Es vergehen Stunden mit Warten auf Akamouks Rückkehr. Die Zeit zieht sich zäh dahin, und das Stillsitzen im Auto beginnt mich zunehmend zu nerven. So steige ich aus, um die Beine zu bewegen. Ich möchte ein Stück in die Wüste spazieren um herauszufinden, ob gleichmäßiges Gehen tatsächlich die Gedanken klären und neue Einfälle hervorrufen kann. Die herumlungernden Soldaten nehmen von meinem Fortgehen keine Notiz. Für sie bleibt das Fahrzeug als Pfand zurück, das genügt, um mich nicht weiter zu überwachen. Nach dem Verlassen der Straße marschiere ich zügig gegen Osten. In scheinbar erreichbarer Nähe ragen einige rote Felsen aus einer Hügelkette empor, die sich gegen den tiefblauen Himmel abzeichnen. Da ich nicht vorhabe mich sehr weit von der Straße fortzubewegen, nehme ich mir diese Erhebungen zum Ziel. Der Weg über den buckligen, mit Steinen durchsetzten Untergrund ist zwar etwas mühsam, trotzdem komme ich leidlich schnell voran. Meine Versuche, die Gedanken auf einen allein zu konzentrieren, werden aber immer wieder durch verschiedene Eindrücke unterbrochen. Da sind Unebenheiten, die einige Aufmerksamkeit fordern, um nicht darüber zu stolpern, dort läuft eine aufgescheuchte Echse davon, bleibt stehen, sieht sich nach mir um und verschwindet hinter einem Haufen aus Steinen. In einem leichten Bogen nähere ich mich von der Seite so leise wie möglich dem Steinhaufen an, von dem Tier ist jedoch keine Spur mehr zu sehen. Stattdessen fällt mir ein buntes Kopftuch auf, das sich dort zwischen den Gesteinsbrocken verfangen hat. Ich gehe weiter und entdecke etwas in der Ferne, das wie ein ruhiger See aussieht, der von der Hügelkette umgeben ist. Seine Oberfläche scheint sich leicht zu bewegen, als ob ein sanfter Wind darüber streicht. Fasziniert setze ich meinen Weg fort, doch im gleichen Tempo, in dem ich auf ihn zugehe, zieht er sich zurück. Das Wasser ist nur eine Fata Morgana. Die Illusion löst sich auf, und was zuvor wie ein See aussah, entpuppt sich als trockener Wüstenboden, aus dem einige knorrige, abgestorbene Akazien herausragen. Trotz der Täuschung verspüre ich eine seltsame Ruhe. In dem Augenblick wird mir bewusst, dass sich meine Gedanken im Laufe des Fußmarsches wahrhaftig auf irgendeine Art ordnen.
Es ist paradox, wie nahe restriktive Gewalt und absolute Freiheit beieinanderliegen. Nur ein paar hundert Meter von hier entfernt steht auf der Straße mein Fahrzeug, durch staatliche Willkür blockiert. Ich darf es, obwohl in meinem Besitz stehend, weder vor, noch zurück bewegen. Ein Symbol totaler Unfreiheit. So werde ich dazu gezwungen, dorthin zurückzukehren. Doch hier draußen, allein in der Wüste, gibt es keine Gesetze, keine Autoritäten, die mich einschränken könnten. Hier dagegen befinde ich mich in nicht antastbarem Freisein. An diesem Ort gibt es keine Macht, die mich zur Einhaltung von menschgemachten Gesetzen oder Vorschriften zwingen könnte, denn in der Wüste existieren sie nicht. Meine persönlichen physischen und psychischen Eigenverantwortlichkeiten werden nicht eingeschränkt. Nur den Zwängen natürlicher Körperfunktionen und -bedürfnisse, die dem freien Willen entzogenen sind, muss ich mich beugen. Und eben meiner eigenen ethischen Verantwortung, die aber nicht durch die Macht anderer erzwungen wurde. Definitionen von Freiheit gibt es sicher so viele, wie Individuen. Ein nomadisierender Targi, der seine gesamte Lebenszeit in größtmöglicher Unabhängigkeit verbringt, wird anders darüber denken, als ein Großstädter in beengender Zivilisation. Sehnsucht nach Freiheit empfinden und sich für diese einsetzen kann vermutlich vor allem derjenige, dem Eigenbestimmung großteils entzogen wurde. Meine grundlegende Abneigung gegen Zwang, Ungerechtigkeit und repressive Machtausübung ist sicher ererbt. Bei den internationalen Machteliten in der Politik und im Kapital beginnt dieser Widerwillen, und reicht bis zur Zwangsbeglückung durch die mit angewandter Psychologie professionell durchdachten Werbemethoden. Klingt wie Anarchie. Ist es aber nicht, eher nach Immanuel Kants: „Gesetz und Freiheit ohne Gewalt“.
