Heute ist ein wunderschöner Tag, trotz intensiver Sonneneinstrahlung etwas kühler als die vorhergegangenen. Michelle und François haben zeitig am Morgen aus Tessalit angerufen und ihre voraussichtliche Ankunft gegen Abend mitgeteilt. Ich nütze die Zeit bis zu ihrem Erscheinen und gehe die von mir benützten Räume aufmerksam durch, wobei ich an einigen Stellen angesammelten Sandstaub wegwische. Das Haus soll ihnen makellos übergeben werden. Es wäre möglich, dass ich etwas liegen gelassen, gebrauchtes Geschirr nicht abgewaschen und nicht an seinen Platz gestellt habe. Nach dem Zurechtrücken der Stühle im Gastraum und in der Küche verziehe ich mich zufrieden in mein Turmverlies. Es bleiben ein paar Stunden bis zum Eintreffen der beiden, die ich mit Schreiben von Entwürfen für das nächste Kapitel verbringe.
In der Dämmerung des Abends treffen meine Wirtsleute ein. Müde und verstaubt von der anstrengenden Fahrt, aber gut gelaunt. Verschmitzt lächelnd überreichen sie mir eine Flasche Pastis 51 mit der Anmerkung, damit ich bei der Heimfahrt meine Kehle desinfizieren könne. Sie wissen, dass ich dieses Getränk liebe. Michelle zieht aus ihrer Tasche ein dickes Päckchen Nasen- und Mundschutzmasken und legt es neben die Flasche auf den Tisch. In Europa werde ich das sicher brauchen, meint sie. Bei einigen Fläschchen Bier der Brasserie Kronenbourg erzählen wir in kurzer Form unsere Erlebnisse der letzten Tage. Ich ändere den Plan für meine Abreise. Mich drängt es, vor der Rückkehr nach Europa noch etwas Zeit in der Wüste zu verbringen, um endgültigen Abschied von diesem Stück Erde voll unbegrenzter Wunder zu nehmen. Gleich morgen werde ich das Organisieren dafür angehen.
Nächster Abend in der Dämmerung. Ich werde voraussichtlich einige Tage unterwegs sein, wofür Vorbereitungen notwendig sind. François war so freundlich und hat schon am Morgen meinen Landrover durchgecheckt, wechselte sogar das Motoröl, prüfte die Luft im Reservereifen und das Werkzeug. Vorsorglich schenkt er mir ein Paket Dichtungsmittel für den Kühler. Die Gerba wird mit Wasser angefüllt und auf Flüssigkeitsverlust überprüft, indem sie einige Stunden gefüllt in der Garage hängt. Ich packe das Feldbett zusammen, zwei Decken und anstatt eines Kopfpolsters den Parka ins Auto. Die Sandleitern hängen festgezurrt an den Seiten des Autos, das Navi funktioniert. Michelle füllt in mütterlicher Fürsorge eine Metallkiste mit Lebensmitteln, die sicher für einen Monat reichen würden. Sie stellt die Vorräte in den Rover, denn dort ist es zu dieser Jahreszeit in der Nacht recht kühl. Ich reinige mein Jagdgewehr, die Munition dafür packe ich zu der Wäsche in den handlichen Koffer. Wiederholt fragt mich François, ob er nicht doch mitfahren solle. Ich verstehe seine Besorgnis, denn er kennt die Wüste wie kaum ein anderer Weißer. Aber ich wünsche mir ein paar Tage wieder das Gefühl der absoluten Ruhe und Stille in den einsamen Weiten der Sahara, sowie mittendrin ihre Vertrautheit zu erleben.
Vor dem ersten Morgengrauen versuche ich mich leise aus dem Haus zu bewegen. Doch alle Vorsicht ist vergebens. Im Gastraum, den ich zu durchqueren habe, steht schon Michelle, eine Kanne voll heißen Tees vor sich auf einem Tisch. Dazu hat sie ein Stück Baguette mit Paté de fois vorbereitet. Um sie nicht zu verletzen, nehme ich etwas Tee und ein paar Bissen des liebevoll bestrichenen Brotes. Beim Hinausgehen hält sie mich zurück, und drückt mir auf jede Wange einen Kuss. Eine überraschende Geste, die mich nachdenklich stimmt.
Endlich starte ich meinen Landrover. Im Licht der Scheinwerfer ist Michelle zu erkennen, die das Einfahrtstor öffnet. Im Vorbeifahren winke ich ihr zum Abschied durch das offene Seitenfenster zu. Schnell schließe ich es wieder, denn es ist an diesem Morgen empfindlich kalt. Bei der Hauptpiste angelangt, biege ich in Richtung Westen ab und nehme zügig Fahrt auf. Der Motor des Landrovers läuft gleichmäßig und bringt den Wagen rasch auf die notwendige Geschwindigkeit, die ihn über die harten Wellen der Piste fliegen lässt. Im Rückspiegel sehe ich am Horizont einen schmalen hellblauen Streifen, der den Tag ankündigt, vor mir herrscht tiefe Nacht. Ich darf im Licht der Scheinwerfer die nicht gekennzeichnete Abzweigung nach Norden nicht verpassen, die das Navi nicht anzeigt.
Bei hoher Reisegeschwindigkeit konzentriere ich mich auf die rechte Seite der Piste. Zwei vom Scheinwerferlicht geblendete Gazellen queren in Panik meine Fahrspur. Ich reiße das Lenkrad herum und verfehle nur knapp die erschrockenen Tiere. Gleich darauf taucht die Abzweigung nach Norden auf, erkenntlich an den die Piste markierenden Häufchen aus Sand und Steinen. Die Strecke ist schmal, mehr ein Fahrweg, was den Vorteil hat, dass dort selbst die Laster langsam fahren, wodurch sich das Wellblech nur wenig aufbaut.
Im Osten erhebt sich die Sonne rasch über den Kamm der Berge und in den ersten Strahlen werfen die in der Hamada herumliegenden Steine und trockenen Büsche scharf abgegrenzte Schatten. Ein einsamer Fennek schaut mich voll Interesse aus wenigen Metern Entfernung an, als ich knapp an ihm vorbeirausche, bleibt er ungerührt sitzen. Nur kurz deutet er eine Fluchtbewegung an. Sicher hat er in dem Moment eine Wüstenmaus zu seinem Frühstück im Visier. Es ist die Zeit am Morgen, in der die Tiere der Wüste unterwegs sind, bevor sie sich vor der glühenden Mittagshitze verkriechen. Die Piste wird immer schwächer erkennbar, bis sie nach einer kleineren Sandverwehung überhaupt verschwindet. Ich fahre durch einen abgelegenen Teil der Sahara, weit entfernt von Tourismus oder militärischem Übungsgebiet. Je tiefer ich in dieses, einem Reservat ähnlichem Gebiet eindringe, umso öfter treffe ich auf Gazellen und einige wenige Antilopen. Die äsenden Tiere werfen in der flachen Sonne unrealistisch verzerrte lange Schatten auf den steinigen Boden. Das von meinem Auto verursachte Fahrgeräusch veranlasst stört sie kaum, nur Vereinzelte heben kurz ihre Köpfe.
Gerne würde ich stehen bleiben, um diesen bezaubernden Anblick zu genießen, doch sobald ich anhalte, flüchten sie weit weg in die Wüste. Der Grande Erg macht sich am späten Vormittag, die Sonne steht schon hoch am Himmel, durch unregelmäßig auftretende Sandverwehungen bemerkbar. Meine Glückshormone schlagen förmlich Purzelbäume. Weit weg von politischen Querelen, Pandemie, Konsumwut und finanziellen Sorgen, wird das Gefühl von einer absoluten Freiheit zur Realität. Untermalt von dem verlässlich brummenden Motor des Landrovers, fühle ich mich sicher und geborgen. Ähnliches widerfuhr mir bei den Alleinflügen mit der alten Piper JP3C oder in Perú bei durch LSD-Einfluss beschwingten Fahrten mit meinem Jeep durch die Atacamaberge. Doch diese Erfahrungen dauerten jeweils nur wenige Stunden und waren Zwängen, wie vorgeschriebene Flughöhe und -zeit, beziehungsweise dem Nachlassen der Wirkung der Droge unterworfen. Einschränkungen, die hier durchweg nahezu wegfallen. Die Dauer meines Aufenthaltes in der Wüste bleibt mir allein überlassen und das Berauschende wird durch die Sahara selbst vermittelt.
Trotz der kühleren Jahreszeit brennt tagsüber unbarmherzig die Sonne. Ich beschließe, eine Mittagspause einzulegen. In der von Michelle gefüllten Metallkiste finden sich Lebensmittel, so sorgsam ausgewählt, dass sie dem edelsten Catering zur Ehre gereichen könnten. Zum Schutz gegen die Sonne spanne ich mittels zwei für diesen Zweck mitgeführten Holzstangen eine Zeltplane vom Dach des Rovers und mache es mir darunter bequem. Ich bin versucht zu dem auserlesenen Buffet eine Flasche Rotwein zu öffnen, befürchte aber davon müde zu werden, und trinke lieber kühles Wasser aus einer Gerba zum Essen. Der Sättigung folgt eine ausgiebige Siesta, die ich erst nach der größten Mittagshitze beende.
Die Hamada ist flach und größere Steine, die dem Auto gefährlich werden könnten, liegen gut sichtbar und nur vereinzelt herum. Ich strebe meiner ersten Nacht unter freiem Himmel entgegen und suche einen tauglichen Platz. Davon gibt es unendlich viele in der ebenen Wüste. Rundum nur Horizont. Somit bestimmt die Tageszeit den geeigneten Ort für die Nachtruhe zu finden. Im matten Licht der Dämmerung stelle ich mein Feldbett auf. Der Schlafsack wird gegen die Kälte der Nacht notwendig sein. Jetzt ist die Zeit für das Öffnen der Weinflasche gekommen. Der Korken wird zum Wiederverschließen sorgfältig gehütet. Mit dem Wein gibt es wieder ein paar Bissen von dem köstlichen Proviant und tiefer Friede bemächtigt sich meiner.
