Der Ausflug zu Akamouks Familienclan in den Hoggar war aufregend und recht anstrengend gewesen. Geduscht und komplett frisch gekleidet steige ich in Erwartung eines Frühstücks die Turmstiege hinunter. Mein Platz ist gedeckt, Michelle hat alles vorbereitet. Francois sitzt am Nebentisch bei seinem geliebten Kaffee. Der weiträumige Gastraum, seine kahlen Wände, die stetig die Originalfarbe verlierenden Metallmöbel und die stillstehenden Deckenventilatoren, vermitteln ein Gefühl des Nachhausekommens. Von François herzlich gemeint, werde ich mit einem deutschen „Guten Morgen“ begrüßt. Lachend meint er, dass Österreich im Wechseln von Regierungen mit den Italienern konkurrieren würde. In der Zeit meiner Abwesenheit, wir schreiben das Jahr 2019, hätte es drei unterschiedliche Regierungen gegeben, und das innerhalb von zehn Tagen. Scheint ein ziemlicher Kindergarten zu sein, diese Alpenrepublik, fügt er provokant hinzu.
Obwohl ich die Umstände, die zu einem derartigen GAU geführt haben noch nicht kenne und kein fanatischer Patriot bin, fühle ich mich in meiner staatsbürgerlichen Ehre getroffen. Ich pflege eine Hass-Liebe zu Österreich, vor allem zu meinem Geburtsort Wien. Keineswegs will ich mich auch nur annähernd mit Thomas Bernhard vergleichen, doch waren seine Empfindungen sicher ähnlich. Denn ohne Empathie zu den Menschen dieses Landes hätte er nicht derart kritisch geschrieben. Hier in der Wüste, wo Sand, Steine, Hitze und Durst die Dominanten des Lebens sind, ist es herzlich egal, ob die eigene Regierung kurz oder lang (welch Wortspiel!), gut oder schlimm herrscht. Wien ist viele Flugstunden weit weg, und man vermag von hier aus nichts beizutragen, um extremes Abdriften egal ob nach links, oder rechts zu verhindern. Das ist gut so, denn solche im fernen Europa gelegenen Ereignisse würden das Aufnehmen der gewaltigen Eindrücke, die Afrika in jedem Winkel bietet, beeinträchtigen.
Es trifft sich ausgezeichnet, dass in diesem Moment die gute Michelle mit einer Kanne Tee erscheint. Ich nütze die Zeit, in der sie die duftende Flüssigkeit in die Tasse schenkt, um einige belanglose Worte mit ihr zu wechseln. Das enthebt mich im Augenblick der unangenehmen Verpflichtung, auf das von Francois angesprochene Thema einzugehen. Während sich Michelle wieder Richtung Küche verzieht, widme ich mich intensiv dem Frühstück. Meine offen zur Schau getragene Konzentration auf das Bestreichen des Baguettes mit Camembert, wagt sicher niemand zu stören. Lange lässt sich dieses Gehabe nicht durchziehen, denn ich spüre schon Mitleid für den Nachbarn am Nebentisch aufkommen, der mein Verhalten erkennbar nicht versteht. Seine Gesichtszüge signalisieren komische Verzweiflung. Doch da geschieht Allahs Wille und Akamouk betritt den Gastraum. Er geht direkt auf François zu. Die beiden begrüßen sich nach der längeren Abwesenheit extra ausführlich. Michelle kommt dazu, verschwindet aber sofort wieder in die Küche, um Kaffee für den Gast zuzubereiten. Dieser hat Geschenke mitgebracht. Ein frisch geschmiedetes Schwert mit ausnehmend kunstvoll gearbeitetem Griff, den ein fein ziselierter Knauf ziert. Es steckt in einer mit geprägten Mustern versehenen und bunt bemalten Scheide. Sie hat am unteren Ende einen ebenso sorgfältig bearbeiteten runden Abschluss aus Metall. Dieses Prachtstück von einer Takuba, hat einen geflochtenen Strick, an dem man sie umhängt und so immer griffbereit hat. Er überreicht dem Hausherrn das Schwert mit beiden Händen. François springt vor Rührung ungewohnt behende von seinem Stuhl hoch. Die Übergabe erinnert mich an einen Ritterschlag im Mittelalter, mit dem Unterschied, dass der zu Erhebende nicht kniet, sondern aufrecht steht. Selbst für den Targi scheint die Zeremonie etwas Besonders zu sein, denn ich habe ihn nie vorher verlegen oder gar nervös gesehen. François erkennt sofort, dass diese Takouba eine kostbare Sonderanfertigung ist. Dem Wert des Geschenkes entsprechend bedankt er sich ausführlich.