Hier in der Sahara empfinde ich Zufriedenheit und Glück. Ich bin dankbar, diese Erfahrung machen zu dürfen, allein inmitten der Stille und Weite dieser unwirtlichen Landschaft. Unbeirrt durch die Luftspiegelung, die mir einen See vorgaukelt, marschiere ich weiter und stelle fest, dass die von mir angestrebte Hügelkette trotz längerem Fußmarsch nicht nähergekommen ist. Ich gehe auf einen grünlich fluoreszierenden Gegenstand zu, der meine Aufmerksamkeit verlangt. Es ist einer dieser billigen Plastikschuhe aus chinesischer Produktion, wie man sie millionenfach auf den Märkten im Sudan anbietet. Irgendetwas stimmt damit nicht. Objekte, die über mehrere Tage in der Wüste liegen, werden mit der Zeit von Flugsand bedeckt, zumindest aber sammeln sich auf der dem Wind abgekehrten Seite Häufchen von Sand an. Nichts davon traf hier zu. Wie kam der Schuh hierher, denn es führen auch keine Fußspuren zu diesem Ort. Das Rätsel ist nicht zu lösen, somit beschließe ich umzukehren, um entlang meiner eigenen Fährte zum Auto zurückzukommen. Ich scheine mich weiter vom Rover entfernt zu haben als geschätzt, denn nur schemenhaft nehme ich am Horizont die undeutlichen Umrisse der Militärfahrzeuge auf der Straße wahr. Ich gehe nochmals an dem verlorenen Tuch vorbei, auch da gibt es keine Spuren von Sand. Die Gegenstände können demnach nicht lange da liegen.
Erschöpft, müde und durstig erreiche ich den Rover. Kräftige Schlucke vom kühlen Wasser aus der Gerba wirken erfrischend. Das Timing hätte nicht besser sein können, denn kaum habe ich mich hingesetzt, nähert sich der Toyota mit Akamouk und unseren Papieren. Der sandige Wind trägt das tiefe Brummen des Motors heran, während Akamouk aussteigt. Er scheint verärgert, er verabschiedet sich auch nicht vom Fahrer des Wagens. Sein Tegelmust ist so hochgezogen, dass nur seine Augen zu erkennen sind, in denen ich eine seltsame Mischung aus Zorn und Frustration wahrzunehmen glaube. Ohne viele Worte bringen wir die Papiere zu dem Offizier. Er wirft einen kurzen Blick darauf und wünscht uns eine gute Fahrt. Wir fahren los, und Akamouk erzählt mir unterwegs die Gründe für seine Verstimmung. In den Büros von Tamanrasset arbeiten nahezu durchwegs Leute aus dem Norden. Er musste endlos lange warten, wurde von einem Büro ins andere geschickt, voll Misstrauen ausgefragt und fühlte sich wie ein Fremder behandelt. Und das einem freien Targi! Er erzählte, dass es in den Städten im Norden bürgerkriegsähnliche Zustände gibt, weil der seit zwanzig Jahren regierende vergreiste Präsident Bouteflika weiter regieren will. Dass wir im Süden Algeriens recht wenig darüber erfahren, ist bezeichnend. Nur vier Prozent der Gesamtbevölkerung des Wüstenstaates leben in und südlich der Sahara. Dem Großteil der Menschen hier ist das, was im Norden ihres Landes geschieht, herzlich egal. Dabei frage ich mich, wie lange man hier verweilen muss, um die Welt und ihre Kämpfe vollständig hinter sich zu lassen.

