster einen Platz zu sichern, verständlich wegen einer optimalen Position für seine Aufnahmen. Ich quetschte mich in die Mitte, und hinter mir ließ sich Mackie nieder.

Die Jagd kann beginnen

Vorne am Bug und hinten im Heck standen jeweils halbnackte schwarze Männer, deren schweißnasse Haut über den beachtenswerten Muskeln glänzte. Mit langen Stangen stakten sie das Boot mit großer Präzision durch das seichte Ufergewässer. Das Wasser des Niger glitzerte in der Sonne, friedlich und trügerisch ruhig. Eine spannungsgeladene Stille lag über der Szene. Nicht einmal das Eintauchen der langen Stäbe war zu hören. Nach einer Fahrt von sicher einer Stunde hörten wir die typischen Grunzgeräusche von Nilpferden. Vorsichtig näherte sich die Flotte einer Hippofamilie an. Einige der gemütlichen Tiere standen oder lagen in Ufernähe, auf dem Fluss weiter draußen konnte man Augen und Nasenlöcher anderer Hippos wahrnehmen. Die sonst schwerfällig wirkenden Flussriesen im Schilf bemerkten unsere Annäherung sehr bald und liefen mit unglaublicher Geschwindigkeit ins fließende Wasser. Das war so geplant, denn die Harpunen waren nur im tiefen Fluss anzuwenden. Im seichten Uferwasser hätten Jäger damit keine Chance gehabt und wären in Gefahr geraten, von einem aufgebrachten Hippo umgerannt und zertrampelt zu werden. Die gesamte Herde schwamm jetzt weiter draußen, dort wo der Fluss tief war.

Das Nilpferd ist gesichtet

Dort glitten die Jagdboote hinaus und versuchten, ein besonders großes Exemplar einzukreisen. Jetzt war es mit der Stille vorbei. Die Jäger verständigten sich laut rufend und gestikulierend untereinander, jedes Boot nahm seine ihm zugedachte strategische Position ein. Plötzlich flogen die ersten Harpunen. Das massive Tier bäumte sich auf, getroffen und wütend. Der gewaltige Körper schoss zur Hälfte aus dem Wasser, sodass die hohen Wellen einige Piroggen beinahe zum Kentern brachten. Die Ruderer mussten all ihre Kraft und Geschicklichkeit aufwenden, damit die Boote, die durch die Stricke der Harpunen mit dem Tobenden fest verbunden waren, nicht umstürzten. Ein ins Wasser gefallener Mensch wäre in Lebensgefahr, denn die mächtigen Kiefer eines Flusspferds können selbst ein Krokodil mühelos in der Mitte durchbeißen.

Obwohl etwas entfernt vom Geschehen, erreichten die hohen Wellen unser Boot, es schaukelte gewaltig. Vor mir saß Kopezky, der engagierte Fotograf, bleich unter seiner sonnengebräunten Haut. Seine Kamera baumelte in ihrem Lederetui um seinen Hals, er hielt sich krampfhaft an den Bootsrändern fest. Obwohl ich mir einer unausweichlichen Retourkutsche bewusst war, konnte ich mich des Ratschlags nicht enthalten, dass man im Boot stehend sicher bessere Bilder von der Jagd schießen könne.

Nach längerer Zeit, in der das Drama zwischen Jägern und Tier seinen Höhepunkt erreichte, gelang es den Sorkos, aufrecht in den Piroggen balancierend, den Kampf zu gewinnen. Mehrere Harpunen hatten sich in den massigen Körper gebohrt, und das Tier erlag schnell seinen Verletzungen. Die tonnenschwere Beute wurde an Land gerollt, wo sich eine staunende Menge versammelte. Mit bemerkenswerter Geschicklichkeit machten sich die Jäger daran, das Tier zu zerteilen.

Die Jagdbeute
Das Tier wird an Land gerollt

Das Hyppo wird aufgeteilt

Diese Jagd ergab eine große Menge Fleisch, von dem die Jäger einen Teil an Ort und Stelle an die Interessenten verkauften. Der Großteil wurde auf den Markt und dort unter die Leute gebracht. Kein Stückchen blieb von dem gewaltigen Tier am Skelett.

Wir verbrachten die Nacht im Dorf, und zu unserer Überraschung bekamen auch wir jeder ein Stück Nilpferdfleisch ab. Selbstverständlich gab es ein Gegengeschenk in Gestalt von Bargeld. Die Zubereitung allerdings erwies sich als Herausforderung. Das Fleisch war zäh wie Leder, und unsere improvisierten Kochkünste scheiterten kläglich. Als Faschiertes wäre der fleischliche Segen sicher erfreulicher gewesen, doch wo findet man im afrikanischen Busch einen Fleischwolf? Etwas abseits vom Lagerfeuer saß Kopezky an ein Rad des Pére Ubu gelehnt und nuckelte, böse zu mir herüberblickend, an einer frisch geöffneten Dose Nestlé-Kondensmilch. Das war seine Rache für meinen Kommentar während der Jagd, denn wir liebten beide gleichermaßen diesen überaus gezuckerten, dickflüssigen Saft, der die Glückshormone jubeln lässt. Leider war der Vorrat davon enden wollend.

Sahel: Lager zwischen Gao u. Niamey

Niamey, die Stadt, die über Monate unser Ziel gewesen war, lag bloß wenige Kilometer entfernt voraus. Die Hauptstadt von Niger schien uns mit offenen Armen zu empfangen, doch davor mussten ein paar steile Strecken der Piste bewältigt werden. Gewohnt, mit kaum funktionierenden Bremsen zu fahren, meisterten wir bravourös diese Gefälle knapp vor dem Ziel. Der Moment, als wir den ersten Asphalt berührten, war fast magisch. Nach ewig langer Zeit hatten die Autos wieder glatte Straße unter den Rädern und waren nicht mehr zu halten.

Nur wenige asphaltierte Straßenzüge durchzogen wie Adern die Hauptstadt mit dem Regierungssitz von Niger. Es gab hier tatsächlich eine Ampel, die einzige der Stadt, die jedoch mehr wie ein Denkmal wirkte, da es kaum Verkehr gab. Der Hauptplatz war leicht zu finden, wo uns ein kleines Bistró willkommen hieß. Durch die Hitze und lange staubige Fahrt von Durst geplagt, bestellte jeder von uns zwei Limonaden. Etwas überrascht waren wir über die Größe der Flaschen, weil sie beinhalteten jeweils einen ganzen Liter! Kleinere Gebinde gab es nicht. Wir waren zutiefst zufrieden und verständlicherweise ein bisschen stolz, denn wir hatten unser geografisches Ziel trotz widrigster Umstände erreicht. Die fünf Expeditionsteilnehmer unterschiedlichster Charaktere waren inzwischen eine fest zusammengeschweißte Truppe geworden, in die sich sogar der professionelle Fotograf fast nahtlos einfügte.

Österreichs Außenamt hatte die Ankunft der Expedition vorangekündigt. Der französische Kommandant empfing uns freundlich. Er war ein Mann mit wachen Augen und einem Lächeln, das sowohl Autorität, sowie Verständnis ausstrahlte. Als wir ihm unsere Sorgen um ein Quartier für einige Wochen mitteilten, winkte er nur ab und rief einen Polizisten herbei. Der dunkelhäutige Beamte mit der aufrechten Haltung und dem ausgeprägten Stolz eines Einheimischen bekam den Auftrag, uns zu einer speziellen Unterkunft zu bringen. Er führte uns in eine Art Villenviertel bis zu dem Gebäude, das wir auf unbegrenzte Zeit bewohnen durften. Er übergab uns den Schlüssel und wir verabschiedeten ihn dankbar. Mit afrikanischen Maßstäben gemessen war das kein Haus, sondern ein kleiner Palast mit einem prominenten Eingang:

Niamey: Unser Haus

Wir öffneten die schwere Doppeltür, die mit einem leichten Knarren nachgab, und traten in das Innere unseres neuen Domizils. Eine gewölbte und kühle Halle empfing uns. Dazu gab es vier große Räume, eine Küche, Wasch- und Toilettenräume und einen Weinkeller. Wie sich herausstellte, hatte das Gebäude früher dem aufgelassenen „Club européen“ als Clubhaus gedient und war trotz seines leicht desolaten Zustands noch fast vollständig eingerichtet. Obwohl das Dach an einem Ende eingefallen, waren da zwei Kühlschränke, etwas morsche Schränke mit Tafelgeschirr, Besteck und Gläsern verschiedenster Art. Metalltische und Stühle stapelten sich in den Ecken. Ein jetzt verwahrloster, ausgetrockneter Garten und eine etwa zwanzig Meter im Geviert messende Terrasse, mit bunten Steinfliesen gepflastert, hatte trotz ihres sandigen Überzugs eine gewisse Schönheit. Dazwischen waren zwei Schatten spendende Akazienbäume gepflanzt. Im gesamten Haus gab es Anschlüsse für elektrischen Strom. Eine dicke Schicht Sandstaub überzog alles. Es war ein Ort voller Kontraste, zugleich verfallen und doch beeindruckend. Ein Platz, der Geschichte atmete, und für uns fünf, gezeichnet von den Strapazen der Expedition, kam er einem Paradies gleich.