Während dieser Feierlichkeit stellt Michelle den dampfenden Kaffe wortlos vor Akamouk auf den Tisch. Der greift unter sein weites blaues Gewand und zieht ein zusammengerolltes Lederpäckchen heraus, das er mit einer eleganten, eines Targi würdigen Geste der Hausfrau überreicht. Michelle nimmt das Paket verwundert entgegen, knüpft den herumgewickelten Riemen auf und entfaltet dabei eine Satteltasche. Eine Tasche kostbarer Machart, verziert mit breiten Lederstreifen, auf denen seit Urzeiten überlieferte Formen geometrischer Muster der Touareg sorgfältig eingeritzt und gefärbt sind. Nicht nur das, die fleißigen Frauen der Heimat Akamouks haben die für Reittiere gedachte Tasche mit einem Trageriemen zu einer Umhängetasche geändert. Das lässt auf eine Sonderanfertigung schließen. Ich bin überrascht, denn mein afrikanischer Freund hat mir von seinem Vorhaben nichts mitgeteilt. Darüber hinaus ist diese Geste merkwürdig, weil Touareg allgemein besser im Nehmen, als im Geben sind. Er ist eben ein Imuhar, ein Adliger. Einerseits in berberischer, andrerseits in der besten europäischen Tradition erzogen. Das Zusammenspiel aus Jahrhunderten Lebenserfahrung seines Volkes in der Sahara und westlichem Wissen formte seinen außerordentlichen Charakter.
Da ich mich bei diesem Fest innerhalb einer Familie als Außenseiter fühle, beschließe ich, einen kurzen Spaziergang in die Stille der Wüste zu machen. Das würde helfen, das zuletzt Erlebte und den leichten Ärger über die Taktlosigkeit Françoise’s zu verarbeiten. Ich drücke die Eingangstüre auf, die vom Gastraum ins Freie führt, da schlägt mir nicht erwartete Bruthitze wie beim Öffnen eines Backrohrs entgegen. Die Sonne hat sich längst ein großes Stück über den Horizont erhoben und heizt mit voller Kraft den Vorplatz und die Mauern des Gebäudes auf. Es herrscht totale Windstille, was den Effekt der Hitze zusätzlich verstärkt. Schnell kehre ich wieder in das kühle Innere des gastlichen Hauses zurück. Die dicken, praktisch fensterlosen Wände konservieren die nächtlichen frischen Temperaturen. Ich begebe mich direkt in das Turmgemach um meiner seit Tagen aufgestauten Schreiblust nachzugeben
Louis Mourèn war der Apotheker von Niamey, er besaß die Grande Pharmacie am zentralen Platz der Hauptstadt. Es gab oben am Markt eine wesentlich bescheidenere zweite Apotheke, mit dessen einheimischen Besitzer lebte er auf Kriegsfuß. Nicht weil sie Konkurrenten waren, sondern sie hatten unterschiedliche Auffassungen davon, wie man eine Apotheke führt.