Bis In Guezzam ist die Straße asphaltiert und in recht befahrbaren Zustand, wir sind dementsprechend schnell unterwegs. Erstaunlich ist die große Präsenz von Soldaten in dieser Gegend. Jetzt weiß ich endlich, welches Ziel die lange Kolonne von Militär-LKWs hatte, die vor einigen Nächten an der Auberge de Soleil vorbeigedonnert ist. Es sind Spezialtruppen, viele mit Metalldetektoren ausgerüstet, um im Sand vergrabene Schmuggelware zu orten. Das scheint notwendig zu sein, denn die Soldaten, bei denen ich vorhin warten musste, erzählten mir, sie haben Lager mit automatischen Gewehren, sogar mit schweren Waffen, wie Granatwerfer gefunden. Alles bestimmt Vorräte der Al Quaida oder der Islamisten. Es ist offensichtlich, dass das Militär hier nicht nur die Sicherheit der Grenze gewährleistet. Die maßgeblicheren Grenzposten zu Nachbarstaaten wie Mali und Marokko sind bereits gesperrt, diese hier nach Niger ebenfalls, zumindest offiziell. Hinaus werden wir mit der von Akamouk in Tamanrasset erhaltenen Bewilligung ohne größere Schwierigkeiten kommen, wie das bei unserer Rückfahrt sein wird, steht in den Sternen geschrieben. Insch Allah!
Wir passieren eine lange, still stehende Kolonne von Lastentransportern, bevor das Zollamt erreicht ist. Hier geht alles erstaunlich schnell, die Ausfuhr des Wagens wird mit einem Stempel bestätigt und wir dürfen südwärts weiterfahren. Die asphaltierte Straße endet bald an einer Art befestigtem Fort. Die weitere Route führt über eine Piste, teilweise markiert, streckenweise wild durch die Gegend. Es sind fünfundzwanzig Kilometer zu überwinden, die mich an frühere Zeiten erinnern, als solche Wege der Alltag waren. Immer wieder begegnen uns kleine Trupps und ganze Familien Schwarzafrikaner, die in Richtung Algerien ziehen. Der Anblick ist bedrückend.
Wir erreichen gegen Abend Assamaka, den Grenzposten von Niger. Das Zollamt unterscheidet sich von den umliegenden Bauten nur durch einen Fahnenmast, an dem sich die nigrische Flagge im Abendwind leicht bewegt. Militär gibt es hier ebenfalls, allerdings in wesentlich geringerem Ausmaß als jenseits der algerischen Grenze. Der Diensthabende ist ein Targi und er begrüßt uns auf Art der Tuareg mit „labess“. Über ihn erfahren wir von zahlreichen toten Flüchtlingen, die in Massengräbern ringsum verscharrt sind. Algerien hat bei massiven Ausweisungen seit Oktober 2017 an die 13.000 Immigranten zurückgeschickt, weil die Europäische Union Druck auf die nordafrikanischen Länder ausübt, um die Routen übers Mittelmeer zu unterbinden. Den in Niger arbeitenden Organisationen der UN fehlen die Kapazitäten, um sich in dem Ausmaß zu kümmern, die bei dieser Anzahl Menschen notwendig wären. Lediglich an die 11.000 Flüchtlingen aus Mali, Gambia, Guinea, Elfenbeinküste, Niger und anderen Ländern ist der Marsch durch weit über 200 Kilometer staubtrockenes Land bis zur nächsten Stadt, Arli, gelungen.