Inzwischen ist es schlagartig dunkel geworden. Touareg hätten ein Lagerfeuer angezündet, ich begnüge mich mit einer elektrischen Taschenlampe und der Innenbeleuchtung des Rovers. Das Feldbett steht eng am Auto, das gegebenenfalls vor aufkommenden Wind schützt. In greifbarer Nähe das geladene Jagdgewehr. Da die Luft noch recht warm ist, lege ich mich auf den Schlafsack und blicke in den unendlichen Sternenhimmel. Bis jetzt versteckt sich der Mond hinter dem Horizont, sodass selbst kleine und weit entfernte Sterne hell zur Geltung kommen. Großes Gedränge herrscht da oben bei den funkelnden Lichtern, viele liegen so eng beieinander, als wären sie miteinander verschmolzen. Nach kurzer Zeit zeigt sich der Mond im Geglitzer des Himmels und taucht die Wüste ringsum in unwirklich erscheinendes Licht. Aus weiter Ferne höre ich Schakale durch ihr unverkennbares Jaulen kommunizieren, manchmal durch Kläffen unterbrochen. Solche Raubtiere sind für den Teil der Sahara eher ungewöhnlich. Anscheinend hat sich die Mischung von Wolf und Wildhund vom Süden her in diese Enklave zu dem hier lebenden Wild durchgeschlagen. Ein sichernder Griff zum Jagdgewehr wirkt beruhigend. Das Zusammenspiel von Gestirnen und den Lauten der Tiere wandelt meine Zufriedenheit in selten woanders erfahrenes Glücksgefühl, lässt mich einschlafen. Die Arme lasse ich zur Vorsicht außerhalb des Schlafsacks, weshalb die Kälte mich bald weckt. Da keine Schakale mehr zu hören sind, schlupfe ich vollends in den Daunensack und schlafe tief dem Morgengrauen entgegen. Dass die kleinen Räuber gefährlich nahe im Dunkel der Nacht geräuschlos um mein Lager herumgeschlichen sind, erkenne ich an den zahlreichen Spuren, die sie im Sand hinterlassen haben.
Der Morgen ist kalt, der Himmel im Westen und ober mir schwarz, mit stets weniger werdenden Sternen. Im Osten wird es zügig heller. Das Feldbett und die anderen Habseligkeiten sind schnell im Auto verstaut, die Piste führt mich weiter in Richtung des westlichen großen Ergs. Die Sonne heizt schon heftig, die verdorrten Pflanzen und Büsche in dem Gebiet werden seltener. Gefährliche Steine auf der nicht vorhandenen Straße werden weniger. Ich fühle mich unbeschwert glücklich und steige aufs Gas. Das Navi hängt am Zigarettenanzünder und zeigt mir auf einer gelben Fläche ohne Merkpunkten recht genau die Fahrtrichtung an. Ungebremst fahre ich wie und wo es mir Spaß macht, und so schnell das Auto es vermag. Bis zu einer leichten Bodensenke, die sich von der Umgebung durch hellere Farbe unterschied, war es reiner Fahrspaß. Ach was, bedenkenlos drüber, bei dem Tempo ist das kein Thema! Typischer Fehler, den in der Wüste nur Anfänger machen. Der Wagen wird langsamer, gräbt sich in den losen Flugsand ein, ruckelt ein paarmal, und bleibt stehen. Mitten drin. Kein Problem, der Landrover hat ein Zwischengetriebe, das die volle Motorkraft auf die Räder bringt. Ich schalte es ein, der Motor startet anstandslos und der Wagen bewegt sich. Aber nicht in Fahrtrichtung, sondern auf allen vieren senkrecht in Richtung Erdmittelpunkt. So lange, bis die gesamte Karosserie voll aufsitzt.
Jetzt kommen mir meine Erfahrung der früheren Fahrten durch die Sahara zu Hilfe. Das bedeutet aussteigen, Sandbleche abnehmen, Schaufel in die Hände nehmen und graben. Reine Routine. Der schwere Wagen bewegt sich vorwärts, immer um eine Länge der Bleche von zwei Metern. Und das mehrmals hintereinander. Das steht in keiner Relation zu den einhundertsechzig Kilometern Fahrleistung der letzten Stunden. Geduld ist eine der wichtigsten Tugenden in Afrika, doch angesichts der Ausdehnung des Sandfeldes und der Strecke, die vor mir liegt, wird sie erheblich auf die Probe gestellt. Im Laufe des ungezählten Grabens, die Bleche legen, einsteigen, den Motor starten, zwei Meter fahren, aussteigen, wieder schaufeln, wird es Mittag. Die Sonne steht im Zenit. Sind seit meiner letzten Wüstenfahrt während der Jahre in Europa wichtige Erfahrungen verloren gegangen? Der Rover und ich werfen kaum Schatten, verschwitzt arbeite ich verbissen weiter.
Eben ist das rechte Vorderrad dran, freigeschaufelt zu werden. Da vermeine ich, schlagartig auf einem im Sturm schlingernden Schiff zu sein. Der Schwindel ist so heftig, dass ich am Kotflügel entlang zu Boden gleite und im heißen Sand sitzen bleibe. Ringsum gibt es nur bewegte See vortäuschende Fata Morgana. Benommen verbringe ich hockend eine Weile regungslos, den Kopf fest gegen das Autoblech gedrückt, denn nur dann dreht sich die Wüste nicht wie ein Karussell. Intensiver Durst macht sich immer quälender bemerkbar. Ein Versuch, die hoch oben am Wagen hängende, mit kühlem Wasser gefüllte Gerba zu erreichen, scheitert auf halben Weg. Schnell lasse ich den Halt bietenden Rückspiegel wieder los und falle in die sichere Sitzposition zurück. In der verbleibe ich, damit das Gleichgewicht bewahrend. Der Schweiß verdunstet, das Hemd trocknet in der glühenden Sonne. Langsam regt sich leises Angstgefühl, das ich zu unterdrücken suche. Mittlerweile erscheinen die in Afrika allgegenwärtigen Fliegen. Sie sind lästig und lassen sich nur für Sekunden vertreiben. Frech versuchen einige, etwas von der Flüssigkeit meiner Augen zu ergattern. Diese Insekten sind es, welche Infektionen übertragen, die bei vielen Kindern in Afrika zur Blindheit führen. Zwinkern der Augenlider stört sie nicht, ich scheuche sie mit den Händen, auf deren verschwitzten Rücken Sand vom Graben klebt. Eine Fliege sitzt auf meinem angewinkelten Knie und putzt sich, indem sie ihre Vordergliedmaßen, die Organe für ihren Geschmackssinn, verschränkt bewegt. So wie ein seiner Verantwortung bewusster Bürger gründlich die Hände wäscht, um sich vor Krankheiten zu schützen. Dieser Gedanke wird immer zwingender und erhält eine Wichtigkeit, die sämtliche anderen möglichen Einfälle ausschließt. Händewaschen, es wiederholt sich endlos, wie ein Mantra, Händewaschen, Händewaschen klingt es ausschließlich, allen verfügbaren Platz weiteren Denkens für sich einnehmend. Endlich wird es sogar den Fliegen in der prallen Sonne zu heiß und sie verstecken sich an irgendeinem Ort im spärlichen Schatten eines Spenders, den es gar nicht geben kann. Dafür rasen rötliche Silberameisen in unerhörter Geschwindigkeit um mich herum, die einzigen Tiere, welche die Mittagssonne in der Sahara zum Futter sammeln nützen, weil sie da vor Fressfeinden sicher sind. Hochbeinig, um den Körper vor Verbrennungen durch den glühend heißen Sand zu schützen, jagen sie scheinbar sinnlos Haken schlagend durch die Gegend. Nur meinen Kopf nicht bewegen. Überhaupt alles stillhalten und Kraft sparen. Die in der Wüste lebenden Touareg stellen in solchen Situationen möglichst viele Körperfunktionen ein, damit sie ja keine Flüssigkeit verbrauchen, und so Chancen haben zu überleben.
Wie ich so dahin döse, fällt mir mein vor vielen Jahren verstorbener Freund Max (Mackie) Lersch ein, dessen Asche im l‘Aïr ausgestreut wurde. Etwa tausend Kilometer Luftlinie liegen dazwischen, aber hier in der Hamada, herrscht die gleiche Ruhe und Einsamkeit, wie dort im Gebirge. Somit würde ebenfalls ich die enge Verbundenheit zur Sahara mit den Überresten meines Körpers dokumentieren, sollte ich das Leben an dieser Stelle hier aushauchen. Ich versuche Schatten unter dem Auto zu finden, doch da ist kein Platz zwischen Sand und Karosserie. Es scheint mir bestimmtes Schicksal zu sein, hier mit geschlossenen Augen in der Sonne zu verdorren. Händewaschen halluziniert es in mir, immer wieder Hände waschen. Spitze Schmerzen in meinem Fußgelenk bringen mich etwas in die Wirklichkeit zurück. Verursacht durch Schrauben, Platten und Nägel, die man mir vor vielen Jahren wegen eines Drehbruches auf und in die gesplitterten Knochen montiert hat. Die dehnen sich in der Hitze aus. Merkwürdig, der Schmerz bereitet mir Freude, denn er beweist, dass ich lebe. Der nächste Versuch, mich zu erheben, scheitert schon im Ansatz. So sinke ich zurück in eine tiefe Agonie.