Der Weinkeller war leer, wie wir annahmen. Schani aber nahm nicht an, sondern schritt zur Tat. Mit einer Taschenlampe bewaffnet und der Entschlossenheit eines Archäologen begann er zu graben. Seine Machete arbeitete sich durch die sandige Schicht, bis er auf etwas Hartes stieß. Er brachte eine ausreichende Menge Flaschen Burgunder und anderer französischer Weinspezialitäten ans Tageslicht. Euphorie machte sich breit, als wir die Schätze betrachteten. Die Flaschen waren alt, das Etikett bei manchen kaum mehr zu entziffern, aber es war Wein, echter französischer Wein! Einstimmig beschlossen wir, den Wein seinem Eigentümer zu bezahlen, sobald er sich melden würde.

Niamey: Mittag auf Veranda
Niamey: Siesta auf Veranda

Vorerst teilten wir die gegen Regen geschützten Räumlichkeiten unter uns auf. Jeder bekam ein eigenes kleines Reich, ich richtete mein „Tonstudio“ in einem der Räume ein, der sich perfekt dafür eignete. In einer Ecke der kühlen Halle entstand der gemeinsame Schlafraum. Doch bei dem warmen, trockenen Wetter entschieden wir uns, die erste Nacht draußen auf der Terrasse unter freiem Himmel zu verbringen. Was keine gute Idee war. Blutrünstige Moskitos raubten uns den wohlverdienten Schlaf. Anfangs waren es nur einige wenige Exemplare. Doch schien die Kommunikation unter den Quälgeistern bestens zu funktionieren, denn im Laufe der Nacht kamen Myriaden Stechmücken. Vermutlich aus dem ganzen Land herbeigerufen, um vier Österreichern und einem Belgier Blut abzuzapfen. Da wir zum Abendmahl eine Reihe von Flaschen von dem gefundenen Wein geleert hatten, dürften diese promillehaltigen Blutproben für die Insekten, die muselmanische Abstinenz gewohnt waren, sensationell berauschend gewirkt haben. Dieser massive Überfall ergab bei den übernächtigen Europäern den gesamten nächsten Tag jucken und kratzen ohne Ende. Dessen ungeachtet säuberten Walter, Kopezky und ich Haus und Terrasse von Mist und Sand, während Mackie und Schani in die Stadt zur Polizei und zum Büro der Air France fuhren. Diese hatte die ersten entwickelten Farbdiapositive aus Wien eingeflogen, auf die wir uns voller Neugier stürzten.

Der Chef du Cabinet der nigrischen Regierung hatte sich zu einem Besuch angesagt. Da sich die zufällig gleichzeitig in Niamey aufhaltenden Reporter von Paris Match verabschieden wollten, drückten sich meine Kollegen vor den anstehenden Aufräumarbeiten und fuhren zum Flugplatz für eine Fotoreportage. Somit blieb ich zurück und versuchte, das Haus bestmöglich auf Hochglanz zu bringen. Am Vormittag wurde elektrischer Strom eingeleitet, was uns dazu brachte, zumindest einen der Kühlschränke in Betrieb zu nehmen. In Afrika kommt man ohne Kühlung nicht aus. Bier und Trinkwasser erhalten damit belebende Temperaturen und, na ja, auch Lebensmittel halten länger. Der Ministerbesuch verlief erfreulich. Die dargereichten kühlen Getränke beeindruckten den hohen Gast und sicherten uns sein Wohlwollen. Das war vorteilhaft, weil sein Wohlwollen sollten wir bald benötigen.

Denn eines Tages erschien ein Beamter der Sureté, der Staatssicherheit, hörte die Tonbänder ab und notierte akribisch die Nummern aller technischen Geräte und Jagdwaffen. Wir sollten für verschiedene Genehmigungen Strafe zahlen. Unsere Kassenlage war aber desolat, er bestand aus knapp zweitausend CFA. Nicht annähernd genug, um allein die Gebühren für die Gewehre zu begleichen, die auf sechstausend Francs angesetzt waren. Wir mussten die Bezahlung der Abgaben auf irgendeine Art so lange hinauszögern, bis das seit ein paar Wochen angekündigte Geld aus Wien ankommen würde. Das ließ sich aber Zeit. Es war unausbleiblich, dass nach einigen Tagen wieder Beamte der Sureté mit dem Verdikt erschienen, wegen dieser Schulden und Spionagevorwürfen müssten wir umgehend das Land verlassen. Das hätte ein unrühmliches Ende dieses vielversprechenden Unternehmens der Feldforschung bedeutet, ehe es richtig angefangen hatte. Unausgesprochen hatten wir das Gefühl, dass uns der Chef de la Sureté womöglich nicht positiv gesinnt sein könnte. Unsere Nervosität wurde greifbar. Wir erbaten uns ein paar Stunden Zeit. Die wurde gewährt und genützt, um den französischen Commandant cercle und den Chef de cabinet zu mobilisierten. Diese zwei Herren übernahmen die Verantwortung für uns und wir durften ab da ungestört unserer eigentlichen Arbeit weiter nachgehen. Was der Grund dafür war, dass der Chef des Sicherheitsdienstes uns so nachstellte, konnten wir nur vermuten. Zu gleicher Zeit arbeitete im Niger ein Filmemacher aus Frankreich, der das Gebiet als sein Monopol ansah.

Gemeinsam mit Walter nahmen wir für den österreichischen Rundfunk Features auf. Da waren Erzählungen von Märchen aus der Umgebung, eine Radioreportage über die Hauptstadt und sogar eine Spezialsendung für die Air France direkt vom Flughafen von Niamey. Der Erfolg unserer Mission nahm wieder langsam Gestalt an, und mit ihm wuchs auch die Zuversicht der Expeditionsteilnehmer.

Flugplatz Niamey, Mackie u. Kopezky, dahinter eine DC 3
Flugplatz Niamey: Ich, Walter u. Direktor des Flughafens

Wir stürzten uns mit Feuereifer in die Recherche, sowohl in Niamey selbst, und ebenso in der umliegenden Region. Die Stadt und ihre Umgebung erwiesen sich als ein wahres Schatzkästchen an Eindrücken, Geschichten und Klängen. Vor allem die Tonaufnahmen, die wir auf diesen Streifzügen machten, gehörten zu den eindrucksvollsten unserer gesamten Expedition. Wir ließen nichts aus. Es schien, dass es hier für jeden erdenklichen Anlass ein Fest gab! Und wenn keiner vorhanden war, wurde eben einer erfunden. Lebensfreude stand an der Tagesordnung. Diese Festlichkeiten waren nicht nur ein Genuss für Augen und Ohren, sondern auch eine Erinnerung daran, wie einfach es sein kann, das Leben zu feiern, ganz ohne große Inszenierungen, aber mit umso mehr Begeisterung.