Der „Chef de poste“ ist ebenfalls ein Targi und begrüßt uns mit einer Herzlichkeit, die über das rein Amtliche hinausgeht. Da es in der Umgebung kein Hotel gibt, bietet er uns an, in einem der Räume des Amtshauses zu übernachten. Es ist klar, dass wir dieses Privileg Akamouks Anwesenheit und der tief verwurzelten Gastfreundschaft der Tuareg zu verdanken haben. Im Hof des Zollgebäudes bereitet Akamouk eine große Portion Tee für uns und den gefälligen Zöllner. Bald gesellt sich einer seiner Untergebenen, ebenfalls ein Targi, zu uns. Sie wirken sichtlich erfreut über diese Einladung, denn der Arbeitsalltag lässt ihnen wenig Zeit, um Tee nach der alten Tradition zuzubereiten. Ich fühle mich etwas ausgeschlossen, da sich die Herren in ihrer Sprache Tamasheq unterhalten. Das Gespräch scheint manchmal meine Person zum Thema zu haben. Das bemerke ich an den interessierten Blicken, die mich gelegentlich treffen. Es wird spät, bevor wir uns zur Ruhe begeben.
Am Morgen des folgenden Tages erhalten wir anstandslos die notwendigen amtlichen Bestätigungen für mein Auto. Nach dem Betanken des Rovers und Nachfüllen der Wasserbehälter sowie einem länger sich hinziehenden Abschied der Touaregstämmigen, brechen wir wieder in Richtung Algerien auf. Jetzt erst fallen mir verlassene Lagerstellen in Pistennähe auf, erkenntlich an zurückgelassenen leeren Konservendosen und Resten anderer Verpackungen von Lebensmitteln. Damit erklären sich die Fundsachen bei meinem Spaziergang am Tag zuvor. Die dort gefundenen Gegenstände dürften von einem solchen Lager vom Westwind oder Tieren dorthin verschleppt worden sein. Die Unendlichkeit der Wüste birgt gleichermaßen Leben und Tod, doch sie urteilt nicht. Sie nimmt auf, gibt aber nichts Greifbares zurück.
Der erste Teil der Rückreise auf und neben der Piste ist zwar mühsam, doch ohne Probleme zu bewältigen. Sobald es wieder Asphalt unter den Rädern gibt, kommen wir schnell nach In Guezzam. Hier erwarte ich größere Schwierigkeiten mit der Einfuhr des Rovers, und meine Befürchtungen bewahrheiten sich. Ein junger, eindeutig aus dem Norden stammender Zollbeamter prüft die Papiere sorgfältig, blättert lange in einem Buch. Mit wichtiger Miene erhebt er sich von seinem Schreibtisch und kommt mit aufgeschlagenem Gesetzbuch auf mich zu. Es ist in der Amtssprache französisch gehalten. Er zeigt mir darin die Stelle seines Missfallens, wo geschrieben steht, dass mindestens drei Tage vergehen müssen, bevor das Fahrzeug erneut ins Land darf. Alle Versuche, ihm glaubhaft zu erklären, warum ich ganz dringend in den Norden fahren muss und dass mein Wagen keine Migranten transportiert, sind vergebens. Er bleibt unerbittlich, hört mich geduldig an, ohne von seiner Position abzuweichen. Bis er fragt, ob ich in Österreich geboren wurde. Die Überprüfung meines Reisepasses fällt zu seiner Zufriedenheit aus. Zwei Stempel und zwei Unterschriften, jeweils von ihm und seinem Vorgesetzten, und wir dürfen fahren. Was mein Geburtsland mit diesem Sinneswandel zu tun hat, wird für mich dauerhaft ein Rätsel bleiben. oder ist es wegen der Neutralität Österreichs? Ich beschließe, darüber nicht weiter nachzudenken. So faszinierend die Logik des afrikanischen Kontinents auch ist, ganz heimisch werde ich darin wohl nie.