Langsam wieder zu Bewusstsein kommend, vermeine ich, kühlendes Wasser an den Handgelenken und -flächen zu spüren. Ich brauche es aber im Gesicht! Bevor sich die Hände reflexartig heben, rinnt es schon kalt auf meinen Kopf, den Hals und unter das Hemd. Erschrocken öffne ich die Augen und erblicke nahe bei mir eine junge Frau, Wasser aus einer Kalebasse über mich leerend. Ihr zauberhaftes Antlitz gleicht dem der Carità des antiken Malers Guido Reni. Diese Targia ist geschminkt, auf die Art, wie es nur bei den Imohar, den Adeligen der Touareg, üblich ist. An meiner anderen Seite bemerke ich einen hochgewachsenen Targi, der mir mit seiner blauen Gandura (Überwurf) Schatten spendet. Er ist mit einem Litham (weißes Tuch) unter seinem prächtigen Tegelmust (geschlungener Turban) verschleiert. Einige Stunden dürften seit den Schwindelanfällen und meiner Ohnmacht vergangen sein, denn die Sonne steht nicht mehr im Zenit. Ein zartes Lächeln ziert das Gesicht der Targia, da sie Lebenszeichen bei mir bemerkt. Die beiden wechseln ein paar Worte in ihrer Sprache Tamaschek. Ich richte mich etwas auf und sie reicht mir die Kalebasse, in der eine bescheidene Menge kühles Wasser schwappt.
Trotz des höllischen Durstes vermag ich nur in kleinen Schlucken zu trinken. Da ich ein Roumi, ein Fremder bin, spricht sie mich auf Französisch an. Ob sie von der Gerba am Auto nachfüllen darf, fragt sie, ich nicke kurz. Sie füllt die Kalebasse halbvoll, ohne nur einen Tropfen zu verschütten. Das Wasser ist nicht so kalt wie das von vorhin, trotzdem angenehm kühl. Es wundert mich, dass der Umhang des Targi ausreichend Schatten wirft. Sicher war ich ein paar Stunden in der Sonne gelegen. Der Versuch aufzustehen, missglückt wieder. Zumindest das Schwindelgefühl ist verschwunden. Die besorgte Frage der Targia, ob ich verletzt sei, kann ich verneinen. In einiger Entfernung lagern Kamele in der Ebene und dazwischen laufen geschäftig Menschen. Einer von ihnen kommt mit langen Holzstangen und einer großen gebündelten Wolldecke auf uns zu. Der Targi sagt ihm irgendetwas auf Tamaschek und die beiden bauen eine Art Sonnendach über den Platz, wo ich liege.
DTrotz des höllischen Durstes vermag ich nur in kleinen Schlucken zu trinken. Da ich ein Roumi, ein Fremder bin, spricht sie mich auf Französisch an. Ob sie von der Gerba am Auto nachfüllen darf, fragt sie, ich nicke kurz. Sie füllt die Kalebasse halbvoll, ohne nur einen Tropfen zu verschütten. Das Wasser ist nicht so kalt wie das von vorhin, trotzdem angenehm kühl. Es wundert mich, dass der Umhang des Targi ausreichend Schatten wirft. Sicher war ich ein paar Stunden in der Sonne gelegen. Der Versuch aufzustehen, missglückt wieder. Zumindest das Schwindelgefühl ist verschwunden. Die besorgte Frage der Targia, ob ich verletzt sei, kann ich verneinen. In einiger Entfernung lagern Kamele in der Ebene und dazwischen laufen geschäftig Menschen. Einer von ihnen kommt mit langen Holzstangen und einer großen gebündelten Wolldecke auf uns zu. Der Targi sagt ihm irgendetwas auf Tamaschek und die beiden bauen eine Art Sonnendach über den Platz, wo ich liege.
In dieser unvergleichlichen Stimmung verliere ich mich in Gedanken für das anschließende Kapitel des Buches. Dieser vorletzte Abschnitt meiner ersten größeren Afrikaexpedition gilt hauptsächlich dem Bemühen, das uns verbliebene Auto möglichst vollständig nach Hause zu bringen.
Oh ja, wir hatten genug vom Standort Niamey und wünschten uns sehnlichst, weiterzufahren. Endlich waren alle Vorbereitungen für die Abfahrt getroffen. Wir hatten in der Werkstatt eines Franzosen einen Dachträger aufs Auto montieren lassen. Das gesamte Gepäck für die zukünftige Reise war zusammengestellt und harrte darauf, in oder auf das Fahrzeug geladen zu werden. Aber wir haben nicht mit dem Eigenleben des IFA gerechnet. Sein Vergaser begann ohne sichtbaren Grund zu rinnen und der Motor starb bei jedem Mal Gas geben ab. Anstatt vergnügt die Piste nach Südosten unter die Räder zu nehmen, schoben wir das Auto im Kreis herum, da folgerichtig durch die vielen Versuche die Starterbatterie leer war. Mackie und Schani trieben ein Ladegerät auf. Die Stimmung hatte die Minusgrade eines kalten Wintertages an der Spitze des Nordpols erreicht. Mit irgendeiner erfundenen Ausrede spazierten die drei Freunde nochmals in die Stadt. Ich blieb mit dem kranken Auto und dem Äffchen Joko allein. Es brauchte Stunden, bis ich den Motor zumindest zu stotterndem Laufen brachte. So konnte ich das Fahrzeug in die nahe gelegene Werkstatt des Franzosen bringen. Drei Mechaniker kümmerten sich dort um den Vergaser. Gegen Abend lief der Wagen wieder und ich begab mich zufrieden und glücklich auf den Heimweg. Im Quartier angekommen, waren die drei Expeditionsteilnehmer schon zurückgekehrt und saßen in engem Kreis, in philosophische Gespräche verstrickt. Weil der mildtätige Apotheker Louis Mouren ihren Frust mit zahlreichen Whiskys zu verringern geholfen hatte, waren sie stockbesoffen. Für meine aufopferungsvolle Arbeit erhielt ich freilich kein Wort des Lobes, nur den Auftrag, etwas Sättigendes herbeizuschaffen. Zumindest brachten sie von der Post eine Sendung der AEG aus Wien mit der Kupplung für das Tonbandgerät KL 25 mit. Was mich daran erinnerte, wozu ich genau genommen nach Afrika aufgebrochen war.
Einer Abfahrt am nächsten Morgen stand nichts mehr im Wege. Frühzeitig beluden wir frohgemut und fachgerecht nochmals das Fahrzeug. Bis sich die Federn so weit durchgebogen hatten, dass die Karosserie auf den Achsen aufsaß und das Heck den afrikanischen Sandboden nur um Millimeter verfehlte. Das aber ohne Passagiere mit an die 350 Kilogramm Lebendgewicht. So fuhren wir zu den drei Mechanikern, dem nächstgelegenen vertrauten Ort, und deponierten alles, was an letztem Privatem übriggeblieben war, in ihrem Büro. Sie versprachen uns die verlässliche Nachsendung nach Cotonou. Endlich war der IFA mit Arbeitsgepäck und Insassen abfahrbereit. Schwer fiel der Abschied von unserem Boy Kindo, den wir, ob seiner Intelligenz und seinem Fleiß, mit nach Wien nehmen wollten. Aber der IFA war zu klein für diesen zusätzlichen Fahrgast. Das Heck des Autos hatte keine Berührung mehr mit der Straße, die Watfähigkeit betrug etwas über einen Zentimeter. Eine hoffnungsvolle Ausgangsposition für die Bewältigung der folgenden tausend Kilometer afrikanischer Piste in Richtung Süden zur Küste. Ganzkörpergepflegt, angetan mit nach Waschmittel duftender Kleidung und frischer Unterwäsche, selbst Joko, der Affenjunge war sauber gebadet, entschlossen wir uns zu einem Abschiedsessen. Das waren geeignete Voraussetzungen für einen Besuch des vornehmen Restaurants „Relais“ am Flugplatz von Niamey. Dieses Lokal bisher ungestillter Sehnsüchte aller Expeditionsteilnehmer, in das wir in den Wochen des Aufenthaltes nie einkehren durften. Aus Kostengründen und wegen unseres Kassenwartes unergründlicher Abneigung gegen Ernährung, die über Ölsardinen und einem Mehl/Wassergemisch, das er Palatschinke nannte, hinausging. Praktischerweise lag der Flughafen gleich neben der geplanten Strecke, die wir zur Weiterfahrt nehmen mussten. Außerdem wurde seit dem Abflug Walters unsere Barschaft vom Expeditionsleiter verwaltet. Das Mahl war opulent, fünf Gänge in klimatisiertem Ambiente, auf mit weißen Tüchern gedeckten Tischen auf Porzellan serviert. Selbst Joko benahm sich, von der außerordentlichen Atmosphäre beeindruckt, äußerst gesittet.
Gegen Mitternacht kehrten wir gesättigt und zufrieden unter den dicht herabstürzenden Wassermassen eines heftigen Tornados der Stadt Niamey und damit jedwedem Luxus den Rücken. Schani, unser Ältester, saß am Steuer. Eine Fahrt ins Ungewisse, denn die gebündelten Lichtstrahlen der Scheinwerfer beleuchteten nur eine undurchsichtige Regenwand. Die Scheibenwischer arbeiteten ohne sichtbaren Nutzen mit Höchstgeschwindigkeit, feiner Sprühregen drang durch die Spalten der abgenützten Fensterdichtungen. Joko kuschelte sich bei demjenigen an, bei dem es im Moment am wenigsten nass war. Doch niemand von uns zog einen neuerlichen Aufenthalt durch Abwarten der Wetterbedingungen in Betracht. Im Schritttempo tastete sich unser Belgier weiter. Wie er es geschafft hat, auf der Straße zu bleiben, war sicher dem vorher genossenen vortrefflichen Essen und Trinken zu verdanken. Nach einigen Kilometern endete der Asphalt und die Wellblechpiste bestimmte das Fahrtempo. Wir hatten Glück, der Regen hörte ebenso schnell wieder auf, wie er begonnen hatte, denn langsames Fahren über die Wellen der Sandpiste hätte das Auto zerrissen. Wir kamen bis Dosso und fielen todmüde in die frisch überzogenen Betten eines Campement de chasse, einem Jagdlager. Bis Mittag verbrachten wir dort die Zeit mit diversen kleineren Reparaturen. Diese angenehme Pause nützte Kopecky, um ein Perlhuhn zu erjagen.