Tam -Tam aus Tera
„Für den vom Blitz Erschlagenen“ (Yakatala)

Die Forschungsarbeiten führten uns nicht nur zu faszinierenden Klängen und Geschichten, sondern darüber hinaus zu einer Reihe interessanter Menschen, deren Gastfreundschaft wir nur zu gerne annahmen. Denn die ewigen leicht angebrannten Palatschinken aus Walters Haute Cuisine nervten uns gewaltig. Wir befürchteten, alle an Skorbut zu erkranken. Aus diesem Grund wurde mir die Aufgabe übertragen, am Grand Marché frisches Gemüse einzukaufen. Dieser ausgedehnte Markt war von frühmorgens bis spät in die Nacht geöffnet und man fand dort alles, was das Land produzierte. Inklusive Käfer und anderes Kleingetier. Gelegentlich begleitete mich unser schwarzer Boy Kindo, ein vierzehnJahre alter, aufgeweckter Junge vom Stamme der Songhai. Seine Übersetzungskunst erleichterte mir das Feilschen. Ich wusste zwar nicht, was er den Händlern wirklich sagte, Hauptsache, ich kam mit dem Geld aus. Wegen der kühleren Temperaturen fanden die Marktbesuche meistens abends statt. Selbst bei Dunkelheit fühlte ich mich in den stillen Gassen sicher, obwohl ein einsamer Weißer naturgemäß auffiel.

Für Ausländer und gut bezahlte Beamte fanden sich im Zentrum von Niamey zwei saubere und von Franzosen hygienisch betriebene Geschäfte, die Waren und Lebensmittel aus Europa anboten. Aber zu derart hohen Preisen, dass wir davon Abstand nahmen, dort einzukaufen. Unter den vielen Persönlichkeiten, die wir in Niamey kennenlernten, war Louis Mouren zweifellos die beeindruckendste. Mouren, Besitzer der einzigen Apotheke nach europäischem Standard in dem großen Land, war eine imposante Erscheinung, ein Hüne, der John Wayne nicht nur äußerlich ähnelte, sondern auch dessen Habitus perfekt kopierte. Da er den Markt mit Medikamenten für das gesamte riesige Land beherrschte, war er dementsprechend wohlhabend.

Die Firma, welcher der F9 gehörte, hatte eine Versicherung für den Wagen und eventuelle Schäden abgeschlossen. Bis die Versicherungssumme für die bisherigen Reparaturen am IFA bei uns eintraf, mussten wir Möglichkeiten finden, unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Mouren hatte neben der Apotheke einen Fotoladen mit Labor, das für Kopezkys technische Begabung bestens geeignet war. Dorthin brachten Leute nicht nur ihre Filme zum Entwickeln, sondern sogar ihre defekten Fotoapparate zur Reparatur. Hans untersuchte die Kameras und stellte mit sorgenvoller Miene größere Schäden fest. Die Fehlerbehebung würde sicher einige Tage in Anspruch nehmen, oder man müsse die Kamera gar ins Werk einschicken, was logischerweise hohe Kosten verursache. Dann brachte er die Apparate in die Werkstatt, nahm das winzige Stück Film, das den Transport blockiert hatte mit der Pinzette heraus und ließ eine geschmalzene Rechnung schreiben. Manchmal genügten wenige gezielte Strahlen Pressluft, um die Funktionsfähigkeit einer Kamera wiederherzustellen. Auch das musste entsprechend honoriert werden. So verschafften wir uns den dringend benötigten finanziellen Spielraum. So wurden unsere sonst gefestigten Grundsätze von Ethik und Moral über kurze Zeit der Wissenschaft geopfert.

Doch die Freude währte nicht lange. Der Chef der Sicherheit schritt ein. Mouren wurde angewiesen, die Österreicher hinauszuwerfen. Es wurde uns sogar verboten, die eigenen Filme zu bearbeiten. Das kam einer Ausweisung gleich. Das festigte unseren Verdacht, dass der französische Filmemacher, der Niger zu seinem Hauptthema machte, dabei die Hand im Spiel hatte. Sollten alle bisherigen Anstrengungen und Entbehrungen umsonst gewesen sein, unsere gesamten Pläne an einem missgünstigen Beamten scheitern? Trotz der sich offensichtlich anbahnenden Katastrophe blieb die Stimmung im Grunde optimistisch. Hatten wir doch bisher schon einiges gemeistert.

Alle bisherigen und denkbaren zukünftigen Verzögerungen einrechnend, und in einer Mischung aus Trotz und Galgenhumor, fertigte ich eine Tafel „Österreichische Westafrikaexpedition 1955 – 57“ an. Kaum war die Plakette am Haus angebracht, erreichte uns diese vernichtende Nachricht der Sureté. Somit war dieses beachtenswerte Schild im Moment seiner Enthüllung schon obsolet geworden. Doch statt Trübsal zu blasen, posierten wir für ein unbekümmertes Gruppenfoto vor dem Schild. Unser erstes „Selfie“, das gleichzeitig auch unser letztes an diesem Standort sein sollte, hielt diesen absurden Moment für die Ewigkeit fest:

Niamey: Gruppenbild mit Schild: Kopezky, Schani, Walter, Herbert u. Mackie

Es war wirklich nicht unser Tag. Max entschied sich, dem Übel mit einer gewagten Entspannungstaktik zu begegnen: Spärlich bekleidet mit einem Tanga ließ er sich auf einen Blechstuhl fallen, der den ganzen Tag in praller afrikanischer Sonne gestanden hatte, und somit glühend heiß war. Seine Reaktion darauf war weder entspannend noch druckreif. Schani sorgte derweil in der Küche für eine geschmackliche Offenbarung der unangenehmen Art, indem er Salz mit Zucker verwechselte. Die ohnehin schon fragwürdigen Palatschinken gerieten diesmal so schwarz und hart, dass sie als Ersatzteil für eine Flugzeugturbine durchgehen hätten können. Auch am Abend besserte sich die Lage nicht. Also lenkten wir uns mit einer Krokodiljagd ab, allerdings nur, um ihre nächtlichen Laute aufzunehmen. Hundegebell und ununterbrochenes Krähen von dutzenden Hähnen ließen genauso dieses Vorhaben platzen.

Der nächste Tag begann jedoch mit einer Wendung zum Besseren. Mouren erschien mit zwei erfreulichen Nachrichten. Die Versicherungssumme von 85.000 FF (französischen Francs) von der IFA-Versicherung war angekommen und die Ausweisung sei vom Commandant Cercle aufgehoben worden. Doch das Beste sparte Mouren sich bis zum Schluss auf, er erzählte uns von einem anstehenden großen Fetischfest, dem lang gesuchten Yenendi, einem faszinierenden Fruchtbarkeitsritual. Unsere Laune besserte sich schlagartig, endlich ein Lichtblick am Horizont!

18. KAPITEL – Kamelsuche, Geschichte des Père Ducros – Löwen auf der Piste – Vorbereitungen für Fetischfest

Das Tempo der Runden, die ich im quadratischen Raum meines Turmgemachs ziehe, schwankt mit den Stimmungen meiner Eingebungen. Die Gedanken drehen mit, oder sind sie gegenläufig? Drei Runden im Sinne der Uhrzeiger, drei Runden dagegen. Egal, in welcher Richtung ich mich bewege, sobald mein Weg an einem bestimmten Fenster vorbeiführt, fällt mein Blick auf die Scheibe des in der Morgendämmerung verblassenden Vollmondes. Quälend ist mein Versuch, in der Erinnerung nach längst überlagerten Begebenheiten zu suchen, die durch tiefgreifendere Erfahrungen in den Hintergrund gerückt wurden.

Die Bewegungen meines Körpers und die kreisenden Gedanken rufen einen leichten Schwindel hervor. Hier bin ich an einem der wenigen Orte dieser Erde, in dem noch größtmögliche Freiheit für den Menschen herrscht. Ich finde die widerssprüchliche Erkenntnis lustig, dass ich mich hier inmitten der Sahara an ewig sich im Kreise drehenden Gedanken berausche, gleich einem gefangenen Kriminellen. Die Wiener Häfenbrüder nennen solche Grübeleien „Hirntschechern“. Total ungeordnet tauchen Bilder aus längst vergangenen Zeiten auf. Doch diese wiedergefundenen Erinnerungen in Worte zu fassen, gelingt mir im Moment nicht. Wie Nebel steigen Befürchtungen auf, dass ich aus Altersgründen nicht mehr weiterschreiben könnte. Das trübt meine hoffnungsfrohe Sicht auf zukünftige Schreibarbeit. Das Schreiten im Kreis hilft nicht, den Nebel zu lichten. Mehrere Versuche, Kniebeugen auszuführen, ohne dabei am nächstgelegenen Möbel Halt zu finden, scheitern kläglich. Diese zusätzliche Erkenntnis meines Unvermögens ist weder aufbauend, geschweige denn weiterführend. Ich überlege mir die Möglichkeit, in den Gastraum hinunter zu pilgern, und mich zur Hebung der Stimmung aus dem reichlichen Vorrat an alkoholischen Getränken zu bedienen.