Die Pharmacie sur le marché am Markt versorgte das Volk mit preiswerteren Medikamenten. Louis‘ Geschäft war für die im Niger lebenden Europäer und die reichere Schicht der farbigen Einwohner vorgesehen. Seine Wohnung lag über dem Laden im ersten Stock und war flächenmäßig größer, da sie sich zusätzlich oberhalb der Garagen und einer Werkstatt ausdehnte. Von der breiten Veranda überblickte man den gesamten Platz und war damit vom Treiben dort stets bestens informiert. Da hier Umzüge und Paraden über das zentral gelegene Areal vor dem Haus geführt wurden, war dieser Ort bei den Europäern überaus beliebt. Man gestattete sich, in kolonialer Manier bei kühlem Bier und Whisky auf das Geschehen da unten zu blicken. Mourèn nützte den gegebenen Vorteil zur Kommunikation mit Geschäftsfreunden und lokalen Autoritäten jeder Hautfarbe.
Gefeiert wurde gerne in Afrika, Prunk, Musik und Tanz gehörten dazu. Das Gewand der Feiernden und Betenden, die weiten Boubous, waren mit kunstvoll gestickten Ornamenten verziert. Solche Kleidungsstücke wurden fast durgehend in allen Staaten Afrikas getragen. Die Stickereien dazu kamen aus der Textilhochburg Österreichs, Vorarlberg. Das war so lange ein Monopol, bis die Chinesen mit ihrer Billigware den Kontinent versorgten.
Seit vielen Jahren gab es im Land eine Reihe von christlichen Missionen. Verschiedene Konfessionen warben um Anhänger, wobei die katholische am besten angenommen wurden. Die weiteste Verbreitung fand aber der Islam wegen des großen arabischen Einflusses. Das war ein friedlicher, unaufgeregter Islam mit schlichten Koranschulen, von weltoffenen Imamen geführt. Das waren die Marabouts, denen man übernatürliche Kräfte zusprach, ähnlich den Zauberern und Féticheuren. Ungeachtet der Religion, als deren Mitglied man sich einschrieb und taufen ließ, wurden in den jeweiligen Missionsstationen kostenlos Essen, Medikamente und neue Hemden abgeholt. Aber jedermann besuchte die Fetischfeste der unterschiedlichen Naturreligionen. Diese waren nicht ausschließlich wegen ihrer Inhalte und deren bisweilen ausufernden Zeremonien interessant, sondern es gab die Gefahr ihrer Auslöschung durch christliche Religionen und vor allem durch den fortschreitenden mohammedanischen Einfluss. Es war gar nicht mehr so leicht diese Manifestationen uralten Brauchtums zu finden, und in solchem Glücksfall für Tonaufnahmen zugelassen zu werden. Die Recherchen gestalteten sich schwierig, da die Menschen, die darüber etwas wussten, lieber schwiegen. Speziell aus Furcht sich zu verraten und damit die Geschenke der Missionen nicht mehr zu erhalten.
Eines Tages lud uns der Apotheker Louis Mourèn auf einen Abendtrunk nach Sonnenuntergang zu sich ein. Es war in der Trockenzeit, sodass dieser Empfang auf der Terrasse seines Hauses stattfinden konnte. Als wir dort ankamen, saßen schon ein paar ausgewählte Herren der französischen Administration und Geschäftsleute der Stadt in den bequemen Gartenmöbeln, kühle Getränke vor sich auf kleinen Tischchen. Außerdem war Père Ducros da, der Leiter der katholischen Mission in Niamey. Er wurde von den zwei bloßfüßigen schwarzen Boys, die notdürftig in weiß gekleidet waren, speziell respektvoll bedient. Mit Limonade, denn außer dem Schluck Wein zur Messe, trank er keinen Alkohol. Wir Teilnehmer der Expedition wurden vom Gastgeber Mourèn den Anwesenden wie eine Art Exoten vorgestellt. Mackie, Schani und Kopecky stürzten sich gewandt in den Smalltalk, das heißt, der Letztere nervte aus Mangel an französischen Sprachkenntnissen die anderen mit der sich mantrisch wiederholenden Frage: „Was sagt er“? Walter und ich hielten uns abseits vom Getriebe an unseren Whiskygläsern fest. Die Terrasse war durch eine Abgrenzung gesichert, deren Metallgestell die Sonnenbestrahlung gespeichert hatte und sich wesentlich heißer als die kühlere Abendluft anfühlte. An dieses Geländer gelehnt betrachteten wir das Treiben.