Da wir die zwar schönere, aber umständlichere Route durch die Ifoghas-Berge zur Heimfahrt nicht nehmen, bleibt uns nur der Weg über Tamanrasset. Was mir nicht ungelegen kommt, denn es würde mich interessieren, ob es in dieser südlich gelegenen Universitätsstadt gleichfalls Anzeichen der Unruhen gibt. In den Städten im Norden sind nämlich Studenten die Organisatoren. Die 500 Kilometer bis „Tam“ bewältigen wir in einer Rekordzeit von viereinhalb Stunden. Am Militärkontrollpunkt erkennt man uns sofort und winkt freundlich durch. Die Abenddämmerung ist bei unserer Ankunft angebrochen. Ich überlege, ob wir die Nacht in der Stadt verbringen, oder vor deren Toren kampieren sollen. Bei Finsternis einen geeigneten Platz dafür zu finden, bedeutet Glückssache, außerdem ist Tamanrasset bekannt für seine angenehmen, aber kühlen Temperaturen, die in der Nacht sogar an den Gefrierpunkt gelangen können. Erreichen andere Städte wie In Salah Höchsttemperaturen bis 55° C, gibt es in Tam nicht einmal 30° C. Deshalb leiste ich mir ein Zimmer in derselben Unterkunft, die ich von der Fahrt mit François zum Elektroniker kenne. Selbstverständlich lade ich Akamouk auf diese Übernachtung im Hotel ein. Nach dem Einchecken schlendern wir durch die stillen Straßen der Stadt. Lediglich auf einem größeren Platz hat sich verloren und friedlich eine kleine Gruppe Studenten versammelt, die zwei algerische Fahnen hochhalten. Wir erfahren von ihnen, dass die Regierung die anstehenden Semesterferien um elf Tage vorverlegt hat. Da in den Ferien die Studentenheime durchwegs geschlossen bleiben, zerstreuen sich deren Bewohner in ihre Heimatorte, ein klarer Versuch, die Protestbewegung zu schwächen.
In der Morgendämmerung machen wir uns auf den Weg in Richtung Osten, zur vertrauten Auberge. Nach stundenlanger Fahrt, erreichen wir am späten Nachmittag, das Ziel, wo uns Michelle und François mit großer Herzlichkeit empfangen.Akamouk verzieht sich in den Hof zu Iyad, seinem Verwandten, ich steige in mein Türmchen hinauf, um zu duschen und mich der staubigen Kleidung zu entledigen, die ich in den Tagen dieser Fahrt durchgehend getragen hatte. Beim Abendessen hören die Wirtsleute meinem Bericht aufmerksam zu, François ergänzt die Erzählungen mit der neuesten Nachricht, dass Bouteflika dem Druck der Demonstranten nachgegeben hat und nicht mehr für eine weitere Amtsperiode kandidiert. Das könnte eine ruhig verlaufende Wahl bedeuten. Nach dem Essen begebe ich mich in das Turmzimmer, öffne den Computer und will meine persönlichen Erinnerungen an die Westafrikaexpedition vor sieben Jahrzehnten weiterschreiben. Doch nach einigen Zeilen schlafe ich vor dem Bildschirm kurz ein. Ich beschließe, morgen ausgeruht mit der Arbeit fortzufahren:

Wir, die fünf Mann der Expedition, hatten an der Piste nach Bidon 5 irgendwo übernachtet. Frierend, aber ausgezeichneter Stimmung brachen wir unser Lager unterm Sternenzelt ab, um die folgenden zweitausend Kilometer Sahara zu meistern. Die Wüste war eben wie ein Tisch, nirgends mehr Sanddünen zu sehen. Obwohl versandet, war der Boden hart und mühelos befahrbar. Damit den Autos das Wellblech der Piste ersparend, fuhren wir auf den Spuren der Fahrzeuge, die hunderte Meter neben der Hauptstrecke nach Süden führten. Dabei stets die Markierungen der Piste durch Steinhaufen, alte Telegraphenmasten oder leere Benzinfässer im Blick.