Diesen Gedanken verwerfe ich nach einem Blick auf die Uhr, deren Zeiger im rechten Winkel stehen und den Morgen ankündigen. Ich muss hier raus, eine Spur von Ablenkung täte mir sicher gut. Selbst ein über den Tisch laufender Skorpion wäre dafür hilfreich. Die absolute Stille hier oben wird von Gesprächsfetzen unterbrochen, die aus der Gaststube zu mir heraufdringen.

Kurz darauf klopft es rücksichtsvoll lleise an der Türe. Kein Geräusch von Schritten war zuvor auf der Treppe zu hören. Ich richte mich auf und rufe mit möglichst munter klingender maskuliner Stimme: „Entrez“! Zu meinem Erstaunen betritt Akamouk den Wohnraum. Er hat sich der Sandalen vorher entledigt und geht barfuß, was die Lautlosigkeit seiner Annäherung erklärt. Unsere Fingerspitzen berühren sich gleitend zur Begrüßung. Nie zuvor hat er mein Zimmer betreten. Für ihn ist es von einem Rumi bewohnt, dessen Privatsphäre nicht ohne triftigen Grund gestört werden darf. Demnach scheint Wichtiges vorzuliegen. Ein Kamel ist verschwunden. Nicht eines seiner beiden Mehari, sondern das Lastkamel. Da mein Turm der höchste Punkt der Umgebung ist, und man deshalb weit in die Wüste sehen kann, wollte er von hier versuchen das Tier zu entdecken. Er wechselt von einem Fenster zum anderen und blickt in den beginnenden Tag hinaus. Ich biete ihm meinen Swarovski-Feldstecher an, den er anfänglich ablehnt, nach erfolglosem Umsehen aus Höflichkeit doch annimmt. Spielerisch benützt er ihn länger als notwendig und schaut damit in alle Richtungen. Das Kamel ist nicht auszumachen. Danach nehme ich das Glas und suche selbst den Horizont ohne Erfolg ab. Er meint, dass er losgehen müsse, um das Lasttier einzufangen. Das kommt mir gelegen, und ich biete ihm die Unterstützung mit dem Landrover an. Sichtlich erfreut nimmt er das Angebot an, und ich hole gleich meine Desertboots hervor. Wir wären nicht in Afrika, versuchte er nicht, mich davon abzuhalten. Das muss ja nicht sofort sein, es ist Zeit genug, wenn wir morgen früh losfahren.

Weil Akamouk einmal da ist, ergreife ich die Gelegenheit und zeige ihm am Bildschirm des Rechners Fotos aus Österreich. Sie gefallen ihm recht gut. Aber dann meint er in Bezug auf meine Ausrüstung mit Auto, Computer, Feldstecher usw., dass die Roumis ungeheuer arm dran seien. Sie brauchen solche Hilfsmittel, die in seinem Leben keine, oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. Er ist mit dieser Meinung nicht allein, insbesondere in den Clans im Hoggar gibt es bis zum heutigen Tag Familien, die fast ausschließlich strikt nach ihrer Tradition leben. Das sind Ausnahmefälle in einer Welt, die immer stärker von den Fortschritten und Verlockungen der technisierten Zivilisation geprägt wird.

Vor mehr als zweihundert Jahren befand sich die Weltwirtschaft in einer langjährigen Depression, deshalb wurden neue Absatzgebiete für Industrieerzeugnisse und Handelswaren gesucht. Damit begann die Kolonialisierung Afrikas. Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde die Industrialisierung der Elektrizität immer bedeutender und der Bedarf an Bodenschätzen wie Kupfer, Zink, Gold etc. stieg. Zeitgleich gewann der Handel mit Kolonialwaren zunehmend an Bedeutung. Die meisten europäischen Staaten errichteten Kolonien in Afrika. Sie versetzten den afrikanischen Menschen einen Kulturschock nach dem anderen. Der belgische König Leopold II. gründete 1885 im Kongo sogar seine Privatkolonie. Die Methoden zur Unterwerfung der Länder variierten, doch Gewalt und Brutalität waren dabei eher die Regel als die Ausnahme. Nach dem letzten Kolonialkrieg, der 1936 mit der italienischen Eroberung des Königreichs Abessinien (Äthiopien) endete, war nahezu der gesamte Kontinent unter der Kontrolle von Kolonialmächten. Die Afrikaner wurden mit europäischer Zivilisation konfrontiert, doch kaum mit deren Kultur bekannt gemacht. Das übernahmen die christlichen Religionen wie die Römisch-Katholische, die Protestantische sowie die Anglikanische, welche allerorten missionierten. Allerdings geschah dies meist mit einer eurozentrischen Perspektive, die lokale Kulturen abwertete. Die Kolonialmächte unterschätzten den Einfluss des Islam, weshalb er sich, vor allem in Westafrika, weiter ausbreitete.

In der Konsequenz war solches Bemühen naturgemäß recht einseitig. Zu diesen drei großen Richtungen gesellten sich bald aus den USA Missionare der Mormonen und verschiedener weiterer Sekten, die alle versuchten, den Afrikanern das Heil zu predigen und hofften, damit den Islam am Vormarsch zu hindern. Die von den Kolonialmächten vorgezeigte materielle und technische Überlegenheit der Europäer führte den Ureinwohnern unweigerlich den Unterschied zu ihren eigenen Lebensumständen vor Augen. „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit“ sagte der Philosoph S. A. Kierkegaard. In Bezug auf die Entwicklung in Afrika ist das sicher zutreffend. Europa bietet seit Jahrzehnten einzelnen Afrikanern Bildung. In jüngster Vergangenheit taten dies vor allem Oststaaten, die keine Kolonien besaßen. In hohem Maße boten die DDR und einige Balkanländer erschwingliche Bildungsmöglichkeiten bis zum Universitätsabschluss. Aber selbst die Sowjetunion und die Volksrepublik China holten junge Menschen an ihre Universitäten und gewannen durch die dadurch neu entstandenen Bildungsschichten umfassenden Einfluss in Afrika. China führt diese Politik weiterhin konsequent durch, zusätzlich mit enormen Investitionen, die allerdings über Kosmetik nicht hinausgehen. Nur wenige Afrikaner können den Verlockungen der ihnen vorgeführten Zivilisation so widerstehen, wie es Akamouk gelingt. Ihm kommt das Leben in der unendlichen Wüste zu Gute, wo sich zivilisatorische Wandlung und technischer Fortschritt hauptsächlich in den relativ kleinen Ballungszentren manifestieren.

Die Gerbas sind mit frischem Wasser gefüllt, ein Kanister mit Benzin zur Reserve ist verladen, mein Jagdgewehr und der Karabiner Akamouks sind verstaut. Bei Tagesanbruch brechen wir auf, der Targi gibt die Richtung an. Für mich bedeutet diese Fahrt einen besonderen Kick, weil ich bisher wegen der Orientierung die Pisten nie wesentlich außerhalb von ihrer Sichtweite verlassen habe. Verloren gegangene Kamele halten sich allgemein nicht an diese Regel. Wir fahren nach Norden, den aus dem Wüstenboden herauswachsenden Büscheln Cram-Cram sorgfältig ausweichend. Die Wurzeln und Stiele des grünen Grases kleben mit dem angewehten Sand wie Zement zusammen und werden dadurch zu harmlos aussehenden, allerdings steinharten Hügeln. Fährt man die mit hohem Tempo an, kann ein Auto solchen Schaden nehmen, dass es nicht mehr zubewegen ist. Akamouk scheint einer für mich unsichtbaren Spur zu folgen. Wie er die erkennt, bleibt sein Geheimnis.