Einer der Herren gesellte sich zu uns, wie sich herausstellte, war er Beamter des französischen Kolonialministeriums, und wollte wissen, wofür wir hier arbeiten. Wir erzählten ihm in groben Umrissen über die zu erfüllenden Aufgaben für die Universität Wien, das Phonogrammarchiv der Akademie der Wissenschaften und das Museum für Völkerkunde. Das bewog ihn zu der Frage, ob wir an einem Fetischritual im Norden des Landes teilnehmen wollten, er hat in dem Gebiet dort oben zu tun und könnte uns die dazu notwendigen Kontakte herstellen. Von dieser Mitteilung derart überrascht, wussten wir beide im Moment nichts darauf zu sagen. Der gute Mann musste ob unserer schockbedingten Reaktion das Gefühl gehabt haben, uns mit seiner Frage verletzt zu haben. Da suchten wir wochenlang mühevoll mit bescheidenem Erfolg nach genau solchen Informationen, und hier, bei einem Abendtrunk, wurde die Expedition so nebenbei aus längerem Stillstand erlöst. Nach verflogener Schrecksekunde erkundigten wir uns über Details. Jeweils zu Beginn der Regenzeit veranstalteten die Menschen der Gegend Fetischzeremonien, Yenendi genannt. Er fährt demnächst nach Téra, einer Kleinstadt, in welcher der Commandant Cercle des gesamten Verwaltungskreises residierte, und kann für uns den Weg bereiten. Père Ducros wird in der Zeit ebenfalls dort sein. Dieser Missionar, ein gütiger und freundlicher Herr asketischen Aussehens, war bei der schwarzen, sowie weißen Gemeinde außerordentlich beliebt. Er betreute ein Gebiet, das sich flächenmäßig sicher doppelt so weit wie Österreich ausbreitete. Er besuchte entlegene Dörfer und half Eingeborenen, ihr bescheidenes Dasein zu bewältigen. Er verbesserte ihre Ackerbaugeräte, betätigte sich als Arzt, baute Bewässerungsanlagen mit ihnen, predigte und griff gelegentlich zum Gewehr, wenn Löwen oder Hyänen die Bauern bedrängten. Er konnte sich fließend in den Sprachen Songhai, Haussa und Djerma unterhalten. Wir hatten ihn bereits mehrmals aufgesucht, er verstand unsere Arbeit und beriet uns effizient, weil er die meisten „Kollegen“ der Umgebung, die mohammedanischen Imams, sowie die Priester der autochthonen Kulte kannte.
Mitternacht war vorbei, Kopecky war aus Langeweile längst nach Hause gegangen, weil er kein Wort der Unterhaltung verstanden hatte. Mackie und Schani hatten dem kostenlosen Whisky ausgiebig zugesprochen und stützten sich nach langwieriger Verabschiedung gegenseitig am Weg zum Auto die Stiegen hinunter. In diesem Zustand waren sie kaum fähig, die Tragweite unserer Neuigkeit zu ermessen. Aus dem Grund unterließen wir es vorerst, sie davon zu informieren. Erst bei einem späten gemeinsamen Frühstück platzte Walter mit einem minutiös ausgearbeiteten Durchführungsplan in die verkaterte Runde. Auf die drei Übernächtigen wirkte die Nachricht wie eine Überdosis Amphetamin. Kopecky sprang unvermittelt auf und riss dabei beinahe den Tisch um, Schani hob hysterisch zu lachen an, und Mackie verschluckte sich derart, dass wir seinen Erstickungstod befürchteten. Nachdem er sich von diesem Anfall erholt hatte, reagierte er unverhohlen gekränkt, weil nicht er, der Leiter der Expedition, derjenige war, der sich damit rühmen durfte. Wir gingen den von Walter erstellten Plan durch, an dem Mackie freilich einiges auszusetzen hatte. Das ignorierte Walter großzügig und brachte dagegen seine nicht unbegründeten Bedenken wegen unserer Finanzen ein. Aus diesem Grund beschlossen wir, die Exkursion allein mit dem IFA zu unternehmen. Der Humber würde an einen begüterten Targi verkauft werden, der schon länger großes Interesse an dem Fahrzeug bekundet hatte. Die Neigung zum Brechen der linken Hinterachse verschwiegen wir ihm wohlweislich. Da er den Wagen nicht so schwer beladen wird, wie wir es mussten, sollte sich dieser Umstand in nächster Zeit kaum bemerkbar machen.