Der IFA lief wie ein Wiesel, bis mit zunehmender Sonnenwärme sein Kühler wieder kochte. Ab da waren wir gezwungen öfters stehenzubleiben, um Wasser nachzufüllen. Das Sonnenlicht wurde immer trüber und die Schatten verschwanden. Im unheimlichen Schleier eines aufkommenden Sandsturms erreichten wir den nächsten französischen Militärposten, den Poste Weygand, amtlich Balise 250 genannt. Dieser und der dreihundert Kilometer weiter südlich gelegene Posten gewährleisteten den Durchfahrenden die Versorgung mit Treibstoff und Wasser. Dort standen ein paar Baracken, wovon wir eine beziehen durften und den IFA durch das groß dimensionierte Tor hineinfahren konnten. Der Kühler wurde ausgebaut und wir mussten erkennen, eine Reparatur vor Ort war ausgeschlossen. Der Sturm rüttelte am Dach und an den Ecken der aus Wellblech bestehenden Unterkunft und vollführte einen Höllenlärm. Wir fürchteten, mitsamt der Baracke weggeblasen zu werden. Plötzlich wurde die kleine Türe neben dem Haupttor aufgerissen und schlug mit unerhörter Gewalt an die Wand. Zwei vermummte Gestalten stemmten sich gegen den Sturm herein und schlossen die Tür mit Mühe. Es waren recht sympatische dänische Reisende. Der eine war Kinderarzt aus Indien, der einen neuen Kontinent kennenlernen wollte, der andere einfach ein Abenteuer suchender Däne. Der Sturm ebbte ab, die gewohnte Stille umfing uns wieder. Wir verbrachten zu siebent eine recht angenehme Nacht in der Baracke. Diese Herren aus Dänemark schickte uns der Himmel, denn sie spendeten ein Dichtungsmittel für den Kühler. Dieses Geschenk ermöglichte es, einen Tag später unsere Fahrt fortzusetzen.
Bei Tagesanbruch verließen wir den Posten, die Dänen in ihrem alten Ford in Richtung Norden, wir mit frischem Mut nach Süden. Die Fahrt verlief zügig und beinahe reibungslos durch die stets größer werdende Hitze, bis eine über den Weg laufende tiefe Querrinne der Achse des Père Ubu das Genick brach. Und das geschah nur wenige Kilometer vor unserem angestrebten Etappenziel! Für solche gröbere Bodenunebenheiten, seien es Rinnen oder Erhebungen, gilt der Grundsatz: schräg anfahren! Ich hatte dieses Hindernis nicht gesehen. Der Frust war unvermeidlich, doch für lange Klagen war die Zeit zu knapp. Die Sahara verzeiht keine Schwäche, und so nahmen wir die nächste Herausforderung in Angriff, mit der unerschütterlichen Entschlossenheit, die uns bislang getragen hatte.

Übung macht den Meister. In der Rekordzeit von knapp zweieinhalb Stunden war die Reserveachse eingebaut. So erreichten wir todmüde vor Sonnenuntergang Bidon 5, den mutmaßlich bekanntesten Ort der Tanezrouftpiste. Ort wäre übertrieben, eher eine Örtlichkeit, denn der Posten bestand aus zwei Wellblechbaracken, einer gemauerten Unterkunft und dem Stahlgerüst eines Sendemastes. Bidon V heißt auf Deutsch „Fass 5“. Schon im Jahre 1923 wurden nummerierte leere Benzinfässer zur Markierung entlang der Strecke deponiert. Der Ort war deswegen berühmt und auf jeder Landkarte eingezeichnet, weil er markierte die genaue Hälfte der Route zwischen Colomb Béchar im Norden und der Grenze zu Niger im Süden. Soweit das Auge reichte, sah man rundherum ausschließlich brettebene Wüste. Im Fall eines Falles war dies ein fixer Anlaufpunkt für Rettung Suchende auf der langen Durststrecke.
Zwei einsame französische Soldaten waren hier für alles verantwortlich. Allerdings waren die beiden nicht als Armeeangehörige zu erkennen. Sie hatten ihre Uniformen sorgsam im Spind aufbewahrt, um sie vor dem allgegenwärtigen Sand zu schützen. Stattdessen trugen sie fleckige Hemden und abgewetzte Shorts, die sie eher als Veteranen eines tropischen Abenteuerromans erscheinen ließen. Sie waren Funker, die uns freundlichst in ihrer Radiostation aufnahmen. Max und Schani unterhielten sich mit den beiden länger bei ausreichend Wein und Kognak, denn Wasser war kostbar. Es wurde über viele Kilometer in Tankwagen von der nächsten Oase Tessalit hierher transportiert. Der erschöpfte Rest der Expedition legte sich im Freien unter dem beeindruckend dichten Sternenhimmel schlafen. Es schien, dass die Wüste dieses wunderbare Schauspiel als Entschädigung für die Widrigkeiten des Tages aufgeboten hätte.