Die dreihundert Kilometer bis Gaya, der Grenze zu Dahomey, jetzt Benin genannt, bewältigten wir in der Rekordzeit von fünf Tagen. Es gab einige Strecken, in der die Zündung des Autos nicht streikte. Sicher waren es der eintretende Gewöhnungseffekt und die Gewissheit, uns in Richtung Meer zu bewegen, welche die Nerven in Zaum hielten. Schani und ich versuchten, das Auto immer wieder in Gang zu bringen, die anderen begaben sich lieber zur Jagd. Das änderte für einige Zeit entschieden die Gewohnheiten unserer Ernährung. Zu jedem Frühstück wurden ein oder zwei Perlhühner verzehrt. Wir durchquerten ein Gebiet mit einer bedeutenden Population an Löwen, trotzdem übernachteten wir meistens im Freien, in großer Feuchtigkeit, umschwirrt von Moskitos und mit etwas mulmigen Gefühlen. Doch die Geräusche der Wildtiere, die aus fern oder nah vor dem Einschlafen an die Ohren drangen, haben sich unvergesslich in unser Bewusstsein eingebrannt.
Knapp vor der eigentlichen Grenzstation hatte der Regen wieder sintflutartig eingesetzt. Wir fuhren immer dann, sobald sich das Auto entschloss, zu funktionieren. Kein Wunder, bei mit Wasser getränkten Luft. In der Zeit, in der die anderen schliefen, legte im Turnus einer von uns den Verteiler trocken. Das brachte zwar den jeweiligen Biorhythmus in Unordnung, war aber dem Weiterkommen zuträglich.
Die Administrationen der Gebiete, die wir zu durchqueren hatten, waren in der Regenzeit dazu angehalten, Straßensperren zu errichten. Sie sollten Autos davon abhalten, die mühsam hergerichteten Pisten zu zerstören oder im Morast zu versinken. Da außer uns kein vernünftiger Mensch bei Nacht und Regen die Straßen benützte, waren die Regenbarrieren nicht beleuchtet. Was fast ein unrühmliches Ende der Expedition herbeiführte. Zu spät sah Schani bei hohem Tempo das Bollwerk, die abgenützten Bremsen griffen kaum, der Wagen rutschte seitwärts in den frisch ausgehobenen Straßengraben. Mackies Kopf knallte gegen die Windschutzscheibe, Kopecky und ich wurden an die Vordersitze geschleudert. Es herrschte absolute Dunkelheit in und um das Auto. Niemand kannte unseren Standort und wo sich diese Barrière de pluie befand. Nur die aufgeregten Schreie des hyperaktiven Joko unterbrachen die Stille. Zu allgemeinem Missvergnügen bekam er darüber hinaus heftigen Durchfall. Der dadurch entstandene Gestank trieb uns aus dem Auto, wo wir in knöchelhohem Wasser landeten.
Keiner von uns war verletzt, nur Mackie hatte eine kleine Beule. In ungewohnter Gefasstheit hob der Expeditionsleiter zu fluchen an. Selbst der ihm bei solchen Gelegenheiten eigene Einfallsreichtum war ihm in dieser Situation abhandengekommen. Er wiederholte in Endlosschleife nur ein Fäkalwort in oftmals geübtem Crescendo. Der Himmel war von tiefen Wolken verhangen, die Luftfeuchtigkeit betrug bei hoher Temperatur geschätzte hundert Prozent.
Gegen Morgen zeigte sich am Horizont ein heller Streifen. Das Ausmaß der Katastrophe wurde sichtbar. Der IFA steckte tief im Schlamm, der die Kühlerhaube halb bedeckte. Es sah hoffnungslos aus. Das Versprechen, den Wagen auf jeden Fall nach Hause zu bringen, war nicht mehr einzuhalten. Im Morgengrauen machten wir uns daran, das Auto zu entladen und das Material auf der Piste aufzutürmen. Das musste auf jeden Fall gerettet werden. Aber wie? Da die Straßensperre bei den Einheimischen bekannt war, gab es keinen Verkehr. Wir bereiteten uns auf einen längeren Gepäckmarsch vor. In einer rational nicht zu begründenden Anwandlung kletterte ich zurück in den IFA und drehte den Zündschlüssel. Der Motor sprang bei der ersten Umdrehung des Anlassers an und reagierte auf das Gaspedal! In schweißtreibender Arbeit brachten wir mit Motorkraft und Manpower das Fahrzeug wieder auf die Piste. Mackie und Kopecky erkundeten die Umgebung und fanden kurz vor der Barriere eine Abzweigung, die in den Busch führte und bei Dunkelheit nicht zu erkennen war. Die könnte unsere Rettung sein. Autofahrer in Afrika suchen Hindernisse und Absperrungen zu umfahren und legen dabei eigene Fahrspuren an. Kopecky zauberte aus einem seiner Gepäckstücke die lange vermisste Flasche Rossbacher Magenbitter hervor, die reihum ging. Niemand war ihm böse.
Das Beladen des Expeditionsfahrzeuges war schnell erledigt. Die Vorderachsen schienen nichts abbekommen zu haben, der Wagen spurte exakt bis zu der Abzweigung, die wir vertrauensvoll unter die Räder nahmen. Sie war zwar voraussichtlich sicherer als der abgesperrte Abschnitt der Hauptpiste, hatte aber den Nachteil, dass sie nicht existierte. Viele Stunden verbrachten wir mit schieben und dem Bau von Knüppeldämmen auf tiefen Morast. Einen Tag später erreichten wir Kandi und besuchten in stolzem Bewusstsein über das Geleistete, umgehend den Commandant-Cercle. Der aber wollte uns überhaupt nicht. Nicht einmal sein Haus durften wir betreten. Neben unserer abstoßenden, verdreckten und verschwitzten Adjustierung, die dem Franzosen offensichtlich missfiel, war er sicher sauer, weil wir seine Straßensperre missachtet hatten. In seiner Respekt gebietenden sauberen Uniform mit messerscharfen Bügelfalten und glatt rasiertem Kinn wies er uns, damit die inneren Werte der Expeditionsteilnehmer missachtend, die Türe.
Müde und zornig ob der ungewohnten Abfuhr zogen wir ab und fanden die Missionsstation irgendeiner amerikanischen protestantischen Glaubensrichtung. Dort lebten drei Missionare, welche davon überzeugt waren, dass sie die schwarzen Schäfchen eher bekehren könnten, indem sie sich dem Lebensstil der autochthonen Bevölkerung anpassten. Ungeachtet unseres Äußeren wurden wir freundlich aufgenommen. Geduscht und mit der zweiten Garnitur bekleidet, holte man uns zum Essen. Es gab panierte Zwiebelscheiben in einer mit Honig gesüßten Soße und eine kleine Auswahl anderer Gemüse, ebenfalls mit gezuckertem Sirup gewürzt. Dazu bekamen wir glasklares gefiltertes Wasser, das seine Herkunft aus einem lehmigen Brunnen nicht verleugnete. Ob wir einen Sohn des Königs von Abomey, einen Prinzen, kennenlernen möchten? Begeistert bejahten wir, denn man war ja nicht nur zum Autobewegen nach Afrika gefahren. Die lange Pause hat unsere Arbeitsmoral keineswegs vermindert. Mich juckte es in den Fingern, beziehungsweise in den Ohren. Wir erwarteten ein in höchstem Maße erhellendes Interview mit einem echten afrikanischen Prinzen. Ich durfte in der Mission über Nacht meine Zwölfvoltbatterie aufladen und überprüfte die Betriebsbereitschaft des Tonbandgerätes.
Der Morgen brachte Sonnenschein und eine Art Müsli zum Frühstück. Eine gute Seele hatte in der Nacht unsere verschmutzte Kleidung gewaschen und im Hinterhof zum Trocknen aufgehängt. In Erwartung des Prinzen und der kommenden Aufnahme holte ich einige Stühle für den Hofstaat, schraubte das Mikrofon auf ein Stativ und platzierte daneben die Geräte. Wir warteten gespannt auf das höfische Ereignis. Dann erschien einer der Missionare mit einem eher kleinwüchsigen Mann und stellte uns diesen als eben den Prinzen vor. Es wurde ein kurzes Gespräch. Er erzählte uns, dass er, verstreut im gesamten Gebiet von Dahomey einige Geschwister hat. Alles direkte Nachkommen des mächtigen Königs des Volkes der Dan, Aho. Er selbst sei Fahrer eines Lastwagens, der vom Hafen Cotonou Waren in den Norden des Landes, ja bis Niamey liefere. Das war es auch schon.