Wir stürzten uns sofort in die Organisation, überprüften die seit einer Woche unberührte Technik und die Bärenbatterien mussten geladen werden. Weitere Informationen über den Ort und die Hintergründe dieses Yenendi wurden eingeholt. Die ersten Schauer der beginnenden Regenzeit brachen vom Himmel. Wir waren neben den Vorbereitungen für die Aufnahmen voll mit Abdecken beschäftigt, um zu verhindern, dass die Wassermassen aus dem zerfallenden Teil des Gebäudes die trockenen Räume überfluteten. Walter und Schani wurden dazu verdonnert in der Stadt zu bleiben. Sie sollten auf das Haus aufpassen und sich um den Verkauf des Père Ubu kümmern. Es brauchte zwei Tage, bis wir bereit zur Abfahrt waren. Die Arbeitsgeräte, Tonbandgerät, Umformer und Akkumulatoren wurden zuerst in das Auto geschlichtet, gefolgt von Luftmatratzen, Kochutensilien und sparsam Ersatzkleidung. Zwei Jagdgewehre mussten auch mit. Obwohl wir an Gewicht einsparten, wo es nur ging, wurde das Fahrzeug weit über sein offizielles Gesamtgewicht beladen.
Der Informant vom französischen Ministerium fuhr kurz vor uns Richtung Téra ab. Nach einigen Kilometern auf der Asphaltstraße erwischte uns ein erster Vorgeschmack auf die kommende Regenzeit. Der Scheibenwischer auf der Seite des Fahrers funktionierte – wer braucht schon so etwas in der Sahara – war aber machtlos gegen die Wassermengen. Da ich nichts mehr vor mir sah, blieb ich trotz Mackies Protest am Straßenrand stehen und wir warteten im Wagen den Regen ab. Wir hatten das Gefühl, in einem U-Boot zu sitzen, und befürchteten, dass das Dach nicht dicht bleiben könnte. Aber alle Achtung vor den Mechanikern in Eisenach, die den IFA F9 zusammengeschraubt hatten, wir blieben trocken! Selbst die Fensterscheiben waren rundherum erfreulich abgedichtet. Gleichwohl waren wir durch und durch nass, schweißnass. Kaum eine viertel Stunde später war der Zauber vorbei, die Sonne knallte wieder auf Kühlerhaube und Straße, die wie Kochtöpfe dampften.