Wir haben beschlossen, hier einen Ruhetag einzulegen. Kopezky und ich reinigten jeweils unsere Arbeitsgeräte und befreiten sie vom allgegenwärtigen Sand. Walter kümmerte sich hingebungsvoll um den IFA und „schmierte den Wagen ab“. Das Auto besaß am Fahrgestell einige Nippel, durch die regelmäßig Fett gepresst werden musste, damit Lager etc. immer gut geschmiert waren. Eine fast meditative Tätigkeit, die wie ein Tempeldienst wirkte. Schani kämpfte indes mit dem streikenden Starter des Humber. Nachdem der IFA fertig war, nahmen Walter und ich eine kurze Tonreportage über diese faszinierende Örtlichkeit und deren Bewohner auf. Sie beschrieb die karge Schönheit dieser isolierten Welt, die beiden Funker, die wie aus einem französischen Schwarzweißfilm entsprungen schienen, und die allgegenwärtige Stille. Wir hatten vor, das Band auf unserer weiteren Route beim Besuch des nächstgelegenen Postamts nach Wien dem österreichischen Rundfunk zu schicken. Zum Abschied schenkten uns die Soldaten großzügig ein Päckchen Zigaretten pro Kopf. Es war ein Moment von fast rührender Gastfreundschaft. Vielleicht sahen sie uns als leidensfähige Brüder im Geiste, die sich mit der Wüste ebenso arrangierten wie sie selbst.


Mitten in der endlosen Wüste, allein und verloren, stand ein Grenzstein. Er zeigte den Reisenden die Entfernung zur nächsten Oase, den Übergang von Nordafrika (Afrique du Nord AFN) zum Gebiet von Französisch Westafrika (Afrique occidentale Française AOF) an. Ab hier galt der Franc CFA (Colonies Française d’Afrique). Der war doppelt so viel wert wie der französische Franc, das geltende Zahlungsmittel in Algerien. Doch ab hier waren die Preise die Gleichen wie die weiter nördlich in FF. Das hieß, alles war jetzt zweimal so teuer wie bisher. Walter, unser Kassenwart, war der Verzweiflung nahe. Seine ohnehin permanent sorgenvollen Ernst ausstrahlenden Gesichtszüge zeigten ab da beim Bezahlen stets so abgrundtiefe Trauer, dass wir um seine seelische Gesundheit bangten. Der Ernst der Lage war uns bewusst, unsere Vorräte und unser Budget hatten ihre Grenzen, und jede weitere Herausforderung konnte das Unternehmen aus dem Gleichgewicht bringen. Aber bis zum ersten Schock dieser Art dauerte es eine Weile, wir mussten vorerst noch einige Aufgaben auf der folgenden Strecke lösen.
Wir hatten uns in Wien verpflichtet, ein Auto durch die Wüste zu bringen, das in keiner Form für ein derartiges Unternehmen gebaut und darüber hinaus erheblich überladen war. Ein rückwärtiger Stoßdämpfer des IFA verabschiedete sich endgültig. Wir waren gezwungen, ihn mit Kupferdraht provisorisch zu reparieren, ein fragiles Provisorium, das ebenso viel Erfindungsreichtum wie Hoffnung erforderte. Aber auch unserem Wüstenschiff, dem Humber, mangelte es an der für so ein Unternehmen notwendigen Robustheit. Ich habe mich mehrmals gefragt, wie die Engländer mit solch anfälligen Fahrzeugen einen Krieg gewinnen konnten. Der rechte Vorderreifen des Père Ubu verlor unübersehbar schnell Luft und musste gegen den letzten intakten Reservereifen getauscht werden.