Die Missionare, die durch unsere Erzählungen die Anliegen des Unternehmens kannten, erzählten uns von einer weiteren Missionsstation in Sinendé, die Interessantes für uns bieten könnte. Spät am gleichen Tag fuhren wir los. Die Strecke war recht gut befahrbar, bis zu dem Moment, an dem sich ein unvorstellbares Gewitter über uns entlud. Bis sich das verzogen hatte, war finstere Nacht hereingebrochen, und wir beschlossen diese an Ort und Stelle zu verbringen. Logischerweise unter freiem Himmel. Was sich Minuten nach diesem Entschluss als Fehlentscheidung erwies. Da unsere Moskitonetze dem Übergewicht geopfert wurden, waren wir den Myriaden von Moskitos schutzlos ausgeliefert. Wir flüchteten in das Innere des IFA. Man stelle sich die Luft in einem Auto der unteren Mittelklasse, eine ganze Nacht von vier Männern und einem Äffchen besetzt, bei einer Außentemperatur von etwa dreißig Grad Celsius und geschlossenen Fenstern vor. Wir vertrieben uns die Zeit bis zum Morgengrauen mit Abwehren von geschätzten hundertfünfzig von draußen mitgebrachten Moskitos, die selbst Joko fast zum Wahnsinn brachten.
Unter schieben, graben und Brückenbauen kamen wir unserem Ziel näher. Die Zündkerzen wollten wieder einmal gereinigt werden. Bei diesem Halt erschienen zwei weißhäutige Damen wie Engel in einem riesigen Power-Wagon und brachten uns Tee in einer Thermoskanne. Sie hätten erfahren, dass eine Gruppe Europäer auf der Piste feststeckte, und waren sofort aufgebrochen uns zu suchen. Der Buschtelegraph schien vortrefflich zu funktionieren, obwohl weit und breit keine Menschenseele zu sehen war. Wir sagten ihnen, dass die Mission von Sinendé unser Ziel war. Die zwei netten Damen boten an, uns dorthin leiten, wir brauchten nur ihrem Wagen zu folgen. Einige Kilometer fuhren wir durch landwirtschaftlich genutztes Gebiet, Bauern bearbeiteten ihre kleinen Felder, dann erreichten wir das Dorf.
Die Mission, das größte Haus am Platz, war aus rotbraunem Lehm gebaut und vermittelte einen gepflegten Eindruck. Es stellte sich heraus, dass die jungen Damen die gesuchten Missionare waren. Nach einem Aperitif wurden wir zum Essen eingeladen und waren heilfroh, nicht vegetarisch ernährt zu werden. Wir aßen gerne und ausgiebig, und das umso lieber, bei ausnehmend gebildeten und charmanten Gastgeberinnen. Voll Interesse hörten sie den Erzählungen zu, nur unseren Zugang zu den Fetischglauben vermochten sie nicht nachzuvollziehen. Sie wurden wahrhaftig zornig. Es stellte sich heraus, dass der hiesige Zauberer sie schikanierte und ihrer Arbeit alle erdenklichen Hindernisse in den Weg warf. Das wäre etwas für uns, und wir besprachen, dem Feticheur gemeinsam mit den Damen einen Besuch abzustatten. Wir waren vollzählig bei Tisch, bis auf Joko, der verschwunden war. Schani, kein großer Tierfreund, meinte zwar, der Affe würde schon wiederkommen, stieß damit aber bei den anderen, inklusive den Missionarinnen, auf Unverständnis. Nachdem er im Haus nicht zu finden war, schwärmten wir aus, um ihn zu suchen. Da ich wusste, dass Joko Märkte liebte, zog es mich dorthin. Und dort war der Ausreißer, umringt von Kindern, Halbwüchsigen und Erwachsenen produzierte er sich, zeigte Kunststücke, genoss den Applaus und kleine Happen, die man ihm reichte. Die Menschenmenge öffnete sich bei meinem Näherkommen, Joko sah mich, quietschte laut und sprang mir auf die Schulter. Aus schlechtem Gewissen zitternd klammerte er sich an meinen Hals und ließ ihn über den gesamten Weg bis zur Missionsstation nicht mehr aus. Fast gleichzeitig trafen alle Affensuchenden dort ein.
Wir schliefen die Nacht durch herrlich, geschützt unter Moskitonetzen. Nach dem Frühstück fuhren wir auf der Ladefläche des Wagens der Damen zum Zauberer. Der wohnte in einer Hütte, die sich von den anderen des Dorfes nicht unterschied. Ein missmutiger alter Mann saß davor. Beim Anblick der Konkurrenz wurde er passiv freundlich, vermittelte aber weiterhin einen grantigen Eindruck. Er war ein Feticheur, der im Krokodil den Meister der Fruchtbarkeit und des Lebens überhaupt sah. Dem Dorf nahe sollte es einen unterirdischen See geben, in dem ein bemerkenswert großes Exemplar dieser Exen lebte. Manche gaben ihm ein Alter von über dreihundert Jahren. Der Zauberer hatte die Pflicht, diesem lebenden Fabelwesen regelmäßig Opfer darzubringen, was er unter reger Beteiligung der Dorfbewohner zelebrierte. Wir hatten vor dabei zusehen, wie er das Krokodil an die Oberfläche lockt und füttert. Doch er blieb absolut unzugänglich und lehnte den Wunsch entschieden ab. Er war einer der wenigen Menschen, die wir uns nicht zum Freund machen konnten. Ohne Anwesenheit der Missionarinnen hätte er vermutlich zugestimmt. So wurde darüber beratschlagt, ob wir zu einem späteren Termin nochmals allein kommen sollten. Doch verwarfen wir dieses Vorhaben, weil im Süden des Landes einige konkrete Aufgaben auf uns warteten. Wir mussten unbedingt weiter.
Von Sinendé bohrte sich der Kombi durch den weichen Boden nach Westen. Unser Ziel war Savalou, das abseits der ausgebauten Nord-Südhauptverbindung lag. Auf der Michelin-Karte war diese Strecke zwar kürzer, aber als Nebenstraße eingezeichnet. Bei Kilometer vierzig ging dem IFA buchstäblich die Luft aus. Zwei Reifen waren zugleich platt. Wir hatten für die Schläuche Klebezeug mit. Um zu diesem zu gelangen, war es erforderlich, das Fahrzeug teilweise zu entladen. Ich fand die beiden Tuben Klebstoff, doch ihr Inhalt war in den Monaten seit Wien steinhart geworden. Mackie begab sich auf den Weg, einen solchen aufzutreiben, die Piste entlang. Er traf einen Jungen, der ihn angesichts des Vollbartes für einen Missionar hielt. Der Expeditionsleiter nützte seine neue Würde und sandte den Buben die vierzig Kilometer zurück zum Kommandanten von Sinendé. Der durfte Hilfe nicht verweigern, selbst wenn er uns gar nicht lieb hatte. Der Bote war flott unterwegs, er bewältigte die Marathonstrecke bis zum Abend. Es war schon finstere Nacht, da zeigten sich in der Ferne die Scheinwerfer eines herankommenden Autos. Das war der Materialwagen des Commandant cércle mit dem Jungen, der mit fürstlichen zehn CFA entlohnt wurde und damit in der Dunkelheit verschwand. Wir entnahmen dem reichhaltigen Werkzeug eine Tube Paragummi und schickten den Rest mit Dank zurück.
In der Umgebung hat sich unser Doppelpatschen schnell herumgesprochen, und autochthone Bewohner hielten um die Unglücksstätte eine Versammlung ab. Die Seelen der Reifen hatten wir frühmorgens luftdicht geflickt. Dieselben mit der Fußpumpe aufzublasen luden wir die Umstehenden der Reihe nach ein. Mit dem ihnen angeborenen Gefühl für Rhythmus pumpten sie die Reifen unter Lachen und Geschnatter bewundernswert schnell voll. Joko hatte im herumliegenden Gepäck den Rest Rossbacher Magenbitter in der Flasche entdeckt und das süße Getränk begeistert genossen. Dann raste er wie gesengt umher. Er wollte unbedingt alle Erreichbaren küssen. Doch seine gezielten Sprünge waren jedes Mal um ein Weniges zu kurz. Es wurde recht lustig im Auto, denn er sprang völlig unkontrolliert herum, wobei er regelmäßig umfiel. Den nächsten Tag über verhielt er sich auffällig still.
Am Straßenrand tauchten die ersten Mitglieder des Volkes der Somba auf. Herausragende Aufmerksamkeit erregten die Männer. Nicht nur, dass sie völlig nackt daherkamen, hatten sie für alles, was Europäer aus Gründen der Schicklichkeit zu verbergen trachten, wohlgeformte und weithin sichtbare Futterale. Deren Größe und Länge richtete sich dabei weniger nach den biologischen Notwendigkeiten, sondern zeugten von des Trägers Reichtum und Bedeutung. Diese Gebilde aus Holz oder Leder trugen sie mit Stolz. Auf dem von ihnen besiedelten Hochplateau haben Sie sich ihre Eigenständigkeit bewahrt, entgegen den Bemühungen der französischen Kolonialmacht und Missionaren aller Glaubensrichtungen. Sonst gab es kaum ein größeres afrikanisches Volk, das nicht in Hemd und Hose europäischen Zuschnitts gezwängt wurde.
Auf der Fahrt durch die Berge zogen Rinderherden an uns vorbei. Rinderzucht auf den höher gelegenen Weiden war hier möglich, gab es doch in diesem Klima keine Tsetsefliegen. Weil wir über diesen für Ethnologen interessanten Volksstamm schon beachtliches Material gesammelt hatten, führte uns der Weg durch das Land der Somba direkt bis Natitingou, einer anmutigen Kleinstadt. Beim dort stationierten Kommandanten trafen wir eine Gruppe deutscher Touristen. Darüber freute sich hauptsächlich Kopecky, unserem für Fremdsprachen untalentierten Fotografen, weil er mit ihnen einige Worte zu wechseln vermochte. Doch war wegen des verwilderten Aussehens der österreichischen Expeditionsteilnehmer ein gewisses Misstrauen uns gegenüber festzustellen. Für den tropengeeichten Commadant du cercle war so ein Outfit nichts Ungewohntes. Von seinen eigenen Jagdausflügen kannte er die Gegebenheiten im Busch und die Sitten der Eingeborenen seines Distrikts. Inmitten der Stadt traf man Männer der Somba, die in natürlicher Nacktheit, allein mit Penisfutteralen ausgerüstet, völlig ungeniert durch die belebten Straßen stolzierten.