Da wir keine Wellblechpiste unter den Rädern haben, kann ich das Tempo so weit anpassen, dass er die Fährte nicht verliert. Bei den stundenlangen Fahrten durch die Wüste erfasst mich stets ein enormes Glücksgefühl. Es ist herrlich, einfach nur so dahinzufahren, ohne Ampeln, die zum Anhalten zwingen, oder Geschwindigkeitsbegrenzungen, die einzuhalten sind. Unser Tempo ist ohnehin durch die Beschaffenheit des Geländes vorgegeben. Es gibt keine Regeln, die die persönliche Freiheit beschneiden, abgesehen von jenen, die Selbsterhaltung, Moral und Ethik verlangen. Ich verstehe Akamouk mit der Zeit immer besser. Durch den Wegfall all der Einschränkungen scheinen sich die natürlichen Sensoren des Wüstenbewohners zu schärfen und damit sein Überleben zu garantieren. Neben den ethnischen Gegensätzen unterscheidet dieses Wesensmerkmal die Menschen der Sahara von den Bewohnern des zivilisierten nördlichen Teils des Landes. Auf unserer Fahrt in Richtung Norden sehen wir das Wrack eines Peugeot 203, das bis zur Hälfte vom Erdreich verschlungen und mit Treibsand bedeckt ist. Das ist das Denkmal einer Tragödie, die sich vermutlich vor zirka sechzig Jahren hier zugetragen hat. Da der Befreiungskrieg nicht nur an den Küsten Algeriens tobte, war es für das Militär unvermeidlich, auch in den Wüstengebieten präsent zu sein. Diese lebensfeindlichen Regionen belegten mehr als zwei Drittel des Landes. Viele Soldaten aus dem Norden sind in die Sahara geschickt worden und sind in den Weiten der für sie fremden Wüste verschollen, verhungert und verdurstet.

Wir fahren weiter in der Richtung, die Akamouk durch Handzeichen angibt. Meine Gedanken sind in der Vergangenheit, und da geschieht es, dass ich einen gefährlichen Anfängerfehler begehe. Eine hellere Stelle in der flachen Hamada bringt das Auto abrupt zum Stehen. Es ist trotz Allradantrieb und eingeschaltetem Zwischengetriebe nicht mehr aus dem Sandloch zu bewegen. Schuldbewusst schaue ich zum Beifahrer am Nebensitz, der meinen Blick mit blauen Augen offen erwidert. Seine Bemerkung, dass mit einem Kamel so etwas nicht passieren kann, empfinde ich in diesem Moment als süffisant und eher unangebracht. Es hilft nichts, wir müssen aussteigen und graben. Das ausgiebig, denn der Landrover sitzt auf den Achsen fest. Wir schaufeln in der beginnenden Tageshitze, positionieren die Sandbleche unter die Räder. Der Motor springt anstandslos an, erster Gang hinein und mit viel Gefühl langsam die Kupplung loslassen. Wie von Engeln getragen klettert der Rover die Bleche hinauf und fährt auf diesen ohne Anstrengung aus dem Sandloch. Die Sandbleche sind schwer mit Sand bedeckt und es bedarf ziemlicher Kraftanwendung, um sie herauszuholen. Nachdem sie wieder an den Seitenwänden des Rovers befestigt sind, trinken wir von dem kühlen, ja kalten Wasser aus den Ziegenhäuten.

Es geht weiter in Richtung einer Sanddüne, die sich aus dem Hitzeflimmern der Ebene erhebt. Es macht den Eindruck, als läge sie inmitten eines Sees. Sie wächst im Näherkommen zu enormer Höhe. Auf die halten wir direkt zu und kommen zu einer von dieser Wanderdüne erstickten Oase. Hier muss eine größere Ansiedlung gewesen sein, denn Konturen ehemaliger Lehmbauten und einige Reste verdorrter Akazien ragen aus dem meterhohen Sand. Die Kronen von zwei Palmen mit langen grünen Blättern haben sich der tödlichen Umklammerung des feinen Wüstensandes bisher entzogen. Demzufolge muss es hier Wasser geben. Wir steigen aus dem Auto und eine erstaunlich große Menge Fliegen summt um uns herum und versucht an den Augen, am Hals, am ganzen Körper zu landen. Akamouk zieht seinen Tegelmust über das Gesicht und ist damit bis auf die Augenpartie vollständig geschützt. Fliegen in der Sahara sind keine Seltenheit. Selbst mitten in den Sanddünen sind diese Quälgeister lästig. Man wundert sich, wie sie dort überleben. Sie ernähren sich von Mikroorganismen, die durch Wind herangetragen werden. Die genügen ihnen zur Feuchtigkeitsaufnahme und sind damit unabhängig von Flüssigkeit. Schweiß einer Menschenhaut, egal welcher Farbe, bedeutet für diese Insekten eine selten zu findende Delikatesse. Ein Kamelkadaver bei einer der Palmen erklärt die Konzentration der Fliegen. Der wieder höher steigende Wasserspiegel scheint nicht nur das Kamel Akamouks angelockt zu haben. Wir finden es am Rande der Sanddüne, wo es sich friedlich an den dort wachsenden Grasbüscheln und sprießenden Akazienzweigen delektiert. Es hat mit seinen Vorderbeinen eine Mulde so tief gescharrt, bis Feuchtigkeit hervortrat, ja sogar eine bescheidene Menge Wasser ist am Grunde des Loches zu sehen. Akamouk meint, die Ansiedlung ist seit über zehn Jahren verlassen, und weil in dieser Zeit niemand Grundwasser entnommen hat, ist der Spiegel wieder gestiegen.

Akamouk nähert sich langsam dem Ausreißer. Der macht ein paar eher lustlose Schritte zur Flucht, der erfahrene Targi greift schnell nach dem Strick, der noch um das Maul des Kamels gebunden ist, und bringt es mit einem leichten Zug zum Niederlegen. Mit den bekannten Unmutsäußerungen folgt es anstandslos. Eine Gerba wird ihm auf den Hals gelegt und Akamouk prophezeit, dass er morgen zu Mittag sicher in der Auberge sein werde. Ich hingegen solle ohne Umstände zurückfahren. Seine Augen blitzten schalkhaft zwischen den Tüchern des Tegelmust, während er mir versichert, sollte ich wieder im Sand stecken, er würde ohnehin vorbeikommen, um mir beim Schaufeln zu helfen. Ich unterdrücke eine Bemerkung dazu. Das bekommt er bei nächster Gelegenheit zurück, denke ich mir, bin aber froh, dem Fliegenschwarm zu entrinnen. Meiner eigenen Spur folgend, fahre ich in Richtung Auberge. Vor Einbruch der Dunkelheit taucht die mir bekannte Silhouette des Wohnturmes am Horizont auf.

Tuareg vor Wanderdüne in der Sahara

Der ungewollte Aufenthalt in Téra erwies sich als durchaus fruchtbar für unsere Expeditionsarbeit. Der Ramadan ging seinem Ende entgegen, und sowohl das Auto als auch die Geräte waren endlich wieder einsatzbereit. Die Stadt versank teilweise in Morast. Mit kurzen Unterbrechungen hat es den ganzen Tag geregnet. Spät am Nachmittag kam die Sonne heraus, doch die hohe Luftfeuchtigkeit blieb. Der Schweiß verdunstete nicht, die Kleidung klebte unangenehm an der Haut. Dies war mit ein Grund, die Einladung des Commandant du Cercle, Monsieur Aillot, zu einem Abendumtrunk höchst willkommen zu heißen. Wir fanden uns auf seiner Terrasse ein, froh über die erfreuliche Abwechslung. Neben uns waren Père Ducros, von der Mission in Niamey, sowie der schwarze Adjutant des Kommandanten zugegen. Père Ducros hatte geplant, ein Dorf nahe Tillabery zu besuchen, und war in der kleinen katholischen Station in Téra untergebracht.

Ich wurde wieder einmal dazu verdonnert, mit Hintergrundmusik die Stimmung durch Mozart und Sidney Bechet zu heben. Das anfänglich sich nur mühsam dahinschleppende Gespräch wurde, gefördert durch den Alkohol, dem wir seit Tagen entwöhnt waren, rasch lebhafter. Der Gastgeber war ungeheuerlich schnell mit der Flasche bei der Hand, wenn es galt nachzuschenken. Bei Père Ducros holte er sich einen Korb nach dem anderen, trotzdem versuchte er immer wieder den schlanken, asketischen Missionar zum Trinken zu bewegen. Der Geistliche widerstand lächelnd. Uns überraschte das nicht, denn wir kannten ihn schon aus der Hauptstadt Niamey. Dort hatte ich eine seiner Predigten aufgezeichnet und ihn bei verschiedenen gesellschaftlichen Anlässen erlebt. Seine Güte und Freundlichkeit waren bisher von keinem seiner Schützlinge ausgenützt worden, man hatte eben zu großen Respekt vor ihm. Hinter seiner asketischen Erscheinung verbarg sich ein schier unerschöpfliches Reservoir an Energie, Willenskraft und Geduld. Die Arbeit, die er sich mit den Schwarzen in der Regenzeit machte, war enorm. Seine Mission bestand darin, dass er sich über diese Zeit in ein entlegenes Dorf zurückzog und dort den Eingeborenen half, ihr kümmerliches Dasein ein bisschen zu erleichtern. Er spendete nicht nur geistlichen Trost, sondern legte selbst Hand an, reparierte Gerätschaften oder machte Arbeitsabläufe effizienter. Nebenher arbeitete er an Übersetzungen verschiedener Sprachen der Region, wie Haussa, Songhai und Djerma. Haussa ist eine der meistgesprochenen Sparchen in Westafrika, Songhai und Djerma sind miteinander verwandt und zeichnen sich durch grammatische Einfachkeit aus. Das erregte in erster Linie meine Aufmerksamkeit, weil ich für das Institut für Afrikanistik der Universität Wien und das Phonogrammarchiv Diktionäre akustisch dokumentieren sollte.