Wir konnten weiterfahren, erreichten die nicht befestigte Piste und kamen nach etwa einer Stunde Fahrt in den Genuss des nächsten Wolkenbruchs, der gleich heftig wie der erste verlief. Mit dem unbedeutenden Unterschied, dass der IFA daraufhin nicht mehr startete. Der Verteiler musste trockengelegt werden. Er hat sich vermutlich an die 5% Luftfeuchtigkeit in der Sahara derart gewöhnt, dass er hier bei annähernd 100% streikte. Geduldig und liebevoll trockneten wir die elektrischen Kontakte nach jedem Regen und dazwischen ebenfalls. Das Fahren wurde immer schwieriger und nahm die volle Aufmerksamkeit in Anspruch. Das zügige „Fliegen“ über die Wellblechpiste mit mindesten 70 Kmh durfte nicht unterschritten werden, weil wir Karosserie und Geräte weiterhin dringend brauchten. Durch den schweren Regen bildeten sich zusätzlich tiefe Querrinnen und mit Wasser gefüllte Löcher auf der Piste, die man vorsichtig und möglichst schräg anfahren musste. Die Bodenfreiheit war für ostdeutsche Autobahnen berechnet, und durchaus nicht für Geländefahrten. Diese oftmalig notwendigen Wechsel zwischen Tempo halten, abruptem Bremsen und zartem über die vom Wasser ausgewaschenen Löcher gleiten, war für mich als Fahrer, wie für das Auto extrem anstrengend. Selbst an meinen Mitfahrern gingen diese heftigen Tempowechsel nicht spurlos vorüber. Viele Zigaretten wurden auf der Strecke nervös und achtlos geraucht.
Nach mühsamen Stunden erreichten wir Téra und sahen am Platz vor der Kommandantur den Powerwagon des französischen Überseeministeriums parken. Monsieur Aillot, der Commandant Cércle, zeigte sich informiert und empfing uns freundlich. In einem mit tiefen Sesseln ausgestatteten, klimatisierten Empfangsraum saß schon der Herr vom Ministerium. Wir ließen uns in die restlichen bequemen Sitzgelegenheiten fallen. Eine Ordonanz in Uniform bot uns verschiedene Getränke an, Erdnüsse und Knabbergebäck standen auf runden Tischchen bereit. Wir erfuhren, dass das Yenendi in einem gewöhnlichen Dorf, namens Begouriou Tondo Kangé, was so viel wie „Wäldchen am Fuß des Steines“ heißt, einmal jährlich stattfand. Es lag bloß vierzig Kilometer von hier entfernt, hinter ein paar Hügeln. Das Fest war eines der größten dieser Art in dem gesamten Gebiet. Bei den Zeremonien opferte man Kleintiere, um den Zorn Dongos, dem mächtigen Wettergeist, abzuwenden. Tanzende Medien wurden in Trance versetzt und aus ihrem Mund sprachen die Geister. Der Commandant bedeutete uns, dass wir um eine Woche zu früh gekommen waren. Es war uns aber wichtig dorthin zu fahren, um mit den Leuten im Dorf zu reden, damit wir am Tag des Festes keine unangenehmen Überraschungen erleben. Das heißt, es wurde notwendig, sich um ein Nachtquartier zu kümmern. Es gab ein Hotel in der Stadt, aber im Hinblick auf unsere Finanzen lehnten wir mit der Erklärung ab, dass das kostbare Equipment nachts unbedingt unter Beobachtung und in Griffweite sein sollte. Es traf sich, dass nahe gelegen eine Garage leer stand, die ein regendichtes Dach zu bieten hatte.
Die Einladung zum Abendessen nahmen wir nur zu gerne an, denn wir hatten ursprünglich mit Palatschinken und Ölsardinen, dem normalen Menü, gerechnet. Monsieur Aillot stellte uns einen jungen Mann vor, Banjou war sein Name, den er uns mitgab. Er stammte aus der Gegend und würde für uns dolmetschen. Wir verabredeten uns mit ihm für den nächsten Morgen zum Tagesanbruch und bezogen das Quartier. Sogar das Auto fand in dem Gebäude Platz. Wir waren glücklich darüber, nicht draußen übernachtet zu haben, denn in der Nacht zogen einige heftige Gewitter über uns hinweg.