Im vornehmen Hotel der Stadt hatte man für die Touristen ein „Tamtam“, eine Vorführung afrikanischer Folklore bestellt. Hierzu wurden Einwohner aus der nächsten Umgebung beordert, die gegen etwas Geld Tänze aus dem Urwald zeigten. Ohne Choreographie und Rücksichtnahme auf echte landesbezogene Volksmusik fabrizierten sie mit ihren Trommeln ungeheuren Lärm. Dazu tanzten und sprangen sie zwischen rosa gedeckten Frühstückstischen wild herum und beeindruckten damit die enthusiastisch fotografierenden und mit 8mm-Kameras filmenden Globetrotter. Das Trinkgeld fiel dem Augenschein nach reichlich aus, denn es gab Zugaben. Wir aber wünschten gute Unterhaltung und verließen den Ort schleunigst in Richtung Süden, die Stadt Savalou zum Ziel.
Eine ausgezeichnet gepflegte breite Piste ließ den IFA-Kombi anstandslos einige Kilometer fressen. Bis wir eines Nachts eine Abzweigung übersahen. Die Fahrspur wurde immer weniger, und als wir sie im hohen Elefantengras zeitweise überhaupt aus den Augen verloren, wurde es zur Gewissheit, wir haben uns verfahren! Eine erzwungene Pause wurde eingelegt. Das Auto war von der vorderen Stoßstange und den Rädern bis zur Kühlerhaube ein einziger Lehmklumpen. Die Nerven bis zum Zerreißen angespannt war die Stimmung unter den Expeditionsteilnehmern höchst aggressiv. Der ewig hungrige Kopecky rettete die Situation, indem er ein Baguette aufschnitt und genüsslich eine Konserve mit Sardinen öffnete. Ein versöhnliches Zeichen, das Frühstück einzunehmen. In Anbetracht der erbrachten physischen Leistungen, leisteten wir uns jeder eine Dose Ölsardinen. Behände schnappte sich Joko eine der eben geöffneten Konserven und verschwand unter Gekreisch damit hinter einem Busch. Niemand hatte Lust und die Energie dem Affen die Menschennahrung abzujagen.
An ein Zurückfahren auf der bisher bewältigten Strecke war nicht zu denken. Nachdem Joko ins Auto gefunden hatte, ging es nach dieser kurzen Ruhepause im Schritttempo weiter. Mit ölverschmierten Pfoten und fettigem Fell klammerte sich das Affentier voll des schlechten Gewissens an mich, was mir zusätzlich zu meinen natürlichen Ausdünstungen eine hauchzarte Note nach Fisch bescherte.
Da es zu gefährlich war, in der Nacht zu fahren, folgten wir der angedeuteten Fahrspur bei Tageslicht. Der IFA reagierte darauf mit ständiger Überhitzung, was bei der hohen Luftfeuchtigkeit und vierzig Grad im Schatten keineswegs verwunderlich war. Wir zollten dem VEB-Sachsenring höchstes Lob für die Qualität des Materials, welches das Auto nicht in kleine Stücke zerfallen ließ. Über Stellen, an denen sich Wasserläufe quer zum Weg Abflüsse gegraben hatten, bauten wir Brücken. Mit oftmaligem, kraftraubendem Schieben vermochten wir eine große Strecke zurückzulegen. Die Nächte wurden immer heißer, die Stechmücken unerträglicher. Die Tropen rückten näher. Da wir nicht mehr im Besitz von Moskitonetzen waren, verdoppelten wir die tägliche Ration an Resochin, in der Hoffnung, damit der Malaria zu entgehen. Egal wie erreichten wir abermals die Hauptpiste. In Savalou eingetroffen, glichen wir nicht mehr menschlichen Wesen. Weder optisch, noch olfaktorisch. Im Hof des Campements mit seinen sauberen, in weiß gehaltenen Mauern, ließen wir das Auto stehen, wie es war. Zimmer mieten, Klimaanlage abdrehen und in voller Adjustierung unter die Dusche stellen, war eins. Das Wasser aus dem Metallbehälter am Dach war durch die Sonne heiß aufgeheizt, aber dennoch erfrischend. Nach dem raschen Genuss einiger Flaschen Bier verzichteten wir auf essen, ebenso auf den Pflichtbesuch bei der Kommandantur, und begaben uns umgehend in die Doppelzimmer. Sorgfältig wurden die Moskitonetze auf kleinste Löcher geprüft und über uns geschlossen. Wir schliefen einen halben Tag und eine Nacht durch.
Savalou wäre an sich für unsere Arbeit wichtig gewesen, wenn wir nur mehr Zeit gehabt hätten. Aber sich aufzuhalten, bedeutete zu riskieren, dass in der Regenzeit der Schlamm grundloser geworden wäre. Wir besuchten dennoch den Kommandanten, der uns, nachdem er erfahren hatte, wozu wir hierher gekommen waren, bei geeistem Tee über die Region informierte. Savalou war das Zentrum eines der wesentlichsten Königreiche Dahomeys. Bis zum Jahr 1894, in dem Capitaine Horaz Pentel für das französische Expeditionschor einen Schutzvertrag mit dem damaligen König dieses Gebietes unterzeichnete. Von da an war das Reich ein Kanton und der Herrscher Chef de Canton. Ähnlich erging es in nämlicher Zeit dem im Süden gelegenen Königtum von Abomey. Darüber hinaus erzählte er von einer Spezialität der Gegend. Es gab im Land richtige Klöster, in welchen Fetischpriester ausgebildet wurden. Das durften wir uns nicht entgehen lassen.
An diesem Morgen regnete es auf der Weiterfahrt. Nicht zu heftig, aber doch so, dass unsere Fröhlichkeit darunter litt. Von einer Buschlandschaft war keine Rede mehr, denn die Baumgruppen waren schon vor Savalou enger zusammengerückt. Stellenweise fuhren wir durch herrlichsten Urwald, Bäume von ungewohnter Höhe mit dichtem Blätterdach säumten die Piste. Hitze und enorme Luftfeuchtigkeit erschwerten das Atmen. Nicht lange nach einem Dorf trafen wir auf eine Lichtung, in deren Mitte eine Art Vierkanthof stand. Eine über mannshohe Mauer schützte einen Platz, der von außen nicht einsehbar war. Gekrönt wurde sie von unheimlichen Symbolen aus Metall. Das waren Figuren auf kleinen Türmchen, die dieses Fetischkloster bewachten.
Hinter dem Gebäude erhob sich ein steiler, zerklüfteter Berg, auf dem, wie wir später erfuhren, Geister zu Hause waren. Er sah aus, wie wenn man riesige Felsen auf einen Haufen geworfen hätte. Das Tor zum Kloster wurde von zwei großen Männern bewacht. Sie trugen weiße Boubous, das waren lange Gewänder mit kostbaren Stickmustern und vermittelten einen unnahbaren Eindruck. Mackie strebte da hinein, mich selbst drängte es, endlich wieder etwas anderes zu leisten, als ein Auto über Distanz zu bringen. Wir hatten für hier keine speziellen Empfehlungen, außer der mit Befürwortungsschreiben wissenschaftlicher Institute aus Österreich gefüllten Mappe. Die meisten davon in Deutsch gehalten. Mackie holte unter dem wallenden roten Bart seinen unwiderstehlichsten Charme heraus und marschierte forsch auf die Wächter zu. Was und in welcher Sprache er mit ihnen geredet hatte, war auf die Entfernung nicht zu erkennen. Gleichwohl öffnete einer der beiden das Tor und verschwand mit unserem Expeditionsleiter in den Hof. Die Türe wurde wieder zugezogen. Es verging etwa eine halbe Stunde, bis sich das Tor von Neuem auftat und Mackie beschwingten Schrittes und grinsend herauskam. Der Buschtelegraph hatte schon wieder bestens funktioniert. Zugegeben, mit einem leistungsstark motorisierten Geländewagen wären wir flotter unterwegs gewesen, aber keinesfalls so rasch, wie es Nachrichten in Afrika waren. Obwohl die Priester Bescheid wussten, waren sie dennoch misstrauisch. Mackie erzählte ihnen von unserer Arbeit und erwähnte so nebenher, dass wir die Geschichte ihrer Könige und deren über lange Zeit erfolgreichen kriegerischen Widerstand gegen die Kolonialtruppen kannten. Dank der endlosen Gespräche mit Dozent Hirschberg vom Institut für Völkerkunde der Universität Wien, konnte Mackie den Fetischeuren sein Wissen über Dahomeys Nationalhelden mitteilen. Das war nicht ungefährlich, denn die Franzosen hörten das naturgemäß nicht gerne. Wir durften das Innere des Klosters betreten, und die Opferfetische fotografieren.