Père Ducros kannte unsere Aufgaben und nahm sie keinesfalls als Spielerei. In seiner Arbeit war er mehrfach mit Fetischeuren in Kontakt gekommen. Er wusste eine Menge über diese spirituellen Spezialisten zu verraten, die in ihren Gemeinschaften eine zentrale Rolle spielten. Ihr Wissen und ihre Rituale waren für Außenstehende oft rätselhaft, doch Père Ducros hatte im Laufe der Jahre erstaunliche Einblicke gewonnen. Der Missionar war für seine Schweigsamkeit in diesen Fragen bekannt. Was uns nicht daran hinderte, ihn in unserem Forscherdrang eben darum zu bitten. bemerkenswert, dass er ansetzte, offen darüber zu erzählen. Ich hatte gerade noch so viel Zeit, ein neues Tonband einzulegen und das Mikrofon am Magnetophon anzuschließen, da begann er schon, weit in den Stuhl zurückgelehnt, seine Erzählung, die wortwörtlich von der Aufnahme transkribiert wurde:

„In der Nähe des Marigot von Gorouol, einem toten Flussarm, lebte in einem Dorf namens Yatakala ein Zauberer, ein Zimma. Er wachte eifersüchtig über seine schwarzen Dorfbewohner und hatte einen Kummer, einen durch das Gebiet reisenden Marabout, einem moslemischen Prediger, der unermüdlich versuchte, die Schützlinge des Zimma zum Islam zu bekehren. Dieser Mann erschien von Zeit zu Zeit in dem Dorf. Der Zauberer unternahm nichts gegen ihn und ließ ihn gewähren.  Aber einmal erwartete er ihn bereits vor dem Dorf und machte ihm den Vorschlag, in aller Öffentlichkeit ihre Kräfte zu messen. Dem Marabout blieb nichts anderes übrig, als die Herausforderung anzunehmen. So führte der Fetischeur seinen Gegner inmitten aller Dorfbewohner auf den Platz vor der Fetischhütte. Dort ließen sich die beiden nieder und breiteten ihre Kultgegenstände vor sich aus. Lange saßen sie sich so gegenüber und murmelten. Der eine Suren aus dem Koran, der andere Beschwörungsformeln für seine Geister. Da machte der Zauberer mit einem Male eine Bewegung mit den Händen und der Marabout war über und über bedeckt mit roten Ameisen! Die sind für ihre kräftigen Zangen und besonders schmerzhaften Biss bekannt. Sicher ein Taschenspielertrick, aber er tat seine Wirkung. Blitzschnell krochen hunderte dieser Insekten unter das Gewand des Mannes, der, gequält von den Bissen, aufsprang und zum Wasser rannte. Der Zimma blieb Sieger und der Marabout vermied in Zukunft Besuche in dem Dorf.

Und genau in dieses Dorf sollte ich vor zwei Jahren das Christentum tragen. Mir war die Geschichte bekannt und man kann sich vorstellen, mit welchen Gefühlen ich in Yatakala ankam. Am Dorfeingang wartete bereits der Zauberer, umgeben von seinen Vertrauten. Wir sahen uns in gegenseitigem Misstrauen eine Weile an. Es fiel ihm nicht ein, mich willkommen zu heißen. Er war finster und feindselig. Niemals werde ich seine Augen vergessen, als er mich fragte, was ich wolle. Ich war damals überzeugt, Mordgedanken in ihnen lesen zu können. Es war mir klar, dass ich für ihn ein weit größerer Feind sein musste, als der Marabout, dem er so übel mitgespielt hatte. Ich antwortete ihm klar und eindeutig, dass ich hier sei, den Menschen von dem einzigen Gott zu erzählen. Soll ich ihnen schildern, was in mir dabei vorging? Wenn er ablehnte, oder sich offen gegen meinen Besuch stellte, dann war meine Mission so gut wie beendet. Die Angst und der Respekt der Dorfbewohner vor dem Zimma waren viel zu stark, als dass sie mich geduldet hätten. Einige von ihnen waren zwar offen, aber niemand würde ein Wort mit mir sprechen, sie würden sich vor mir verstecken. Das waren meine Gedanken und ich habe in die von mir gegebene Antwort alle meine Gebete gelegt.

Ja, sagte er auf Songhai, ich wusste, dass du kommst. Eine Hütte ist bereit, du wirst uns von deinem einzigen Gott erzählen. Dabei lachte er mir höhnisch ins Gesicht. Ich hatte das Gefühl, hier nicht mehr lebend herauszukommen. Der Zauberer grinste und trat mit einer Handbewegung zur Seite, die alle Anwesenden dazu veranlasste, eine Gasse zu bilden. Langsam, ohne ein Wort zu erwidern, ging ich in die Richtung, in der ich den Dorfplatz vermutete. Vor mir lief eine Meute Schwarzer und ich erreichte bald eine der größten Hütten des Dorfes. Man hatte sie ausgeräumt. Sie wartete auf mich. Ich konnte mir nicht erklären, woher man über mein Eintreffen wusste. Ich ließ mich in der Hütte nieder, denn ich war wie erschlagen und begann zu überlegen. Dass der Zauberer mich nicht ungehindert predigen lassen würde, das war mir klar. Aber was plante er? Musste ich nicht hinter jeder Ecke, ja bei jedem Schritt eines seiner gefährlichen Kunststücke erwarten? Und würde er mich so relativ gut wegkommen lassen, wie den Marabout? Mein kleiner Songhaijunge, der für mich dolmetschte, klebte beinahe an meinen Füßen. Er hatte wahnsinnige Angst. Dabei war er als Christ geboren und in der Missionsschule erzogen worden. Ich sah ein, dass ich dem Knaben ein Beispiel geben musste, wenn ich nicht zulassen wollte, dass er instinktiv wieder in den Teufelsglauben seiner Ahnen zurückfiel. Laut begann ich zu beten, und sah, dass das seinen Eindruck auf den Vierzehnjährigen nicht verfehlte. Später brachte man mir zu essen. Ich lachte laut auf, als man mir die Kalebasse zur Tür hereinstellte, denn jeder, der hier mit den Eingeborenen zu tun hat, der weiß, welche Künstler sie im Giftmischen sind. Natürlich aß ich keinen Bissen, aber die Tatsache, dass man mir Essen brachte, hatte in mir die völlige Gewissheit erstehen lassen, dass man mir nach dem Leben trachtete.