Der Morgen kam, mit ihm Banjou. Wir traten vor die Garage, die uns die Nacht über trocken gehalten hatte. Eine merkwürdig kontrastreiche Stimmung empfing uns. Der Himmel war düster mit grauen Wolken verhangen, die im gleichen Moment aufgehende Sonne tauchte die Dächer der Häuser am Platz in goldgelbes Licht. Es wurde recht eng im IFA mit dem zusätzlichen Passagier und das Heck des Autos berührte nahezu den Boden. Es regnete nicht und Banjou führet uns hinaus aus der Stadt. Am Stadtrand begann eine schmale Piste, die sich später wie ein Hohlweg durch die Hügel zog. Hier fuhren vorher Geländewagen und LKWs mit ausreichender Bodenfreiheit, die Fahrspuren waren tief eingegraben, auf jeden Fall zu tief für unser Auto. Obendrein hatten sich die Fahrrinnen wegen der Regengüsse bis zum Rand mit Wasser gefüllt. Es blieb mir über weite Strecken nichts übrig, als mit zwei Rädern am Pistenrand, mit den anderen wie auf Schienen am Mittelstreifen zu balancieren. Dazwischen versanken die Antriebsräder öfters im Morast und wir durften wieder einmal graben, Äste von Bäumen brechen und unter die versunkenen Räder legen und anschieben.
Lehmverschmiert und physisch ausgepowert kamen wir bei Einbruch der Nacht am Ziel an. Monsieur Aillot hatte uns den Namen des großen Fetischeurs genannt, Yabilan. Unser Dolmetsch kannte den Feticheur natürlich und wir suchten ihn bei seiner Hütte auf. Das war ein Fehler. Was wir nicht wussten, zuerst hätten wir den Chef de village, den Häuptling des Dorfes konsultieren müssen. Es gab zwischen ihm und dem Zauberer heftige Rivalität. Wir kümmerten uns nicht weiter darum, der Beschwörer war für uns wichtiger.
Yabilan kam uns aus seiner Hütte entgegen. Tief musste er sich bücken, um durch den Eingang zu kommen. Die Einlässe zu den Behausungen aus Lehm waren allgemein recht niedrig gehalten. Yabilan war hochgewachsen, hager, und hatte eine flache breite Nase wie die breitgeklopfte eines Schwergewichtsboxers. Unter schweren Lidern blickten schlaue, jung gebliebene Augen aus dem faltigen Gesicht. Seine Haltung und das Gehabe waren Respekt gebietend. In blaues, dezent glänzendes Tuch gewandet, einen weißen Schal um den Kopf gewunden, strömte er Charisma aus. Yabilan schien über unser Kommen informiert zu sein. Wie das funktioniert hat, war und blieb ein Rätsel. Junge Frauen brachten Sitzgelegenheiten auf den Vorplatz, auf die wir uns im Halbkreis niederließen. Der Dolmetsch überbrachte Grüße vom Commandant und von Père Ducros, die er schweigend mit angedeutetem Nicken huldvoll entgegennahm. Mehr Emotionen zeigte er, als Mackie ihm die mitgebrachten Gaben überreichte. Wir hatten eine große Packung Zündhölzer und zwei Meter dunkelblauen Stoff in Niamey besorgt. Wir erzählten von den Bräuchen mit Zaubercharakter in den Tiroler Bergen, legten zum Beweis Bilder von Perchtenläufen aus den Prospekten der österreichischen Fremdenverkehrswerbung vor, die man uns ausreichend mitgegeben hatte. Das überzeugte ihn, sodass er ohne Bedenken dem Anliegen zustimmte, das Fest aufzunehmen. Er zeigte uns obendrein eine leerstehende Hütte, deren geflochtenes Dach freilich nicht mehr absolut dicht war. Dort, und in einem unserer Zelte daneben, schlugen wir das Nachtquartier auf.
Zum Glück fiel in dieser Nacht kein Regen. Das Fest wird erst in einer Woche, nach dem Ende des mohammedanischen Fastenmonats Ramadan abgehalten werden. Diese Zeit wollten wir nicht in Begourou abwarten, und beschlossen, erst nachdem wir mit dem Chef de village gesprochen hatten, zurück in die Stadt Téra zu fahren. Banjou führte uns am nächsten Morgen zu dem Haus des Häuptlings, der war aber ausgeflogen. Das versicherte uns eine der anwesenden Damen. Unser Übersetzer meinte dagegen, dass der Dorfoberste gekränkt sei, weil wir zuerst Yabilan besucht hatten und daraufhin mit uns nicht sprechen wollte. Warten wäre sinnlos, wurde uns bedeutet. Somit zogen wir wieder ab, um es später nochmals zu versuchen.