So lud man uns ein, an einem kleinen religiösen Fest auf dem Berg der schwarzen Geister teilzunehmen. Es werde ein Opferfest zu Ehren des Prinzen Hinougan geben, der vor langer Zeit aus den unzähligen anderen Königssöhnen von Savalou eine machtvolle profane und spirituelle Kaste gründete. Da jeder König zahlreiche Frauen hatte, gab es adelige Kinder in großer Zahl, die, bis auf wenige Auserwählte, alle zu Statistenrollen verurteilt waren. Hinougan war der oberste Fetischpriester und ausschließlich er hatte die Berechtigung, Orakel zu werfen und zu lesen. Er erfuhr dieselbe Wertschätzung wie die Könige, die nach ihrem Tod auf den Geisterberg gebracht wurden. Dort zerschlug man ihre Knochen, nahm die größten aus dem Körper und was überblieb, wurde geräuchert. Man hängte das Übriggebliebene über eine Flamme und ließ es dort auf Kindergröße schrumpfen. Eine kleine wesentliche Verbrämung der Zeremonie bestand darin, dass man die guten Könige an den Händen aufhing, die schlechten aber an den Füßen. Sobald der Tote derart mumifiziert war und die vorgeschriebene Größe erreicht hatte, wurde er in einen kleinen Holzsarg gelegt. Man bestattete ihn in der Erde und grub nach Schluss der Zeremonien rund um das Grab labyrinthartige Gänge. Die Geister der toten Könige werden durch die verwirrten Wege daran gehindert, ihre Grabstätten zu verlassen. Man hatte große Angst vor ihnen und schob die meisten Unglücksfälle auf Königsgeister, die sich freimachten. An der Grabstelle des Hinougan waren die Feierlichkeiten geplant. Aber wir hätten eine Woche darauf warten müssen, was weder unseren Nerven, noch den Finanzen zuträglich gewesen wäre. Mit dem Versprechen wiederzukommen, verabschiedeten wir uns.
So lud man uns ein, an einem kleinen religiösen Fest auf dem Berg der schwarzen Geister teilzunehmen. Es werde ein Opferfest zu Ehren des Prinzen Hinougan geben, der vor langer Zeit aus den unzähligen anderen Königssöhnen von Savalou eine machtvolle profane und spirituelle Kaste gründete. Da jeder König zahlreiche Frauen hatte, gab es adelige Kinder in großer Zahl, die, bis auf wenige Auserwählte, alle zu Statistenrollen verurteilt waren. Hinougan war der oberste Fetischpriester und ausschließlich er hatte die Berechtigung, Orakel zu werfen und zu lesen. Er erfuhr dieselbe Wertschätzung wie die Könige, die nach ihrem Tod auf den Geisterberg gebracht wurden. Dort zerschlug man ihre Knochen, nahm die größten aus dem Körper und was überblieb, wurde geräuchert. Man hängte das Übriggebliebene über eine Flamme und ließ es dort auf Kindergröße schrumpfen. Eine kleine wesentliche Verbrämung der Zeremonie bestand darin, dass man die guten Könige an den Händen aufhing, die schlechten aber an den Füßen. Sobald der Tote derart mumifiziert war und die vorgeschriebene Größe erreicht hatte, wurde er in einen kleinen Holzsarg gelegt. Man bestattete ihn in der Erde und grub nach Schluss der Zeremonien rund um das Grab labyrinthartige Gänge. Die Geister der toten Könige werden durch die verwirrten Wege daran gehindert, ihre Grabstätten zu verlassen. Man hatte große Angst vor ihnen und schob die meisten Unglücksfälle auf Königsgeister, die sich freimachten. An der Grabstelle des Hinougan waren die Feierlichkeiten geplant. Aber wir hätten eine Woche darauf warten müssen, was weder unseren Nerven, noch den Finanzen zuträglich gewesen wäre. Mit dem Versprechen wiederzukommen, verabschiedeten wir uns.
Da es sich um Fruchtbarkeitsfetische handelte, hatten die Künstler sie mit unnatürlich großen Geschlechtsmerkmalen ausgestattet. Da waren sowohl Nachbildungen schlanker Menschenfiguren neben fast kugeligen, unförmigen Gebilden, denen man nur schwer ansah, was sie darstellen sollten. Diese Abbildungen schützten jede Familie vor Witterungseinflüssen. So wurden auf rohen, senkrecht in die Erde getriebenen Ästen Grasdächer über sie errichtet. Begüterte bauten kleine Häuschen um die Fetische. Und immer wieder wurde ihnen geopfert. Am Weg nach Abomey trafen wir viele dieser Opfer- bzw. Anbetungsstätten.
Auf den vierhundert Kilometern gepflegter Piste, für deren Bewältigung nur eine Woche benötigt wurde, hörten wir immer wieder Sagenhaftes über Aho, dem König von Abomey. Das stachelte die langsam erlahmende wissenschaftliche Neugierde der Teilnehmer der Expedition nochmals an und vertrieb die aufkommende Reisemüdigkeit. Daran änderte auch nicht das durch Unachtsamkeit herbeigeführte Bersten der Heckscheibe des Kombis, die kurzerhand durch eine Decke ersetzt wurde.
Abomey empfing uns mit strahlend schönem Wetter. Wir hatten kurz vor der Stadt, die eher ein größeres Dorf war, angehalten, um uns ein wenig zu restaurieren. Schani hatte gestreikt. Er erklärte kategorisch, dass er sich in solch desolatem Aufzug nie im Leben zu einem Monarchen begeben wolle. Wir sahen es ein, so schauerlich verdreckt und zerlumpt, durfte man nicht zu einer Audienz. Dem Hof einen Besuch abzustatten, hat sich zur Pflicht ausgebildet. Die Erzählungen über den König Aho waren allgegenwärtig. Vor allem deswegen, weil es in Dahomey sicher nur wenige Menschen gab, die nicht adeligen Geblütes waren. Schließlich besaß der Herrscher einen bedeutenden Harem. Da nur der älteste Sohn ein Anrecht auf den Thron hatte, galten alle weiteren Nachkommen des Königs nicht mehr als jeder andere Untertan.
Vor dem Palast hielten wir, parkten an der Mauer und verließen in Gestalt blütenweiß gekleideter Beaus unseren zerschundenen, aber liebgewonnenen Metallhaufen. Der Königspalast war überwältigend romantisch. Das Gebäude erinnerte lebhaft an ein abgebranntes Dorfgasthaus. Ein Lehmbau, ohne Türen. Wir waren doch recht enttäuscht, obwohl bekannt war, dass der König seinen Titel ablegen musste, nachdem er den Schutzvertrag unterschrieben hatte. Frankreich hatte ihn zu einem Chef de Canton gemacht. Aber so einen Abstieg hatten wir nicht vermutet.
Wir betraten das Haus und wurden sofort von einem Pförtner gemeldet. Nicht etwa seiner Majestät, sondern dem Sekretär. Ein junger Schwarzer empfing uns und stellte sich als der älteste Prinz von Dahomey vor. Er würde einmal der Nachfolger seines Vaters werden. Sympathisch und äußerst liebenswürdig begrüßte er uns und nahm die Bitte um eine Audienz bei seiner Majestät freundlich auf. Er würde uns melden. Ein Gespräch im Moment sei sicher nicht möglich, doch wenn wir warten könnten? Keinesfalls ginge es am Vormittag. Wir waren sprachlos über die Etikette in diesem Saal, beschlossen aber, mangels einer anderen Option, ebenso freundlich zu akzeptieren. So trieben wir uns in der Umgebung des Palastes herum, besuchten den Kommandanten und erfuhren, dass es ein Museum hier gab. Mitten in der Besichtigung kam ein keuchender Boy angelaufen, der uns mitteilte, ihre Majestät wären jetzt bereit.
In größeren Ortschaften waren wir gezwungen, Joko an die Leine zu nehmen, denn er plünderte, was nicht niet- und nagelfest war. Er stahl aus Liebe zur Sache, verwüstete die Beute und sah sich dann nach etwas anderem um. Dieses Mal aber zeterte er derart, dass wir beschlossen, ihn in Gottesnamen seine Verbeugung machen zu lassen. Der Prinz führte uns sofort durch das leicht verfallene Gebäude, und wir erreichten einen Hof, der uns schon den Atem nahm.
Die Wände waren mit farbigen Reliefs geschmückt. Gegenüber lag erst der eigentliche Palast. Die Bogengänge, reich in der ursprünglichen Tradition der Afrikaner verziert, durchschritten wir rasch und hatten leider keine Zeit, die Kostbarkeiten zu betrachten. Durch zwei geräumige Hallen hindurch gelangten wir hinter dem Prinzen in das Gemach des Königs. Beim Eintritt fiel der Thronfolger vornüber auf den Bauch, schlängelte sich einige Meter weiter und meldete seinem Vater den Besuch. Der, ein netter älterer Herr, saß auf einem geschnitzten Thron. In erfreulich einwandfreiem Französisch forderte er uns zum Näherkommen auf. Er beteuerte, dass das Hofzeremoniell zwar vorschrieb, niemand dürfe sich dem König aufrecht annähern, wir aber von dieser Regel ausgenommen wären. Das alles sagte er fast lustig, mit Schalk in den Augen. Sein Gesicht strahlte, weil wir ihn mit Majestät ansprachen. Er schien offenkundig von der französischen Administration anderes gewöhnt zu sein. Nachdem er erfahren hatte, dass wir aus Österreich kamen, freute er sich erneut. Er hatte auf einer Tagung in Paris einige Regierungsmitglieder unseres Landes persönlich kennengelernt und war entzückt von ihnen.
Vor dem Thron nahmen wir auf bestickten Matten Platz und es entspann sich ein faszinierendes Gespräch. Der König erzählte uns, dass er wahnsinnig an Ischias zu leiden habe. Wir versuchten alles, ihm eine Kur in Bad Gastein einzureden. Eingehend erkundigte er sich nach unserer Arbeit und langsam drehte sich das Thema. Der Fetischkult wurde berührt und es stellte sich heraus, dass seine Majestät AHO ein fanatischer Fetischanhänger war. Im Geisterglauben erzogen, hatte er nie im Traum daran gedacht, diesen abzulegen. Sein Bruder war der Hauptfetischeur, der größte Fetischpriester in seinem Land. In ihm hatte sich etwas verzerrt die HINOUGAN-Tradition fortgesetzt. Der König war begeistert von unserem Wissen über den Kult. Während des prächtig französisch gekochten Mahls, dessen mehrere Gänge wir auf der Matte hockend genossen, wurde er immer aufgeräumter. Wir lernten, dass seine Dynastie bis ins vierzehnte Jahrhundert zurückreichte, und waren begierig, etwas über die Geschichte des Reichs zu erfahren. Er sagte uns darauf, dass wir alles an den Reliefs im Hof ablesen könnten, die er uns später persönlich zeigen würde. Der Raum war angefüllt mit den prächtigsten Schnitzereien, die das Gebiet von Dahomey aufzuweisen hatte. An den Wänden hingen Schwerter.