Die Zeit der Predigt rückte näher. Das Dorf versammelte sich um die Fetischhütte, vor der ich sprechen sollte. Konnte ich es wagen, einen anderen Platz zu verlangen? Ich war sicher, dass ich etwas zu befürchten hatte. Besonders als ich sah, dass sich der Zauberer unter die Wartenden gemischt hatte. Als ich vor die Hütte trat, beteuerte er mir mit scheinheiliger Miene, dass er auch zuhören wolle. Sosehr ich mich auf dem Weg zur Fetischhütte auch umsah, ich konnte nichts Verdächtiges bemerken. Nicht einen Augenblick ließ mich der Medizinmann aus den Augen. Als ich zu sprechen begann – ich gebe zu, dass mir bei den ersten Worten die Stimme vor Nervosität beinahe versagte. Ich sprach wie in Fieber. Heute weiß ich nicht mehr, was ich gesagt habe. Der Zauberer verfolgte jede meiner Bewegungen mit den Augen, die mir weh taten. Ich erinnere mich, dass ich schnell sprach, ich hatte keine Zeit! Jeden Augenblick konnte ich durch irgendetwas unterbrochen werden. Ich musste die Zuhörer packen. Während der junge Gehilfe meine Sätze verdolmetschte, hatte ich Zeit gehabt mich zu fassen, aber mein Hirn arbeitete zu krampfhaft. Ich suchte nach Gleichnissen, die verständlich waren. Es suchte nach Formen, die aus dem Leben der Schwarzen gegriffen waren. Ihre Tierwelt, die Trockenheit und das Mil als Grundnahrungsmittel mussten in die Predigt hinein. Langsam merkte ich einen geringen Widerhall. Und mit ihm überbrückte ich alles, was mich hemmte. Ich sprach mich in eine Begeisterung und fühlte immer mehr, wie die Menschen an meinen Lippen hingen. Die Augen des Zauberers spürte ich nicht mehr. Ich sah, dass die Hühner, die sich auf den Platz wagten, sofort verjagt wurden. Das ist bei den Negern ein Zeichen von außerordentlichem Interesse.

Als ich geendet hatte, starrten mich die Leute an, als wäre ich einer ihrer mächtigen Geister. Die Runde war so tief beeindruckt, dass mir Tränen in die Augen traten. Ich sagte ihnen noch einige sehr freundliche Worte und hieß sie in ihre Hütten gehen um nachzudenken über alles, was sie gehört hatten. Den Zauberer hatte ich völlig vergessen. Jetzt bemerkte ich ihn, unbewegt und finster. Er fixierte mich noch immer. Als auch er wegwollte, fasste mich ein… wie soll ich es nennen, ein unbezwingliches Verlangen danach, einige Worte mit ihm zu wechseln. Ich sprach ihn an und fragte ihn, ob er verstanden hätte. Er nickte. Ich fragte ihn, ob er mir glaube, und wieder nicken. Das kam für mich überraschend, dass ich deutlicher fragte: Glaubst Du, dass Jesus Christus wirklich und wahrhaftig Gott ist?‘

Abermals bejahte er schnell. Ich war so verblüfft, ich konnte nicht anders, als ihn zu fragen, warum er mir alles glaube, da ich doch das erste Mal zu ihnen gesprochen habe. Seine Antwort war: ,Ich kenne sehr viele Menschen, aber ich habe noch nie einen gesehen, der für die zu sterben wünscht, die ihn töten wollen. Er muss Gott sein. ‘Das war die Antwort eines Zauberers der Wilden, die das erste Mal eine Predigt hörten.“

Kopecky, der des Französischen nicht mächtig war, störte unser Gespräch mit seiner immer wiederkehrenden Frage: „Wassagter?“ Geduldig übersetzten wir abwechselnd die für ihn unverständlichen Geschichten, doch im Verlauf der Erzählung wurde er zunehmend stiller und ziemlich blass. Plötzlich bezweifelte er die Sinnhaftigkeit der geplanten Aufnahmen des Yenendi und schlug vor, umgehend nach Niamey zurückzufahren. Dieser Vorschlag wurde mehrheitlich abgelehnt. Wir blieben tief beeindruckt einige Zeit weiter sitzen, weil sich ein informatives Gespräch entwickelte. Père Ducros bekam bewunderndes Lob zu hören, doch meinte er dazu, dass der Erfolg seiner Bemühungen voraussichtlich nicht von Dauer war. Man müsste immer bei den Menschen bleiben. Man sollte nicht gezwungen sein, sie nach einigen Monaten zu verlassen. Wie Kinder vergessen sie so leicht. Es gibt zu wenig Missionare, derzeit sind nur acht an der Zahl im gesamten Gebiet von Niger. Der Staat ist etwa dreieinhalb Mal so groß wie Frankreich, bewohnt von zweieinhalb Millionen Afrikanern, die aus verschiedenen ethnischen Gruppen stammen.

Wir verabschiedeten uns von ihm mit dem Versprechen, in Niamey wieder zusammenzutreffen. Das waren die Verhältnisse im Jahre 1956 in diesem Teil von Afrika. Wir nützten die Gelegenheit diesen erfahrenen Priester mit dem langen schwarzen Bart nach Fetischkulten und autochthonen Religionsfesten zu befragen. Dieser Abend brachte unsere Arbeit ein erfreuliches Stück weiter. Leider musste er bald beendet werden, da es inzwischen recht spät geworden war und Blitze und Donnergrollen aus der Ferne den nächsten Regen ankündigten. Père Ducros sollte möglichst vor Eintreffen des Gewitters die Missionsstation erreichen, und wir waren von den vielen Informationen und dem ungewohnten Alkoholgenuss ohnehin recht erschöpft. Darüber hinaus standen Mackie und mir die Aufgabe bevor, Hans Kopecky von der Ungefährlichkeit unseres bevorstehenden Unternehmens zu überzeugen. Ich packte mein Magnetophon zusammen, drückte Hans die Tonbänder in die Hände, mit einem belehrenden Hinweis auf die Verantwortung, die ihm beim Transport dieser wertvollen Aufnahmen in die Garage zukam. Eine Bemerkung, die mir sicher demnächst wieder Ärger mit ihm einbringen würde, ihn aber für den Moment von seinen Sorgen und Ängsten ablenkte.

Der nächste Tag war ausgefüllt mit Vorbereitungen für die geplanten Aufnahmen in Begouriou Tondo Kangé. In der gesamten Stadt fanden heute Festlichkeiten zum Ende des Ramadan statt, die in den frühen Morgenstunden mit Trommeln und Geschrei begonnen hatten. Aus der näheren und weiteren Umgebung waren sie gekommen, die Moslems und die Ungläubigen der verschiedenen Stämme, wie Djerma, Touareg, Bella und Songhai. Sie alle feierten das Ende des Ramadans ausgiebig und geräuschvoll. Abordnungen zogen zum Sitz des Kommandanten, um ihn zu begrüßen und bescheidene, aber symbolträchtige Geschenke zu überreichen. Handarbeiten, Schmuckgegenstände und sogar kleinere Haustiere. Monsieur Aillot schüttelte unzählige Hände und verschenkte als Gegenleistung Stoffe an die zahlreichen Besucher, dunkelblau für die Touareg, bunte für die anderen. Ebenso Salz, Messer, Taschenlampen mit Batterien, Angelhaken und Zierknöpfe wurden gerne von den Eingeborenen entgegengenommen. Dieser Austausch an Freundlichkeiten unterstrichen den gegenseitigen Respekt zwischen dem Vertreter der Kolonialverwaltung und den Menschen, die ihn aufsuchten.

Festtrommeln zum Abschluss des Ramadan

Mackie und Kopecky begaben sich am Vormittag ins Zentrum von Téra, um die Verpflegung für die nächste Woche zu besorgen. Sie gingen dabei äußerst umsichtig mit unserem begrenzten Geldvorrat um, da ungewiss war, ob und zu welchem Preis mein Humber in Niamey verkauft werden könnte. Mackie wäre nicht er gewesen, hätte er nicht an einen fünf Liter Rotwein fassenden „Ballon“ gedacht.

Währenddessen kümmerte ich mich um die Bärenbatterien, sie waren ein grundlegender Baustein für meine Technik. Ich prüfte deren Säurestand, füllte destilliertes Wasser nach und „pufferte“ sie vorsichtshalber mit dem mitgebrachten Ladegerät. Das Funktionieren von Einankerumformer in Kombination mit dem Tonbandgerät bedurfte einer Überprüfung. Den Vergaser vom IFA legte ich trocken und startete den Motor. Das musste leider bei geschlossenem Tor geschehen, denn die vorbeiziehenden, das Ende des Ramadan feiernden Massen, hätten aus Neugierde sicher die Garage überflutet. Durch den laufenden Zweitaktmotor des IFA füllte sich der kaum lüftbare Raum mit milchigem Nebel, bläulich und beißend. Sehr zum Leidwesen meiner Kollegen, denn nachdem sie heimgekommen waren, fluchten sie laut über den Gestank in der Garage. Das war mir durchaus egal, Hauptsache der Wagen lief. Mackie versuchte den zweiten, rechten Scheibenwischer am F9 zu reparieren, der genau vor seinem „Kommandoplatz“, dem Beifahrersitz, die Klarsicht herstellen sollte. Mackie hatte auf dieser Reise schon mehrmals sein Unverständnis für Technik aller Art bewiesen. Nachdem wir den Inhalt des Weinballons bis zu dessen Hälfte verringert hatten, folgte eine von außen durch überbordenden Festlärm gestörte, unruhige Nacht.