Da das Gebiet rundherum bekanntes Jagdgebiet war, gingen Mackie und ich jagen. Wir brauchten ohnehin zur Abwechslung Fleisch nach Tagen mit Palatschinken und Ölsardinen. Der Regen hatte Busch und Savanne verändert. Sie waren nicht mehr gelb und braun, sondern zeigten frühlingshaftes Grün. Das Gras schoss aus dem Boden und war schon recht hoch, was die Jagd erschwerte. Aber wir hatten Glück. Mit sieben Perlhühnern Jagdbeute kehrten wir in das Dorf zurück. Eines davon wurde zu Yabilan gebracht, ein Huhn schenkten wir Banjou. Mit zweien zum Geschenk marschierten wir nochmals zum Häuptling. Die Türe des Hauses war verschlossen, selbst auf heftiges Klopfen wurde nicht geöffnet. Banjou rief laut, dass wir zwei Hühner mitgebracht hätten. Es dauerte Minuten, bis sich die Türe einen Spalt öffnete und eine weibliche Stimme verkündete, man möge sie ihr übergeben, und der Chef sei nicht zu sprechen. Bumms, das Tor war wieder zu. Am Nachmittag kam ein Mann zu Yabilan, mit der Anweisung vom Chef de village, uns hinauszuwerfen. Wir dürfen beim Yenendi auf keinen Fall dabei sein. Daraufhin kochten wir eines der Hühner und begaben uns nach dessen Verzehr bedrückt zur Ruhe, denn wir sahen schon unsere Felle wegschwimmen. Am folgenden Morgen kam Yabilan herüber und meinte, der Zwerg hätte ihm nichts zu sagen, er würde das übernehmen. Das war aber nicht so problemlos, denn ein von den Franzosen eingesetzter Administrator hatte gewisse Machtbefugnisse, denen selbst ein Medizinmann unterworfen war.
Nicht allein aus Sorge um unsere Arbeit in gedämpfter Stimmung traten wir die Rückfahrt an. Tiefhängende schwarze Wolken kündigten ein Gewitter an. Dass sich der Zeitpunkt für die Durchführung des Yenendi nach dem Ramadan richtete, war sicher afrikanischer Diplomatie zuzuschreiben. Niemand wollte den Teil der zum Islam übergetretenen Bevölkerung überfordern, der sich von seinem traditionellen Glauben nicht abbringen ließ.
Wir benötigten für diese vierzig Kilometer Strecke nach Téra wiederum einen vollen Tag. Müde und verdreckt angekommen, durften wir die Garage wieder beziehen. Monsieur Aillot gestatte uns die Benützung des Gästebades im Haus. Nach erfolgter Toilette konzentrierten wir uns auf die Zubereitung der Hühner. Banjou war so freundlich gewesen, die Tiere unterwegs fachgerecht zu rupfen. Kopecky schlug vor, sie über einem Feuer zu braten. Da wir uns aber in einer Stadt befanden und Rücksicht auf den Kommandanten nehmen mussten, wurden sie zerteilt und verschwanden zum garen im Druckkochtopf, erhitzt von einem Petroleumkocher. Diese Suppe besserte unsere Kost für einige Mahlzeiten auf. Die nächsten Tage des Wartens auf das Ende des Ramadans verbrachten wir mit Reparaturarbeiten am IFA, Spaziergängen in und außerhalb der Stadt, sowie gelegentlichen Einladungen beim Kommandanten. Die dort geführten Gespräche mit einigen seiner Afrikaerfahrenen Gäste, deren Namen in der Zwischenzeit aus meinem Gedächtnis fielen, brachten uns wichtige Informationen für unsere zukünftige Arbeit in Westafrika.