Es gab andere interessante und erfreulichere Unterbrechungen. Die riefen uns in Erinnerung, dass wir nicht ausschließlich dazu aufgebrochen waren, kaputte Autos wieder flottzumachen. In der viele hundert Kilometer weiten flachen Wüste und Einsamkeit ringsum, trafen wir unseren ersten wirklichen Nomaden und bewunderten ihn gebührend.


Dann kreuzte eine schöne junge Targia unseren Weg. Ihre Haltung war so stolz wie ihre Kleidung farbenfroh. Wir hielten an und Mackie sprach mit ihr. Die Zelte ihres Touarg-Clans standen nicht weit von hier und sie lud uns zum Tee ein. Meine Freunde nahmen diese Einladung begeistert an und folgten ihr zu Fuß. Ich blieb als Wächter bei den Fahrzeugen. Einer musste schließlich Wache halten. Mir war das recht, denn schon damals war mir die absolute Stille eine Wohltat im Gegensatz zu den lauten Fahrgeräuschen bisher. Nach dem Genuss der üblichen drei Gläser Tee kehrten die anderen zurück, sichtlich beglückt vom Tee und der Gesellschaft. Sicher trug die Targia mit ihrer Anmut zum allgemeinen Wohlbefinden bei. Bald darauf fuhren wir wieder gen Süden. Der schwächere IFA mit Walter und Kopezky an Bord knatterte voraus, wir folgten im Humber mit respektvollem Abstand.
Allmählich verwandelte sich die trockene Wüste mit einer jährlichen Niederschlagsmenge von 100 mm in feuchtere Steppe. Die ersten Büsche, tropische Had-Sträucher, tauchten vereinzelt auf, dazwischen an manchen Stellen Cram-cram, das Gras der Sahelzone. Die Touareg nennen diese harten Grasbüschel Fesh-fesh. Eine Vegetation, die offenbar einladend für Wildtiere war. Die ersten Wildtiere flüchteten aufgeschreckt von links nach rechts über die Piste. Das ist nicht ungefährlich, denn ein Zusammenstoß mit einer Gazelle, oder einer der größeren Antilopen kann schlimme Folgen haben. Später lernte ich, dass das Wild immer in Richtung Sonne flüchtet. Damit bringt es sich zwischen den Angreifer und dem diesen blendenden Gestirn.
Wir planten, vor Dunkelheit bis zu unserem nächsten Etappenziel zu fahren. Deshalb fuhr ich, zwar wegen der Tiere besonders aufmerksam, aber zügig weiter. Vor uns in der Ferne sahen wir ein Fahrzeug stehen, von Menschen umringt. Im Näherkommen erkannten wir das Objekt, es war der vorausgefahrene IFA. Wieder einmal stehend. Was bei den Passagieren des Humber größte Befürchtungen auslöste. Aber diesmal wartete eine angenehme Überraschung. Hans Kopezky hatte einen prachtvollen Bock geschossen, eine Dorcagazelle. Als wir ankamen, hatte Walter das Tier fachmännisch aufgebrochen und war am abhäuten. Das Fleisch wurde in das eigene Fell verpackt und wir erreichten bald Tessalit, wo außerhalb der Stadt, in Nähe der Werkstatt der Societé Mer-Niger unser Lager aufgeschlagen wurde. Die Umgebung lieferte genügend Holz für ein anständiges Lagerfeuer. An dem grillten wir große Fleischstücke und verzehrten sie mit Appetit und Begeisterung. Gesättigt und zufrieden verbrachten wir die Nacht vor den Toren Tessalits.
Herbert Du bist ein unbekanntes Genie. Hast den falschen Beruf. Du wärst ein sehr guter Schriftsteller geworden. Deine Kenntnisse in der RSTG wurden leider nie richtig gewürdigt. Du standest als Tonmann im Vordergrund. Aber- jedes Gesicht hat zwei Seiten. Siegi
Danke Dir! Ich bemühe mich halt und versuche besser zu werden Herbert