Banjou, der Dolmetscher, weckte uns durch heftiges Klopfen am Tor. Der Wettergott meinte es gut mit uns, denn obwohl der Himmel mit schwarzen Wolken tief verhangen, regnete es nicht. Kopecky saß neben Banjou auf der Rückbank. Unterwegs kam aus der zweiten Reihe vom Übersetzer eine unerwartete Frage: Warum wir das alles täten, ob wir daheim keine Berufe hätten? Mackie erklärte ihm, dass wir für die Wissenschaft als Feldforscher nach Afrika gefahren sind. Wir sollten möglichst umfänglich Genaueres über die Sitten und Gebräuche der Menschen hier erfahren, und diese für Universität, Museum und Akademie der Wissenschaften dokumentieren, aber auch um für uns selbst daraus zu lernen. Das waren Zauberworte, die seine Zunge lösten. Er gewährte uns Einblick in sein Leben, das typisch für viele Menschen in Niger war, regionale Besonderheiten ausgenommen. Er berichtete von seiner Erziehung im islamischen Glauben, den Besuchen der Koranschule und der offiziellen nationalen Schule, von seiner kurzen Zeit in einer katholischen Mission. Er diente etliche Jahre beim Militär und arbeitete manchmal als Dolmetscher. Allem Anschein nach hatten wir sein Vertrauen, denn er erzählte uns, dass seine Mutter eine „Hole Tam“ gewesen sei. Sie war so eine Geistersklavin, ein Medium der Medizinmänner, wie wir es bald mit Ton und Foto zu dokumentieren hofften. Gewissermaßen unter vorgehaltener Hand vertraute er uns an, die meisten seiner Freunde und Bekannten würden den Religionen ihrer Väter folgen, egal ob sie jetzt Moslem oder Christen waren. Seine Erklärung dafür war bestechend: Die alten Geister könnten doch nicht so einfach verschwinden.

Einmal musste die Fahrt unterbrochen werden, weil sich mitten auf der Piste ein Liebespaar räkelte. In Westafrika befanden sich die Löwen im Aussterben, sie waren noch nicht geschützt. Außerdem sind sie hier lange nicht so stark und prächtig wie ihre ostafrikanischen Kollegen. Die beiden Großkatzen wirkten zwar eher lethargisch, doch Mackie überlegte ernsthaft, sie zu erschießen. Ich erinnerte den Expeditionsleiter an unsere bevorstehende Arbeit, Banjous Bemerkung hingegen,, die zu erlegen würde ein schlechtes Omen bedeuten, gab den Ausschlag. Mackie war im Grunde seines Herzens recht abergläubisch. Aber fotografieren könnte man sie doch wenigstens? Kopecky saß mit weit aufgerissenen Augen zusammengekauert auf dem Rücksitz und meinte, dass das aus dem Auto heraus nicht zu machen ist. Hupen als Lösung scheiterte, weil deren Halterung schon den ersten Kilometern Wellblechpiste im Norden der Sahara nicht standgehalten hatte. Wir warteten im Auto sitzend und diskutierend so lange, bis sich das Pärchen erhob und unendlich langsam von der Piste fortbewegte.

Die vierzig Kilometer bis nach Begouriou Tondo Kangé bewältigten wir in einer rekordverdächtigen Zeit von drei Stunden, dann sahen wir den Ort vor uns in einem Tal liegen. Es war ein Dorf wie jedes andere in der Gegend. Dicht drängten sich die Hütten auf der sorgfältig gerodeten Buschlichtung. Wir folgten der Piste, bis sie in einen schmalen Dorfweg mündete. Kaum hatte das Fahrzeug angehalten, wurden wir von einer lärmenden Meute Hunde umringt, die bellend ihre Reviere verteidigten. Zwischen ihnen huschten Hühner umher, und aus den Hütten kamen nackte Dorfkinder, neugierig und scheu zugleich. Besonders auffällig waren die mit kleinen Schurzen bekleideten, erstaunlich jungen Mädchen, welche auf ihren schmalen Hüften jüngere Geschwister balancierten. Erwachsene Dorfbewohner zeigten sich keine.

Es lag eine eigenartige, fast greifbare Stimmung über dem Hauptplatz der Siedlung. rotz des Kläffens der Hunde und dem Krähen eines Hahnes hörte man Stimmen vom anderen Ende des Dorfes. Wir folgten den Klängen, die aus dieser Richtung kamen. Dort, an die letzten Hütten anschließend, öffnete sich eine mit einem dürftigen Zaun zum Busch abgegrenzte ebene Fläche, auf der sich die gesamten Einwohner von Begouriou tummelten. Die Vorbereitungen zu dem Kultfest waren voll im Gange. Am Rand des Platzes entdeckten wir Yabilan, den Zauberer, in ein intensives Gespräch mit dem Chef du Village vertieft. der bei unserem Anblick sofort unterbrach und in der Menge verschwand. Der alte Herr empfing uns freundlich und gestattete uns, das Gelände frei zu erkunden. Große, halbe Kalebassen waren mit der Öffnung nach unten in die Erde eingelassen. Sie schienen vorbereitet, um rhythmische Trommelklänge zu erzeugen, ein wichtiger Bestandteil vieler Ritualhandlungen. Matten und Teppiche lagen für die „Hole N‘kainas“, die Geistermusiker und dem Zauberer bereit.

Die eigentliche Opferstätte bestand aus zwei mannshoch an Stangen befestigten Tongefäßen in Halbkugelform, mit den Öffnungen zum Himmel weisend. Später sollte das Blut der Opfertiere in diese Gefäße fließen. Doch etwas war ungewöhnlich, im Gegensatz zu anderen afrikanischen Gebieten, in denen Blut über Götzen- oder Ahnenfiguren geschüttet wurde, fehlten hier jegliche Idole oder Skulpturen. Die Gefäße waren die „Hampis“, deren eigentliche Bedeutung sich uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschloss. Obwohl wir schon einiges kannten, blieben hier manche Fragen offen, insbesondere die nach der genauen Rolle der „Hampis“. Welche Geister sollten durch die Musik und das Opfer beschworen werden? Die Antworten darauf lagen verborgen, irgendwo in der stillen Spannung, die über diesem Platz lag, und in den Mysterien des beginnenden Kultfestes.

Hampi. Ritualgefäße für Opferblut. Niger

Mackie war wegen der Meinungsverschiedenheit mit dem Häuptling sichtlich beunruhigt. Obwohl Yabilan ihn beruhigte, suchte er in der Menge nach dem Chef du village. Er fand ihn und bat ihn auf die Seite. Der Mann sprach gut Französisch, dadurch konnten sie unter vier Augen ohne Dolmetscher verhandeln. Nach langen Erklärungen unseres Expeditionsleiters, die alle auf deutliche Ablehnung stießen, gab Mackie seinem Herzen einen Stoß und holte aus der Hemdtasche ein paar Scheine CFA heraus. Die übergab er dem Chef mit der Bemerkung, das Geld sei zur Abdeckung der Kosten bestimmt, die wir dem Dorf durch unsere Anwesenheit verursachten. Diesem Angebot konnte der Häuptling nicht widerstehen, er steckte die Geldscheine flink ein und verschwand wieder in der Menge. Wir durften nun ziemlich sicher sein, dass er uns zwar hasste, aber nicht sabotieren würde. wies man uns zu, deren Dach, wie wir später bemerken mussten, nicht lückenlos dicht war. Wir lagerten dort unsere Luftmatratzen, Kochgeschirre und die spärlichen persönlichen Gegenstände. Das Auto mit meinen Arbeitsgeräten und den Waffen fuhren wir um das Dorf herum und stellten es so weit vom Ort des Geschehens ab, wie die Länge des Mikrofonkabels mit einer Verlängerung reichte. Der IFA stand knapp außerhalb der Schatten spendenden Äste eines Baumes, die in der glühenden Mittagshitze die Sonne vom Auto abgehalten hätten. Langsam füllte sich der Platz mit Dorfbewohnern und bunt gekleideten, von weither angereisten Gästen. Die Szenerie gewann an Intensität.