Wir befragten ihn über diese Waffen. Der König lächelte bei seinen Erklärungen. Es waren Amazonenschwerter. Wir glaubten, nicht richtig verstanden zu haben. Doch, die Herrscher von Abomey hatten früher bis zu vierhundert Frauen – er selbst hätte nur mehr vierzig, meinte er bescheiden. Wenn Kriege ausbrachen, sei es gegen die Europäer oder die Yoruba im Norden, dann stellten diese Frauen eine physische Kapazität dar, die unmöglich brach liegengelassen werden durfte. Man beschloss, ihnen Waffen in die Händchen zu geben und sie im Kriegshandwerk zu schulen. Anfangs waren manche dagegen, weil doch die Frauen unbedingt an Gewicht verlieren, wenn sie aus dem beschaulichen Dasein im Harem gerissen würden. Das bedeutete eine Wertminderung des herrschenden Schönheitsideals. Aber das genaue Gegenteil trat ein. Die Damen gediehen bei der ungewohnten Tätigkeit prächtig. Es war wie ein Ausgleichssport fürs Kinderkriegen. Bald entwickelten sie sich zu gefürchteten Halsabschneiderinnen und das Reich konnte mit dieser Truppe zufrieden sein. In unzähligen Schlachten bewährte sich diese Frauenarmee. Sie waren ausgezeichnete Speer- und Einzelkämpferinnen im Busch. Unbarmherzig und grausam, todesverachtend und zäh. Bei keinem Krieg fehlten sie und kämpften in vorderster Linie. Sie waren stolz auf ihren Kriegerinnenstand und schufen sich ihre eigenen Kampfgesänge. Immer mehr traten ihre Frauenpflichten in den Hintergrund. Kampfspiele und kriegerische Ertüchtigung wurden zu ihrer Hauptbeschäftigung. Daraus resultierte, dass ihr Äußeres weibliche Züge verlor. Sie entwickelten sich zu Riesinnen mit stählernen Muskeln, die ihrem König so treu ergeben waren, wie keine andere Truppe.
Das alles gehörte seit Jahrzehnten der Vergangenheit an. Doch die Kriegsgesänge, die Kampflieder der Amazonen haben sich erhalten. Sie werden heute genauso gesungen und Aho bot uns an, seine Frauen für uns singen zu lassen. Nach dem Essen, zum Kaffee, entwickelten sich Gespräche, die des Königs Bildung und Weltoffenheit bewiesen. Er hatte den Zweiten Weltkrieg in relativer Sicherheit von hier mitverfolgt. Sogar über die Rolle, die Österreich dabei spielte, hatte er eine eigene Meinung. In Dahomey selbst war der Krieg hauptsächlich dadurch bemerkbar, dass die Franzosen den Ausbau der Infrastruktur, wie breitere und neu errichtete Pisten und Straßen vorantrieben.
Gegen zwei Uhr erhob sich seine Majestät und erklärte, dass er uns rasch die Reliefs zeigen und erklären wolle, damit er dann zu seiner Mittagsruhe käme. Diese plastischen Wandbilder stellten nicht etwa eine fortlaufende Geschichte des Hauses dar, sondern einzelne Ausschnitte und Begebenheiten sowie symbolhafte Figuren. Vor einem Bild verharrte der König länger. Es zeigte den Kopf eines schwarzen Mannes, der anscheinend einen hohen spitzen Hut trug. In Wirklichkeit verhielt sich die Geschichte aber so: Einmal hatte ein prahlerischer Krieger der Yoruba überall ausposaunt, dass er den König von Abomey fangen wolle. Und er hatte geschildert, was er mit dem Gefangenen anfangen werde. Zuerst einmal den Kopf abschlagen. Dann werde dieser in einen Hirsemörser gelegt und zu Brei zerstampft. Der König erfuhr von den Prahlereien dieses Yoruba. Majestät waren empört und sandte Krieger aus, besagten Mann lebendig vor den Thron zu führen. Wochen später war der Auftrag erfüllt. Der König sprach ein salomonisches Urteil: „Wie du mir, so ich dir.“ Man zerstieß seinen Kopf in einem Mörser, ohne ihn vorher abgeschlagen zu haben. Der spitze Hut auf dem Relief stellte den Hirsestößel dar. Aber nicht alles, was die Palastmauern schmückte, war so blutrünstig. Da waren die schönsten Symbolfiguren. Es gab ein Bild, das ohne Zweifel einen Büffel darstellte. Unerklärlicherweise aber hatte dieses Tier ein rotes Beinkleid an. Der König erklärte das so: Es ist genauso unmöglich, einem Büffel eine Hose auszuziehen, wie den Herrscher seiner Macht und Würde zu entkleiden.
Die Einladung des Königs für den Abend haben wir gerne angenommen. Joko schien sich ebenso darüber zu freuen, er merkte offenbar die majestätische Zuneigung. Die Leckerbissen und die Ration Rotwein, die ihm zu Mittag freundlich zugeteilt wurden, hatten ihre Wirkung getan. Ich schleppte Tongerät, Kabel und Mikrofon vom Auto in den Palast. AHO kam uns erfreut bis an die Tür entgegen. Dieses Abendessen fand nicht im Audienzsaal, sondern in einem etwas kleinerem Raum statt. Hier standen Stühle um einen makellos gedeckten Tisch. Wir waren erfreulicherweise nicht mehr wie zu Mittag gezwungen, uns auf die Erde niederzulassen. Ein Requisit, das der Europäer am meisten im Busch vermisst, ist ein Stuhl. Von AHO war es eine Geste größter Liebenswürdigkeit, dass er an diese Sitzgelegenheiten gedacht hatte.
Es gab gebratenen Hammel, den man sicher viele Stunden neben den Flammen am Spieß gedreht hatte, so zart und gar waren die Stücke. Dazu Salat und Weißbrot. Rotwein stand in großen Karaffen überall, wohin man blickte. Im Laufe des Essens befragte Mackie den König über die Gebräuche des Fetischkults in seinem Reich. Zum Aufwärmen gab er mit unseren im Niger erworbenen diesbezüglichen Erkenntnissen schrecklich an. AHO lud uns daraufhin ein, für ein halbes Jahr seine Gäste zu sein. Ein Haus wolle er für uns bauen lassen, darin sollte es an nichts mangeln. Schweren Herzens schlugen wir das Angebot aus, denn die Zeit drängte. Aber wir versprachen, im nächsten Jahr wiederzukommen. AHO war erkennbar traurig. Er hatte uns ins Herz geschlossen und wollte wenigstens unsere Namen und Adressen haben. Schallend klatschte er in die Hände. Augenblicklich erschien sein Sohn auf dem Bauch, empfing eine Order, robbte hinaus und kam auf dieselbe Art wieder herein. Er brachte einen Notizblock und einen Bleistift mit.
Wir wurden gebeten, ihm unsere Adressen zu diktieren. Der Prinz aber zeigte vor uns einen derartigen Respekt, dass wir ihm die Angaben auf etliche Meter zuzurufen hatten. Das Buchstabieren über die Entfernung war mühsam, so klärte Schani die Situation, indem er freundlich bat: “Wollten Eure Hoheit nicht ein wenig näher rutschen?“ (Ein Satz, den wir bis zu unserer endgültigen Heimkehr oft als erheiternden running gag gebrauchten.) Seine Prinzenhoheit schlich heran und wir nahmen die Eintragungen selber vor. Unterdessen gab König Aho einige Befehle, die wir nicht verstanden. Kaum war der Prinz verschwunden, öffnete sich der Türvorhang und etwas verschämt zögernd, erschienen die 40 Schönen des Palastes. Auf einen Wink AHO’s platzierten sie sich hinter seinem Sessel.
Eiligst bereitete ich die technischen Voraussetzungen für die Aufnahme vor. Zwar gab es im Palast elektrischen Strom in geeigneter Spannung, der schwankte aber so stark, dass ein Gleichlauf des Tonbandes nicht mehr gegeben war. Ich holte Umformer und Batterie aus dem Auto, wobei Kopezky mir schleppen half. Er verstand ohnehin kein Wort von dem, was gesprochen wurde. König AHO hatte das Fehlen von Joko während des Essens bemerkt. Wir holten ihn bei der Gelegenheit herein. Sein erstes Werk war die Vernichtung einer Rotweinkaraffe, in dessen am Boden verschütteten Inhalt er ausgiebig plantschte. Das war uns peinlich, aber der König lachte herzlich darüber. Joko wurde mit Kopezky in einen Nebenraum verbannt, denn die Darbietungen der Amazonen begannen.
Es waren teils blutrünstige Texte, wie man uns später übersetzte. Feinde wurden gequält oder getötet, Heldinnen verherrlicht und zu Krieg und Kampf aufgeputscht. AHO war stolz auf seinen Harem. Wenn es seine Finanzen erlaubt hätten, dann wäre er sicher auf die vierhundert Gattinnen seiner Vorfahren gekommen. Aber die Zeiten waren schwer für einen König von Frankreichs Gnaden. Und offiziell war er es nicht einmal, sondern Chef de canton.
Wie es am Hofe weitergeht folgt im nächsten Kapitel 23.
Fotos alle Rechte: H. M. Prasch, Ton: herbert M. Prasch
Verwertungsrechte Tonaufnahme: Phonogrammarchiv der Akademie der WissenschaftenT